Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz nennt sich Gesetz zur Sicherung des Verkehrs auf den Straßen. Die Sicherheit des Straßenverkehrs ist eine dringende Notwendigkeit. Dafür nur einige wenige Zahlen. Jeden Tag werden über 20 deutsche Menschen totgefahren. Jeden Tag werden über 300 deutsche Menschen im Straßenverkehr verletzt. Das ergibt ungeheuerliche Zahlen; das ergibt Zahlen, die beispielsweise in Amerika höher liegen als die der Todesopfer in Korea. Ich glaube, schon diese Zahlen rechtfertigen und machen es uns zur Verpflichtung, daß wir wirklich alles versuchen, um die Sicherheit im Straßenverkehr, soweit es geht, herzustellen.
Ich will aber auch noch ein paar andere Zahlen nennen. Man sagt, umgerechnet kommt in Amerika auf vier oder fünf Menschen ein Kraftwagen. Das erscheint uns ungeheuer hoch. In Deutschland ist es so: wir haben zur Zeit — am 1. Oktober dieses
Jahres — rund 3 1/2 Millionen Kraftfahrzeuge, das ist so etwa auf jeden 18. Einwohner ein Kraftfahrzeug, wobei selbstverständlich die Motorräder mit ihrem berühmten Lärm eingerechnet sind. Aber etwas Entscheidendes liegt auf einer anderen Ebene, und von dorther kommt vieles von dem, was die Unsicherheit auf der Straße mit sich bringt. Wir haben nämlich auf einen Kilometer Straßenlänge in Deutschland heute schon 21 Kraftfahrzeuge.
Die entsprechenden Zahlen sind in Frankreich und Amerika: auf einen Kilometer 5 bis 7 Kraftfahrzeuge. Wir haben also eine Straßenverkehrsdichte, die dreimal so groß ist wie die in Frankreich und in Amerika. Ein Teil der Unfälle ist zweifellos auf diese Tatsache zurückzuführen.
Nun kommt hinzu, daß in Deutschland im Verhältnis zum Straßennetz, zur Straßenlänge, die Zahl der Kraftfahrzeuge ungeheuer im Steigen ist. Wir haben allein in den ersten drei Vierteljahren des Jahres 1952 bis Ende September über 550 000 neue Kraftfahrzeuge zugelassen. Ich bitte, sich das einmal zu überlegen und sich das Tempo auszumalen. Wenn das noch 3 bis 5 Jahre in diesem Tempo weitergeht, dann ist vorauszusehen, daß auch die gesetzlichen Vorschriften nicht mehr ausreichen, um die Sicherheit auf der Straße bei dieser Dichte des Verkehrs zu garantieren.
Nun sind viele Unfälle, die geschehen sind und geschehen, zweifellos auch eine Folge des technischen Versagens der Fahrzeuge, des Materials. Die meisten Unfälle — und das hat ja der Herr Kollege Baur schon treffend hervorgehoben — sind aber auf menschliches Versagen zurückzuführen. Deswegen müssen wir alles tun, um diese menschlichen Versager, soweit es geht, auszuschalten. Abgesehen von der Trunkenheit — wir im Süden sagen: abgesehen von den Schöppleintrinkern, die sich ans Steuer setzen, wenn sie sich nicht mehr daran setzen sollten; wir haben die Frage ja in anderem Zusammenhang behandelt —, sind es vor allem bestimmte Untugenden der Verkehrsteilnehmer aller Schattierungen und aller Grade, vom Herrenfahrer bis zum Berufsfahrer, vom Lastwagenführer bis zum Motorradfahrer, ja bis zum Radfahrer, die schuld an der Entwicklung sind. Es gibt tatsächlich viele Herrenfahrer und Berufsfahrer, die können kein Fahrzeug vor sich sehen. Denen steckt der Überholteufel im Leib, auch dort, wo es gar nicht notwendig ist und wenn sie es zeitlich gar nicht nötig hätten.
Ein zweites kommt dazu: wer hätte das nicht selber schon erlebt und vielleicht nicht selber schon die Sünde begangen, daß man die Kurven schneidet? Wer hätte nicht schon erlebt, daß der Winker nicht herausgegeben wird und daß kein Signal gegeben wird? Ja, es gibt Leute, die verwenden nicht einmal die Hupe, wenn sie überholen wollen und wenn sie sehen, der vornedran hat das nicht verstanden und macht keinen Platz.
Nebenbei gesagt: die Lastwagenzüge und die Lastwagenfahrer, die sogenannten Kapitäne der Landstraße, wie man sie schon geheißen hat, sind weitgehend unbeliebt, zum Teil mit Recht. Ich möchte aber auch sagen: es gibt auch viele Menschen in diesem Beruf, viele Lastwagenfahrer, die Platz machen, und ich freue mich immer, wenn ich bei einem Lastwagen hinten die Aufforderung sehe: „Gib Zeichen, wir weichen!" oder: „Gib Signal — ich mache Platz!" Irgendein anderer hat
ein noch schöneres Verslein hingemalt. Man muß auch den Unterschied einmal anerkennen. Es sind nicht alle bösartig; es gibt erfreulicherweise eine ganze Masse Menschen, die etwas Verkehrsdisziplin haben und Platz machen.
Darf ich Sie daran erinnern, daß in diesem neuen Gesetz vorgeschrieben ist, daß bei den Lastzügen ein Fahrtschreiber zur Kontrolle der Fahrtzeit, zur Kontrolle aber auch der Arbeitszeit und der Ruhenszeit vorhanden sein muß. Darf ich weiter darauf hinweisen, daß in dem Gesetz auch die Bestimmung enthalten ist — sie ist allerdings, ich möchte beinahe sagen, nur für die Zukunft gedacht —: sobald ein Überholgerät so konstruiert ist, daß es technisch sicher und auch in den Kosten für beide Teile beschaffbar ist, müssen auch die Lastzüge und andere große Fahrzeuge zweifellos mit diesem Überholsignalgerät ausgerüstet sein.
Es gibt noch andere Momente, die man bekämpfen muß. Ich glaube, die Verbände der Kraftwagenindustrie, vor allem der Lastwagenzüge, also des Güterverkehrs auf der Straße, müßten von sich aus erzieherisch auf ihre Fahrer einwirken. Es ist und bleibt ein Unfug, wenn der Lastwagenfahrer andere Lastwagen überholt und damit den Verkehr aufhält. Es ist meistens so, daß der, der überholt, vielleicht einen Kilometer Überschuß an Fahrgeschwindigkeit hat;
aber er läßt es nicht sein, und wenn er 10 Minuten lang den Verkehr aufhält. Es ist geradezu toll auf der Strecke von Bonn nach Frankfurt, auf der die Steigungen sind. Da liefern sich manchmal zwei Fahrer richtige Duelle und halten damit den Verkehr bis zu 5 oder 10 Minuten, ich muß schon sagen: bösartig auf. Da müßte allerdings die Länderpolizei, die doch letzten Endes die ausschlaggebende Polizei ist, schärfer eingreifen. Ich darf daran erinnern, daß auch das Verkehrsministerium da noch manches tun muß. Die Vernebelung beispielsweise der Straßen gerade auf dieser Strecke ist heute schwieriger und größer als vor einem Jahr. Das können Sie immer wieder feststellen, wenn Sie auf diesen Straßen fahren. Warum kann man in Deutschland nicht eine technische Anordnung treffen wie in Amerika, durch die die Abgase der Lastwagen in die Höhe geführt werden. Ich habe letzthin einen derartigen Lastzug auch in Deutschland gesehen; ich kann allerdings nicht sagen, ob es ein ausländischer war. Aber ich kann Ihnen sagen: es ist viel gescheiter, diese Abgase in die Höhe zu führen als gerade auf die Überholungsfahrbahn,
wo man infolgedessen nichts mehr sieht. Unter Umständen ist, wenn etwas passiert, auch darin die Schuld zu suchen.
Darf ich weiter daran erinnern, daß die Lastzüge manchmal so horrend überladen sind, daß man nur wünschen kann, die Kontrollen würden auch in dieser Beziehung besser durchgeführt. Es geht doch nicht an — das sieht ja schließlich jeder Laie —, daß etwa das doppelte Gewicht verladen wird. Das verstößt ja gegen alle gesetzlichen Vorschriften.
Es ist auch daran zu denken — das gilt vor allem für die Arbeitgeber in diesem Gewerbe —, daß die Ruhenszeiten eingehalten werden.
Man soll von einem Fahrer nicht verlangen, daß er vielleicht 12 oder 14 Stunden auf dem Bock sitzt, mit Verlaub zu sagen.
Das hält ein Mensch nicht aus, und es ist kein Wunder, wenn die Leute dann einschlafen und von der Straße abkommen oder sonst den Verkehr gefährden. Schließlich geht es immer um Menschenleben, die unnötig vernichtet werden, und um Hinterbliebene, die versorgt werden müssen.
Aber nicht nur die Kraftfahrer sind mit Untugenden behaftet und überlastet, sondern das trifft auf die Radfahrer genau so zu.
Wer hätte es nicht wiederholt erlebt, daß selbst bei Dunkelheit zwei und drei Radfahrer nebeneinander fahren! Sie müssen ihr Schwätzlein machen, auch wenn sie auf dem Rad sitzen, anstatt sich darüber klar zu sein, daß der Radfahrer ganz besonders gefährdet ist, weil ihn ja der schnellere Fahrer im Kraftwagen vor allem abends oder gar bei Nebel viel zu spät sieht. Darf ich daran erinnern, daß auch hier das Verkehrsministerium eine Aufgabe hat, nämlich dafür zu sorgen, daß über dies Gesetz hinaus durch Verwaltungsanordnung die sogenannten beleuchteten Tretstrahler bei den Fahrrädern wieder eingeführt werden. Das wäre technisch durchaus möglich und ein großer Fortschritt in der Verkehrssicherheit. Es sind eine ganze Anzahl andere Dinge, die man dabei überlegen könnte und fordern könnte, Radfahrerwege, Fußgängerwege, aber auch Wege für die Bauern, die neben einer Straße, die stark überlastet ist, schließlich auch ein Recht haben, ihre Ernte einzufahren, die Ackergeräte herauszufahren und was da noch in Frage kommt.
Aber letzten Endes spielt auch die Verkehrserziehung hier eine Rolle. Da muß in den Schulen viel mehr getan werden. Ich freue mich feststellen zu können, daß, wie ich das jetzt in Frankfurt einige Male beobachtet habe, die Verkehrspolizei ganz mustergültig den Verkehr regelt und von einem Lautsprecherwagen aus die Leute darauf aufmerksam macht — auch die Fußgänger —, wenn sie einen Fehler begangen haben. Das müßte man noch viel mehr tun, denn ich bin überzeugt, viel Unachtsamkeit ist schließlich dabei.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch ein Wort über den Fußgänger. Es gibt ja in „Wallensteins Lager" das berühmte und schöne Wort — an der Stelle, als ein Bauer richtig ausgefleddert werden soll —: „Der Bauer ist auch ein Mensch, sozusagen." Erlauben Sie mir, das Wort umzuwandeln: „Der Fußgänger ist auch ein Mensch, sozusagen."
Der Fußgänger wird zum Teil auf den deutschen Straßen in eine derartige Hetze hineingejagt, daß man es nicht mehr verantworten kann.
— Ja, der Fußgänger soll der König der Straße sein, aber ich wage gar nicht so weit zu denken. Nur, glaube ich, hätten alle, die ein Auto fahren oder führen, die heilige Verpflichtung, auch daran zu denken, daß der Fußgänger kein Staatsbürger zweiter Klasse ist und daß es keine Schande ist, wenn man auf den Fußgänger Rücksicht nimmt,
vor allem soweit es sich um Kinder und ältere Leute handelt,
die nicht mehr so beweglich sein können, wie die Jungen das können.
Schließlich noch ein kurzer Satz über das berühmte Problem — Antrag Rechenberg, Antrag des Ausschusses — der Länge der Lastwagenzüge. Wenn der Antrag des Herrn Kollegen Rechenberg vor zwei Jahren gekommen wäre, wäre er zeitiger gewesen. Meiner Schätzung nach ist mit den 20 Metern tatsächlich das höchste der Gefühle erreicht. Es wäre besser gewesen, man hätte anstatt der 20 Meter wenigstens die 18 Meter, die die Sachverständigen vorgeschlagen haben, im Jahre 1951 genehmigt. Ich will die Fehler nicht herausholen.
Herr Kollege Rechenberg hatte erst beantragt, daß ab sofort nur noch 15 Meter zulässig sein sollten. Dadurch hat er auch den Gegenantrag erreicht, daß der Ausschußantrag wieder hergestellt werden sollte. Inzwischen haben wir aber zwei Nachträge zum Antrag Rechenberg da. Der eine sagt, bis 1956 sollen die Fahrer, die jetzt die langen Lastzüge haben, fahren dürfen und, ich glaube, ein halbes Jahr sollen die Fabriken noch Auslaufzeit haben. Das ist immerhin schon wesentlich anders.
Ich darf da die Meinung meiner Fraktion bekanntgeben. Die Meinung ist geteilt. Ein Teil wird für den Antrag des Kollegen Rechenberg stimmen, ein anderer Teil wird aber für die Wiederherstellung der Ausschußvorlage stimmen; ich gehöre auch dazu. Ich glaube, mein Freund Bucerius wird ein paar Minuten dazu reden, die ich für ihn hiermit abgespart habe. Wir müssen auch an die Versorgung Berlins denken und daran denken, daß nicht unnötige Verluste in der Volkswirtschaft entstehen.
Aber ich bin der Meinung, man muß international und national prüfen — auch im Verkehrsausschuß in der kommenden Zeit —, was hier als richtunggebender Beschluß zu fassen ist und wo die Grenze liegt. Diese Grenze müssen wir meiner Meinung nach einmal durchhalten.
Im übrigen beschließen wir dieses Gesetz nicht, um den Verkehr zu behindern, sondern wir machen diese Art von Gesetzen nur, um dem Menschen, dessen Leben heilig ist und bleiben muß, einen Schutz zu gewähren.