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ID0125201200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 252. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1953 12083 252. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. März 1953 Geschäftliche Mitteilungen 12084B Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Dirscherl und Pannenbecker 12084B Ergänzung der Tagesordnung gemäß Vereinbarung im Ältestenrat 12084C Kleine Anfrage Nr. 309 der Fraktion der SPD betr. Aufwendungen für Forschungszwecke (Nrn. 3899, 4148 der Drucksachen) 12084C Bericht des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts über die durchgeführten Maßnahmen disziplinarischer oder dienstlicher Art gegen Beamte des Auswärtigen Dienstes (Nr. 4154 der Drucksachen) 12084C Antrag auf Aufsetzung der dritten Beratung des Entwurfs des Bundesvertriebenengesetzes auf die Tagesordnung: Reitzner (SPD) 12084D Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU) . 12085D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin (Flüchtlings-Notleistungsgesetz) (Nr. 4095 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen (8. Ausschuß) (Nr. 4151 der Drucksachen; Umdruck Nr. 780) 12084C, 12086A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 12086B Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers 12086C Frau Dr. Brökelschen (CDU) als Berichterstatterin 12086D als Abgeordnete 12091D Müller (Frankfurt) (KPD) 12088C Wehner (SPD) 12090C Maerkl (FU) 12091C Abstimmungen 12091C, 12091D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 10. September 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel (Nr. 4141, zu Nr. 4141, Nachgang zu Nr. 4141 der Drucksachen) . . 12084C, 12092B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 12092C Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß 12096C Erste Beratung des von den Abg. Sabel, Richter, Determann u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte vom 8. Januar 1953 (Nr. 4135 der Drucksachen) . . . 12084C, 12096B Überweisung an den Ausschuß für Arbeit 12096C Einspruch des Abgeordneten Loritz gegen den ihm in der 251. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Umdruck Nr. 777) . . . 12096C Einspruch abgelehnt 12096C Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Mißbilligung von Äußerungen des Bundesministers der Justiz (Nr. 3897 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Mißbilligung von Äußerungen des Bundesministers der Justiz Dr. Dehler über das Bundesverfassungsgericht (Nr. 3974 der Drucksachen) . . . 12096C Dr. Gülich (SPD), Antragsteller 12096D, 12108B Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 12099C Kiesinger (CDU) 12109D Fisch (KPD) 12111B Euler (FDP) 12112A zur Geschäftsordnung: Dr. von Merkatz (DP) 12112B Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU) 12112C Mellies (SPD) 12112C Ewers (DP) 12112D Dr. Gülich (SPD) 12112D Ablehnung der Anträge 12113A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung (Nr. 4092 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung der Ergänzungsvorlage der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 (Nr. 4093 der Drucksachen) sowie mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern in den Rechnungsjahren 1953 und 1954 (Nr. 4094 der Drucksachen) 12113B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 12113C zur Geschäftsordnung: Dr. Menzel (SPD) 12118C, 12119B Dr. Wellhausen (FDP) . 12118C, 12119A Renner (KPD) 12118D zur Sache: Seuffert (SPD) 12119D Renner (KPD) 12125B Dr. Wellhausen (FDP) 12126D Dr. Bertram (Soest) (FU) 12129A Frau Lockmann (SPD) 12131A Eickhoff (DP) 12132A Niebes (KPD) 12133D Neuburger (CDU) 12134C Weiterberatung vertagt 12136C Persönliche Bemerkung: Mellies (SPD) 12136D Ausschluß des Abg. Rische für drei Tage 12136D Die Sitzung wird um 13 Uhr 38 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Hermann Ehlers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, wir kommen zur Beratung des Gesetzentwurfs. Berichterstatterin ist Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen. Ich darf sie bitten, das Wort zu nehmen.
    Frau Dr. Brökelschen (CDU), Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Entwurf eines Gesetzes zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin (Flüchtlings-Notleistunigsgesetz), Nr. 4095 der Drucksachen, wurde dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen federführend und -dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung in der 251. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Februar überwiesen. Der Bundesrat hatte auf eine Vorberatung des Gesetzes durch seine Ausschüsse verzichtet und in seiner Plenarsitzung vom 20. Februar den Entwurf gebilligt und fünf Ausschüsse


    (Frau Dr. Brökelschen)

    beauftragt, nach der Plenarsitzung die Vorlage zu beraten. Er hatte weiter den Innenausschuß beauftragt, die Beschlüsse der einzelnen Ausschüsse zu koordinieren und bei den Beratungen der Bundestagsausschüsse von seinem Vertreter vortragen zu lassen. Das ist geschehen.
    Es mag vorweg bemerkt werden, daß entscheidende Bedenken gegen den Gesetzentwurf im ganzen oder gegen einzelne Paragraphen von keiner Seite erhoben worden sind. So konnte ihn der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen unter Verzicht auf eine Grundsatzdebatte in einer einzigen Sitzung zu Ende beraten. Geringfügige materielle oder redaktionelle Änderungen, cue der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung wünschte, wurden hineingearbeitet und den Wünschen des Bundesrats zu einigen Punkten wurde entsprochen.
    Das Gesetz ist der Niederschlag einer außergewöhnlichen Situation. Es zerstört die Illusion, daß das Schwerste nach Krieg und Zusammenbruch überstanden sei, und soll die Handhabe schaffen, den immer noch ansteigenden Strom von Flüchtlingen im Bundesgebiet vorübergehend, d. h. bis zu dem Augenblick unterzubringen, in dem wohnraumahnliche Unterkünfte im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus in ausreichendem Maße erstellt sind.
    Der Gesetzentwurf geht auf einen einhelligen Wunsch der Ministerpräsidenten der Länder zurück, die bereit sind, der immer schwieriger werdenden Lage Berlins mit einschneidenden Maßnahmen Rechnung zu tragen, aber fürchten, daß sich die notwendigen provisorischen Unterkünfte nicht allein auf dem Wege freier Vereinbarungen beschaffen lassen. So haben sie die Bundesregierung gebeten, sofort ein Gesetz vorzulegen, das die Handgabe gibt, auch zwangsweise Räume vorübergehend in Anspruch zu nehmen.
    Angesichts der Belastung Berlins ist es wesentlich, daß das Gesetz sofort in Kraft treten kann, da gerade die jüngsten Entwicklungen in Berlin ohne die Erhöhung der Zahl der täglich abzufliegenden Flüchtlinge nicht gemeistert werden können. Auch befürchten einige Länder, daß sie ohne gesetzliche Handhabe nicht in der Lage sein werden, ihren Verpflichtungen zur Aufnahme der Flüchtlinge nachzukommen. So ist es Aufgabe und Ziel dieses Gesetzes, die möglichst schnelle Unterbringung der Flüchtlinge im Bundesgebiet zu ermöglichen.
    Das Gesetz zerfällt in vier Teile. Für die Teile II, III und IV, die das Verfahren bei der Leistungsanforderung und die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten behandeln, sowie die Übergangs- und Schlußvorschriften enthalten, kann mein Bericht auf die dem Hohen Hause vorliegende synoptische Darstellung in Drucksache Nr. 4151 ohne Einzelausführungen verweisen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß der Ausschuß in § 41 das Datum für das Außerkrafttreten des Gesetzes vom 31. Dezember 1954 auf den 31. März 1955 vorverlegt hat, um mit dem Etatsjahr gleichzuziehen und um auf keinen Fall die Geltungsdauer des Gesetzes zu kurz zu befristen.
    Der Ausschuß hat weiter den § 40 b eingefügt: Soweit durch die Vorschriften dieses Gesetzes das Grundrecht nach Art. 13 des Grundgesetzes
    — d. h. die Unverletzlichkeit der Wohnung — berührt wird, wird dieses Grundrecht eingeschränkt.
    Nicht für erforderlich hielt der Ausschuß eine Einschränkung des in Art. 14 garantierten Grundrechts auf Gewährleistung des Eigentums, da Art. 14 den sozialgebundenen Charakter des Eigentums klar zum Ausdruck bringt und im vorliegenden Gesetz gerade Enteignungsmaßnahmen nach Art. 14 des Grundgesetzes vorgesehen sind.
    Die eigentliche Problematik des Gesetzes liegt im I. Teil, der die Vorschriften zur Leistungsverpflichtung sowie deren Umfang, die Pflichten der Beteiligten und die Abgeltung konkretisiert. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Gesetz sehr weit gefaßt ist. Aber es bestand bei den Beratungen Einstimmigkeit darüber, man müsse das hinnehmen, wenn man für jede Lage gewappnet sein wolle. Jedoch vertraut der Ausschuß auf die dort abgegebene Erklärung des Herrn Bundesbevollmächtigten für die Notaufnahme der Flüchtlinge, daß Bundesregierung und Länder das Gesetz nur insofern durchführen und nur so scharf und dringend handhaben werden, wie der Druck, der durch die Ereignisse selbst ausgeübt wird, es erfordert.
    § 1 charakterisiert das Gesetz als Notleistungsgesetz, da Leistungen aus diesem Gesetz nur angefordert werden dürfen für Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone oder aus dem Ostsektor von Berlin, soweit sie nach dem 1. Juli 1951 in das Bundesgebiet oder nach Westberlin gekommen sind. Der ursprüngliche Entwurf zog dien Kreis noch enger, indem er als terminus a quo den 1. Januar 1952 enthielt. Die Zurückverlegung dieses Datums entspricht einem Wunsche des Berliner Senats und trägt dessen Befürchtung Rechnung, daß eventuell verwaltungsmäßige Schwierigkeiten bei der Umsetzung solcher Personengruppen eintreten könnten, die schon vor dem 1. Januar 1952 ihren Aufenthalt in Berlin genommen hatten, aber erst nach der Einführung des Notaufnahmegesetzes in Berlin, also nach dem 4. Februar 1952, ihre Notaufnahme erhalten haben.
    § 2 stellt eindeutig den subsidiären Charakter des Gesetzes heraus:
    Leistungen nach diesem Gesetz können nur angefordert werden, wenn der Bedarf auf andere Weise nicht oder nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln gedeckt werden kann.
    Es war die einmütige Auffassung des Ausschusses und der Vertreter des Bundesrats, daß damit die größtmögliche Schonung von Einzelbetroffenen und Gruppenbetroffenen möglich und gewährleistet sei. Um aber in einigen bestimmten Fällen den Willen des Gesetzgebers eindeutig festzulegen, fügte der Ausschuß dem § 5, der die Befreiungen von der Leistungspflicht enthält, einen Abs. 7 an, nach dem auch befreit sein sollen:
    die Fürsorgeverbände, die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die Verbände der Kriegsopfer und Blinden, soweit die Erfüllung ihrer Aufgaben durch 'die Leistung wesentlich beeinträchtigt würde.
    Man war im Ausschuß der Auffassung, daß eine solche ausdrückliche Herausnahme nur der Wirklichkeit Rechnung trage insofern, als es sich hier um Institutionen handle, die ohnehin mit der Erfüllung von Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes oder von ähnlichen Aufgaben mehr als ausgefüllt seien.
    Eine längere Debatte löste die Frage aus, ob man ähnlich wie die vorhin genannten Verbände


    (Frau Dr. Brökelschen)

    auch das Beherbergungsgewerbe in den Erholungsgebieten generell aus der Leistungsverpflichtung herausnehmen solle. Der Ausschuß verschloß sich nicht den bedenklichen Folgen, die sich daraus ergeben haben, daß man 1945 bis 1947 den Flüchtlingsstrom weitgehend in die Erholungsgebiete gelenkt hat. Es wurde aber auf der anderen Seite geltend gemacht, daß gerade auf Grund dieser bösen Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit und mit Rücksicht auf ihre Steuerkraft die Gemeinden nicht den Ast absägen würden, auf dem sie — vielleicht eben erst wieder — sitzen. Zudem befürchtete man, daß die Herausnahme eines Gewerbezweiges zu Berufungen anderer führen könnte und daß so die rasche und reibungslose Durchführung des Gesetzes erschwert würde. Der Ausschuß hält es aber für erforderlich, daß durch die Verwaltungsvorschriften die Möglichkeit gegeben wird, in den Gebieten, die als besondere Erholungsgebiete anerkannt worden sind, von der Anwendung des Gesetzes abzusehen.
    .Ebensowenig konnte sich der Ausschuß entschließen, die öffentlich geförderten Vereine der Jugendwohlfahrt von der Leistungsverpflichtung generell auszunehmen, da für den Notfall z. B. auf Raumreserven des Jugendherbergsverbandes nicht verzichtet werden kann. Aber der Ausschuß möchte klar seinen Willen betonen, daß die besonders besuchten Jugendherbergen im Interesse der wandernden deutschen Jugend und internationaler Jugendtreffen freigehalten werden.
    Nach § 8 des Gesetzes sind unbebaute Grundstücke für die Herrichtung von behelfsmäßigen Unterkünften zur Verfügung zu stellen. Der Ausschuß hat diese Vorschrift ergänzt durch den Zu-Satz: „und freie Flächen von bebauten Grundstükken". Es soll damit die Möglichkeit gegeben werden, in den zweifellos seltenen Fällen, wo Ödland zwar vorhanden, aber zur Errichtung von Notunterkünften ungeeignet ist, weil die für die Unterkünfte notwendigen sanitären Einrichtungen nur schwer und mit unverhältnismäßigen Kosten geschaffen werden können, auf andere Flächen zurückzugreifen. Dabei ist nicht daran gedacht, landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche Nutzungsflächen in ihrer Zweckbestimmung oder Nutzung zu beeinträchtigen. Der Ausschuß beschloß einstimmig, in diesem Bericht zum Ausdruck zu bringen, daß in den Verwaltungsvorschriften festgelegt werden soll, daß, wo unbebautes gemeindeeigenes Land vorhanden ist, dieses in erster Linie heranzuziehen ist.
    Die Leistungspflicht nach diesem Gesetz wird auf Räume, die zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen geeignet sind, und auf die oben erwähnten Grundstücke und Flächen beschränkt. § 7 Abs. 3 nimmt Wohnräume ausdrücklich aus. „Wohnräume dürfen nach diesem Gesetz nicht beschlagnahmt werden."
    Meine Herren und Damen! Das Gesetz soll Berlin helfen. Aber wegen der Unübersehbarkeit der Entwicklung in Berlin braucht man auch dort die darin gegebenen Handhaben. So enthält das Gesetz in § 40 a die Berlin-Klausel.
    Wer noch in der vergangenen Woche Zweifel an der Eilbedürftigkeit und der unausweichlichen Notwendigkeit dieses Gesetzes gehegt haben sollte, wird durch die Entwicklung der letzten Tage belehrt worden sein, daß wir nach Möglichkeit und mit äußerster Entschlossenheit für jede Größenordnung des Flüchtlingsstroms gewappnet sein müssen. ,
    Ich darf darum im Namen des Ausschusses das Hohe Haus bitten, dem Entwurf des Flüchtlings-
    Notleistungsgesetzes — Drucksache Nr. 4151 — in der vom Ausschuß einstimmig beschlossenen Fassung zuzustimmen.

    (Beifall.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke der Frau Berichterstatterin. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe zunächst Teil I, Abschnitt 1, § 1 auf. Dazu liegt der Antrag der Abgeordneten Müller (Frankfurt), Renner und Gruppe vor, § 1 zu streichen. —
Herr Abgeordneter Müller zur Begründung dieses Antrags.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Oskar Müller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Zur Begründung unseres Antrags auf Streichung des § 1, der damit unsere grundsätzlich ablehnende Haltung zu diesem Gesetz zum Ausdruck bringt, möchte ich kurz auf einige Punkte eingehen. Es ist kein Zufall, daß die Bundesregierung und die Parteien, die hinter diesem Gesetz stehen, mit einer solchen Eile die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes durchbringen wollen. Wenn man auf die Hintergründe ein klein wenig eingeht, dann dürfte wohl zunächst einmal die Feststellung zu treffen sein, daß im Hinblick auf die kommenden Wahlen mit diesem Gesetz eine Voraussetzung, eine Basis für eine Propaganda geschaffen werden soll, die sich in einer verschärften Stimmung und Haßstimmung gegen die Deutsche Demokratische Republik, gegen den Osten ausdrücken soll.

    (Abg. Dr. Tillmanns: Das haben wir weiß Gott nicht mehr nötig!)

    Eine zweite Tatsache — und ich denke, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vorhin etwas offener gesprochen hat — liegt wohl darin, daß, nachdem heute im Ältestenrat festgelegt worden ist, daß die dritte Lesung der Kriegspaktverträge am 19. März stattfinden soll, man dieses Gesetz und die damit zusammenhängenden Probleme benutzen will, um in Verfolg der Absichten dieser Verträge die psychologischen Voraussetzungen für die Vorbereitung des Krieges gegen den Osten und gegen die Deutsche Demokratische Republik zu schaffen.
    Der Herr Bundeskanzler sprach von der Erzeugung einer Panikstimmung; ich komme darauf noch zu sprechen. Aber zweifellos steht wohl fest: mit diesem Gesetz, mit der Art und Weise, wie man das sogenannte Ostzonenflüchtlingsproblem aufwirft, mit der Propaganda, die man organisiert, will man unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ein für allemal von der Tagesordnung abgesetzt sein soll, und man will gewissen Schichten und Kreisen der Deutschen Demokratischen Republik zurufen: Setzt euch rechtzeitig ab; der Vorhang wird von hier endgültig geschlossen, kommt herüber, damit ihr dann für das eingesetzt werden könnt, was die Bundesregierung mit euch in Wirklichkeit beabsichtigt!

    (Lebhafte Rufe: Unerhört! Pfui! — Unruhe.)

    Der Herr Bundeskanzler sprach von der Panikstimmung. Ich glaube, Sie werden, Herr Bundeskanzler, ebensowenig wie Herr Minister Kaiser bestreiten können, daß von hier aus eine solche Stimmung organisiert wird. Vor wenigen Tagen sprach im Nordwestdeutschen Rundfunk der Staatssekretär


    (Müller [Frankfurt])

    des Herrn Bundeskanzlers, und er brachte es fertig, zu behaupten, daß die Flüchtlingsbewegung seitens der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Regierung organisiert sei,

    (Zuruf rechts: Jawohl!)

    um Westdeutschland politisch zu unterlaufen. Ich glaube, allein die Tatsachen, die die Bundesregierung selbst in Westdeutschland geschaffen hat und schafft, genügen für die Bevölkerung in Westdeutschland, um gegen diese Bundesregierung und die sie stützenden Parteien Stellung zu nehmen. Herr Bundeskanzler, warum haben Sie denn z. B. nicht eine Volksbefragung oder eine Volksentscheidung über den Generalvertrag und den EVG-Vertrag durchgeführt?

    (Zuruf von der Mitte: Kennen Sie keinen Grund? — Glocke des Präsidenten.)