Meine Damen und Herren! Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat gestern das schöne Wort von den „Gemeinplatzpatronen" geprägt. Eine solche Gemeinplatzpatrone ist es, wenn immer wieder über die allzu hohen Steuern geklagt wird. Darüber sind wir uns ja alle klar: Das zulässige Maß ist überschritten. Wenn man über die zu hohen Steuern klagt, so hat das nur für denjenigen Zweck — und ich spreche nur demjenigen das Recht zu, diese Klagen zu erheben —, der in der Lage ist, auf der andern Seite auch positiv eine Ausgabensenkung vorzuschlagen
oder wenigstens zu sagen, wie wir ohne Tariferhöhung durch gleichmäßige Veranlagungen Mehreinnahmen erzielen und damit den Weg für eine Tarifermäßigung frei machen können.
Es hat weiter keinen Zweck, daß wir hier groß über Sparsamkeit reden, wenn wir im Plenum eine Tagesordnung vorfinden mit dem von Kollegen aller Fraktionen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung, dessen Durchführung die Kleinigkeit von „nur" 50 Millionen DM im Laufe des Haushaltsjahres kosten würde. Und das, ohne daß die Fraktionen vorher Gelegenheit zu einer Stellungnahme hatten.
Wir müssen den Mut haben, uns zu entscheiden: Entweder wollen wir eine Steuersenkung, dann müssen wir auch die nötigen Ausgabensenkungen beschließen; oder wir verzichten auf die Steuersenkung, wollen immer mehr Ausgaben haben, immer mehr die Behörden in Anspruch nehmen, dann dürfen wir aber auch nicht über zu hohe Steuern klagen.. Eins von beiden geht nur.
Hier scheint mir auch einmal der Appell an die Öffentlichkeit und namentlich an alle die vielen Vereinigungen nötig, die Tagungen abhalten. Die Nationalökonomen und alle Männer der Wirtschaft sollten sich vor allen Dingen einmal auf positive Vorschläge zur Ausgabensenkung konzentrieren, anstatt uns immer wieder aufzufordern, die untragbaren Steuern zu senken. Über die Notwendigkeit sind wir uns alle klar.
— Verbrauchsteuern! Ich weiß, Herr Kollege Gülich, Sie kommen darauf, weil unser Kollege Neuburger wohl gemeint hat, man könne die Verbrauchsteuern — er sprach ständig von „indirekten"
Steuern — erhöhen und dadurch die Progression bei den Einkommen- und Besitzsteuern etwas senken. Das geht natürlich nicht; denn die Verbrauchsteuern sind schon übermäßig angespannt. Hier gibt es ja leider seit des großen Jonathan Swift Zeiten das berühmte Swiftsche Steuereinmaleins, das eben leider nicht abzuändern ist: Wenn man die Verbrauchsteuern erhöht, ist keineswegs gesagt, daß sich die Einnahmen entsprechend steigern, weil sich der Verbraucher diesen Steuern sehr einfach entziehen kann. Also so geht es nicht.
Aber nun glaube ich, Herr Finanzminister, daß es im Haushalt noch eine ganze Reihe von Ausgaben gibt, die gesenkt werden können. Ich freue mich, daß jetzt endlich das Kabinett den Mut gehabt hat, die Konsumbrotpreissubventionen zu streichen.
— Nein, das ist nicht reaktionär, Herr Renner! Wenn Sie im Haushaltsausschuß sachlich mitarbeiteten, dann hätten Sie dort gehört, was mit diesen 300 Millionen alles angefangen worden ist. Diejenigen, die es nötig hatten, haben von diesen 300 Millionen am wenigsten bekommen. Wir sehen jetzt an den Vorschlägen des Kabinetts, daß es mit einem sehr viel geringeren Aufwand von, wie wir schätzen, etwa 24 Millionen DM jährlich möglich ist, denen, die uns genau so am Herzen liegen wie Ihnen, Herr Renner, nämlich den notleidenden Sozialrentnern und Heimatvertriebenen, die Brotpreisverbilligung durchaus weiter zu gewähren.
Dann ein anderer Punkt! Ich habe schon vor einem Jahr in der Frage der Ausgleichsforderungen der Bank deutscher Länder einen Vorstoß gemacht. Mit freundlicher Unterstützung des Herrn Ministers habe ich damals wenigstens erreicht, daß der Bund, insoweit er Zinsen an die Bank deutscher Länder zahlen mußte, aus dem Gewinn der Bundesbank entsprechende Buchvergütungen erhält. Zu mehr war damals leider unser Geld- und Kreditausschuß und das ihm folgende Plenum nicht zu bewegen.
Einer meiner Kollegen hat schon davon gesprochen, daß wir Ihnen, Herr Minister, auch unsere beiden großen Verkehrsbetriebe Post und Eisenbahn warm ans Herz legen. Ich stimme völlig mit Ihnen überein, wenn Sie gestern sagten, man dürfe nicht den Bundeshaushalt allein betrachten, sondern müsse ihn als einen „Gemeinschaftshaushalt" der Länder ansehen. Unbestreitbar richtig! Aber auch unsere beiden großen Verkehrsverwaltungen gehören in diesem Sinne dazu. Sie sind das größte Bundesvermögen. Hier haben wir nun doch große Sorgen! Der Herr Bundespostminister ist nicht anwesend. Sachverständige Kollegen behaupten, daß die Summe von 185 Millionen DM — ein stattlicher Betrag —, die die immer noch ausgezeichnet arbeitende Postverwaltung in diesem Jahr an die Bundeskasse abführen soll, nicht ohne Gefährdung der Betriebsaufgaben der Post aufzubringen wären. Nun sehen wir in § 11 des Haushaltsgesetzes wieder, daß Post und Eisenbahn nach wie vor — nun will ich es einmal so sagen, wie es wirtschaftlich ist: ein Unternehmen subventionieren müssen, das es nach seiner Bilanz wirklich nicht mehr nötig hat und jedes Jahr so große Reserven bildet: die Bank deutscher Länder. Im Sinne unseres seinerzeitigen Antrags müssen wir endlich ernsthaft prüfen, ob nicht hinsichtlich der Ausgleichsforderungen bzw.
der Zinsen an die Bank deutscher Länder eine Entlastung von Post und Eisenbahn stattfinden kann.
Als Mitglied des Bundesschuldenausschusses bin ich doch etwas betroffen gewesen von der offiziellen Mitteilung, daß die Eisenbahn mit ihren Zinsverpflichtungen für die Ausgleichsforderungen mit nicht weniger als 97 720 000 DM im Rückstand ist und nunmehr die Bank deutscher Länder der Bundesbahn auch noch Verzugszinsen rechnet, die inzwischen auch schon auf 8,9 Millionen DM angewachsen sind. So etwas geht in der öffentlichen Verwaltung nicht! Wenn ich recht informiert bin, sind diese Beträge auch aus den Supergewinnen der Bank deutscher Länder schon zurückgestellt worden. Aber hier geht es um Grundfragen des öffentlichen Kredits! Also entweder, oder! Entweder muß die Bundesbahn die Zinsen an die Bank deutscher Länder zahlen; dann müssen wir sie auch in die Lage versetzen, das zu tun. Ergebnis: Tariferhöhung. Wenn wir das nicht wollen — und Sie wollen das alle nicht, meine Damen und Herren! —, dann müssen wir auch die Konsequenz ziehen, daß wir der Bundesbahn nicht Ausgaben zumuten, für die eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit nicht gegeben ist.
— Das ist die Bundeseinigkeit? Wieso Bundeseinigkeit? Nein, es bestehen hier immer noch ungerechtfertigte Hemmungen! Sie sehen das auch wieder in der Begründung zu unserem eigenen Initiativgesetzentwurf über die Notenbank. Die Begründung ist aber — nebenbei gesagt — nicht von uns.
— Weshalb mit dem Finger drohen? Es ist ja doch offenes Geheimnis, wer sie gemacht hat. Es bestehen immer noch Mißverständnisse über das Wesen der Ausgleichsforderungen. Bei der Größe des Objekts müssen wir uns im Haushaltsausschuß noch einmal ganz offen darüber unterhalten.
Noch eine Frage, Herr Minister! Warum lehnen Sie es ab, sich aus dem Schlagschatz noch etwas Geld zu verschaffen? Man braucht ja nur hier im Bundeshaus zu sein, um den ständigen Kleingeldmangel deutlich zu empfinden. Bei uns in Mainz macht es oft Schwierigkeiten, mal eine Rolle Markstücke zu bekommen. Bei der Münzprägung haben Sie zweifellos noch Möglichkeiten zu höherer Einnahmenerzielung, als jetzt im vorliegenden Haushaltsplan vorgesehen. Wir werden Ihnen gerne helfen, diese Möglichkeiten auszunützen!
Nun aber noch ein anderer Weg zur nachhaltigen Verbesserung der Haushaltslage. Wir haben es endlich erreicht, daß unser Antrag auf Änderung des Art. 108 des Grundgesetzes wegen Herstellung der Bundesfinanzverwaltung nun endlich in der nächsten Woche auch im Rechtsausschuß behandelt wird, nachdem der Steuer- und Finanzausschuß bereits vor mehreren Monaten unserem Antrag mit verfassungsändernder Mehrheit zugestimmt hat. Schätzungen darüber, wie hoch die zusätzlichen Einnahmen bei Schaffung einer Bundesfinanzverwaltung sein werden, dürften schwierig sein. Nach Ansicht aller Sachverständigen wird eine Bundesfinanzverwaltung nicht nur der gleichmäßigen Steuerveranlagung dienen, sondern auch dadurch erhebliche zusätzliche Einnahmen bringen. Mir liegt es völlig fern, diese Frage unter dem Gesichtspunkt „Föderalismus oder Zentralismus" zu behandeln. Wenn wir es als vordringliches Ziel unserer Politik ansehen, steuerliche Entlastungen zu ermöglichen, müssen wir diesem Ziel andere Gesichtspunkte, die uns weniger wichtig sind, unterordnen. Anders können wir nicht vorgehen.
Noch ein Wort zum Abschluß. Meine Redezeit ist abgelaufen. Die große Problematik des vorliegenden Haushalts liegt in der Frage des Extraordinariums und der Anleihe- und Kreditfinanzierung. Für mich persönlich wie auch für meine Freunde unterliegt es keinem Zweifel, daß in der Kontroverse zwischen Bundesregierung und Bundesrat die Bundesregierung im Recht ist. Unser Freund Neumayer könnte ja z. B. überhaupt nicht mit seinen Wohnungsbaumitteln planen, wenn wir die hierfür bestimmten 400 Millionen DM ins Extraordinarium verwiesen. Der Herr Bundesfinanzminister darf ja nur aus dem Extraordinarium zahlen, wenn er dafür eine Deckung hat. Werden aber die Anleihen, die für die Finanzierung des Extraordinariums vorgesehen sind, auch hereinkommen? Wir begrüßen es, daß Sie, Herr Minister, so vorsichtig gewesen sind, bei der Auseinandersetzung mit dem Bundesrat offen zuzugeben, daß sich auch die Bundesregierung noch nicht klar darüber ist, ob sie die vorgesehenen Anleihen wirklich in diesem Umfang hereinbekommt. Deswegen werden wir Ihnen jede Unterstützung gewähren und Sie auch gegen alle Angriffe verteidigen, wenn Sie Anforderungen Ihrer Kollegen, aus dem Extraordinarium zu zahlen, nicht entsprechen, bevor Sie die Gewähr dafür haben, daß die Anleihen wirklich hereinkommen.
Wir haben in der modernen Finanzwissenschaft nicht mehr, wie noch vor einigen Jahrzehnten, einen großen Schrecken — Herr Kollege Gülich hat ja vorhin schon davon gesprochen —, ein gewisses Defizit in Kauf zu nehmen. Die „Gratwanderung", von der der Herr Minister gestern sprach, ist gar nicht so unsicher! Die Wissenschaft hat die Voraussetzungen für nicht inflatorisch wirkende Defizithaushalte weitgehend geklärt. Gerade ein enger Parteifreund unseres Bundesfinanzministers, der ausgezeichnete Münchener Nationalökonom Gerhard Kroll, hat in seiner Lehre von der automatischen Deflation der modernen Finanzwissenschaft und -praxis hier wertvolle Hinweise gegeben. Aber das berühmte „Fingerspitzengefühl" gehört nun einmal zu allen Finanzdingen. Man kann die Grenzen derartiger „ungefährlicher" Haushaltsdefizite nicht immer genau ziffernmäßig umschreiben; aber man muß wissen, wo die Grenze liegt. Wir müssen vorsichtig vorgehen und dürfen nicht einfach glauben, auf Grund bloßer kurzfristiger Kassenkredite im Extraordinarium allzuviel machen zu können. —
Alles in allem: meine Freunde haben das Gefühl, daß wir mit unserer bisherigen Finanzpolitik wesentlich dazu beigetragen haben, die Erfolge zu erzielen, die auch die Männer der Opposition schließlich nicht bestreiten können. Es ist ein stolzes Werk, das der Herr Bundesfinanzminister uns gestern in Zahlen vorgeführt hat. Wir alle wollen hoffen, daß auch die weitere Entwicklung unserer Volkswirtschaft aufwärtsgeht und dieser Aufstieg mit gefördert wird durch eine modernen Anforderungen entsprechende Finanzpolitik.