Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Sie .haben die Erklärung der Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Eine Besprechung findet nur statt, wenn sie von dreißig Abgeordneten gefordert wird.
— Das ist nicht der Fall, da Sie nur 14 stellen.
Damit ist diese Erklärung der Bundesregierung abgeschlossen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und, falls eine Aussprache gewünscht wird, eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete
Erler.
Erler , Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abgesehen vom Haushaltsplan und von der Beratung der Verträge ist es heute das erste Mal, daß wir uns mit der Dienststelle des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen befassen. Die Dienststelle hatte ursprünglich eine andere Aufgabe, als sie sie jetzt wahrnimmt. Sie hatte nicht nur die Aufgabe, die sich aus ihrem Namen ergibt, sich mit den Fragen, die im Zusammenhang mit der Vermehrung der alliierten Truppen stehen, zu befassen, sondern sie hatte darüber hinaus, wie wir alle wußten, die Probleme der Sicherheit Deutschlands auch analytisch zu untersuchen und Unterlagen für die Verhandlungen der Bundesregierung mit den Alliierten auf der internationalen Ebene in Deutschland zu erarbeiten.
Über diesen Aufgabenkreis ist die Dienststelle inzwischen weit hinausgegangen. Sie ist personell sehr stark ausgebaut worden. Im Haushaltsausschuß sind die dazu benötigten Stellen gegen unseren Widerstand beschlossen worden. Das Parlament als Ganzes hat sich nie mit den Aufgaben und der Organisation dieser Dienststelle befassen können. Wir sind der Meinung, daß Fragen von so großer politischer Bedeutung nicht allein im Haushaltsausschuß beraten und entschieden werden können, sondern daß sich das Parlament als Ganzes damit befassen und dazu seinen Spruch geben muß.
Die Haushaltsgestaltung der Dienststelle läßt sehr zu wünschen übrig; sie ist alles andere denn übersichtlich. Aus einem ziemlich großen zusammenhängenden Topf werden eine ganze Reihe von Bediensteten bezahlt, ohne daß die Kopfzahl aus sorgfältigen Stellenplänen für Beamte und Angestellte zu ersehen ist, weil eben aus einem Fonds, aus Sachverständigen- und ähnlichen Titeln Ausgaben auch für Personal geleistet werden. Derartige Globalsummen geben dem Parlament keine genaue Übersicht über den vorhandenen Personalbestand, erst recht nicht über die Organisation der Dienststelle und. vor allem nicht über die Aufgaben und über den Geist, in dem sie ihren Aufgaben nachgeht.
Das sind die Gründe, die uns zu unseren Fragen, wie wir sie in der Drucksache Nr. 3859 formuliert haben, veranlassen.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Auf welche Rechtsgrundlage wird die Erweiterung der Tätigkeit der Dienststelle des Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen gestützt?
2. Warum wird das Parlament nicht von den politisch wichtigen Vorhaben der Dienststelle unterrichtet, bevor ihr Leiter Erklärungen im Rundfunk und vor Pressevertretern zu diesen Fragen abgibt?
3. Billigt die Bundesregierung diese Art der Unterrichtung der Öffentlichkeit unter Ausschaltung des Bundestages?
4. Wann wird die Bundesregierung den Bundestag über Organisation und Tätigkeit der Dienststelle unterrichten?
Der Herr Beauftragte des Bundeskanzlers hat sich zu verschiedenen Malen vor einer großen Öffentlichkeit über die hier angeschnittenen Fragen geäußert. Ich erinnere nur an seine Ausführungen im Nordwestdeutschen Rundfunk am 9. November des vergangenen Jahres und an andere Darlegungen zum gleichen Thema vor der Bundespressekonferenz. Er hat sich zu beiden Malen, wie es vor allem in der Rundfunksendung hieß, über ,,Planungen und Vorbereitungen" geäußert. Den dort vorgetragenen Einzelheiten war zu entnehmen, daß es sich dabei um die Zahl und das Personal etwaiger deutscher Streitkräfte handeln würde, um die materiellen Voraussetzungen, die für die Aufstellung zu erfüllen wären, um den Inhalt eines Freiwilligengesetzes, um Fragen der Militärgerichtsbarkeit, der Dienststrafordnung, des Dienstbetriebes und eines inneren Gefüges etwaiger deutscher Kontingente. Gerade zu dem letzten Fragenkreis beabsichtigt nach seinen Erklärungen die Bundesregierung einen Beirat zu berufen. Es ist interessant, daß dieser Beirat aus Vertretern der Kirchen, der Jugendverbände und der Gewerkschaften bestehen soll. Weiter ist die Mitteilung in dieser Rundfunksendung interessant, daß Gespräche mit diesen Kreisen über die Fragen des inneren Gefüges schon stattgefunden hätten. Merkwürdigerweise hat sich der Herr Beauftragte darüber ausgeschwiegen, wie er sich in einem solchen Beirat die Rolle der politischen Kräfte vorstellt, die Rolle der Parteien und vor allen Dingen die Rolle dieses Hohen Hauses, des Parlaments, das doch letzten Endes an diesen Fragen nicht einfach vorbeigehen kann,
dem man die Diskussion von Fragen, die die ganze deutsche Öffentlichkeit bewegen, doch nicht dadurch entziehen kann, daß man die Dinge im Rundfunk vorträgt.
Es ist weiter die Rede von einem Persanalausschuß von 12 bis 15 Personen, die das Vertrauen der Öffentlichkeit genießen müßten. Dieser Personalausschuß soll sich mit der personellen Auswahl der im Anfang benötigten Offiziere befassen und Grundsätze über Auswahl und spätere Annahmevorschriften für das Personal erarbeiten.
Nicht behandelt wurde die Frage, wie dieser Personalausschuß eigentlich zustande kommt. Das ist auch eine Frage, die den Bundestag als Ganzes interessiert; sonst werden hier von der Exekutive Gleise gelegt, bevor das Parlament die Möglichkeit hatte, sich rechtzeitig mit diesen Dingen zu befassen.
Der Bundestag kann es nicht hinnehmen, daß auf diesen lebenswichtigen Gebieten vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor er als politische Vertretung des Volkes in die Diskussion eingeschaltet worden ist.
Die Dienststelle soll Weisungen vorbereiten, die später erlassen werden. Dabei ist die Frage ungeklärt, wer diese Weisungen zu erlassen hätte. Wahrscheinlich wird es sich um das Kommissariat der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft handeln, so daß überhaupt keine Diskussion derartiger Weisungen in einem Parlament mehr möglich wäre, weder auf der nationalen noch auf der internationalen Ebene. Denn das Kommissariat ist für diese Dinge allein entscheidungsbefugt, wenn es je zustande kommt, und keinerlei vorheriger Zustimmung parlamentarischer Körperschaften unterworfen.
Derartige Grundfragen müssen im Parlament zur Aussprache gestellt werden, bevor sie durch den Rundfunk an das Volk gebracht werden.
Ich möchte noch darauf hinweisen — auch wenn offenbar die Herren auf der rechten Seite des Hauses schon jedes Interesse an diesen Fragen verloren haben, weil sie doch nicht mehr mit der Ratifizierung der Verträge rechnen; damit haben sie wahrscheinlich recht —,
daß es uns etwas merkwürdig berührt, wenn der Beauftragte davon spricht, daß er zwischen akuten und noch nicht akuten Fragen unterscheiden wolle. Zu den nicht akuten Fragen rechnet er das Wehrpflichtgesetz und die Regelung der Kriegsdienstverweigerung. Die anderen Fragen, die er in seinem Interview behandelt hat, hält er also für akut. Warum eigentlich? Politisch ist noch nichts entschieden.
Hier stellt sich für uns jetzt noch eine völlig andere Frage: Was tut der zu einem beträchtlichen Personalbestand angeschwollene Interimsausschuß in Paris eigentlich zur gegenwärtigen Zeit?
Der kann doch nicht weiterarbeiten, als habe sich in der politischen Wirklichkeit nichts verändert! Dort werden unentwegt technisch europäische Entwürfe für die künftige Heeresorganisationen und ihre Arbeit weiter erarbeitet, zu denen die nationalen Parlamente in einem späteren Zeitpunkt nur ja oder nein zu sagen hätten, zu denen es keinerlei parlamentarische Debatte mehr geben möchte, obwohl wir genau wissen, daß all diese Arbeit in der heutigen politischen Situation nur dann einen Sinn hätte, wenn einige völlig offen gewordene politische Fragen vorab geklärt werden.
Ich möchte also an die Bundesregierung die Aufforderung richten, den Interimsausschuß in Paris schon aus Gründen, die der deutsche Steuerzahler zu respektieren weiß, möglichst beschleunigt auf den sachlich gebotenen Umfang zurückzuschneiden. Ein derartiger Apparat ist im Augenblick völlig überflüssig. Eine fachliche Weiterarbeit ist so lange sinnlos, wie das politische Schicksal der Verträge ungeklärt ist.
Nun noch ein Weiteres. Jedem Ministerium der Regierung stehen bestimmte Bundestagsausschüsse gegenüber. Ein solches Verhältnis der Exekutive zum Parlament muß es auch für den Beauftragten des Bundeskanzlers in diesen Fragen geben. Er muß die Möglichkeit haben, Rechenschaft und Aufschluß über seine Tätigkeit an das Parlament zu geben. Wir brauchen einen Ausschuß dieses Hauses, der sich mit diesen Fragen ernst, sorgfältig und gewissenhaft befaßt. Ich möchte klarstellen: uns ist nicht an einem Vorgriff auf die Verträge gelegen,
es kommt uns nicht darauf an, einen Wehrausschuß zu schaffen; aber erforderlich ist es, daß eine Dienststelle, die es gibt und die eine bestimmte Tätigkeit entfaltet, deren Ausweitung gegen unseren Widerstand beschlossen wurde, sich einer echten parlamentarischen Kontrolle stellt.
Deshalb möchte ich in Folgerung unserer Großen Anfrage dem Hohen Hause folgenden Antrag unterbreiten:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird beauftragt, dem bisher mit der Mitberatung des EVG-Vertrages betrauten Ausschuß des Bundestages laufend über die Tätigkeit der Dienststelle des Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammen- hängenden Fragen zu berichten.
Ich bitte Sie, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. Herr Präsident, ich überreiche Ihnen den Antrag.
Die Dinge haben einen Stand erreicht, der es dem Bundestag zur Pflicht macht, sich mit den Fragen zu befassen, welche die Tätigkeit der Dienststelle aufwirft. Sie dürfen nicht unkontrolliert allein der Exekutive überlassen bleiben. Das Parlament hat die Pflicht, sich dieser Fragen anzunehmen.