Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Fall Schweigen, der Gegenstand der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion war, die der Herr Bundeskanzler in dankenswerter Weise beantwortet hat, ist nur eine Folge. Hinter diesem Fall verbirgt sich in seiner ganzen schrecklichen Größe das Problem der Fremdenlegion, ein Problem, mit dem sich die deutsche Öffentlichkeit in weitem Umfang beschäftigt. Es vergeht keine Tagung der Jugendverbände und der überparteilichen Jugendringe, ohne daß der laute Ruf ertönt, es möge endlich einmal Schluß gemacht werden mit diesem System der Werbung von Landsknechten nach Methoden des finstersten Mittelalters.
Es ist notwendig, daß sich auch der Deutsche Bundestag diese Forderung zu eigen macht. Die französische Fremdenlegion hat sich als bevorzugtes Rekrutierungsgebiet die Bundesrepublik auserwählt. Immer wieder müssen wir erfahren, daß junge Männer, oft nur Jugendliche im Alter von 17, 18 und 19 Jahren, plötzlich verschwunden sind. Die Angehörigen sind oft wochen- und monatelang ohne Nachricht und sind von bitterer Sorge erfüllt. Dann kommt plötzlich eine Postkarte aus Nordafrika, die Kunde bringt, wo sich diese Menschen befinden.
In meinem engeren Wirkungsgebiet sind allein in einer einzigen Gemeinde, in der Gemeinde Wernau im Kreise Eßlingen, binnen weniger Wochen im letzten Herbst fünf Jugendliche im Alter von 19 Jahren verschwunden und, wie sich später erwies, den schrecklichen Weg in die Fremdenlegion gegangen. Einer dieser jungen Menschen hinterließ eine Mutter, deren Gatte bei einem Arbeitsunfall im letzten Sommer das Leben verlor. Sie sitzt jetzt da mit zwei schulpflichtigen Kindern, und die Hoffnung, daß der Jugendliche, der in Arbeit stand, ihr eine Stütze sein würde, ist zerschellt. Ähnliche Dinge können wir Woche um Woche aus anderen Teilen der Bundesrepublik hören. In der Hauptsache sind es junge arbeitslose Menschen, Menschen, denen ein schützendes Heim fehlt oder deren Heim nicht zufriedenstellend ist, die der Werbung zum Opfer fallen.
Die Methoden der Werbung sind immer die gleichen. Auf den Bahnhöfen, in Gaststätten, auf Rummelplätzen, ja auf der Straße gesellen sich die Werber zu jungen Menschen. Sie spenden freigebig Alkohol, sie erzählen verlogen von einem Leben voller Romantik, von Binnenbetörenden Frauen, die da in der Ferne winken, und von feurigem Wein, der unter den Palmen des Südens genossen werden kann. Dann gibt es eine Autofahrt, deren Endziel eine französische Kaserne ist. Der Werber kassiert sein Kopfgeld. Der junge Mensch aber geht einen fürchterlichen Weg einer schrecklichen Zukunft entgegen.
Der Menschenschmuggel über die Grenze vollzieht sich dann nach dem Rezept von Schweigen. Es gibt nicht nur diese eine Grenzübertrittsstelle. Ich habe den dokumentarischen Nachweis — in einem Faksimile ist er festgehalten —, daß allein über die Grenzübergangsstelle Bergzabern in der Zeit vom 16. Juli bis zum 13. November des vergangenen Jahres 28 solche Transporte über die Grenze gegangen sind, und zwar mit Fahrzeugen der Besatzungsmacht — die Nummern und die Zeit sind registriert —, in denen die flüchtig eingekleideten, als fremde Staatsbürger camouflierten und zum Schweigen verpflichteten jungen Menschen über die Grenze gebracht wurden. Im Falle Bergzabern waren es in der Zeit von knapp vier Monaten nahezu 400 solche junge Menschen. In den Kasernen in Landau und Freiburg sind Werbestellen; eine große Werbezentrale, die in Offenburg war, wurde aufgelassen. Die deutschen Behörden dieses Kreises schätzen die Zahl der Jugendlichen, die seit dem Bestehen dieser Werbestellen dort angelaufen sind, einschließlich der Abgewiesenen auf 75 000. Jetzt ist die Hauptwerbestelle auf die andere Seite des Rheins verlegt worden. Straßburg ist nicht nur die Stadt des europäischen Geistes, sondern leider auch eine Stadt skandalösen Menschenhandels.
Es ist grotesk, daß der Transport, sofern er sich nicht in geschlossener Form vollzieht, mit Freifahrscheinen vorgenommen wird, die auf Besatzungskosten verrechnet werden.
Es ist doppelt grotesk, daß die einzigen Jugendlichen, die sich eines Jugendpasses erfreuen bzw. ihn nicht benötigen, die jungen Menschen sind, die sich für die Fremdenlegion interessieren oder anwerben lassen. Die Zahl der Deutschen, die in der Fremdenlegion sind, ist hier schon schätzungsweise genannt worden. Die Schätzungen schwanken zwischen 80 000 und 100 000 Menschen. Jede Woche geht eine kriegsstarke Kompanie nach Nordafrika und von dort in den Dschungelkrieg, wo Tod und Seuchen harren. Ich möchte über das Leben in der Fremdenlegion keine Einzelheiten hier vortragen. Wir alle kennen sie.
Ich möchte auch zugeben, daß nicht alle diese Jugendlichen den Werbern verfallen. Es gibt auch solche, die freiwillig gehen, gedrängt durch widrige soziale Verhältnisse. Die Zahl der sogenannten Kriminellen, die sich darunter befinden, ist relativ bescheiden. Wenn man deren Kriminalität näher untersuchte, würde man sehr bald finden, welche Ursachen sie hat, respektive wie bagatellmäßig sie ist, wie sie im Grunde genommen für uns eine Fürsorgeaufgabe darstellt. Arbeitslosigkeit und Entwurzelung sind weitere Ursachen. Oft wird von ungünstigen Familienverhältnissen gesprochen. Mag sein, daß sie da sind. Aber wenn man diese untersucht, findet man, daß es vor allem das Wohnungselend ist, das junge Menschen aus der Familie treibt. Wie viele Jugendliche, so müssen wir uns doch fragen, wenn sie nicht den Schichten jener entstammen, die auf der Sonnenseite des Lebens geboren sind, haben ein eigenes Zimmer, in dem sie einmal in Ruhe ein Buch lesen können oder in Ruhe eine Stunde für sich sein können? Zugegeben, manche andere verfallen — und das ist nicht minder bedenklich — den Lockungen verlogener Filme oder schundiger Schriften.
Das alles in seiner Summe muß uns Aufgaben stellen. Wir haben eine doppelte Aufgabe. Die erste ist, durch einen entsprechenden Beschluß des Bundestages die Werbung zu unterbinden. Ich begrüße die Maßnahmen, die vom Rechtsausschuß des Bundestages heute ergriffen worden sind. Ich hoffe nur, daß bald der entsprechende Beschluß in diesem Hause gefaßt wird. Ich begrüße auch die Bemühungen, die von der Bundesregierung unternommen werden, über die uns der Herr Bundeskanzler hier berichtet hat. Ich hoffe, sie werden fortgesetzt, und ich hoffe, wir werden über die Ergebnisse auch unterrichtet werden.
Ich appelliere auch an Frankreich, Frankreich möge verstehen, wie unmoralisch doch diese Handlung ist und wie sehr das Verhältnis zwischen beiden Völkern durch diese Akte vergiftet wird. Es möge von sich aus auf das Mittel einer nicht zu rechtfertigenden Werbung verzichten. Es genügt nicht, daß man in Straßburg mit tönenden Worten der Konvention über die Menschenrechte die Zustimmung gibt. Es ist notwendig, daß auch überall im Geiste der Menschenrechte gehandelt wird.
Wir kämpfen gegen den Menschenraub im Osten. Wir haben auch die Verpflichtung, gegen den Menschenraub in der Form der Werbung für die Fremdenlegion zu kämpfen.
Daneben haben wir eine zweite Aufgabe zu erfüllen. Wir haben vermehrte Aufklärungsarbeit in der ganzen deutschen Öffentlichkeit und vor allem unter der Jugend zu leisten. Ich möchte daher von dieser Stelle aus alle Jugendverbände, die sich dieser Aufklärungsarbeit besonders zu widmen gedenken, zu dieser Tätigkeit nachdrücklichst ermuntern.
Wir haben aber auch noch mehr zu tun, um Arbeit und Wohnraum für die sogenannte entwurzelte Jugend zu schaffen. Es ist bedauerlich, daß ein erheblicher Teil der Jugend des deutschen Volkes noch nicht das richtige Verhältnis zur Bundesrepublik gefunden hat. Diese Tatsache weist uns auf Pflichten hin, die wir zu erfüllen haben. Wir haben uns zu kümmern um die Abgewiesenen, die nun auf den Landstraßen lungern, wir haben uns auch zu kümmern um jene leider sehr geringe Zahl der heimkehrenden Entlassenen, die oft für das ganze Leben gezeichnet sind. Es handelt sich dabei um wertvolles deutsches Volksgut. Das darf nicht verlorengehen. Wir können uns den Luxus nicht erlauben, daß junge Menschen, sei es infolge Anwerbung, sei es aus einem Akt der Verzweiflung, außer Landes gehen. Wir müssen alles tun, um sie unserem Staat, unserer Wirtschaft und unserem Volk zu erhalten.
Darum hoffe ich, daß die heutige Aussprache eine ernste Mahnung, zugleich aber auch den ersten Schritt auf dem Weg zum Handeln darstellt.