Rede von
Oskar
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Zur Begründung unseres Antrags auf Streichung des § 1, der damit unsere grundsätzlich ablehnende Haltung zu diesem Gesetz zum Ausdruck bringt, möchte ich kurz auf einige Punkte eingehen. Es ist kein Zufall, daß die Bundesregierung und die Parteien, die hinter diesem Gesetz stehen, mit einer solchen Eile die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes durchbringen wollen. Wenn man auf die Hintergründe ein klein wenig eingeht, dann dürfte wohl zunächst einmal die Feststellung zu treffen sein, daß im Hinblick auf die kommenden Wahlen mit diesem Gesetz eine Voraussetzung, eine Basis für eine Propaganda geschaffen werden soll, die sich in einer verschärften Stimmung und Haßstimmung gegen die Deutsche Demokratische Republik, gegen den Osten ausdrücken soll.
Eine zweite Tatsache — und ich denke, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vorhin etwas offener gesprochen hat — liegt wohl darin, daß, nachdem heute im Ältestenrat festgelegt worden ist, daß die dritte Lesung der Kriegspaktverträge am 19. März stattfinden soll, man dieses Gesetz und die damit zusammenhängenden Probleme benutzen will, um in Verfolg der Absichten dieser Verträge die psychologischen Voraussetzungen für die Vorbereitung des Krieges gegen den Osten und gegen die Deutsche Demokratische Republik zu schaffen.
Der Herr Bundeskanzler sprach von der Erzeugung einer Panikstimmung; ich komme darauf noch zu sprechen. Aber zweifellos steht wohl fest: mit diesem Gesetz, mit der Art und Weise, wie man das sogenannte Ostzonenflüchtlingsproblem aufwirft, mit der Propaganda, die man organisiert, will man unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ein für allemal von der Tagesordnung abgesetzt sein soll, und man will gewissen Schichten und Kreisen der Deutschen Demokratischen Republik zurufen: Setzt euch rechtzeitig ab; der Vorhang wird von hier endgültig geschlossen, kommt herüber, damit ihr dann für das eingesetzt werden könnt, was die Bundesregierung mit euch in Wirklichkeit beabsichtigt!
Der Herr Bundeskanzler sprach von der Panikstimmung. Ich glaube, Sie werden, Herr Bundeskanzler, ebensowenig wie Herr Minister Kaiser bestreiten können, daß von hier aus eine solche Stimmung organisiert wird. Vor wenigen Tagen sprach im Nordwestdeutschen Rundfunk der Staatssekretär
des Herrn Bundeskanzlers, und er brachte es fertig, zu behaupten, daß die Flüchtlingsbewegung seitens der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Regierung organisiert sei,
um Westdeutschland politisch zu unterlaufen. Ich glaube, allein die Tatsachen, die die Bundesregierung selbst in Westdeutschland geschaffen hat und schafft, genügen für die Bevölkerung in Westdeutschland, um gegen diese Bundesregierung und die sie stützenden Parteien Stellung zu nehmen. Herr Bundeskanzler, warum haben Sie denn z. B. nicht eine Volksbefragung oder eine Volksentscheidung über den Generalvertrag und den EVG-Vertrag durchgeführt?