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ID0125203000

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    Deutscher Bundestag — 252. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1953 12083 252. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. März 1953 Geschäftliche Mitteilungen 12084B Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Dirscherl und Pannenbecker 12084B Ergänzung der Tagesordnung gemäß Vereinbarung im Ältestenrat 12084C Kleine Anfrage Nr. 309 der Fraktion der SPD betr. Aufwendungen für Forschungszwecke (Nrn. 3899, 4148 der Drucksachen) 12084C Bericht des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts über die durchgeführten Maßnahmen disziplinarischer oder dienstlicher Art gegen Beamte des Auswärtigen Dienstes (Nr. 4154 der Drucksachen) 12084C Antrag auf Aufsetzung der dritten Beratung des Entwurfs des Bundesvertriebenengesetzes auf die Tagesordnung: Reitzner (SPD) 12084D Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU) . 12085D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin (Flüchtlings-Notleistungsgesetz) (Nr. 4095 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen (8. Ausschuß) (Nr. 4151 der Drucksachen; Umdruck Nr. 780) 12084C, 12086A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 12086B Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers 12086C Frau Dr. Brökelschen (CDU) als Berichterstatterin 12086D als Abgeordnete 12091D Müller (Frankfurt) (KPD) 12088C Wehner (SPD) 12090C Maerkl (FU) 12091C Abstimmungen 12091C, 12091D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 10. September 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel (Nr. 4141, zu Nr. 4141, Nachgang zu Nr. 4141 der Drucksachen) . . 12084C, 12092B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 12092C Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß 12096C Erste Beratung des von den Abg. Sabel, Richter, Determann u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte vom 8. Januar 1953 (Nr. 4135 der Drucksachen) . . . 12084C, 12096B Überweisung an den Ausschuß für Arbeit 12096C Einspruch des Abgeordneten Loritz gegen den ihm in der 251. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Umdruck Nr. 777) . . . 12096C Einspruch abgelehnt 12096C Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Mißbilligung von Äußerungen des Bundesministers der Justiz (Nr. 3897 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Mißbilligung von Äußerungen des Bundesministers der Justiz Dr. Dehler über das Bundesverfassungsgericht (Nr. 3974 der Drucksachen) . . . 12096C Dr. Gülich (SPD), Antragsteller 12096D, 12108B Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 12099C Kiesinger (CDU) 12109D Fisch (KPD) 12111B Euler (FDP) 12112A zur Geschäftsordnung: Dr. von Merkatz (DP) 12112B Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU) 12112C Mellies (SPD) 12112C Ewers (DP) 12112D Dr. Gülich (SPD) 12112D Ablehnung der Anträge 12113A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung (Nr. 4092 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung der Ergänzungsvorlage der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 (Nr. 4093 der Drucksachen) sowie mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern in den Rechnungsjahren 1953 und 1954 (Nr. 4094 der Drucksachen) 12113B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 12113C zur Geschäftsordnung: Dr. Menzel (SPD) 12118C, 12119B Dr. Wellhausen (FDP) . 12118C, 12119A Renner (KPD) 12118D zur Sache: Seuffert (SPD) 12119D Renner (KPD) 12125B Dr. Wellhausen (FDP) 12126D Dr. Bertram (Soest) (FU) 12129A Frau Lockmann (SPD) 12131A Eickhoff (DP) 12132A Niebes (KPD) 12133D Neuburger (CDU) 12134C Weiterberatung vertagt 12136C Persönliche Bemerkung: Mellies (SPD) 12136D Ausschluß des Abg. Rische für drei Tage 12136D Die Sitzung wird um 13 Uhr 38 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst Anlaß, noch um Ihre Nachsicht zu bitten, daß ich Ihnen am vergangenen Donnerstag nicht zur Verfügung stand. Nach dem Gang der Verhandlungen der Plenarsitzung war anzunehmen, daß die Mißbilligungsanträge der SPD nicht mehr zur Verhandlung kommen würden.

    (Abg. Dr. Menzel: Wieso?)

    Nur deswegen war ich nach 7 Uhr nicht mehr im Saal.
    Herr Professor Gülich hat den Mißbilligungsantrag weit über den Anlaß hinaus begründet. Er hat es für richtig gehalten, mich sehr pauschaliter politisch abzuwerten, zu erklären, meine an sich nicht zu beanstandende politische Laufbahn sei plötzlich kupiert worden, als ich das Amt des Justizministers des Bundes übernommen hätte; gewissermaßen sei mir dieses Amt vielleicht zu Kopf gestiegen, ich sei auf jeden Fall nicht tauglich für dieses Amt. Er hat mich hingestellt als einen Mann, der fortgesetzt unbedachte Äußerungen gebraucht, die er hinterher dementiert, als einen Mann, der Gewicht darauf legt, daß seine Äußerungen möglichst rasch verbreitet werden, der also nach publicity giert.
    Es ist ja schwer, wenn man sich selbst verteidigen muß. Er hat vor allem — —

    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Bitte, für mich zeugt meine Haltung nicht nur bis zum 12. September 1949, sondern bis zum heutigen Tage.

    (Beifall bei der FDP.)

    Gott sei Dank! Ich glaube einen klaren Weg gegangen zu sein. Ich überschätze mich nicht. Ich überschätze auch nicht meine politischen Möglichkeiten. Aber das nehme ich für mich in Anspruch: daß ich in ehrlicher, anständiger, gerader Weise meine Sache vertreten habe.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und in der Mitte.)

    Ich habe viele heiße Eisen angerührt. Andere scheuen sich, das zu tun.

    (Zustimmung bei der FDP.)

    Das, was ich gesagt habe, hat in der Presse nicht immer die richtige Resonanz gefunden. Herr. Professor Gülich, wenn Sie meinen, das, was irgendein Reporter — was weiß ich, in Uslar oder Göttingen oder sonstwo — aus einer 1 1/2 stündigen Rede herausnimmt und in die Welt schickt, sei der Niederschlag meiner politischen Überzeugung, und man könne mich nach einer solchen beinahe zwangsläufig eben verkürzten, oft entstellten Äußerung beurteilen, dann haben Sie, Herr Professor Gülich, von dem Glück und dem Unglück eines Redners keine Ahnung.
    Ich bin gern bereit, mich über alles auseinanderzusetzen. Aber zunächst einmal zu dem Vorwurf, dieser Bundesjustizminister sei ein Minister ganz besonderer Art, der Bundesjustizminister sei ungefähr das Symbol der Gerechtigkeit des Staates und ihm zieme es nicht, sich politisch zu äußern. Diese


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Anschauung findet glaube ich, weder im Grundgesetz noch in der Praxis des Parlaments von eh und je irgendeine Grundlage.
    Wenn die Verfassungspläne des Herrn Dr. Eschenburg verwirklicht würden, daß der Bundesjustizminister aus der parlamentarischen Verantwortung herausgenommen und gar nicht vom Parlament gewählt wird, sondern von irgendeinem objektiven Richtergremium nominiert wird, dann können Sie, Herr Professor Gülich, erwarten, daß ' ein Bundesjustizminister über den Wolken, zumindest über den Niederungen des politischen Kampfes steht. Ich bin Vorsitzender einer Landespartei. Ich_ will nicht das große Wort gebrauchen, ich sei ein Politiker. Wer ist das? Vielleicht ein Mann in diesem Saale: der Bundeskanzler, sonst keiner.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe links.)

    Aber ich bin ein Mann, der sich politisch bemüht, und ich nehme für mich selbstverständlich das Recht in Anspruch, zu den politischen Dingen Stellung zu nehmen. Ich werde ja von dem Vertrauen meiner Freunde getragen. Ich weiß nicht, Herr Professor Gülich, ob Sie seit 1946 in jedem Jahr wieder fast einstimmig von Ihren Freunden zum Vorsitzenden eines Landesverbandes gewählt worden sind,

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien — Lachen und Zurufe von der SPD)

    nicht etwa von Leuten, die parteihörig sind, sondern von Leuten mit sehr kritischer Haltung.
    Der Satz, daß einem Bundesjustizminister das Recht genommen sei, sich politisch zu äußern, ist also nicht richtig, und ich sage mit aller Deutlichkeit: Bevor ich Bundesjustizminister bin, bin ich ein Mann, der sich politisch bemüht und der sich das Recht, das, was er für richtig hält, zu sagen, keinen Augenblick nehmen oder auch nur verkürzen läßt.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe mich dessen, was ich als Bundesjustizminister gemacht habe, nicht zu schämen, das nehme ich für mich in Anspruch.

    (Zuruf links: Er kann das gar nicht mehr!)

    Ich habe aus dem Nichts heraus ein Amt aufgebaut, das sich sehen lassen kann,

    (anhaltende Zurufe links)

    ein Amt, das die Forderungen, die Sie, Herr Professor Gülich, erheben, erfüllt und das wirklich über den Parteien und über jeder Politik steht,

    (Lachen links)

    ein Amt, das aus hochwertigen Künstlern und 'Kunsthandwerkern des Rechts besteht. So sind die Dinge.

    (Gelächter links. — Zurufe: „Kunsthandwerker"! „Professor der Kunstakademie!")

    Meine Damen und Herren, ich will auch nicht die Gesetzgebungsarbeit meines Ministeriums unter den Scheffel stellen, an der ich wesentlich teilgenommen habe.

    (Abg. Mellies: Ihre Äußerungen über das Bundesverfassungsgericht stehen zur Debatte!)

    — Ja, ja, Herr Mellies, warum hat Ihr Fraktionsredner es für richtig gehalten, den Mißbilligungsantrag auf Grund meiner Äußerungen über das
    Bundesverfassungsgericht zum Anlaß zu nehmen, den Versuch zu machen, mich hier als Mensch, als Bundesjustizminister und auch als Politiker zu diffamieren? Wie kommt er dazu? Woher nimmt er das Recht dazu?

    (Abg. Dr. Menzel: Jetzt geht's wieder los! Jetzt fängt`s wieder an! Es soll wohl wieder Krach geben? — Weiterer Zuruf von der SPD: Jetzt lenkt er ab! -Anhaltende Zurufe links.)

    Aber zur Sache. Es wird mir um Vorwurf gemacht, ich hätte mich zu einem vor dem Bundesverfassungsgericht schwebenden Verfahren geäußert. Ich hätte schuld daran, daß Zweifel an der Rechtlichkeit und Unparteilichkeit des Bundesverfassungsgerichts erregt worden seien. Es wird mir vorgeworfen, daß ich den Plenarbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November — verkündet am 9. November 1952 — als „Nullum" bezeichnet hätte.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es wird mir vorgeworfen, ich hätte das Bundesverfassungsgericht des Rechtsbruchs verdächtigt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es wird dann auch behauptet, ich hätte — ich will das vorwegnehmen — den Herrn Bundespräsidenten an seinen Eid erinnert, als am 9. Dezember darüber gesprochen wurde, ob er seinen Gutachtensauftrag an das Bundesverfassungsgericht weiterlaufen lassen oder ob er ihn zurücknehmen solle.

    (Abg. Heiland: Das Geständnis ist neu! — Abg. Renner: Das haben w i r gemacht! — Anhaltende Zurufe links.)

    — Das ist ja Gegenstand des morgigen Antrags gegen den Herrn Bundeskanzler, der noch besonders behandelt wird und der sich mittelbar auch gegen mich richtet. Es ist wohl zweckmäßig, die Dinge im Zusammenhang damit zu behandeln.
    Herr Professor Gülich sagte eingangs seiner Ausführungen, es gehe nicht um die Richtigkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
    — so habe ich ihn verstanden —, es gehe auch nicht etwa um die Struktur oder um die Situation des Bundesverfassungsgerichtes, sondern es gehe nur um meine Äußerungen. Ja, meine Äußerungen beziehen sich auf bestimmte Vorgänge des Bundesverfassungsgerichts. Meine Qualifizierung des Beschlusses vom 8. Dezember vorigen Jahres als Nullum ist eine rechtliche Wertung.

    (Lachen bei der SPD.)

    Wenn Sie mich deswegen mißbilligen wollen, dann muß ich Ihnen meinen Standpunkt zu diesem Beschluß sagen. Darum kommen wir nicht herum. Es ist nur die Frage, ob es zweckmäßig ist, diese Dinge hier im Plenum zu erörtern.

    (Zurufe von der SPD.)

    Aber am Ende muß das Hohe Haus ja wissen, worum es geht. Vielleicht hat der Mißbilligungsantrag der SPD irgendwie ein Gutes.

    (Abg. Dr. Menzel: Hoffentlich!) Er verweist


    (Abg. Renner: Auf den Nullus!)

    auf einen Zustand, der immerhin mit Krise bezeichnet werden kann.

    (Zuruf links: Das haben Sie ja bestritten!)



    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Herr Professor Gülich, Sie fragen, ob gerade der Bundesjustizminister der Mann ist, der dann, wenn er glaubt, daß die Entwicklung des Bundesverfassungsgerichts nicht glücklich ist, nicht richtig verläuft, die Stimme warnend erhebt. Ich frage, wer soll es denn tun?

    (Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Sie Spekulateur! — Abg. Renner: Jetzt wird es schön!)

    Wer im Staate hat noch die Möglichkeit, wenn er Sorge hat, die Dinge könnten nicht gut gehen, wer hat noch die Qualität,

    (große Heiterkeit bei der SPD)

    zu warnen?

    (Fortgesetze Heiterkeit bei der SPD.)

    — Ich spreche doch nicht von mir, ich spreche von dem Amt,

    (Zurufe von der SPD — Abg. Renner: Er ist die Krone der Verfassung!)

    das ich bekleide. Wer sonst, als der Bundesminister der Justiz hat Recht und Pflicht, das, was nötig ist, zu sagen?

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Da kommen — —

    (Zuruf von der SPD: Sie wollen wieder interpretieren! — Abg. Renner: Richtig! — Erneuter Zuruf von der SPD: Warten Sie mal, was Ihnen der Kanzler nachher sagt! Hoffentlich sagt er Ihnen etwas!)

    — Na, mit dem Herrn Bundeskanzler verbindet mich eine gute Beziehung, das darf ich sagen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Er hat manchmal väterliche Sorgen um mich.

    (Große Heiterkeit.)

    — Na gut! Am Ende ist er sehr wohlwollend, möchte ich feststellen.

    (Fortgesetzte Heiterkeit.)

    Erwarten Sie also nicht zu viel. Ich habe gesagt vielleicht ist diese Aussprache nicht ohne Berechtigung.

    (Zurufe von der SPD.)

    Denn das empfindet ja jeder in Deutschland, das hat seinen Niederschlag bis in die letzte deutsche Zeitung und bis in die Zeitungen des Auslandes gefunden,

    (erneuter Zuruf von der SPD)

    daß unsere Verfassungsgerichtsbarkeit — sagen wir —

    (Na, na! bei der SPD)

    sich noch nicht zur Klarheit durchgerungen hat,

    (Abg. Renner: Sie sorgen für die Klarheit. Ist es Ihr Amt, für diese Klarheit zu sorgen?)

    daß unsere Bundesverfassungsgerichtsbarkeit mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Wenn darüber einer am Ende sprechen kann, dann bin ich es;

    (Lachen bei der SPD)

    denn keiner hat sich so leidenschaftlich für diese Form der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und der Verfassungsgerichtsbarkeit überhaupt eingesetzt wie ich, und zwar schon in Bayern. Auf mich geht zurück, daß in der bayerischen Verfassung

    (Zurufe von der SPD)

    der Verfassungsgerichtshof auch mit einer sehr weitreichenden Zuständigkeit versehen worden ist. So wie das Bundesverfassungsgericht jetzt in seinen Zuständigkeiten ausgestattet ist, geht es zurück auf die Arbeit im Redaktionsausschuß des Parlamentarischen Rats. Ihres Parteifreundes Zinn, des jetzigen hessischen Ministerpräsidenten, des Herrn Dr. von Brentano und von mir selbst. Daß die Dinge schwierig, vielleicht sogar in der Krise sind, kann ich gerade mit einer Äußerung meines Freundes Zinn, darf ich vielleicht immer noch sagen,

    (Lachen bei der SPD)

    belegen. Er hat kürzlich gesagt, der Rechtsstaat kann seine eigentliche Funktion nur erfüllen, wenn der Gerichtsbarkeit in Fragen, die in das politische Grenzland hinübergreifen, eine weise Beschränkung gesetzt wird.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Hört! Hört! bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Wo ist diese weise Beschränkung geblieben! Darum geht es ja!)

    Er begrüße es daher, daß man dieses Problem erkannt habe und der Lehre von den justizfreien Hoheitsakten größere Beachtung schenke. Diese Äußerungen sind eine Kritik an unserem Grundgesetz, an der darin getroffenen Regelung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und vielleicht, so möchte ich meinen, auch eine Kritik an der Praxis des Bundesverfassungsgerichts. Es wirft sich eben die Frage auf, ob wir im Parlamentarischen Rat nicht einen Fehler gemacht, ob wir nicht die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts zu weit gesteckt, ob wir uns nicht übernommen, ob wir nicht die justizstaatlichen Elemente im Verfassungsgefüge übersteigert haben.

    (Abg. Renner: Das sollen dann der Polizeiminister und der Justizminister beurteilen!)

    Uns stand damals schon vor Augen, was der große deutsche Staatsrechtler Triepel jetzt gerade vor 25 Jahren gesagt hat: daß das Wesen der Verfassung bis zu einem gewissen Grade mit dem Wesen der Verfassungsgerichtsbarkeit in Widerspruch steht; denn er hat gesagt: in der Welt des Politischen geht das Streben auf Durchsetzung mit Macht und Kampf, nicht aber auf Lösung durch Richterspruch. Wir haben diese Warnung damals beiseite geschoben. Vielleicht haben wir jetzt schon einen Punkt erreicht — es ist auch ein bekanntes warnendes Wort —, an dem die Politik durch die Verfassungsgerichtsbarkeit alles zu verlieren droht, während die Justiz dabei nichts zu gewinnen hat.
    Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht stand bei dem Beginn seiner Arbeit ja vor ganz gewaltigen Aufgaben. Ein Gericht bildet sich nicht nur dadurch, daß man 24 Damen und Herren die Ernennungsurkunde als Bundesverfassungsrichter übergibt. Ein Gericht setzt ja so viel voraus.

    (Zuruf von der SPD: Kommen Sie mal zum Thema!)

    — Das ist das Thema. Sie können ja das, was ich gesagt habe, nur verstehen, wenn Sie wissen, auf welcher Grundlage ich mich geäußert habe.

    (Zuruf von der Mitte: Das wollen sie ja nicht wissen! — Zurufe von der SPD: Aber w i e geäußert! — Weitere Zurufe von der SPD.)



    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Meine Damen und Herren, Sie kennen die Schwierigkeiten in der Struktur unseres Bundesverfassungsgerichts, die politische Auswahl, oder richtig gesagt: die Auswahl der Richter durch den Bundestag und Bundesrat. Ich habe das Recht, darauf hinzuweisen; denn ich habe damals im Parlamentarischen Rat davor gewarnt, das zu tun. Sie kennen die Schwierigkeit, die sich aus der Struktur des Gerichts ergibt. Sie wissen, daß entgegen meinem Vorschlag ein Zwillingsgericht gebildet wurde, ein Gericht, das aus zwei Senaten besteht. Sie wissen hoffentlich von den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, daß die Zuständigkeiten auf diese beiden Senate aufgeteilt werden mußten, auch die Schwierigkeiten, die sich aus der Art, wie die Senate besetzt worden sind, ergeben. Sie wissen ja von dem törichten Gerede, das fast überall herumgeht. Sie kennen das Gerede von dem roten und von dem schwarzen Senat.

    (Abg. Mellies: Das haben Sie aufgebracht! Anhaltende Zurufe von der SPD.)

    — Wer hat sich in dieser Frage vor das Bundesverfassungsgericht gestellt, wenn nicht ich! Ja, bitte, Herr Mellies, wenn Sie wissen wollen, wie dieses Gerede in die Welt kam, will ich es Ihnen sagen.

    (Abg. Mellies: Ich weiß es ganz genau! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Ich habe erst gestern einen Journalisten gesprochen, der es mir berichtet hat. Damals, als der erste Streit über das Neugliederungsgesetz durchgeführt wurde, da habe er, sagte er mir, einen Ihrer Partei, Herr Mellies, angehörenden Richter gesprochen, und der habe ihm gesagt, er komme gerade aus einer Fraktionssitzung.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    So ist dieses Gerede entstanden und von außen hineingetragen worden.

    (Lebhafte Zurufe und große Unruhe bei der SPD. — Abg. Dr. Arndt: Sie sind ein Verleumder! Ein Verleumder sind Sie! — Weitere Zurufe: Namen nennen! Unerhört!)

    — Ich will mich nicht gegen die Vorwürfe eines Marines verwahren, der mich nicht kränken kann.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

    Ich sage es noch einmal: Wer hat sich vor das Gericht gestellt und hat vor einer solchen Qualifizierung der einzelnen Senate gewarnt?! Ich habe es getan entsprechend meiner Pflicht!

    (Zuruf von der SPD: Ihre Zeitung!)

    Was steht denn im Augenblick als Konfliktstoff über diesem Gericht? In Wirklichkeit zwei Meinungen, um deren Klärung .es geht — zwei Meinungen über das Wesen der Verfassungsgerichtsbarkeit. Es ist die eine — nach meiner Meinung sehr gefährliche — Auffassung, daß das Bundesverfassungsgericht seinem Wesen nach eine politische Funktion besitze, daß es gewissermaßen der Schiedsrichter im Streit sei, daß es der oberste verfassungsmäßige Träger des Staatsgewalt sei. Es ist die Meinung, das Bundesverfassungsgericht stehe über der Verfassung, mit der Folge, daß am Ende die politische Willensentscheidung der Mehrheit der Richter die wirkliche Verfassung gestalten würde, unter der wir zu leben hätten. Diese Meinung bedeutet, daß das Bundesverfassungsgericht eine Überregierung und ein Überparlament
    sei.
    Dagegen steht die richtige Meinung, daß das Bundesverfassungsgericht ein Gericht ist, ein echtes Gericht und nur ein Gericht, daß seine Entscheidungen ausschließlich Rechtsentscheidungen sind, daß es nicht Herr der Verfassung, sondern Hüter der Verfassung ist

    (Abg. Renner: Und Diener von Adenauer!)

    und daß es das Recht und nur das Recht anzuwenden hat.
    Meine Damen., und Herren! Wenn ich über diesen Konflikt spreche, dann nicht ohne konkreten Anhaltspunkt. Maßgebende Richter des Bundesverfassungsgerichts haben sich, zum Teil bei der Beratung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und auch in der Folgezeit, in einer Art geäußert, die zu Zweifeln über die richtige Erkenntnis von dem Wesen des Bundesverfassungsgerichts Anlaß gab. Wenn ein Richter erklärt hat, es handle sich bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gerade in den wichtigen Fällen um politische Entscheidungen in juristischem Gewande, so ist das der Niederschlag dieses verhängnisvollen Irrtums. Nicht anders ist es, wenn andere Richter gesagt haben:
    Die Verfassungsgerichte haben eine aktive politische Funktion; sie haben geradezu die Aufgabe, den pouvoir constituant auszuüben, wobei schließlich nicht einmal der Inhalt des ursprünglichen Verfassungsrechts selbst unberührt bleiben würde.
    Oder wenn gesagt wird, die Verfassungsgerichte seien eher mit Unabhängigkeit ausgestattete Regierungsorgane besonderer Art als normengebundene, den anderen Gerichten vergleichbare Gerichte. Oder wenn ein anderer wieder sagt, das Bundesverfassungsgericht müsse sich bei seinen Entscheidungen der politischen Folgen seiner Entscheidungen bewußt bleiben, und sei es auch nur, um seine Rechtsentscheidungen um so sorgfältiger abzuwägen, und dürfe auch der Frage nicht ausweichen, ob nicht durch seine Entscheidungen ein gesetzlicher Zustand herbeigeführt werden könne, der eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung des Staates bedeute.
    Meine Damen und Herren! Hier ist das gesagt, was ich nicht will. Hier ist das gesagt, vor dem ich gewarnt habe, wenn ich sagte: Ich möchte hoffen, daß die Richter des höchsten deutschen Gerichts keine politischen Willensentscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen treffen! Und hier ist die Grundlage dafür, warum diese Mahnung berechtigt ist.
    Ich sage mit allem Nachdruck: Niemand — weder ich noch irgend jemand in der Bundesregierung
    — hat jemals daran gedacht, dem Bundesverfassungsgericht Rechtsbruch oder Rechtsbeugung vorzuwerfen.

    (Widerspruch bei der SPD.)

    — Ich werde auf die Äußerungen eingehen. — Ich wiederhole mit allem Nachdruck: Niemand von uns denkt daran! Ich bin der Überzeugung, daß eine Anzahl von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts anfechtbar ist. Aber es sind Richtersprüche, die den Anspruch erheben können, rechtlich begründet zu sein. Das ist ja eigentlich gar nicht das Problem; worauf es ankommt und worauf es besonders mir ankommt, ist, daß die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gefahr begründet, daß dieses Gericht die Grenzen seiner Kompetenzen nicht


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    richtig zieht. D a s ist das Problem. Ich weiß nicht, Herr Professor Gülich, ob Sie sich die Mühe gemacht haben, unter diesem Gesichtspunkt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu überprüfen, ob Sie überhaupt nur verstanden haben, was ich sagen wollte.

    (Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Unerhört!)

    Wenn Sie das verstanden hätten, dann hätten Sie sich gehütet, die Vorwürfe zu erheben, wie Sie es für richtig gehalten haben.

    (Zurufe von der SPD. Es gibt nur einen einzigen Juristen: Herrn Dehler! — Das war im Bayerischen Landtag so, und das ist hier auch so!)

    — Das ist das Letzte, was Sie mir vorwerfen können: daß ich überheblich sei.

    (Lachen bei der SPD. — ,Abg. Mellies: Damit fängt es bei Ihnen erst an!)

    Daß ich es als eine Pflicht meines Amtes empfinde, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sorgfältig zu überwachen, d. h. zu beobachten und die Folgerungen daraus zu ziehen,

    (Abg. Mellies: „Zu überwachen"! Hört! Hört!)

    das werden Sie mir nicht verdenken können.
    Meine Herren, wir wollen die Aussprache konkret führen, nicht mit allgemeinen Redensarten, wie Herr Professor Gülich beliebte; ganz konkret.

    (Abg. Renner: Sie sind der Überwacher des Bundesverfassungsgerichts! — Abg. Mellies: „Überwachen" hat er gesagt!)

    Ich werde Ihnen darlegen, aus welchen Tatsachen meine Sorge gewachsen ist, daß das Bundesverfassungsgericht sich nicht auf dem richtigen Wege befindet.

    (Abg. Dr. Menzel: Das ist doch nicht Ihre Aufgabe!)

    Greifen Wir einmal zurück auf einige Urteile.
    Im Südweststaat -Urteil — Sie haben es vielleicht noch vor Augen — ist der Satz aufgestellt worden, daß der objektive Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zur Feststellung der Nichtigkeit eines Gesetzes nicht genüge, sondern daß der Nachweis dazukommen müsse, daß die Beteiligten sich der Verletzung des Gleichheitssatzes bewußt waren. Meine Damen und Herren, ein Satz, der im Widerspruch zur Rechtsprechung und zur Rechtslehre steht! Überall ist anerkannt, daß jeder objektive Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zur Nichtigkeit eines Gesetzes führt.
    Ein anderes Urteil, das über die Geschäftsordnung Ihres Hohen Hauses, gibt zu einer Fülle von Beanstandungen Anlaß. Es hält vor allem den Gleichheitsgrundsatz — damals handelte es sich um die Frage der Deckungsvorschläge — für verletzt, weil die Geschäftsordnung des Bundestages lediglich von den Mitgliedern des Bundestages, nicht aber von sonstigen Initianten, Bundesrat und Bundesregierung, den Deckungsvorschlag verlange. Es hat dabei vollkommen übersehen, daß sich die Geschäftsordnung des Bundestages nur auf die eigenen Angelegenheiten des Bundestages beziehen kann. Ich habe damals über dieses Urteil, das wirklich nach meiner Meinung schwere Fehler enthält, dem Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in einem Brief vom . April vorigen Jahres meine Meinung geschrieben und habe am Schluß dieses
    Briefes an den Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Dr. Höpker-Aschoff, bemerkt: ,,Ich schreibe Ihnen meine Meinung, weil mir der Geist, der aus dem Urteil vom 6. März spricht, Sorge macht." Ich will die Antwort des Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts nicht im Wortlaut wiedergeben; der Brief beginnt mit den Worten: „Sie urteilen sehr milde über das Urteil."

    (Hört! Hört! bei der CDU.)

    Meine Damen und Herren, das habe ich auch getan aus der Sorge um den rechten Weg des Bundesverfassungsgerichts, wirklich nicht — wie mir Herr Professor Gülich unterstellt — aus dem Willen, diesem Gericht Schaden zuzufügen. Welche Verkennung meiner Absichten und meiner Aufgaben!

    (Zurufe von der SPD.)

    Ein anderes Urteil. Im Urteil bezüglich des schleswig-holsteinischen Wahlgesetzes ist die Partei des Südschleswigschen Wählerverbandes als Antragstellerin zugelassen worden, obwohl politische Parteien weder nach dem Grundgesetz noch nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz ein Antragsrecht besitzen, dieses vielmehr nur Verfassungsorganen und Teilen von solchen, also nur Trägern von Staatshoheit, von Hoheitsmacht zukommt. Ich berichte Ihnen diese Urteile, weil sich aus ihnen die Tendenz ergibt, die Sie, meine Herren, als Gesetzgeber keinesfalls billigen können, daß das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe des Gesetzgebers in Anspruch nimmt.
    Eine sehr interessante Entscheidung: Normenkontrolle. Das Bundesverfassungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß sich hinsichtlich der Normenkontrolle auf Vorlage durch die Gerichte die Überprüfung nur auf formelle Gesetze erstrecke, nicht dagegen auf Verordnungen. Im Gegensatz dazu hat es bei der Normenkontrolle auf Antrag von Verfassungsorganen die Überprüfungspflicht und das Überprüfungsrecht nicht nur auf formelle Gesetze, sondern auch auf Verordnungen erstreckt. Die Normenkontrolle ist doch ein einheitliches Rechtsinstitut. Ich finde nicht den Grund für diese Unterscheidung.
    In der ersten Wehrbeitragssache wird von dem richtigen Grundsatz ausgegangen, daß es keine vorbeugende Normenkontrolle gibt. Aber unter Bruch der Gedankenführung wird dann eine Ausnahme für die sogenannten Vertragsgesetze zugelassen, und das wird mit reinen Zweckmäßigkeitserwägungen begründet. Es ist kein Grund für die Zulassung dieser Ausnahme erfindlich, weil die Antragsteller ihre Sache in dem gesetzlich gegebenen Verfahren des Organstreits nach § 13 Ziffer 5 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes verfolgen können.
    Das Urteil, das 'am meisten zu Bedenken Anlaß gibt, auch wegen der gefährlichen Tendenz der Ausweitung der Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts, ist das Urteil gegen die Sozialistische Reichspartei, nach meiner Meinung belastet mit einer Fülle von Mängeln. Zunächst ist eine einstweilige Verfügung — Sie wissen es vielleicht noch — ergangen.

    (Zurufe links: Ist das Recht, was Sie hier machen? — Professor! -Abg. Mellies: Herr Bundeskanzler! — Das ist ja doch grotesk!)

    — Sie wollen meine Kritik zum Gegenstand einer Mißbilligung machen und wollen die Gründe meiner


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Haltung nicht erkennen, wollen nicht zulassen, daß ich Ihnen sage, daß ich aus ernstester Sorge um unsere Verfassungsgerichtsbarkeit die Stimme erhoben habe. So sind doch die Dinge.

    (Abg. Mellies: Machen Sie nur so weiter!)

    — Ach, Herr Mellies, ich glaube, Sie sollten besser schweigen. Wenn ich Sie so ansehe, Herr Mellies, wissen Sie, was ich da tun möchte? Da möchte ich auf den Knien nach Hannover rutschen und einen Kurt Schumacher wieder ausgraben.

    (Beifall rechts. — Lachen links.)

    Na, politischer Irrtum und Leidenschaftlichkeit sind zu ertragen. Politischer Irrtum und Mittelmaß, die gehen einem auf die Nerven.

    (Sehr gut! und Beifall rechts. — Unruhe bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich bitte doch, auch in der persönlichen Kritik die üblichen Formen zu wahren und persönliche Angriffe zu unterlassen.

(Sehr wahr! in der Mitte.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Das Urteil gegen die Sozialistische Reichspartei, das in der einstweiligen Verfügung erlassene Versammlungs-
    und Redeverbot beschränkte praktisch für eine unbestimmte Zahl von Personen die Grundrechte der Versammlungs- und Redefreiheit, die in Wirklichkeit nach dem dafür vorgesehenen Verwirkungsverfahren hätten beschränkt werden können und sollen. Das Entscheidende bei diesem Urteil — ich will auf Einzelheiten gar nicht eingehen — ist doch wohl, daß das Verfahren sich nur gegen die Partei als solche richtete und daß das Urteil Mandate ab) erkannte — meine Damen und Herren, Mandate, die ja nicht durch die Partei, sondern durch die Wähler gegeben worden sind, mit der Folge,

    (Abg. Renner: Damals haben Sie aber doch geschwiegen, Herr Dehler!)

    daß diese Wähler in den Parlamenten nicht mehr vertreten sind. Ich sage, daß für diese Aberkennung keine rechtliche Möglichkeit,

    (Abg. Renner: Aber Sie haben doch damals geschwiegen, als das passierte!)

    aber auch kein Bedürfnis bestand, weil die Möglichkeit der Aberkennung der Mandate im Wege des Verwirkungsantrags bestanden hätte.
    Nur soviel, meine Damen und Herren, damit Sie erkennen, welche Sorge aus der praktischen Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei mir entstanden ist.
    Der Beschluß vom 8. Dezember ist ja nur eine Fortsetzung dieser Haltung. Es ist richtig, daß ich diesen Beschluß als Nullum bezeichnet habe. Nullum — ein terminus technicus —

    (Lachen und Zurufe links)

    ist die Kennzeichnung, daß eine gerichtliche Entscheidung ultra vires erlassen worden ist, über die Zuständigkeit eines Gerichtes hinaus, und deshalb keine Bindung haben kann.
    Es tut mir leid, ich muß Ihnen, wenn Sie die Dinge verstehen wollen, noch die Entwicklung des Streites in der Wehrbeitragsfrage kurz darlegen. Sie wissen: Am 31. Januar vorigen Jahres Klage einer Minderheit dieses Hauses — der Opposition, darf ich einmal sagen — auf Feststellung, daß der Wehrbeitrag ohne vorangegangene Ergänzung und
    Änderung des Grundgesetzes weder förmlich noch sachlich mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Am 10. Juni Auftrag des Herrn Bundespräsidenten, ein Gutachten zu erstatten. Am 26. Juni, meine Damen und Herren — das ist nun bedeutsam —, eine Mitteilung des Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts an das Bundespräsidialamt, daß nach einem Beschluß des Plenums vom gleichen Tage mit Rücksicht auf die beim Ersten Senat anhängende Klage das Gutachten zunächst nicht, sondern erst nach der ordnungsgemäßen Verbescheidung dieser Klage behandelt werden könne; also Feststellung des Vorrangs eines strittigen Verfahrens vor der Erstattung eines Gutachtens. Am 30. Juli vorigen Jahres Abweisung der Klage der Opposition als unzulässig, daraufhin Bearbeitung des Gutachtens.
    Im Gegensatz nun zu anderen Gutachtenerstattungen — ich erinnere an das Gutachten über die Auslegung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes, nämlich über die Frage, ob ein Gesetz, durch das die Einkommen- und Körperschaftsteuer der Länder zum Teil in Anspruch genomeh wird, ein Zustimmungsgesetz ist oder nicht, oder an das Gutachten über die Frage, ob der Bund ein Baugesetz erlassen kann — hat das Bundesverfassungsgericht es in diesem Falle für notwendig gehalten, ein großes förmliches Verfahren, ähnlich einem streitigen, kontroversen Verfahren, über das Gutachten durchzuführen; ein Vorgehen, das an sich im Gesetz keinerlei Grundlage findet und das in der Folge auch zu den aufgetretenen Schwierigkeiten geführt hat. Am 6. Dezember vorigen Jahres, nach der zweiten Lesung, hat die Mehrheit dieses Hauses ihre Klage eingereicht. Am 8. Dezember hat dann das Plenum den Beschluß gefaßt, der am 9. Dezember verkündet wurde, den Herr Professor Gülich vorhin verlesen hat. Die Bundesregierung hat dann noch am gleichen Tage ihre Vertreter aus diesem sogenannten Gutachtenverfahren zurückgezogen. Am 10. Dezember hat dann der Herr Bundespräsident an das Bundesverfassungsgericht die Mitteilung gerichtet, daß er seinen Auftrag zur Erstattung eines Gutachtens zurückziehe, weil durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nach seiner Meinung das Wesen dieses Gutachtens erheblich verändert worden sei. Am 14. oder 15. Dezember hat das Bundesverfassungsgericht eine Begründung dieses Beschlusses gegeben, obwohl vorher von einer solchen Begründung keine Rede war, hat dabei das Stimmenverhältnis wiedergegeben und darüber hinaus festgelegt, daß das Gutachtenverfahren weitergeht und daß alle Gutachten des Plenums nicht nur im vorliegenden Fall, sondern auch in der Folge die Senate, den Ersten und den Zweiten Senat, bei ihren Entscheidungen binden.
    Ich habe diesen Beschluß als rechtlich nicht zutreffend bezeichnet. Diese Kritik müssen Sie, glaube ich, einem Bundesjustizminister zugestehen, wenn er aus ehrlicher, ehrlichster Überzeugung der Meinung ist, daß für diesen Beschluß weder im Grundgesetz noch im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine rechtliche Grundlage geschaffen ist, so daß dieser Beschluß auch gar keine bindende Kraft haben kann. Es ist völlig irrig, wenn in der Bezeichnung „Nullum" irgendeine Diskriminierung erblickt wird. Sie drückt nur die Feststellung aus, daß dieser Beschluß keine rechtliche Bindung haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dabei mit seiner eigenen früheren Stellungnahme in Widerspruch gestellt. Ich habe Ihnen vorgetragen, daß das Bundesverfassungsgericht im Juni vorigen Jahres die Meinung vertreten hat, daß ein streitiges


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Verfahren den Vorrang vor der Erstattung eines Gutachtens habe. Jetzt hat es sich auf den Standpunkt gestellt, daß ein anhängiges sogenanntes Gutachtenverfahren trotz Anhängigwerdens eines echten Streites fortzusetzen sei.
    Ja, meine Damen und Herren, wenn ein Bundesjustizminister seine Meinung nicht mehr sagen dürfte, dann käme die große Frage, die ja bei jeder Verfassungsgerichtsbarkeit auftaucht: Wenn man Wächter der Verfassung einsetzt — quis custodiet custodes ipsos, wer bewacht am Ende die Wächter des Staates?

    (Lachen und Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Herr Dulles macht das!)

    Ich sage es drum noch einmal: ich nehme gern den Anlaß auf, um mit Ihnen — es handelt sich ja um Ihre Rechte, um die Rechte des Parlaments als Gesetzgebungsorgan — über diese Situation zu sprechen, weil Sie, weil der Bundestag es ja auch nicht hinnehmen kann, daß durch das oberste deutsche Verfassungsgericht die Rechte des Parlaments geschmälert werden. Das ist ein echter Konfliktsfall, der klargestellt werden muß und der am besten klargestellt wird durch eine Aussprache.

    (Zuruf von der SPD: Warum reden S i e denn so viel? — Abg. Renner: Kritik ist ja im Parlament verboten!)

    Sie wissen, daß einer der Richter des Bundesverfassungsgerichts eine abweichende Meinung zu der Begründung des Beschlusses abgegeben hat, die ich für gut halte. Ich möchte aus den vielen Stellungnahmen, die ich mir auch beschafft habe, nur die eines ordentlichen Professors des Staatsrechts wiedergeben:
    Ich halte den Weg, den das Bundesverfassungsgericht schon früher eingeschlagen hat und in seinem Beschluß vom 8. Dezember nur entschlossen weitergeschritten ist, für ungeheuer gefährlich; denn dieser Weg, an dessen Ende eine Art Diktatur des Bundesverfassungsgerichts steht, das Funktionen der Rechtsprechung, der Gesetzgebung und der Regierung damit in sich vereinigt, hat heute schon, da er erst beschritten ist, eine Verschiebung der vom Grundgesetz gewollten und normierten Machtverteilung in der Bundesrepublik zur Folge. Das 'Bundesverfassungsgericht hat sich, indem es diesen Weg eingeschlagen, meines Erachtens gegen den Geist der Verfassung versündigt, zu deren Hüter es berufen ist.
    Ich zitiere dies nicht, damit Sie diese Äußerung akzeptieren, sondern nur, damit Sie erkennen, um welch schwierige Frage es sich hier handelt, damit Sie erkennen, aus welcher Haltung heraus ich gesagt habe, daß in erschütternder Weise eine Krisis herbeigeführt worden ist. Das ist doch der Fall.
    Es würde wohl zu weit führen, auf alle Einzelheiten dieses Beschlusses einzugehen. Es scheint mir viel überzeugender für die Herren Antragsteller zu sein, wenn ich ihnen ihre eigene Meinung entgegenhalte. Als nämlich Während des Schwebens der Klage der Opposition beim Ersten Senat der Gutachtensauftrag des Herrn Bundespräsidenten kam, hat das Bundesverfassungsgericht, und zwar der Erste Senat, angeregt, es solle ein Gutachten des Plenums eingeholt werden und die beiden Parteien sollten sich diesem Gutachten als einer Art Schiedsgericht unterwerfen. Die Regierung hat diese Anregung damals angenommen. Die Vertreter der Opposition haben sich in einer Reihe von
    Schriftsätzen mit Nachdruck dagegen gewandt und dabei in überaus zutreffender Weise das Wesen des Gutachtens des Bundesverfassungsgerichts darge1egt. Sie haben auf das hingewiesen, was bei der Beratung des Gesetzes gesagt worden ist. Dort hat der Abgeordnete Dr. Arndt erklärt, ein Gutachten habe höchstens eine moralische Bedeutung, aber niemals die Bedeutung einer Entscheidung. Herr Geheimrat Laforet hat dem leidenschaftlich zugestimmt und hat gesagt, daß durch ein Gutachten keinerlei Bindung des Bundesverfassungsgerichts eintreten könne und solle. Ich erwähne ferner Äußerungen der Minderheit. Bei der Beratung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht hat man gesagt, es sei immerhin der Fall denkbar, daß die gesetzgebenden Körperschaften oder der Bundespräsident ihre Beratung durch das Bundesverfassungsgericht wünschen usw. Man hat dafür das Gutachten vorgesehen, aber absichtlich nicht als verbindlich, absichtlich nicht als Entscheidung und absichtlich nicht in der Weise, daß ein Organ hier das Bundesverfassungsgericht gegen ein anderes Organ soll anrufen können. Das ist Ihre Meinung. Wenn ich diese Meinung vertrete, Herr Professor Gülich, dann wollen Sie mich mißbilligen! Ich kann Ihnen eine Fülle von Erklärungen vortragen. Es wäre gut, wenn Sie sie nachgelesen hätten.

    (Zuruf von der SPD: Tragen Sie sie vor!)

    — Ja, wenn es Sie interessiert, sehr gern! Herr Dr. Arndt hat erklärt:
    Wir haben uns mit Fleiß und Mühe bestrebt, das Plenum des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Instanz zu machen, weil wir damit die Senate zerstört hätten.
    Verstehen Sie, warum ich gesagt habe „eine Krisis in erschütternder Weise"?
    Das ist ein Bedenken, das sich durch das ganze Gesetz hindurchzieht und überall deutlich hervortritt. Gerade darum wurde auch die Gutachtenerstattung dem Plenum übertragen, weil keine Entscheidungsfunktion der Gutachten gegeben sein soll. Man hat das Gutachten nicht dem Plenum gegeben, weil das Plenum die höhere Autorität hatte, sondern
    — eigene Erklärung des Herrn Dr. Arndt —
    weil man nicht in Konflikt kommen wollte mit der rechtsprechenden Aufgabe der einzelnen Senate. Man wollte nicht, daß die Senate, die möglicherweise später als Gericht in Funktion treten mußten, mit der Aufgabe des Gutachtens belastet werden sollten.
    Das ist der Zusammenhang. Das darf ich nicht sagen? Ich darf nicht sagen, daß das, was Sie und was wir für richtig halten, durch das Bundesverfassungsgericht außer acht gelassen, weggeschoben worden ist?
    Weiter heißt es in einem Schriftsatz der Minderheit:
    Ein Ersatzverfahren,
    — nämlich Gutachtenverfahren —
    das nur die Gefahr heraufbeschwört, der richterlichen Entscheidung vorzugreifen, hat im Gesetz keine Grundlage und muß deshalb als unstatthaft erkannt werden.
    Oder eine Stelle in dem Schriftsatz der Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 12. November 1952, die das, was ich gesagt habe, in viel deutlicherer Weise umschreibt:


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Das Plenarkollegium ist außer im Falle des
    § 16 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
    — das spielt hier keine Rolle —
    kein Bundesverfassungsgericht. Es ist unstreitig, daß die beratenden Empfehlungen aus dem Plenarkollegium keine Entscheidungen sind.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Also das Gutachten ist erstens eine Nichtentscheidung, es ist zweitens eine Nichtentscheidung von einem Nichtgericht. Da wollen Sie mir einen Vorwurf machen, wenn ich prägnant lateinisch ,.nullum" sage, — nach Meinung des Herrn Bundeskanzlers „nihil"; das ist aber das gleiche.
    Ich will Sie jedoch nicht zu sehr belasten, ich will Sie nicht mit Material erschlagen.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    --- Ach, Herr Heiland, wir haben. uns doch immer geliebt; warum sind Sie denn so häßlich zu mir?
    Vielleicht noch ein Satz aus dem Schriftsatz der Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 7. Oktober 1952:
    Hätte dieses Bestreben
    — nämlich Entscheidungsfunktion des Gutachtens —
    Erfolg und würde zugelassen, daß einer der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts in seinem Rang gemindert und ein einziges Mal die Legitimation verlieren würde, als das Bundesverfassungsgericht Recht zu sprechen, so ist die Autorität beider Senate für alle Zukunft erschüttert.
    Und Sie wollen mir einen Vorwurf daraus machen,
    daß ich erschüttert bin, wenn die Autorität der
    Senate erschüttert ist, wie Sie selber gesagt haben?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Allerdings, meine Damen und Herren — ich habe Ihnen das vorhin schon gesagt —, bin ich als Vorsitzender der bayerischen Landespartei in Bad Ems gewesen.

    (Erneute Zurufe.)

    Es gibt kaum einen höheren Rang, meine ich, als Vorsitzender einer bayerischen Landespartei zu sein.

    (Große Heiterkeit. — Beifall rechts.)

    Ich habe dort auch — —

    (Zurufe von der SPD.)

    — Nein, nein! Wenn einer eine geschichtliche Funktion hat, dann ich! — Nun gut, ich habe mich dort
    so geäußert. Ich habe, meine Damen und Herren,

    (Anhaltende Zurufe. — Große Unruhe.)

    — Ich will jetzt doch — —

    (Zuruf links: Sie hätten in Ems besser gebadet als geredet! — Weitere Zurufe.)

    Ich glaube, Herr Gülich hat den Satz nicht mit vorgelesen. Ich habe zunächst gesagt:
    Ich sage es aus bitterster Sorge, meine Damen und Herren. Ich sage es Ihnen wohlüberlegt, ein Wort aus der Qual der Verpflichtung heraus, die ich habe.
    Und dann habe ich gesagt:
    Ich hoffe, daß das Bundesverfassungsgericht,
    daß das höchste deutsche Gericht keine politischen Willensentscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen fällt.
    Ich bin der Meinung: nach dem, was vorausgegangen war,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    nach dem, was von verantwortlichen Richtern des Bundesverfassungsgerichts gesagt worden war, die wichtigsten Entscheidungen seien politische Entscheidungen in juristischem Gewande, und noch vieles andere, war dieses Wort eine berechtigte Mahnung. Dieses Wort hat keine zersetzende Wirkung, hat nichts Herabsetzendes gehabt, sondern es war ernst, ganz ernst gesprochen, in voller Verantwortung und wahrlich nicht unbedacht. Aber wenn ich mahne: Verkennt die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht, seid ein echtes Gericht, seht eure Aufgabe nicht darin, politische Willensentscheidungen zu fällen, sondern trefft Rechtsentscheidungen!,

    (Zurufe von der SPD)

    dann bin ich der Meinung, daß ich das Recht dazu habe, und wenn Sie mich deswegen mißbilligen, dann mißbilligen Sie sich selber, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP. — Zuruf links: Sie hätten beinahe Jurist werden sollen! — Lachen und weitere Zurufe links.)

    Dann der Telegrammwechsel. Wir wollen nicht vergessen, daß am 10. Dezember auch ein Telegramm an mich und Herrn Staatssekretär Dr. Strauß gekommen ist. Herr Professor Gülich hat es vorgelesen. Es lautet:
    Durch letzte Vorgänge tief bestürzt. Bitten dringend: verhindert weitere für Ansehen von Justiz und Staat unerträgliche Schritte gegenüber höchstem deutschem Gericht.
    Gott, daß dieser Telegrammwechsel die Öffentlichkeit beschäftigen könnte, stand mir nicht vor Augen. Einige Anwälte telegraphierten mir. Ich hätte auch schreiben können. Ich habe — Temperament ist mir zu eigen — aus dem Temperament heraus geantwortet. Halten Sie, meine Damen und Herren, es für diskret, daß dieser Telegrammwechsel in einer wenig schönen Weise und an einem dafür kaum geeigneten Orte der Öffentlichkeit übergeben wurde? Ich habe nicht damit gerechnet.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Erwägen Sie einmal den Wortlaut dieses Telegramms und ermessen Sie, welche scharfen Angriffe seitens der Mannheimer und Heidelberger Anwälte es enthält: „Tief bestürzt durch letzte Vorgänge". Was waren die Vorgänge? Die Bundesregierung hatte am Tage vorher ihre Vertreter aus dem sogenannten Gutachtenverfahren nach der Verkündung des Beschlusses vom 8. Dezember zurückgezogen. Der weitere Vorgang war, daß sich der Herr Bundespräsident für verpflichtet, für veranlaßt gehalten hat, seinen Gutachtensauftrag zurückzunehmen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Und hier wagt man es, — —

    (Abg. Renner: „Verpflichtet gehalten"! Das ist die richtige Darstellung.)

    Und hier wagt man es, zu erklären, daß diese Schritte unerträglich seien und Anlaß zu tiefer Bestürzung gäben.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Das war das Telegramm.


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Ich habe geantwortet, nicht der Herr Kollege Strauß. Ich habe nur, weil das Telegramm auch an ihn gerichtet war, ihm das Telegramm, nachdem ich es ausgefertigt hatte, zur Kenntnisnahme zugeleitet.

    (Zuruf links: Gegenzeichnung!)

    — Zur Kenntnisnahme zugeleitet!

    (Abg. Dr. Gülich: Sehr interessant! Nachdem es herausgegangen war?)

    Ich habe gesagt, daß das Bundesverfassungsgericht in einer erschütternden Weise von dem Weg des Rechts abgewichen ist und eine ernste Krise geschaffen hat. Noch einmal, meine Damen und Herren: wenn Sie ermessen und erwägen, was ich Ihnen gesagt habe, als ich meinen Standpunkt zu den Ereignissen vertrat, dann können Sie nicht zu dem Ergebnis kommen, ich hätte mit diesem Telegramm dem Bundesverfassungsgericht den Vorwurf des Rechtsbruchs oder der Rechtsbeugung machen wollen. Es ist doch eine objektive Feststellung, daß der Beschluß vom 8. Dezember mit dem Grundgesetz und mit dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht vereinbar ist

    (Sehr richtig! rechts)

    und daß hier ein Weg eingeschlagen ist, der von dem Weg des Rechts abführt. Daß die Formulierung überwältigend glücklich ist, will ich nicht behaupten.

    (Lachen bei der SPD.)

    Aber ich erkläre mit allem Nachdruck — und darauf kommt es Ihnen wohl auch an —, daß ich nicht daran gedacht habe, dem Bundesverfassungsgericht den Vorwurf zu machen, es habe bewußt, es habe absichtlich das Recht gebeugt oder gebrochen. Dazu bestand auch kein Anlaß. Viele von uns wissen ja, aus welcher sonderbaren Lage des Bundesverfassungsgerichts der Beschluß vom 8. Dezember entstanden ist: aus einer gewissen Ausweglosigkeit, durch das Lavieren vom einen zum anderen Senat, durch die Schwierigkeiten, die in dem sogenannten Gutachtenverfahren eingetreten waren, und vieles andere. Noch einmal: ich habe die -sen Vorwurf nicht erhoben und will ihn nicht erheben, und man kann ihn aus dem Wortlaut des Telegramms auch nicht feststellen.
    Ich will heute gleich das vorwegnehmen, was man dem Herrn Bundeskanzler vorwirft: er habe nicht gerügt, daß der Herr Bundespräsident bei einer Aussprache zwischen ihm, dem Herrn Bundeskanzler und einem Teil des Bundeskabinetts,

    (Abg. Dr. Greve: Zu dem auch Sie gehören!)

    bei der ich als letzter anwesend war, an seinen Eid erinnert worden sei, um zu erreichen, daß er seinen Gutachtensauftrag zurückziehe. Diese Darstellung ist nicht richtig, wenn auch in dem Protokoll über die Pressekonferenz vom 10. Dezember Stellen enthalten sind, die darauf hindeuten.

    (Abg. Wehner: Die Protokolle haben also Unrecht?)

    Ich will auch nicht den Wortlaut dementieren. Es geht eben auch viel Konfuses in die Welt,

    (Sehr wahr! und Beifall bei der SPD)

    was man berichtigen muß. Es gibt ja Gott sei Dank dieses Schicksal nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen.

    (Heiterkeit.)

    Ich habe mich besonders gefreut, als sich der Herr
    Freitag kürzlich dagegen verwahren mußte, daß
    man ihm vorwarf, er habe erklärt: „Wir, die Gewerkschaften, sind der Staat." Ich weiß genau, daß
    er das nicht gesagt hat, sondern er hat, als er in
    München vom Staat sprach — Wönner ist wohl
    Zeuge — und ihm entgegengerufen wurde „Wer ist
    schon dieser Staat?", in — das müssen wir doch anerkennen — sehr verantwortungsbewußter, demokratischer Weise erklärt: „Der Staat sind wir; wir
    alle müssen den Staat tragen." Er mußte sich dann
    zur Wehr setzen, weil man ihm unterstellte, er
    habe den Staat für sich, für die Gewerkschaften,
    in Anspruch genommen. Sie sehen, nicht nur ich
    habe Künstlerpech, sondern auch manche andere.

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zurufe von der SPD.)

    Ich muß Ihnen den Vorgang bei der Besprechung am 9. Dezember bei dem Herrn Bundespräsidenten darstellen, um einen solchen Irrtum auszuräumen. Das Gespräch fand so statt, daß der Herr Bundeskanzler die Meinung des Kabinetts vortrug; ich hatte mit dem Herrn Bundeskanzler ausdrücklich vereinbart — Gründe spielen hier keine Rolle —, daß ich mich der Äußerung enthalte.

    (Zuruf von der SPD: Der war vorsichtig! — Lachen bei der SPD.)

    Ich war an der Unterredung zunächst nicht beteiligt. Der Herr Bundespräsident hat seine Entscheidung kundgetan — aus Gründen, die auch besonders bei ihm lagen, die_ übereinstimmten mit der Haltung des Kabinetts —, seinen Gutachtensauftrag zurückzuziehen. Erst als er das erklärt hatte, habe ich die Meinung vertreten, daß diese Haltung rechtsstaatlich richtig sei und daß sie auch den Kompetenzen und Pflichten des Herrn Bundespräsidenten, wie sie in seinem Eid niedergelegt seien, entsprachen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Es ist nämlich so, daß die Rechte des Bundespräsidenten im Grundgesetz sehr dürftig erwähnt worden sind. Nur im Eid, an dessen Formulierung ich mich beteiligt habe, ist festgelegt, daß der Herr Bundespräsident vor allem verpflichtet ist, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen. Mein Kollege Strauß hat schon im Jahre 1949 die Rechtsauffassung, die ich bei diesem Gespräch vertreten habe, gehabt, daß nämlich der Herr Bundespräsident wirklich ein ruhender Pol in der Verfassung ist, so, wie schon Hugo Preuß 1919 den Reichspräsidenten gesehen hat, und daß er der institutionelle Hüter der Verfassung ist. Diese Rechtsauffassung habe ich lediglich zur Deckung der Entscheidung dies Herrn Bundespräsidenten wiedergegeben.

    (Zurufe von der SPD.)

    Also, meine Damen und Herren, ich habe keinen Grund, meine Entscheidungen sachlich zu korrigieren.

    (Zuruf von der SPD: Haben Sie nie gehabt!)

    Es ist nicht wahr, was mir Herr Professor Gülich unterstellt hat, daß es mir darum gegangen sei, das Bundesverfassungsgericht, dessen Schutz mir besonders anliegt, herabzusetzen. Wer nicht erkennt, daß es hier um eine echte Auseinandersetzung geht, daß es darum geht, wirklich den rechten Weg zu finden, und daß wir alle die Verpflichtung haben, dem Bundesverfassungsgericht dabei zu helfen, der versteht nicht, was mich bestimmt hat, was mich bewegt hat.

    (Abg. Renner: „Was mich bestimmt hat", ist der Adenauer -Weg!)



    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    — Ach, der rechte Weg ist ,der Weg des Rechtes, und was ich daran getan habe, daraus kann mir niemand einen Vorwurf machen.
    Meine Damen und Herren, wir wissen doch alle, wie bedeutsam diese Dinge geworden sind. Ich möchte hoffen, daß wir nicht genötigt sind, das, was ein anderer Präsident vor fast hundert Jahren gesagt hat, eines Tages auch wehklagend zu äußern. Es war Lincoln,

    (Abg. Renner: Ach du lieber Gott!)

    der amerikanische Präsident. Der hat damals gegenüber einer Entscheidung des Supreme Court erklärt — und das gilt, glaube ich, auch für die augenblickliche Lage —: Wenn die Politik der Regierung — man kann sagen: wenn die Politik des Parlaments — über Lebensfragen des ganzen Volkes unwiderruflich durch Entscheidungen des obersten Gerichts festgelegt wird, so hat das Volk aufgehört, sein eigener Herr zu sein.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Renner.)