Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte zu Beginn meiner Ausführungen ein Wort des Dankes an den Herrn Bundesfinanzminister richten.
— Er ist leider noch nicht da. Ich werde mir erlauben, es nachzuholen.
Wenden wir uns dem Haushalt zu, den der Herr Bundesfinanzminister gestern hier vorgetragen und begründet hat! Hierbei ergeben sich Zahlen, die bereits ins Astronomische gehen und die uns buchstäblich die Augen übergehen lassen.
Waren es von der Ausgabenseite her gesehen im Haushaltsjahr 1950 noch 16,2 Milliarden DM, so waren es im Haushaltsjahr 1951 schon 21, im Haushaltsjahr 1952 23 und jetzt, im Haushaltsjahr 1953, sind es bereits 24,8 Milliarden DM, die Posten des Lastenausgleichs nicht mit inbegriffen. Wenn das so weitergeht, meine sehr verehrten Damen und Herren
— ich habe von der Ausgabenseite gesprochen! -,
wenn das so weitergeht, dann müssen wir uns doch allen Ernstes und voll tiefer Sorge fragen: wohin soll das noch führen?
- Darüber werde ich mich auch noch aussprechen.
Zwar haben Bundesregierung und Bundesrat bei der Einbringung dieser 25-Milliarden-Vorlage überübereinstimmend zum Ausdruck gebracht, daß damit die Grenze der Tragbarkeit all dieser Lasten nicht nur erreicht, sondern bereits überschritten sei. Mit einer solchen Feststellung läßt sich aber meines Erachtens in der Praxis nicht viel anfangen. Insbesondere kann ich damit den Betroffenen selbst, den Steuerzahler, weder beruhigen noch ihn aus seiner Steuernot befreien. Andererseits können wir uns angesichts der zu über 80 % starren Ausgabeblocks ohne weiteres ausrechnen, daß wir auf der Ausgabenseite Senkungen größeren Umfangs — augenblicklich jedenfalls — durch einfache Streichungsoperationen nicht vornehmen können. Wir stehen also vor einem echten Dilemma. Zwar erkennen wir, daß die Ausgabenseite vorerst nicht — zumindest nicht wesentlich — zu senken ist; wir sehen aber andererseits, daß Steuerdruck und Steuerlast auf die Dauer einfach zu hoch und untragbar sind und zu schweren wirtschaftlichen Auswirkungen führen müssen.
Gerade diese Erkenntnis, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß aber zwangsläufig in uns die Frage aufwerfen, ob unsere althergebrachten Auffassungen und Grundsätze der Besteuerung noch in diese Zeit hineinpassen, ob wir dieses Dilemma überhaupt damit lösen können oder ob es nicht vielmehr so ist, daß wir durch die ständig steigende Anwendung dieser Steuergrundsätze das Dilemma nur noch vergrößern. So denken und operieren wir z. B. heute noch in den bereits vor Jahrzehnten gebildeten Begriffsinhalten von direkter und indirekter Steuer, obwohl sich doch in der Zwischenzeit die wirtschaftlichen, die sozialen und die steuerlichen Verhältnisse grundlegend geändert haben. Ähnliches gilt für den Grundsatz des jährlichen Haushaltsausgleichs. Zu einer Zeit, zu der der Steueranteil 5, 10 oder sogar 15 % des Sozialprodukts ausmachte, mögen diese steuerlichen Grundsätze noch gerechtfertigt gewesen sein. Heute aber stehen wir vor der unumstößlichen Tatsache, daß die steuerliche Belastung unseres Sozialprodukts bereits die 30-Prozent-Grenze, einschließlich der Sozialbelastungen sogar die 37-ProzentGrenze überschritten hat. Die steuerlichen Belastungen sind damit so stark immanente Bestandteile unserer Wirtschaft geworden, daß Steuern und Finanzpolitik sich von unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik einfach nicht mehr trennen lassen. Die Steuer- und Finanzpolitik kann daher nur noch im Blickpunkt wirtschaftlicher Dynamik erörtert werden und bestehen. Deshalb wäre es mehr als verhängnisvoll — ich spreche das von diesem Platze nicht zum erstenmal aus —, wenn wir nun umgekehrt mit Steuern und Steuerparagraphen unsere Wirtschaft steuern wollten bzw. gar müßten.
Beide Bereiche, Steuerpolitik und Wirtschaftspolitik, gehören — eben bedingt durch das hohe Steuersoll — zusammen. Primär aber muß die Wirtschaftspolitik sein, und demgemäß müssen wir prüfen, ob unsere Grundsätze und Auffassungen über unsere Steuern und über unseren Haushaltsausgleich diesen wirtschaftspolitischen Gesetzen und Erfordernissen noch Rechnung tragen. Rein fiskalische Überlegungen haben keinen Platz mehr; denn es bedarf keines Propheten, um vorauszusehen und vorauszusagen, daß die beste fiskalische Steuer- und Haushaltspolitik scheitert und scheitern muß, wenn die Wirtschaft infolge des Steuerdrucks und infolge der Steuerschraube ihre Dynamik verliert und damit langsam aber sicher den Weg nach abwärts antritt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Erkenntnisse sind für viele von Ihnen nicht neu. Sie haben ihren Niederschlag in der immer wieder erhobenen Forderung nach der großen Steuerreform bzw. der organischen Steuerreform gefunden, wobei doch mit dem Wort „organisch" sinngemäß nur verstanden werden kann, daß die jeweilige steuerliche Belastung die gesunden dynamischen Tendenzen in der Wirtschaft nicht in schädlicher Weise behindert, vor allen Dingen aber nicht unterbindet.
Der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung konnten sich zu einer solchen Steuerreform bisher angeblich deshalb nicht entschließen, weil ihre Einführung am Anfang mit einem zu großen Steuerausfall verbunden wäre und der Staat und seine Kassen nicht über die Reserven verfügten, um diese Lücke auszufüllen. Die nunmehr vom Herrn
Bundesfinanzminister selbst gemachten steuerlichen Reformvorschläge präsentieren sich als sogenannte kleine Steuerreform. Im Ausgangspunkt gehen wir damit einig. Die Steuern sind zu hoch und erfordern daher einen entsprechenden Abbau. Nicht erfreulich ist nur, daß dieser Abbau sich wiederum in alten Gleisen bewegen soll, viele Wünsche offen läßt und insbesondere eine so berechtigte Forderung nicht berücksichtigt wie die nach einer wirklich echten steuerlichen Entlastung der kinderreichen Familien auch in den mittleren und höheren Einkommen, eine Forderung, auf deren Verwirklichung meine Parteifreunde in keiner Weise verzichten können.
Vor lauter Steuern stehen wir — insbesondere auch die Finanzverwaltung — in der Gefahr, die Steuern und das Steuerzahlen zum Selbstzweck zu erheben, als ob wir überhaupt nur noch für das Steuerzahlen zu arbeiten hätten und als ob wir nur noch in dem Aufbringen des Steuersolls unsere Existenzberechtigung hätten. Ich weiß, daß ich damit etwas überspitzt formuliere, aber ich tue es bewußt; denn es erscheint mir notwendig, doch mit aller Deutlichkeit wieder einmal herauszustellen, daß primär die Erträgnisse unserer Arbeit und unseres täglichen Schaffens der Erhaltung und Hebung unseres Lebensstandards dienen und dienen müssen und sekundär erst dem Steuerzahlen. Wer umgekehrt denkt und handeln will, der sägt nicht nur den Ast, der sägt den Baum ab, der diese steuerlichen Früchte tragen soll.
Eines der Hauptprobleme, das im Zusammenhang damit, ob unsere bisherige steuerliche Betrachtungsweise noch richtig ist, angesprochen werden muß, ist vor allem das Problem der direkten und indirekten Steuern, insbesondere ihrer jeweiligen tariflichen Ausgestaltung, ihres gegenseitigen Verhältnisses und ihrer gegenseitigen Gewichtsverlagerung im Rahmen der Gesamtbesteuerung.
Wenden wir uns zunächst der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu als der sogenannten klassischen direkten Steuer, so müssen wir die betrübliche Feststellung machen, daß sie allein in ihrer heutigen tariflichen Ausgestaltung nach drei Richtungen hin schwere wirtschaftsschädliche Auswirkungen zwangsläufig im Gefolge hat. Diese wirtschaftsschädlichen Faktoren sind die unverantwortlich hohe Steuerprogression, der hohe Körperschaftsteuersatz und die Doppelbesteuerung der Aktie. Der Grundsatz, der schon früh bei der Einkommensteuer galt: „Wer mehr verdient, der soll und kann auch mehr Steuern zahlen", ist so lange nicht zu beanstanden, solange die Steuerbelastung und die Steuermehrbelastung das normale Maß des Tragbaren nicht übersteigen, d. h. solange diese Mehrsteuer nicht Progressionssätze erklimmt, die — ob wir es wahrhaben wollen oder nicht — sich leistungshemmend auf der einen Seite und kostensteigernd in der gewerblichen Wirtschaft auf der andern Seite auswirken. Wir alle kennen Beispiele dieser schädlichen Erscheinungen.
Halten wir in diesem Zusammenhang einmal Umschau nach den eigentlichen wirtschaftlichen Kraftquellen unseres Volkes und unserer Volkswirtschaft, so muß sich doch unschwer die Erkenntnis aufdrängen, daß Arbeitskraft und Leistungswille unser größtes nationales Gut darstellen.
Wenn wir uns vom völligen Niederbruch innerhalb dieser kurzen Zeitspanne und in diesem Ausmaß wieder erholen konnten, so doch nur deshalb, weil wir uns im wahrsten Sinne des Wortes heraufgearbeitet und heraufgeschuftet haben.
Unter wirtschaftlichem Aspekt ,gesehen stellen also die Arbeitskraft und der Leistungswille unsere wertvollste und größte Rohstoffreserve dar, über die wir als Volk verfügen. Nach allgemein anerkannten und auch bei uns sonst geltenden steuerlichen Gesichtspunkten wird nun kein Rohstoff materieller Art steuerlich vorbelastet, und zwar deshalb nicht, weil jedermann weiß, daß man sich damit wirtschaftlich ins eigene Fleisch schneidet.
Bei unserm größten nationalen Gute, unserer Arbeitskraft und unserm Leistungswillen, dagegen glaubt man, nicht nur besteuern, sondern selbstverständlich progressiv besteuern zu müssen, möglichst bis hinauf zur letzten Spitze. Wir fühlen dabei noch nicht einmal, daß wir uns damit zu unserer wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Konzeption in Gegensatz setzen, nämlich den bereits im Grundgesetz in Art. 2 und Art. 6 verankerten Forderungen: Entfaltung der Persönlichkeit, Schutz und Sicherung der Familie.
Auch ich bin für eine Progression in der Steuer, aber primär für eine Progression beim Verbrauch, also auf der Konsumseite; denn es ist selbstverständlich wirtschaftlich und sozial durchaus in Ordnung, steuerlich den Grundsatz aufzustellen: je höher die Ansprüche an das Leben und seine Konsumgüter, desto höher kann und soll, wenn notwendig, auch die Besteuerung sein. Wirtschaftlich rückschrittlich und arbeitspsychologisch falsch aber ist es, die Steuerprogression, wie wir es tun, an die Arbeitskraft und den Leistungswillen anzusetzen statt, wie gesagt, an den Konsum. Dies ist um so unverständlicher und auch um so unvernünftiger, als wir alle wissen, daß wir unsern Lebensstandard nur durch zusätzliche Exporte halten und verbessern können, und diese wiederum sind nur auf der Grundlage der Arbeit und der Mehrleistung möglich.
Darum kann es in diesem Zusammenhang nur eine Forderung geben: weg mit dieser wirtschaftsschädlichen und leistungshemmenden überhöhten Progression!
Der zweite wirtschaftsschädliche Faktor liegt in der Tatsache, daß diese überhöhten direkten Steuersätze dazu führen, in der gewerblichen Wirtschaft zu einem echten Kostenfaktor zu werden. Wer das übersehen oder gar bestreiten will, schließt die Augen vor der Wirklichkeit. In jedem Verkaufspreis haben sich daher im Hinblick auf diese überhöhten Steuersätze Teile der direkten Steuern niedergeschlagen; sie müssen sich daher im Endpreis auswirken. Auch für die direkten Steuern gilt deshalb der Satz: je höher diese steuerliche Belastung, desto höher der Preis des Sozialprodukts. Denn so, wie es eine Lohn-Preis-Spirale gibt, deren schädliche Auswirkungen wir ja alle am eigenen Leibe erfahren haben, so gibt es, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht, auch eine Steuer-PreisSpirale, und auf der Strecke dieser Steuer-Preis-
Spirale bleiben gerade diejenigen, derentwegen wir diese hohen Steuern angeblich erheben müssen.
So bedingt z. B. die Körperschaftsteuer mit ihrem heutigen Satz von 60 % zwangsläufig eine steuerliche Gewinnkalkulation von durchschnittlich über 25 %, wenn man auch nur eine bescheidene Verzinsung von 3 bis 4 % des haftenden Kapitals im Durchschnitt erwirtschaften will. Deshalb kann es nicht eindringlich genug ausgesprochen werden: Die überhohen direkten Steuersätze von heute sind zu einem Kostenfaktor geworden, führen daher zwangsläufig zu einer Erhöhung des Preisniveaus und haben damit unmittelbar schädliche sozialpolitische Auswirkungen.
Der dritte wirtschaftsschädliche und damit in seinem Ende auch steuerschädliche Faktor liegt in dem System der Doppelbesteuerung. Wir leisten uns damit einen wirtschaftlichen und einen steuerpolitischen Unsinn, der bei realer Betrachtungsweise einfach nicht mehr übertroffen werden kann.
Alles zu seiner Zeit! Als man die Doppelbesteuerung in unser Steuersystem einführte, hatte man auf der einen Seite einen voll funktionierenden und so gut wie stets aus dem Überangebot lebenden Kapitalmarkt; man begnügte sich andererseits mit einem Körperschaftsteuersatz von 10 bis 20 %. Heute haben wir, wenn überhaupt, so nur einen sehr, sehr beschränkten Kapitalmarkt und einen Körperschaftsteuersatz von 60 %. Die wirtschaftlichen und steuerlichen Voraussetzungen für die Doppelbesteuerung haben sich daher heute offensichtlich in ihr vollstes Gegenteil verkehrt. Trotzdem glauben wir in geradezu sturer Weise daran festhalten zu müssen. Wir tun dies, obwohl wir wissen, daß die Wirtschaft unseres eigenen Landes so gut wie die Wirtschaft jedes anderen Landes im internationalen Wirtschaftsgeschehen und in der internationalen Konkurrenz nur bestehen kann durch ständigen Ausbau der Investierungen, mit anderen Worten: durch ständige Verbreiterung der Kapitalgrundlage. Dieser Grundsatz gilt völlig unabhängig von der Art des Wirtschaftssystems. Er gilt, ob man sein Wirtschaftsleben nach den Grundsätzen der freien Wirtschaft, nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft, nach den Grundsätzen der sozialistischen Wirtschaft oder nach denen der Wirtschaftsdiktatur gestaltet.
Wir brauchen, um die Richtigkeit dieser Anschauung zu erkennen, unsern Blick nur nach dem Osten, nach Rußland und seinen Satellitenstaaten zu wenden. Dort sehen wir, welche übermenschliche Anstrengungen gemacht werden, um auf Kosten selbst des notwendigen Lebenskonsums die Kapitalgrundlage zu verbreitern, zu forcieren und zu stärken. Wir aber leisten uns nach wie vor die bedauerliche Unverantwortlichkeit, alle diejenigen doppelt zu besteuern, die ihr Geld als haftendes Kapital für dieses wesentliche Lebenselement unserer Wirtschaft, nämlich für die Stärkung und den Ausbau des Produktionsapparates und damit zur Erhaltung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Wir bilden uns darüber hinaus sogar noch ein, daß sich trotz dieses Steuersystems noch Ausländer finden, die ihr Geld bei uns anlegen. Man weiß wirklich nicht: soll man mehr die Kurzsichtigkeit oder mehr den Illusionismus bewundern, der sich in dieser Einstellung und Denkweise äußert? Wenn wir die Aktie als Mittel zur Beschaffung haftenden Kapitals und damit als
Mittel individueller Eigentumsbeteiligung an unserer Wirtschaft noch nicht hätten, so müßte die Schaffung der Aktie die sozialpolitische Forderung von heute erster Ordnung sein. Denn außer durch die Schaffung von Wohnungseigentum kann der Forderung: „Schafft individuelles Eigentum!" durch nichts besser gedient werden als durch die Förderung des Aktiengedankens. In einem Zeitalter, in dem wir, und zwar wir alle, zum Kampf gegen den Kollektivismus aufgerufen sind, geht es nicht an, mittels Steuergeldern über staatliche Investierungen kollektives Eigentum zu schaffen. Das hieße den Teufel mit dem Beelzebub austreiben!
Es gilt vielmehr, durch das Instrument der Aktie, insbesondere der Kleinaktie, über Privatinvestierungen die individuelle Möglichkeit zu schaffen, jedem einzelnen, der sparen will, zum Erwerb industriellen Eigentums zu verhelfen.
Niemand in diesem Hause, der auf dem Boden des Grundgesetzes steht und dem damit der Mensch und die Familie höher stehen als der Staat, kann sich dieser sozialpolitischen Forderung nach Schaffung von individuellem Eigentum an unserem industriellen Produktionsapparat widersetzen. Solange wir aber die Doppelbesteuerung aufrechterhalten, schlagen wir dieser sozialpolitischen Forderung ins Gesicht. Die Doppelbesteuerung muß fallen, damit der Weg auch für den kleinsten Sparer frei wird, sich über die Kleinaktie an dem industriellen Produktionsapparat individuell zu beteiligen. Ich hoffe, im Namen meiner Parteifreunde in allernächster Zeit dem Hohen Haus einen Gesetzentwurf vorlegen zu können, der diesem Gedanken über das Instrument der Investment-Gesellschaften zur Verwirklichung verhilft.
Schließlich noch ein Wort zu dem im Grundgesetz verankerten Grundsatz des jährlichen Haushaltsausgleichs. Auch dieser Grundsatz entspricht reinstem fiskalischem Denken und muß im Hinblick auf die starke innere Verflechtung und die zur Zeit gegebene gegenseitige Abhängigkeit von wirtschaftlichem und steuerlichem Geschehen als überholt und damit zumindest bedingt als wirtschaftsschädlich und steuerschädlich bezeichnet werden.
Ich will einige im Zusammenhang damit stehende Symptome aufgreifen und ansprechen, und zwar handelt es sich um das Problem der Kassenfülle der aus öffentlichen, d. h. aus Steuermitteln unmittelbar oder mittelbar gespeisten Kassen. Niemand kann die Tatsache dieser übermäßigen und unnatürlichen Kassenfülle bestreiten,
Beträge, die zusammengenommen die Milliardengrenze überschreiten. Allein bei der Lastenausgleichskasse liegen zur Zeit — wie gestern oder vorgestern in der Presse zu lesen war — über 500 Millionen DM, die auf Auszahlung oder auf Abruf warten.
Meine Damen und Herren, Überfluß ist der Feind der Sparsamkeit und trägt die Gefahr mißbräuchlicher Verwendung in sich!
So ist der mit Recht gegeißelte Mißbrauch der 7c-Gelder ja nicht ein Mißbrauch des Steuerzahlers, sondern ist ein Mißbrauch derjenigen, deren Kassen von öffentlichen Mitteln überquellen und die darauf spekulieren, daß dieser Zufluß an öffentlichen Mitteln auch weiterhin in gleichem Maße anhält.
Denn nur die ungewöhnliche Kassenfülle konnte gewisse Institute überhaupt erst in die Lage versetzen, der Wirtschaft, wie geschehen, solche Angebote zu machen.
Wenn schon Kassenkredite, dann ist es meines Erachtens volkswirtschaftlich besser, daß die Kassen der öffentlichen Hand auf Kredit angewiesen sind und nicht, wie vielfach umgekehrt, die der Wirtschaft.
Eine im richtigen Ausmaß festgelegte öffentliche Kassenkreditpolitik birgt keinerlei Währungsgefährdung in sich. Sie zwingt nur den Staat und seine Organe zur Sparsamkeit und verhindert zugleich, daß mit Steuergeldern mißbräuchliche Finanz- und Kreditgeschäfte gemacht werden,
während andererseits die Liquidität unserer Wirtschaft vor lauter Steuerzahlen in echte Not kommt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, wenn ich im Zuge meiner Ausführungen den Akzent so stark immer wieder auf das Wirtschaftspolitische abgestellt habe; aber nur eine gesunde Wirtschaft kann die Steuer tragen, und nur eine gesunde Wirtschaft erlaubt uns, die sozialen Aufgaben, denen wir uns gegenübergestellt sehen, erfolgreich und auf die Dauer zu lösen.
Die vom Bundesfinanzminister gemachten Reformvorschläge sind zweifellos geeignet, in gewissem Maße Abhilfe zu schaffen. Wir begrüßen sie daher als Ganzes, wenn auch im einzelnen, und zwar insbesondere, wie bereits erwähnt, in bezug auf die Besteuerung der Familie, das letzte Wort noch nicht gesprochen sein darf.
Wir sehen in diesen Reformvorschlägen allerdings noch nicht die Beschreitung eines neuen Weges, sondern nur die Umkehr von dem falschen Wege der überhöhten Steuerprogression, der überhöhten Steuersätze mit dem zwangsläufigen Gestrüpp der Steuervergünstigungen. Der neue Weg kann nur in Richtung der organischen Steuerreform gehen. Die Wegsteine hierbei müssen sein: radikaler Abbau der bisherigen Steuerprogression, Senkung der Sätze der übrigen direkten Steuern auf ein Maß, das ausschließt, daß sie zu Kostenfaktoren werden und damit zu Preiserhöhungen führen, Beseitigung der Doppelbesteuerung und damit Begünstigung der Kleinaktie, um jedem Schaffenden die Möglichkeit zum Erwerb industriellen Eigentums zu geben, stärkere Gewichtsverlagerung von der direkten zur indirekten Steuer, um dadurch die Einkommensbezieher bis hinauf zu 5000 und 6000 DM von der Einkommensteuer freizustellen, dadurch Steuervereinfachung und wesentliche Entlastung der Finanzverwaltung.
Lassen Sie mich diesen Teil meiner Ausführungen damit schließen: Die unabwendbare soziale
Verpflichtung, auch in den nächsten Jahren weiterhin hohe Ausgaben über die Steuer zu decken, verlangt von allen, die diesem Hohen Hause angehören, für den Bereich der Steuern Einsicht, Mut und Verantwortung zu neuen Wegen und zum Verlassen alter und heute falschgewordener Geleise im Interesse des Zieles, dem unsere gesamte politische Arbeit geweiht ist, nämlich des sozialen Erfolges.
Herr Bundesfinanzminister, ich habe zu Beginn meiner Ausführungen bereits den Wunsch ausgesprochen, Ihnen ein Wort des Dankes sagen zu dürfen.
— Sie hätten mich ja darauf aufmerksam machen können, daß der Herr Minister kommt. Dann hätte ich es früher gemacht. — Herr Minister Schäffer, Sie kennen ja Schillers Wort aus Wallensteins Lager: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze!"
Was Anerkennung und Ruhm betrifft, so sind die Finanzminister noch schlechter gestellt; denn im allgemeinen flicht ihnen nicht nur die Nachwelt, sondern bereits die Mitwelt keine Kränze. Aber keine Regel ohne Ausnahme. So darf ich mich denn zum Sprecher dieser Ausnahme machen und darf Ihnen im Namen meiner Parteifreunde und zweifellos auch im Namen vieler meiner Kollegen hier in diesem Hohen Hause und vielleicht auch im Namen weiter Kreise unseres Volkes aufrichtigen und herzlichen Dank für die geradezu übermenschliche Arbeit sagen, die Sie seit Beginn unserer verantwortungsvollen Tätigkeit im Jahre 1949 hier im Rahmen der jeweiligen Sicherstellung des Haushalts so vorbildlich und unverdrossen geleistet haben.
Es hat sich hierbei für Sie im wahrsten Sinne des Wortes um eine Steinbrucharbeit gehandelt. Sie selbst haben diese Aufgabe schon frühzeitig — um ein Bild aus der Alpenwelt zu gebrauchen— als Gratwanderung bezeichnet. Auch gestern benutzten Sie bei der Schilderung Ihrer Aufgabe wieder diesen Ausdruck. Um bei diesem Bild zu bleiben: wir haben feststellen können, Sie sind ein wirklich tüchtiger, schwindelfreier
und vor allem ausdauernder Gratwanderer.
Unabhängig daher, Herr Minister, von all der kritischen Stellungnahme und der Kritik, die Sie im Verlaufe der weiteren Haushaltsdebatte hier hören, nehmen Sie dieses Wort des Dankes entgegen. Es ist im Namen all derer, für die ich sprechen darf, ein Wort des Dankes, das aus dem Herzen kommt.