Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine schmerzliche Notwendigkeit, aber es ist nichtsdestoweniger eine Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses in gewissen Zeitabständen mit den Berliner Problemen zu beschäftigen. Wir haben von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister eine eindrucksvolle Reihe von Angaben und Ziffern gehört, die uns die Gewißheit verschaffen, daß es mit Berlin nicht abwärts, sondern aufwärts geht. Man könnte diese eindrucksvolle Reihe noch mit zahlreichen anderen Angaben in der gleichen Richtung ergänzen.
Aber dieses Bild wäre nicht vollständig, wenn wir uns nicht zugleich bewußt werden wollten, daß es auch eine Reihe von düsteren und weniger erfreulichen Zügen und Einzelheiten darin gibt. Nach wie vor ist die Situation Berlins dadurch gekennzeichnet, daß ein Viertel aller erwerbsfähigen Personen ohne regelmäßige Beschäftigung ist. Dieser Anteil wäre noch viel größer, wenn wir die sehr erhebliche Ziffer der arbeitsuchenden Flüchtlinge einbeziehen wollten, die sich, ohne anerkannt zu sein, also ohne Berliner Bürger geworden zu sein, in Berlin aufhalten und deren Zahl wahrscheinlich weit über 100 000 beträgt. Nach wie vor — es ist vielleicht schwer, sich das vorzustellen, aber es ist ganz gut, daß unsere westdeutschen Freunde das immer wieder hören — wird die Lage Berlins dadurch gekennzeichnet, daß nur etwa die Hälfte —ich wiederhole: die Hälfte — des Berliner Lebensbedarfs, soweit er von außen bezogen werden muß, aus eigener Kraft bezahlt werden kann. Von den drei Milliarden DM, die Berlin in diesem Jahr ausgeben muß, um seine Nahrung, seine Rohstoffe usw. zu bezahlen, vermag es aus eigener Kraft nur eineinhalb Milliarden DM aufzubringen. Nach wie vor ist die äußere Situation unserer Stadt ernst und bedroht. Ja, wenn wir ehrlich sein wollen, hat sich in jüngster Zeit eine gewisse weitere Verschärfung und Verschlechterung eingestellt. Allein diese Tatsache rechtfertigt es, daß wir uns heute damit beschäftigen. Wir halten deshalb den Antrag unserer sozialdemokratischen Kollegen zu diesem Punkt für verdienstvoll und sind bereit, uns ihm sachlich anzuschließen und seine sachliche Beratung im Berlin-Ausschuß zu unterstützen.
Im einzelnen ist in dem Antrag eine Reihe von Anregungen und Vorschlägen ausgesprochen worden, die im Berlin-Ausschuß des näheren erörtert werden müssen und die nun hoffentlich auch zu wirklichen praktischen Ergebnissen führen werden.
Das erste ist die Auftragslenkung. Wir haben vom Herrn Bundeswirtschaftsminister gehört, daß ein Mitglied unseres Hauses, ein Kollege, mit der Leitung dieser Aufgabe betraut worden ist. Wir haben bei uns das Vertrauen, daß der rechte Mann an den rechten Platz gestellt worden ist, und sehen mit Spannung und mit guter Erwartung den Berichten entgegen, die uns in Aussicht gestellt worden sind. Wir wünschen aber, daß diese Auftragslenkung — und da möchte ich eine ausdrückliche Anregung aussprechen — noch erweitert wird. Bei der gespannten Situation der Berliner Wirtschaft, die ja heute mangels Aufträge noch nicht entfernt ihre tatsächliche Kapazität ausnutzen kann, wird es nicht allein auf die Aufträge aus dem Bundesgebiet ankommen, sondern es sollte auch der Versuch gemacht werden, eine Auftragslenkung des Auslandes herbeizuführen. *Ich glaube, daß dieser Vorschlag gar nicht aussichtslos wäre. Allein in den Vereinigten Staaten wird im Wege der Aufrüstung ein so ungeheurer Geldbetrag mit einer gewissen Planung ausgegeben, daß ein winziger Prozentsatz davon auf Berlin gelenkt schon eine außerordentlich wichtige Erleichterung und Verbesserung der Situation herbeiführen könnte. Ob die Initiative hierzu besser von Berlin oder von der Bundesregierung ausgeht, lassen wir dahingestellt; das kann im Ausschuß besprochen werden. Aber es sollte möglich sein — und ich glaube, ich täusche mich nicht —, daß auch bei den beteiligten ausländischen Stellen durchaus Verständnis und Interesse für einen solchen Vorschlag geweckt wird.
Zu dem zweiten Punkt, der Flüchtlingsnot, ist nicht viel Neues zu sagen. Mit der Herabsetzung der Berlin-Quote auf 10 % ist es freilich nicht getan; darüber müssen wir uns auch hier von vornherein klar sein. Das scheint eine gewisse Erleichterung für Berlin zu bedeuten, aber diese Erleichterung ist angesichts der tatsächlichen Situation
völlig unzureichend. Berlins Anteil an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik einschließlich Berlins beträgt wenig mehr als 4 %. Wenn wir also allein von den anerkannten Flüchtlingen 10 % aufnehmen, so bedeutet das schon eine ganz unverhältnismäßige Überlastung Berlins. Dabei müssen wir bedenken, daß das Verhältnis der nicht anerkannten zu den anerkannten Flüchtlingen etwa wie 2 zu 1 ist. Auf jeden anerkannten Flüchtling kommen also zwei nach Berlin strömende nicht anerkannte und einstweilen nicht mit Anerkennung rechnende Flüchtlinge; diese bleiben in Berlin. Wir haben heute wahrscheinlich mindestens 200 000 nicht anerkannte Flüchtlinge in Berlin, eine außerordentlich gefährliche, in jeder Hinsicht bedenkliche Belastung der Berliner Situation. Ich bin deshalb der Ansicht, daß wir einen weit höheren Anteil an das Bundesgebiet abgeben müßten. Ferner müßte in Erwägung gezogen werden, die Frage der Anerkennung künftig in sehr großzügiger Weise zu regeln, so wie wir es uns auch schon im Gesamtdeutschen Ausschuß vorgenommen haben.
Was das Notstandsprogramm betrifft, so stellen wir — ich glaube, der Herr Bundeswirtschaftsminister wird die Zahlen auch kennen — mit Bedauern fest, daß das Notstandsprogramm im letzten Jahre nicht unerheblich hinter den Ziffern der früheren Jahre zurückgeblieben ist.
Wir haben im Rahmen des Notstandsprogramms in Berlin im Jahre 1951 214 Millionen DM ausgegeben. Im Jahre 1952 werden es nur 130 Millionen DM sein. Abgesehen von der Einschränkung des geldlichen Umfangs ist eine an sich ganz begrüßenswerte Änderung eingetreten, indem von den ausländischen Stellen, die uns hierbei unterstützen, darauf gedrungen wird, daß künftig der Anteil der langfristigen produktiven Ausgaben auf Kosten der unmittelbar wirksamen kurzfristigen Ausgaben verstärkt wird. Das bedeutet, daß die Zahl der im Notstandsprogramm zu berücksichtigenden Erwerbslosen erheblich zurückgegangen ist. Während im Höhepunkt dieser Aktion 57 000 Menschen beschäftigt werden konnten, beträgt ihre Zahl heute nur noch 25 000. Das ist angesichts der tatsächlichen Situation wirklich unzureichend. Es sind auch für kurzfristige Arbeiten noch sehr viele Möglichkeiten gegeben. Für Berlin ist allein die Enttrümmerung durchaus eine produktive Leistung; denn die Lösung dieser Aufgabe bereitet die zukünftige Funktion Berlins als Hauptstadt eines vereinigten Deutschlands vor. Etwa die Hälfte der Trümmer, die der Krieg in Berlin hinterlassen hat, ist heute noch nicht fortgeräumt.
Was den sozialen Wohnungsbau betrifft, so möchte ich Sie nicht im einzelnen mit den Ziffern befassen. Hier besteht die Schwierigkeit, daß Berlin den größten Teil der Baustoffe von auswärts beziehen muß, so daß diese Ausgaben zum sehr großen Teil Berlin nicht unmittelbar zugute kommen. Die Ausgaben nach dieser Richtung, so dankenswert sie im einzelnen sein mögen, kommen deshalb der Stärkung der Berliner Wirtschaftskraft trotz der Schlüsselstellung der Bauwirtschaft nicht in dem Umfang zugute, wie es etwa in Westdeutschland der Fall ist.
Eine um so größere Bedeutung möchte ich dagegen dem Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion beimessen, wonach zur Stärkung der volkswirtschaftlich wichtigen Neuanlagen steuerliche Erleichterungen gegeben werden sollen. Ich freue mich, daß der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums hier ist, und möchte ihn dringend bitten, dieser Frage besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Auf diesem Gebiet ist schon viel geschehen, aber weitaus nicht genug. Ich habe Ihnen hier ein Schaubild aufgehängt, das die Entwicklung der Produktion in Westberlin und in der Bundesrepublik anzeigt. Sie sehen einen schönen, gesunden Anstieg des Berliner Wirtschaftsindexes, Sie sehen aber einen viel stärkeren, steileren Anstieg der wirtschaftlichen Entwicklung im Bundesgebiet. Das heißt, daß trotz der dankenswerten und erfreulichen Erholung der Berliner Wirtschaft der Abstand zwischen Berlin und der Bundesrepublik sich vergrößert hat. Das heißt, die relative Bedeutung Berlins innerhalb der gesamtdeutschen Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren weiter, und zwar sehr erheblich, verschlechtert. Durch die Möglichkeit, in Berlin produktive Neuanlagen im Wege der Kapitalinvestition zu tätigen, können wir an dieser entscheidenden Stelle Abhilfe leisten.
Ich glaube, daß eine steuerliche Erleichterung einen erheblichen Anreiz hierzu bilden könnte. Ich möchte vorschlagen — es wird auch den Berlin-Ausschuß im einzelnen zu beschäftigen haben; ich spreche hierbei auch im Namen meiner politischen Freunde —, daß wir die Vergünstigungen, die wir in dem heutigen gemeinsamen Antrag der großen Parteien für die Flüchtlinge, Vertriebenen und für die Verfolgten des Naziregimes einführen,
künftig global für Berlin gelten lassen, daß wir also die dort vorgesehenen Verbesserungen: den geänderten § 7 a, der Bewertungsfreiheit für bewegliche Wirtschaftsgüter einführt, den neuen § 7 e des Einkommensteuergesetzes, der die Bewertungsfreiheit für die Fabrikgebäude, Krankenhäuser und landwirtschaftlichen Betriebsgebäude vorsieht, und den neuen § 10 a des Einkommensteuergesetzes, der die Steuerbegünstigungen des nichtentnommenen Gewinns einführt, im ganzen für Berlin —selbstverständlich mit gewissen notwendigen Abänderungen — einführen. Nur durch eine wirklich großzügige Regelung kann auf dem hier in Frage stehenden Gebiet ein wirklicher Effekt erzielt werden. Ich glaube, nichts würde so geeignet sein, uns auf diesem Wege weiterzuhelfen, wie gerade eine solche steuerliche Begünstigung.
Die Frachtkostenfrage hier im einzelnen zu erörtern, möchte ich angesichts der Beschäftigung des Plenums nicht verantworten. Ich darf nur darauf hinweisen, daß Berlin gegenüber seiner früheren Situation allein durch die erhöhten Frachtkosten für die Kohlenversorgung mit jährlich rund 50 Millionen DM mehr belastet ist. 50 Millionen DM mehr, als es früher bei seiner günstigen Lage innerhalb der ost- und mitteldeutschen Kohlengebiete hat bezahlen müssen, muß es jetzt aufwenden, da fast die gesamte Kohle auf weitere Entfernung herangebracht werden muß. Allein die neue Frachterhöhung, die die ostzonale Bahn im Juli dieses Jahres eingeführt hat, bedeutet für Berlin eine Mehrbelastung von 40 Millionen DM. Es ist unbedingt notwendig, daß hierfür ein Ausgleich gegeben wird.
Aber der schmerzlichste Punkt in dem ganzen Programm, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit für einen Augenblick lenken muß, ist die Frage der Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin. Ich halte es nicht für zweckvoll, Vorwürfe zu erheben, Vorwürfe, die vielleicht auch in diesem Hause gelegentlich nicht ganz unangebracht wären. Aber ich möchte Ihnen eine Zahl nennen: Bisher hat man nach Berlin Bundesbehörden, Bundeseinrichtungen verlegt bzw. dort bestehende Verwaltungen auf den Bund übernommen, die insgesamt 1031 Bundesbedienstete beschäftigen.
Das sind 2 % der Gesamtzahl der Bundesbediensteten, während Berlins Bevölkerungsanteil 4,4 % beträgt. Also nicht einmal im gleichen Verhältnis, wie es dem Anteil an der Bevölkerung entspräche, ist Berlin bedacht worden, ganz zu schweigen von seiner tatsächlichen Bedeutung als alte Reichshauptstadt und ganz zu schweigen von der dringenden Notlage der Stadt. Hier, glaube ich, sollten wir alle uns bemühen, wesentlich zu einer Besserung beizutragen. Es würde auch schon viel helfen, wenn der grundsätzliche Anspruch Berlins auf Anerkennung als traditionelle Hauptstadt klar und deutlich von allen Verantwortlichen und allen, die es angeht, ausgesprochen würde. Davon würde eine wesentliche psychologische Erleichterung zu erwarten sein, die Berlin dringend nötig hat. Wir wollen uns ganz klar sein, wir sehen es ja hier selber: Hauptstadt ist nicht etwas, was man sich mit dem Rechenstift oder auf der Landkarte irgendwo nach Belieben ausdenken kann. Auch eine Hauptstadt wächst nur in Jahrhunderten einer langen, guten und stolzen Überlieferung. Ich glaube, daß das für Berlin durchaus in Anspruch genommen werden muß. Deshalb würde es für ganz Deutschland gut sein, wenn man sich dieser
großen traditionellen Werte besser und umfangreicher bediente, als es bisher geschehen ist.
Ich komme zum Schluß. Die Berliner Situation ist nicht ohne lichte Züge, und es wäre falsch, ja sogar undankbar, wenn wir als Berliner das nicht anerkennen wollten, aber es wäre ebenso falsch und im höchsten Maße gefährlich, wenn wir uns über den Ernst der Situation täuschen wollten, über einen Ernst, der gerade durch die jüngsten Ereignisse verstärkt und vertieft worden ist. Es ist kein Gegenstand der parteipolitischen Auseinandersetzung, wie ich ausdrücklich betonen möchte. Völlig falsch und verantwortungslos wäre es, wenn wir uns hierzu auf parteipolitischer Basis auseinandersetzen wollten. Hier ist wirklich eine Aufgabe, wo wir alle in diesem Hause vertrauensvoll und brüderlich zusammenarbeiten könnten.