Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Verständnis dafür, daß der verehrte Kollege Arndgen warten will, bis er meine Ausführungen gehört hat. Ich könnte mir denken, daß er vielleicht dann zu dem Ergebnis kommt, gar nichts zu diesem Hohen Hause zu sagen, und daß er mit meinen Ausführungen einverstanden ist. Nach seiner Haltung, die er bei der Beratung der verschiedensten Probleme im Sozialpolitischen Ausschuß zum Ausdruck gebracht hat, kann ich jedenfalls zu dieser Ansicht kommen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner gestrigen Rede auch Ausführungen über die Sozialleistungen gemacht. Es hatte den Anschein, als wenn all die sogenannten sozialen Leistungen von dieser Bundesregierung durchgeführt worden wären. In Wirklichkeit — das wissen wir doch alle — sind wesentliche Teile der von dem Herrn Bundesfinanzminister angeführten Beträge durch Beiträge der in Betracht kommenden Personenkreise aufgebracht worden. Außerdem hat der Herr Bundesfinanzminister uns umfangreiches Zahlenmaterial unterbreitet. Wir sind der Meinung, daß die angeführten Aufwendungen nicht alle als soziale Leistungen bezeichnet werden können. Wir werden auf diese Angelegenheit bei der zweiten Beratung des Etats des Bundesarbeitsministers noch eingehend zu sprechen kommen. Wir werden dabei sozialpolitische Fragen von grundsätzlicher Bedeutung anschneiden und insbesondere die wirklichen Leistungen der Bundesregierung und der Regierungsparteien auf dem sozialen Gebiet gebührend kennzeichnen. Dabei wird sich herausstellen, daß man weder von einem sozialen Fortschritt noch von
sozialer Gerechtigkeit sprechen kann. Wir warten auch noch auf die Novelle zum Bundesversorgungsgesetz, die endlich die Renten an das gestiegene Preisgefüge anpassen soll. Sie ist nach unserer Auffassung überfällig, und ich hoffe, daß der Kollege Arndgen, der ja nach mir spricht, auch diese Frage anschneiden und als Meinung seiner Fraktion zum Ausdruck bringen wird, daß die Bundesregierung dringend ersucht und gehalten wird, endlich dem Bundestag einen diesbezüglichen Gesetzentwurf zu unterbreiten.
Das gleiche trifft für ein Heimkehrerentschädigungsgesetz zu, das für die heimgekehrten Kriegsgefangenen in irgendeiner Form umgehend geregelt werden muß.
Ich will heute in Anbetracht der relativ geringen Zeit, die meiner Fraktion zur Behandlung des Haushalts zur Verfügung steht, im wesentlichen nur auf die beiden Gesetzesvorlagen der Bundesregierung eingehen, da sie bedeutsame sozialpolitische Auswirkungen haben werden. Nach dem Grundgesetz Art. 120 trägt der Bund u. a. auch die Zuschüsse zu den Leistungen der Sozialversicherung und der Arbeitslosenfürsorge. Auf Grund der von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe Drucksachen Nr. 4005 und 4007 soll eine Abwälzung dieser Verpflichtungen auf die Landesversicherungsanstalten, die Angestelltenversicherung und die Knappschaftsversicherung sowie die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung erfolgen. Nur darum dreht es sich bei diesen Gesetzentwürfen, um gar nichts anderes! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kann sich damit keinesfalls einverstanden erklären. Die Anlage von Mitteln der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten ist schon seit Jahrzehnten in den §§ 26 ff. der Reichsversicherungsordnung geregelt. Dort heißt es:
Das Vermögen muß verzinslich und, soweit Anlagemöglichkeit vorhanden ist, auch wertbeständig angelegt werden.
Für die Anlegung dieses Vermögens sind im Gesetz über ein Dutzend Möglichkeiten der verschiedensten Art festgelegt, die ich im einzelnen nicht zu erwähnen brauche.
Es waren die Nazis, die 1938 zum Aufbau ihrer
Wehrmacht den § 27 f in der leider heute noch in
der Reichsversicherungsordnung enthaltenen Fassung festgelegt haben. Diese Fassung lautet:
Die Reichsregierung bestimmt den Betrag, bis zu welchem das Vermögen in den im § 26 Abs. 1 Nr. 1 genannten Forderungen anzulegen ist.
Damit sind insbesondere die Forderungen gemeint, die in das Schuldbuch des Reiches eingetragen sind. Es heißt jetzt allerdings in diesen beiden Gesetzesvorlagen — das will ich zugeben — nicht mehr „Schuldbuch des Reiches" sondern „Bundesschuldbuch". Im Ergebnis ist es dasselbe.
Das gesamte Vermögen der Sozialversicherungsträger ist zweimal vernichtet worden. Es ist bekannt, daß zirka 13 Milliarden in Reichsschatzanweisungen auf Grund des eben angeführten § 27 f, von den Nazis geschaffen und durchgeführt, angelegt werden mußten.
Als wir im Bundestag im Frühjahr oder im Sommer 1951 auf Grund eines Antrags der sozialdemokratischen Fraktion über die Erhöhung der Renten der Rentner, Witwen und Waisen sowohl in der Rentenversicherung der Arbeiter als auch in der Angestelltenversicherung berieten, wurde auch von Ihren Rednern zum Ausdruck gebracht — und es war insbesondere der Kollege Arndgen, der jetzt nach mir Gelegenheit haben wird, es zu bestätigen — daß durch die Vernichtung des Vermögens der Rentenversicherungsträger zirka eine Milliarde an Zinsen und sonstigen Erträgen als laufende Einnahmen verlorengegangen sind. Auf Grund dieses unbestrittenen Sachverhalts wurde im Bundestag im Sommer 1951 eine Rentenerhöhung von durchschnittlich bis zu 25 % beschlossen. Allerdings hat — das will ich hier beiläufig erwähnen — die durchschnittliche Erhöhung für die Arbeiter nur 17 % betragen. Die für diese Erhöhung erforderlichen Mittel wurden damals auf zirka 900 Milionen DM veranschlagt. Sie sollten vom Bund als Ausgleich für den Zinsverlust der Sozialversicherungsträger aufgebracht werden.
Die Bundesregierung hat schon wiederholt versucht, diese ihre Verpflichtungen mehr oder weniger auf die Sozialversicherungsträger der Arbeiter und Angestellten abzuwälzen. Bereits damals hat man den Sozialversicherungsträgern 20 % aufgebürdet, aber nur für ein Jahr. Man hat dann für das Jahr 1952 diese 20 %, d. h. dieses Gesetz, verlängert. Dieser Versuch, der damals im kleinen, mit 20 % beginnend und auf ein Jahr beschränkt, von der Bundesregierung unternommen wurde, um sich von Verpflichtungen zu befreien, die durch das Grundgesetz zwingend vorgeschrieben sind, wird nun mit den beiden Gesetzentwürfen der Bundesregierung wiederholt.
Es wirkt auf alle Arbeiter und Angestellten sowie auf Rentner, Witwen und Waisen mehr als befremdend, daß auf sozialem Gebiet derart einschneidende Gesetzesvorlagen ausgerechnet vom Bundesfinanzminister und nicht vom Bundesarbeitsminister eingebracht werden. Der Herr Bundesarbeitsminister schweigt sich wohlweislich aus. Es ist aber noch nicht so lange her, daß der Herr Bundesarbeitsminister in seiner Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses zum Ausdruck brachte, bei den Rentenversicherungsträgern der Arbeiter und Angestellten sei die Bildung eines Kapitalstocks dringend notwendig. Diese Ansicht wurde auch von Rednern der Regierungsparteien in diesem Hause verschiedentlich geäußert. Damals hat der Herr Bundesarbeitsminister sowenig wie die Damen und Herren von den Regierungsparteien, die sich für die Kapitalstockbildung einsetzten, angedeutet, daß diese Kapitalstockbildung mehr oder weniger im Interesse des Etats der Bundesregierung liegen solle bzw. notwendig sei.
In dem Gesetzentwurf über die Deckung der Rentenzulagen, Drucksache Nr. 4005, heißt es, daß die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten 75 v. H. der Mehraufwendungen, die durch die Rentenzulagen entstanden sind, für die Zeit vom 1. April 1953 bis 31. März 1956 aufzubringen haben. Es heißt weiter, daß, wenn ein Versicherungsträger nicht in der Lage ist, den auf ihn entfallenden Betrag teilweise oder ganz aufzubringen, die ausfallenden Beträge von den anderen Versicherungsträgern nach Maßgabe ihrer Beitragseinnahmen zu tragen sind. Die von den einzelnen Versicherungsträgern aufzubringenden Mittel werden als Schuldbuchforderungen in das Bundesschuldbuch eingetragen. Es sollen Zinsen bis höchstens 5 % gewährt werden. Jedoch ist weder eine
Löschung noch eine Veräußerung oder Belastung der Forderungen zulässig. Eine Tilgung ist in dem Entwurf ebenfalls nicht vorgesehen gewesen. Man ist jetzt lediglich bereit auf Grund der Forderung des Bundesrats —, alle 3 Jahre 1 % Tilgung zuzulassen. Das würde praktisch bedeuten, daß die Hunderte von Millionen der Rentenversicherungsträger und der Arbeitslosenversicherung in zirka 99 Jahren endlich getilgt wären. Die Sozialversicherungsträger werden dadurch verpflichtet, aus den eingehenden Beiträgen jährlich etwa 555 Millionen DM, also für 3 Jahre 1665 Millionen DM der Bundesregierung zur Verfügung zu stellen, wofür sie eine Schuldbuchforderung gegenüber dem Bund erhalten. Damit greift der Bundesfinanzminister die laufenden Betriebsmittel der Sozialversicherungsträger an und nicht, wie behauptet wird, die Kapitalien. Die Beiträge der Versicherten werden also insoweit nicht für die Zwecke der Sozialversicherungsträger verwandt.
Es wird zwar von der Bundesregierung behauptet, daß die derzeitigen Verpflichtungen der Rentenversicherungsträger gewährleistet seien. Dies trifft jedoch höchstens für die Zahlungen der Renten und der Beiträge für die Rentnerkrankenversicherung zu, denn nur für diese Verpflichtungen gilt der Ausgleich gemäß § 6 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes innerhalb der Rentenversicherungsträger der Arbeiter, also der Landesversicherungsanstalten. Es trifft nicht für die Verpflichtungen zu, die im Heilverfahren und in vorbeugenden Maßnahmen ebenfalls bestehen. Diese Verpflichtungen werden durch die beabsichtigten Maßnahmen der Bundesregierung weitestgehend gefährdet. Ein Teil unserer Landesversicherungsanstalten wird nicht in der Lage sein, wenn sie ihre gesetzlichen Verpflichtungen — Zahlungen der Renten und der Krankenkassenversicherung der Rentner — übernehmen wollen, den Betrag, den der Bundesfinanzminister fordert, zu leisten. Es werden nur wenige Landesversicherungsanstalten sein, die auf Grund des Ausgleichssystems die gesamten Mittel allein aufbringen müssen. Die Folge wird sein, daß die Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten die sozialpolitisch wesentlichsten und bedeutsamsten Leistungen — die Vorbeugung und das Heilverfahren — einschränken, unter Umständen mehr oder weniger beseitigen müssen. Die Erhöhung der Leistungen an die Rentner oder ihre Hinterbliebenen aus eigenen Mitteln der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten wird durch die Forderung der Bundesregierung auf absehbare Zeit unmöglich gemacht. Wesentliche Erhöhungen wären aber dringend erforderlich. Jedermann weiß doch, daß zum Beispiel der Steigerungsbetrag von nur 0.7 Prozent in der Angestelltenversicherung und der Grundbetrag von nur 156 DM im Jahr für die Arbeiterversicherung nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen.
— Herr Kollege Wuermeling, Sie haben ja aus der Rede des Bundesfinanzministers entnehmen können, daß nach seiner Aufstellung bei den Rentenversicherungsträgern der Arbeiter und der Angestellten zirka eine Milliarde an Aufkommen vorhanden sein soll. Bitte, es wäre schon wert zu prüfen, wieweit die Rentenversicherungsträger in der
Lage sind, die erforderlichen Mittel zur Erhöhung der Leistungen aufzubringen.
Jedenfalls würde es im Interesse der Rentner und der Aufgaben der Rentenversicherungsträger liegen, wenn die Beiträge für die Leistungen verwendet würden und nicht für zweckfremde Aufgaben aller Art, zum Ausgleich des Etats des Bundes.
Die Behauptung in der Vorlage, daß die Gesamtheit der Träger der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung im Rechnungsjahr 1953 immer noch einen Kassenüberschuß von 414 Millionen habe, ist sehr fraglich. Wir sind der Auffassung, daß die in der Übersicht der Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherungsträger im Rechnungsjahr 1953 angeführten Zahlen korrekturbedürftig sind. Die Voranschläge für die Renten in der Invalidenversicherung erscheinen uns um mindestens 120 Millionen DM und für die Angestelltenversicherung um mindestens 50 Millionen DM zu gering. Ebenso wird die Summe, die für die Beiträge an die Rentnerkrankenversicherung festgesetzt ist, nicht ausreichen. Das gleiche trifft unseres Erachtens auch für das Heilverfahren zu.
Nun hat der Kollege Horn in seinen Ausführungen festgestellt, daß seit Mai 1949 die Durchschnittsrente in der Invalidenversicherung — wenn ich ihn richtig verstanden habe — von 43 DM im Monat auf zirka 79 DM im Monat gestiegen sei. Bitte, ich möchte Sie fragen: von 43 Mark im Monat soll der Rentner und seine Frau leben?
Ich möchte Sie fragen, ob man das als eine besondere Leistung hervorheben kann.
Nun war es möglich, diese Renten durch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz und durch das Zulagengesetz von 1951 auf durchschnittlich 79 DM im Monat zu erhöhen. Wir wissen, daß seit dem Sommer 1949 Preissteigerungen erfolgt sind; aber selbst wenn sie nicht erfolgt wären — und von Ihnen werden sie ja bestritten —, dann bitte, überlegen Sie sich, wie ein Rentner mit seiner Frau mit 79 DM im Monat zurechtkommen soll.
Bemerken darf ich hierzu aber auch, daß die Beiträge in dieser Zeit von 5,6 % des Lohns auf 10% des Lohns erhöht worden sind, daß es also die Arbeiter und Angestellten sind, die die Mittel aufbringen, damit die erhöhten Leistungen an ihre Arbeitskollegen überhaupt gezahlt werden können. Wir sollten, ja müssen ernstlich prüfen, ob es nicht möglich ist, schnellstens — nachdem wir gerade wieder die Durchschnittsleistung gehört haben — zu einer Erhöhung zu kommen.
Wenn nun hier behauptet wird, der Verband der Rentenversicherungsträger stimme der Vorlage der Bundesregierung zu, so möchte ich mit aller Deutlichkeit feststellen, daß der Verband der Rentenversicherungsträger nicht das Recht hat, zuzustimmen.
Der Verband der Rentenversicherungsträger hat nach den gesetzlichen Bestimmungen in erster Linie koordinierende Aufgaben auf dem Gebiet der Verwaltung zwischen den einzelnen Landesversicherungsanstalten durchzuführen. Er soll seine Finger aus der Gesetzgebung und aus der Politik
heraus lassen; denn dafür ist der Bundestag und
nicht irgendeine andere Institution verantwortlich.
Mir ist aber auch bekannt, daß die Organe des Verbandes dieser Vorlage gar nicht zugestimmt haben sollen, sofern man den ständigen Ausschuß dieser Vereinigung als ein Organ — und ich glaube, das sollte man tun — ansprechen kann. Der ständige Ausschuß setzt sich aus den Vertretern der einzelnen Landesversicherungsanstalten, aus Vertretern der Arbeitgeber, der Versicherten und der Herren Präsidenten dieser Anstalten zusammen, und ich habe gehört — inzwischen ist mir das Gegenteil nicht gesagt worden —, daß dieser ständige Ausschuß vor einigen Wochen — das wissen Sie auch, Herr Kollege Arndgen — den Gesetzentwurf abgelehnt hat.
Wie bei den Rentenversicherungsträgern will die Bundesregierung auch bei der Bundesanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung nach dem gleichen Verfahren vorgehen. Die Bundesregierung will 12,5 v. H. des Beitragsaufkommens der Arbeitslosenversicherung an den Verpflichtungen zum Ausgleich für die Leistungen der Arbeitslosenfürsorge abziehen. Dies sind, wie berechnet wurde, 185 Millionen DM, also in drei Jahren 555 Millionen DM. Die Wegnahme von Vermögensteilen der Bundesanstalt widerspricht den gesetzlichen Bestimmungen; denn die Mittel, die durch Beiträge der Versicherten aufgebracht werden, sind zweckgebunden. Sie sind in erster Linie für die Vermittlung von Arbeitnehmern und für die Gewährung von Unterstützungen an Arbeitslose und zur Berufsberatung zu verwenden. Darüber hinaus können die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die für Unterstützungszwecke nicht benötigt werden, für Maßnahmen zur Verhütung oder zur Beendigung der Arbeitslosigkeit verwendet werden. Hierunter fällt auch die Zurverfügungstellung von Mitteln zur Beschaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen, Notstandsarbeiten usw. Ferner hat die Bundesanstalt kraft Gesetzes einen Notstock für die Gewährung der Arbeitslosenunterstützung für drei Monate sicherzustellen. Dies alles ist in der erforderlichen Höhe bei Durchführung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs nicht mehr möglich.
Ebenso ist eine Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung für die Zukunft ausgeschlossen, obwohl jedermann weiß, daß gerade bei den mittleren und höheren Einkommen die Arbeitslosenunterstützung relativ gering ist. Sie beträgt bei den höheren Einkommen, die versicherungspflichtig sind, nur ca. 27 % des zuletzt verdienten Lohnes oder Gehalts und bei der Arbeitslosenfürsorge gar nur ca. 19%. Daß jeder Arbeitslose mit seiner Familie in größte Not geraten muß, wenn er an Stelle seines seitherigen Gehalts, auf Grund dessen er jahrein, jahraus 4 % Beitrag von seinem Lohn gezahlt hat, nur noch ca. ein Viertel bis ein Fünftel an Unterstützung erhält, ist unausbleiblich.
Wenn in der Begründung auf die Aufwendungen für das beabsichtigte Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz Bezug genommen wird, so ist dazu zu sagen, daß dies unbestreitbar Kriegsfolgelasten sind, die vom Bund und nicht von den Trägern der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung aufzubringen sind.
Bei der Beratung des Gesetzes über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung sowie des Gesetzes zur Errichtung der Bundesanstalt haben Regierung und Regierungsparteien immer wieder die Eigenverantwortlichkeit der Selbstverwaltungsorgane betont. Heute müssen wir aber erleben, daß, nachdem kaum die Selbstverwaltungsorgane bei der Bundesanstalt ins Leben gerufen worden sind und bei den Sozialversicherungsträgern in den nächsten Wochen erst die Wahl zu diesen Selbstverwaltungsorganen erfolgen soll, dieselbe Regierung den Selbstverwaltungsorganen ihre vornehmste Aufgabe, nämlich die Beitragsverwaltung und Vermögensanlage, praktisch entzieht. Dagegen verwahren wir uns, die wir für die volle Selbstverwaltung sind, in aller Öffentlichkeit.
Wenn der Herr Finanzminister behauptet, die sozialen Leistungen hätten sich gegenüber 1949 im Jahre 1953 verdoppelt, und wenn dies wirklich den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen sollte, so ist doch zu beachten, daß die Mehreinnahmen sowohl bei der Sozialversicherung wie bei der Arbeitslosenversicherung durch die erhöhten Beiträge entstanden sind und daß dies nur durch die von den Gewerkschaften erkämpften Lohnerhöhungen möglich war und nicht durch Maßnahmen der Bundesregierung. Es waren die Arbeiter und Angestellten, die unser Sozialprodukt bei relativ geringem Realeinkommen und langer Arbeitszeit mitgeschaffen haben. Wie gering die Leistungen an die Sozialrentner und Arbeitslosen, nach ihrer Kaufkraft gemessen, in Wirklichkeit sind, können Ihnen diese am besten selbst sagen, denen nun noch auf Veranlassung der Bundesregierung das verbilligte Konsumbrot genommen wird.
Wir protestieren aber auch ganz entschieden gegen die Verkopplung der Aufhebung der Subvention des Konsumbrots mit den Verpflichtungen der Bundesregierung zur Gewährung von Sozialleistungen und insbesondere von Zuschüssen zu den Rentenversicherungen. Wir können die Verantwortung, daß die Arbeitslosen, die Rentner, Witwen und Waisen weiter hungern, nicht tragen. Wir Sozialdemokraten werden deshalb für eine ausreichende Erhöhung der Renten und Arbeitslosenunterstützung weiterkämpfen.
Die Sozialversicherung und die Arbeitslosenversicherung müssen ihre finanzielle Unabhängigkeit zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben behalten. Sie haben, soweit möglich, bereits Mittel für den sozialen Wohnungsbau und andere Maßnahmen zur Verfügung gestellt. Sie haben also ihre Mittel gemäß den gesetzlichen Vorschriften verwandt und nicht nutzlos vertan. Sie können und dürfen aber nicht zu einer Zwangsanleihe gezwungen werden. Wenn der Herr Kollege Horn hier davon spricht, daß der Bund in Finanznot sei, so weise ich demgegenüber darauf hin, daß wir, wenn wir auf dem einen oder anderen Gebiet Anträge sozialpolitischer Art gestellt haben, schon sehr oft von dieser Stelle aus gehört haben: Die Sozialversicherungsträger sind in Finanznot. Wir haben erlebt, daß daraufhin unsere Anträge abgelehnt wurden. Ich frage Sie: Sollen nun die nach Ihrer Ansicht in Finanznot befindlichen Sozialversicherungsträger dem in Finanznot befindlichen Bund helfen? Wenn der Etat der Bundesregierung nicht ausgeglichen ist, sind andere Maßnahmen als die Heranziehung von Beitragsmitteln der Arbeitslosen- und der Sozialversicherung zu ergreifen. Eine derartige Maßnahme würde eine zusätzliche Belastung der Versicherten als Beitragszahler, also eine indirekte Steuer, bedeuten.
Die Nazis haben den Sozialversicherungen ihre finanzielle Vorsorge für Not und Alter genommen. Der Bundesregierung rufen wir zu: Hände weg von der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung!
Die SPD-Fraktion lehnt die beiden Gesetzentwürfe ab.