Rede von
Paul
Harig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Wir haben zu der zweiten Lesung dieses Gesetzes einige Änderungs- oder Streichungsanträge gestellt. Ich will gleich zu allen diesen Änderungsoder Streichungsanträgen die Begründung geben. Ursprünglich hat die Regierung ja beabsichtigt, diese komische Marke, die es da auf den Briefen und Karten jetzt gibt, zu beseitigen. Aber der Ausschuß hat sich dagegen ausgesprochen, und zwar — wie ich hier eben noch in dem Ausschußbericht, der schriftlich vorliegt, sehe — mit einer sehr komischen Begründung. Es heißt da an einer Stelle: „obwohl die Meinungen über die psychologische Wirkung dieser Maßnahme im Ausschuß geteilt waren". Also die psychologische Wirkung dieser komischen Briefmarke oder Zusatzmarke oder Reklamemarke, wie sie heißt, spielte wohl eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung des Ausschusses.
Die Regierung hat, wie ich eben schon anführte, auf dem Standpunkt gestanden, daß diese Marke nicht mehr erhoben werden sollte. In der Stellungnahme der Bundesregierung heißt es:
Für den Wegfall der Abgabe auf Postsendungen spricht die Tatsache, daß die Abgabe auf Postsendungen von weitesten Kreisen der Bevölkerung als lästig empfunden wird und deshalb eine Verlängerung der Erhebung der Abgabe auf Postsendungen der Bevölkerung nicht zugemutet werden sollte.
Also die Regierung hat schon gemerkt, daß es lästig ist für die Millionen, die Briefe oder Karten verschicken, diese Marke aufzukleben. Und es ist hier nicht unbekannt geblieben, daß die Leute dort unten räsonieren, daß die schimpfen und nicht wollen, daß diese Marke auf die Briefe geklebt wird. Aber, so wie man, als die Debatte um das Betriebsverfassungsgesetz damals war, dem Willen der Mehrheit derjenigen, die es anging, nicht Rechnung getragen hat, so wird man auch jetzt wieder dem Willen der Mehrheit des Volkes, das diese komische Marke nicht will, nicht entsprechen. Die Regierung ist auch von ihrem Standpunkt abgegangen. Das ist aus ihrer Stellungnahme zu ersehen; sie sagt:
Obwohl gewisse Gründe für den Wegfall der Abgabe „Notopfer Berlin" auf Postsendungen sprechen, werden gegen den Beschluß des Bundesrates, die Abgabe auf Postsendungen weiter zu erheben, keine Bedenken erhoben.
Ja, wie sollte sie denn auch, wenn die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat ja sagt zu der Einnahme von 50 Millionen DM pro Jahr! Wie sollte die Regierung dann einen anderen Standpunkt einnehmen? Jedenfalls ist festzustellen, daß diese 50 Millionen DM, die da durch diese komische Marke einkommen, immerhin so 21/2 Milliarden Postsendungen in Bewegung setzen.
Das heißt also, 21/2 Milliarden mal ärgert man sich im Jahre.
Die Sozialdemokraten sind aber päpstlicher als der Papst, wie ich eben angeführt habe, und sagen: Ja, aus Reklamegründen oder aus psychologischen Gründen muß man die Marke noch weiter erheben. Man kann da nur sagen: Macht nur so weiter, und Volk wird schon sehen, wer wirklich auf seine Wünsche Rücksicht nimmt. Aus der Begründung, die der Bundesrat gegeben hat, kann man ja außerdem sehen, wie sich die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat für Schäffers Kriegshaushalt verantwortlich fühlt.
Jetzt zu dem nächsten Antrag, den wir gestellt haben.
— Nun lassen Sie mich doch wenigstens die Anträge begründen. Das ist doch meine Meinung.
Ihre Meinung kann anders sein. Sie können Ihre Meinung doch auch vortragen. Was ist das 'ne komische Demokratie hier bei Ihnen.
Lassen Sie mich zu dem zweiten Antrag auch einiges sagen. Ich bitte da um Entschuldigung. In dem Umdruck Nr. 772 Ziffer 2, wo irrtümlich Art. II genannt ist, muß eine Änderung vorgenommen werden; es muß da heißen: Art. I Ziffer 2. In diesem unserem Antrag verlangen wir die Streichung des Passus über die Verlängerung dieses komischen Gesetzes, das die Mehrheit der Bevölkerung längst leid ist. Das Gesetz sollte ursprünglich bis zum 31. Dezember 1955 verlängert werden. Nun ja, der Ausschuß hat sich dann entschieden, die Verlängerung nur bis zum 31. Dezember 1954 vorzuschlagen. Ich muß von dieser Stelle aus besonders darauf hinweisen, daß es Tausende von Beschlüssen aus der Bevölkerung gibt, die in Versammlungen der verschiedensten Art, in der Hauptsache aber in Versammlungen der Gewerkschaften und in Belegschaftsversammlungen gefaßt worden sind in denen die Beseitigung dieses Gesetzes und damit dieses Notopfers Berlin gefordert wird. Tausende, Millionen von Arbeitern warten darauf. Sie sehen die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes gar nicht ein; denn erstens ist dieses Notopfer unsozial, weil es dem Reichen gar nichts ausmacht, die paar Pfennige aus der Westentasche zu bezahlen, während es umgekehrt dem andern, der unter dem Existenzminimum verdient, sehr viel Sorgen macht. Zweitens ist es auch eine unnötige Steuer, die da er-
) hoben wird, eine unnötige Steuer deshalb, weil, wenn man den guten Willen hätte, die Lage Berlins viel besser sein könnte; man brauchte nur auf die diesbezüglichen Angebote einzugehen.
Dann will ich noch zu dem nächsten Streichungsantrag, den wir gestellt haben, etwas sagen. Wir haben beantragt, den Art. III zu streichen. Wenn man schon Mitleid mit den armen Berlinern hat
und das hier zum Ausdruck bringt, dann sollte man die Berliner, zumindest die Berliner Arbeiter, mit dieser Abgabe verschonen. Ein guter Teil der Berliner Arbeiter steht im Moment gerade in einem großen Lohnkampf, in einem Kampf um die Verbesserung des Einkommens, und jetzt kommen Sie und sagen: Na gut, wenn ihr auch schlecht lebt, bezahlen müßt ihr doch; und ihr bezahlt nicht weniger als diejenigen, die in pompösen Wagen über den Kurfürstendamm fahren! Wir sind der Meinung, wenn man schon die Berliner besteuert, sollte man diejenigen besteuern, die das zahlen können, die etwas haben. Wir stehen auf dem Standpunkt, wer hat, der soll geben. Die Berliner Arbeiter sollen zahlen für eine Bankrottpolitik, für eine bankrotte Berlin-Politik. Dafür sollen die Berliner jetzt auch noch zahlen!
Wir sind der Meinung, daß diese Artikel gestrichen werden müssen, und wir bitten um Ihre Zustimmung.