Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, als voraussichtlich letzter Redner meiner Fraktion in dieser Debatte eine Art Zusammenfassung vorzunehmen. Gerade mit Rücksicht darauf, daß wir nicht nur unter uns debattieren, sondern daß eine nicht geringe Zahl von Menschen an den Radioapparaten zuhört, möchte ich sagen, daß wir uns vielleicht gelegentlich in der Form unserer Auseinandersetzung daran hätten erinnern sollen. Wenn der Eindruck entsteht, als ob in einem Parlament die eine Seite meinte, daß die andere Seite — und nun lassen Sie es mich einmal ganz deutlich aussprechen — im wesentlichen aus Dummköpfen oder Verrätern bestehe, dann scheint mir das keine sehr gute Fundierung einer gemeinsamen parlamentarischen Arbeit zu sein.
Von dem Herrn Bundeskanzler ist ein Wort zitiert worden. Ich wiederhole das nicht. Aber wir haben ja alle von einem „Hauptausschuß gegen die Remilitarisierung, für den Abschluß eines Friedensvertrages" ein Schreiben zugesandt bekommen, in dem auch der Satz steht: „Mit Ihrem Ja zum Generalvertrag würden Sie aufhören, ein Deutscher zu sein." Ich -glaube jedenfalls für meine politischen Freunde erklären zu können, daß wir nicht gewillt sind, solche Erklärungen überhaupt nur entgegenzunehmen.
Um auf die Debatte zurückzukommen: Herr Kollege Dr. Arndt hat in seiner positiven Schilderung der Arbeit des Rechtsausschusses gesagt, ihn habe der Eindruck tief bewegt, daß mancher Andersdenkende im Ausschuß mit seinem Rechtsgewissen notvoll gerungen habe. Ich darf mich hoffentlich dessen vergewissern, daß Herr Kollege Arndt unter „Andersdenkenden" nicht nur die verstanden hat, die eine andere Meinung als er haben. Ich hoffe sehr, daß alle, die mit diesen Fragen zu tun haben, mit ihrem Rechts- und mit ihrem politischen Gewissen notvoll gerungen haben.
Mir scheint es wichtig zu sein, daß wir am Schluß dieser Debatte, gerade weil es gelegentlich nicht immer berücksichtigt worden ist, eins tun, nämlich uns für heute und für die Zukunft vornehmen, in derartig gewichtigen politischen Debatten eine wirkliche Abkehr von den großen Worten zu vollziehen.
— Na, Herr Kollege Fisch oder wer es gerade war,
ich habe nicht das Gefühl, daß, wenn wir beide in eine Konkurrenz der großen Worte einträten, ich erster Sieger bleiben würde.
Ich erinnere mich daran und möchte darauf hinweisen, daß wir schon einmal in einer außerordentlich prekären Frage unserer nationalen Politik, nämlich in der Frage der Annahme oder der Ablehnung des Friedensvertrags 1919, vor ähnlichen gewichtigen Problemen gestanden haben. Damals ist von dem Herrn Reichskanzler Scheidemann
— ich will die Sache mit der verdorrten Hand gar nicht zitieren — gesagt worden, die Zustimmung zur erbarmungslosen Zerstückelung, das Einverständnis mit Versklavung und Helotentum solle erpreßt werden und dieses Buch dürfe nicht zum Gesetzbuch der Zukunft werden und der Vertrag sei unannehmbar. Aber es hat nur der Spanne von der 39. zur 40. Sitzung der Nationalversammlung bedurft, bis alle diese großen Worte Schall und Rauch waren.
— Ich sage ja weder etwas gegen Scheidemann noch gegen Bauer, sondern ich stelle nur fest, daß der Reichskanzler Bauer damals erklären mußte, daß die Reichsregierung in Würdigung aller Umstände die Ratifikation und die Unterzeichnung des Friedensvertrags vorschlagen müsse. Meine Damen und Herren, das sollte uns davor behüten, auch bei den heute uns vorgelegten Fragen zu bedeutsame Worte und Formulierungen zu gebrauchen.
Es könnte sein, daß das, was wir heute mit großen Worten als unannehmbar bezeichnen, uns morgen als unausweichlich erscheint.
Lassen Sie mich noch ein Wort hinzufügen. Damals hat der verehrte Kollege Löbe als Abgeordneter gesagt: „Wenn einst unsere Kinder Rechenschaft verlangen werden für die Verpflichtungen, die ihnen und noch ihren Nachkommen auferlegt worden sind, so sagen wir ihnen schon heute, daß für all dieses Unglück nicht die verantwortlich sind, die jetzt dem fürchterlichsten aller Kriege ein Ende machen, sondern daß jene die Verantwortung trifft, die ihn herbeigeführt haben!"
Ich hätte gewünscht, daß die Kritik, die in mannigfacher Form in diesen drei Tagen an den Vertragswerken ausgesprochen worden ist, nicht immer nur den Eindruck erweckt hätte, daß alles, was schwer zu ertragen und schwer anzunehmen ist, nur dar-
auf zurückzuführen sei, daß die Bundesregierung schlecht verhandelt habe.
Es hätte uns wohl angestanden, uns daran zu erinnern, daß wir hier einen Trümmerhaufen auszuräumen haben, für den wir nicht verantwortlich sind.
Und ein Zweites, was ich sagen möchte. Es täte uns gut, wenn wir etwas mehr Nüchternheit und Realismus in die Auseinandersetzung hineingetragen hätten. Wir wollen es ruhig sagen, daß man das auf beiden Seiten berücksichtigen sollte. Wir wissen alle, daß es nicht wohlgetan ist, den Eindruck zu erwecken, daß diese Verträge nun das Herrlichste und Beste seien, was wir uns überhaupt vorstellen könnten.
Aber es sollte dann auch nicht möglich sein, daß die Kritik sich darin erschöpft, so zu tun, als ob es nur Negatives in diesen Verträgen gäbe.
In diesem Zusammenhang ist auch die nüchterne und realistische Erkenntnis der eigenen Lage von Bedeutung. Herr Kollege Ollenhauer hat vom Realismus gesprochen. Ich tue das auch. Aber wenn ich höre, daß der Kollege Arndt die Position der amerikanischen Truppen in England mit der der alliierten Truppen in Deutschland vergleicht, dann scheint mir das sowohl dem Ausgangspunkt wie auch den gegenwärtigen Verhältnissen nach ein solcher Mangel an Realismus zu sein,
daß ich meine, so sollte man hier nicht prozedieren
Wenn man erreichen will, daß die alliierten Truppen in Deutschland jemals den Status der amerikanischen Truppen in England erreichen, ist es der ungeeignetste Weg, heute die Forderung zu stellen, wir sollten so tun, als ob die Voraussetzungen dafür heute schon vorhanden wären. Sie müssen erst geschaffen werden.
Es gibt eben politische Zwangslagen, die sich einzugestehen keine Schande, sondern nur nationales und politisches Verantwortungsgefühl ist.
Dazu gehört als drittes die Frage des Preises, die hier immer wieder erörtert worden ist. Herr Kollege Arndt hat gesagt: „Wir haben immer die sogenannte Preisdiskussion für einen Unsinn erklärt." Diese Preisdiskussion ist ja auch gelegentlich von anderer Seite abgelehnt worden. Ich persönlich bin, selbst wenn ich mich von der Meinung meiner Freunde zum Teil unterscheiden sollte, so nüchtern zu sagen: die Preise und die Gegenleistungen in politischen Geschäften und Verhandlungen richten sich nicht nach theoretischen Rechtspositionen, sondern nach tatsächlichen Machtverhältnissen.
Das würde ich insbesondere im Blick etwa auf die Frage der Kriegsgefangenen sagen. Meine Damen und Herren, ihnen und uns hilft keinerlei Feststellung, daß sie nach dem Rechte Gottes und der Menschen längst zurückrein müßten. Ich glaube, unser Volk würde bereit sein, einen sehr beachtlichen Preis zu zahlen, wenn dafür auch nur wenige von ihnen früher zurückkämen.
Man sollte das auch im Blick auf die Situation zum Westen hin ernst nehmen. Herr Arndt hat gefragt, warum wir einen so hohen Preis bieten, sogar, ohne dafür die volle Freiheit dem Westen gegenüber zu bekommen. Ich fürchte, daß auch das verzeichnet ist. Wir hatten in diesem Vertragswerk außerordentlich wenig an Preisen zu zahlen. Wir hatten nur den peinlichen Verhandlungszustand, daß wir in mühsamen Verhandlungen die anderen veranlassen mußten, Positionen aufzugeben, und daß wir ihnen 'deutlich machen mußten, es würde auch in ihrem Interesse, nicht nur in unserem, sein, wenn sie diese aufgäben. Man sollte dann nicht zu leicht vom Preis reden.
Das nächste, was zu diesem Realismus zu sagen ist, bezieht sich auf die Bemerkung von Herrn Arndt, 'es sei doch ein untragbarer Zustand, wenn ein einziger deutscher Minister insgeheim mitbeschließen könne, ob ein Verteidigungskrieg erklärt werde. Ich glaube allerdings, wir müssen uns darüber klarsein, daß ein Krieg, wenn er dann käme
— wir hoffen doch, daß er nicht kommt; darum treiben wir hier Politik! —,
sicher nicht in der Form erklärt würde, die es noch
1914 einem Geheimrat im Auswärtigen Amt erlaubte, festzustellen, man könne den Krieg nicht
erklären, da es 'kein Formular dafür gebe. Wahrscheinlich wird ganz etwas anderes über uns kommen: das Schwergewicht der Tatsachen. Wenn ich
mir vorstelle, daß wir uns bis heute in einer Situation befinden, die keinem Deutschen einen legitimen Einfluß auf einé solche Entscheidung gibt, dann ist mir der Zustand, der mit diesem Vertrag herbeigeführt wird, immer noch lieber als der bisherige.
Nun lassen Sie mich zu der Front 'kommen, die die Ablehnung dieser Verträge hier vertreten hat und draußen vertritt. Meine Damen und Herren, Sie werden uns nicht verübeln — obwohl das manche im Lande tun —, daß wir eine gewisse Differenzierung der Meinungen vornehmen und uns die Typen der Ablehnenden doch etwas genauer ansehen.
Wenn ich mir so vorstelle, daß neben unseren Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, den Kollegen von der kommunistischen Fraktion
— Gruppe, ich bitte um Entschuldigung; sehen Sie, es passiert einem immer wieder — und neben den Herren des Gesamtdeutschen Blocks einige andere Menschen stehen, eine ja auch hier vertretene Gesamtdeutsche Volkspartei, kirchliche Kreise, der Alt-Reichskanzler Wirth und der Herr Noack, dann muß ich sagen, es ist ein etwas sehr vielfarbiger Verein, der diesen Widerstand trägt.
— Ob es das Volk ist, ist mir zweifelhaft, wenn Sie es aussprechen.
Ich sage sehr deutlich, wir differenzieren, und ich
nehme die Argumente der einen Gruppe wesentlich ernster als die der anderen.
Aber es ist mir doch etwas auffällig, daß in der öffentlichen Diskussion im allgemeinen keine dieser Gruppen mit der anderen etwas zu tun haben will, so daß man, da nun einmal Heinrich Heine schon zitiert worden ist, doch so etwas den Eindruck hat, daß es danach ginge: „Blamier' mich nicht, mein schönes Kind, und grüß' mich nicht unter den Linden!"
erhört!)
Es geht uns bei dieser Differenzierung um die einzelnen Argumente. Lassen Sie mich dazu einiges sagen. Ich wende mich zunächst an die Kollegen von der Sozialdemokratie. Herr Kollege Arndt hat gesagt, sie bejahe die sachliche Verteidigungslast, darüber bestehe unter den Demokraten dieses Hauses im Grundsatz Einigkeit. Ich vermag nicht ganz zu erkennen, was denn nun eigentlich im 'Sinne dieser Ausführungen sachlicher Verteidigungsbeitrag ist, besonders nachdem ich nun durch die Wirtschaftler gehört habe, daß gegen den sachlichen Verteidigungsbeitrag im finanziellen und wirtschaftlichen Bereich doch alle nur denkbaren Einwendungen erhoben werden. Aber, meine Damen und Herren, sollten wir wirklich unterstellen, ,daß wir in den Fragen, die durch die gesamtpolitische Konstellation auf uns zukommen, mit einem 50 %igen Beitrag — der nur sachlich ist — davonkommen könnten? Es wäre sehr schön, und wir wären sehr glücklich darüber. Aber ich fürchte, daß wir dann das, was erforderlich ist, übersehen. Gestern hat mir jemand geschrieben, wir sollten 12 Sanitätsdivisionen aufstellen. Er hat mir gleich die Standorte dieser Divisionen übermittelt. Wir sollten unserem Volke sagen, daß das Phantasiegebilde sind. Das ist keine Möglichkeit, von den Verpflichtungen loszukommen, die nicht von irgendwelchen Westmächten, sondern von der Gewalt der Tatsachen her auf uns zukommen.
Ich sage das besonders, weil ich fürchte, daß diese Formulierung, dieses ständige Aufrichten von Wahnbildern in unserem Volke die Meinung hervorrufen könnte, daß es anders gehe und daß nur ein verbrecherischer 'Leichtsinn oder eine Kriegsbereitschaft einer Mehrheit des Bundestages ihm diese Dinge aufzwinge.
Das zweite, was uns von den Herren von der Sozialdemokratie entgegengehalten wird, ist die Frage der Wiedervereinigung. Herr Ollenhauer hat uns gefragt, ob wir die hundertprozentige Sicherheit hätten, daß es keine Einigung mit der Sowjetunion gebe, und hat uns gesagt, unsere Entscheidung würde zu dem Fiasko beitragen, wenn wir sie zu früh träfen. Herr Brandt hat uns erklärt, daß die Spaltung Deutschlands versteinert werde. Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht darauf hingewiesen, daß jetzt zum erstenmal in einer vertraglichen Verpflichtung die Beteiligung der Westmächte an den Bemühungen zur Wiedervereinigung Deutschlands festgelegt worden ist. Ich bin nicht ganz glücklich 'darüber, daß die Formulierungen und die Paragraphen solcher Verträge immer verschieden ausgedeutet werden. Wenn diese Verträge etwa im Blick auf die kommende Politik Gesamtdeutschlands Bestimmungen in sich schließen oder hinsichtlich der Reparationsfrage etwas ausgesagt wird, so hat uns Herr Kollege Pfleiderer gesagt — und ich nehme seine Einwendungen sehr ernst —, hier seien vertragliche Verpflichtungen übernommen, von denen wir nicht wieder loskämen. Wenn aber die Sicherstellung der Mitarbeit der anderen Mächte an der Wiedervereinigung Deutschlands festgelegt wird, wird diese Bestimmung bagatellisiert, als ob sie nicht vorhanden wäre. So kann man nicht verfahren.
— Ja, das habe ich sogar mit gesagt, Herr Mellies. Bloß ich fürchte, daß es mit Ihren Intentionen nicht völlig übereingestimmt hat.
Ich komme gleich darauf.
Herr Freudenberg hat uns erklärt, daß angesichts dieses Vertrages doch zu befürchten sei, unser Betreiben der Forderung der Wiedervereinigung Deutschlands stelle uns in die Rolle des dauernden Petenten. Ich weiß nicht, worin da ein Nachteil zu sehen ist. Petenten in dieser Frage — und, wie sich. gezeigt hat, selbst als Bundestag mit einmütigen Beschlüssen — sind wir schon seit sehr langer Zeit.
Ich halte es für einen sehr guten Fortschritt, wenn wir endlich einmal eine vertragliche Rechtsbasis haben, auf die sich diese ständigen, bisher wirkungslosen Petitionen stützen können.
Was mir aber in dieser Frage am schwerwiegendsten und wichtigsten ist, ist die Gefahr, die im. Volke immer wieder auftritt, daß die Auseinandersetzung Ost-West, die ja mit dieser Frage der Wiedervereinigung unlösbar verbunden ist, bagatellisiert wird. Herr Brandt hat gesagt,offensichtlich wollten wir unsere Außenpolitik an die Vorstellung binden, daß frei und bündnisfähig alles das sei, was sich außerhalb des sowjetischen Machtbereichs bewege. Jawohl, das ist leider nach dem tatsächlichen Zustand meine Vorstellung von den Dingen.
Ich sehe nicht, daß es im sowjetischen Machtbereich irgend etwas Freies und Bündnisfähiges gibt. Es wäre gut, wenn es anders wäre. Aber uns hat das Prager Urteil ja wohl darüber belehrt, daß es nicht so ist.
Es ist uns dann immer gesagt worden, die Gegensätze zwischen Ihnen und uns bestünden darüber, was im Ringen um die deutsche Einheit geschehen müsse. Herr Wehner hat weiter gesagt, der sowjetischen Besatzungsmacht müsse deutlich gemacht werden, daß sie nicht ganz Deutschland einstecken könne. Ich habe die Frage an den Kollegen Wehner, in welcher Weise man das der sowjetischen Besatzungsmacht deutlich macht.
Ich fürchte, daß die Methode der Deklamationen
und Entschließungen im Bundestag sich als ein
höchst mangelhaftes Mittel erwiesen hat, das der
sowjetischen Besatzungsmacht deutlich zu machen.
Ich habe die ganzen Tage gespannt darauf gewartet, daß uns endlich — und ich habe es wirklich als Frage empfunden; nehmen Sie mir es bitte ab! — einmal deutlich gemacht werden würde, wo denn nun der andere Weg ist, oder daß man uns, wenn man den zunächst vertraulich behandeln wollte, wenigstens sagte: Ihr hättet jedenfalls auch noch das und das tun müssen.
Ich habe nichts, nichts darüber gehört, außer dem Vorwurf, daß wir zu wenig getan hätten,
und außer dem Vorwurf, wir hätten nichts dazu getan, daß die Vier-Mächte-Verhandlungen zu einem Erfolg gekommen wären. Ich erinnere mich, daß die letzte Note in dieser Frage von den Westmächten am 23. September abgesandt worden ist und in zweieinhalb Monaten keine Antwort gefunden hat.
Dann sagt man uns, mit Notenwechsel kann man das nicht erledigen, sondern da muß man andere Wege finden. Welche, hat man uns leider noch nicht gesagt.
Ich möchte aber hier eins erklären. Ich bin persönlich der Meinung, daß wir, wenn wir überhaupt erst einmal den Status einer eigenen außenpolitischen Verantwortung auf einer Rechtsgrundlage wiederbekommen haben, jede Gelegenheit benutzen sollten, der Sowjetunion auch unmittelbar das deutlich zu machen, was wir für erforderlich halten.
Zur Zeit befinden wir uns — ohne unsere Schuld, aber tatsächlich — in der Rolle, daß wir — nun, es soll keine Diffamierung der anderen sein — sie als Briefträger benutzen müssen. — Aber gerade wenn man das will, scheint es mir nötig zu sein, daß wir diesen untragbaren Zustand der mangelnden außenpolitischen Handlungsfähigkeit endlich auch rechtlich überwinden.
Dann werden wir etwas von dem zum Ausdruck zu bringen haben, woran mir jedenfalls sehr viel liegen würde: daß der Gedanke, der hier immer wieder vorgetragen worden ist, daß dieses Europa eine eigene politische Verantwortung wahrzunehmen habe, auch in diesen Verhandlungen sichtbar wird.
Wir haben um unseres eigenen Lebensinteresses willen allen Anlaß, deutlich zu machen, daß wir nicht daran denken, die Sowjetunion in irgendeiner Weise anzugreifen. Aber das können wir ja schließlich nur, wenn wir auch über etwas verfügen, was diese Erklärung respektabel macht; das ist erstens die außenpolitische Entscheidungsmacht und zweitens etwas, was man immerhin als ein Instrument eines solchen Angriffs respektieren würde. Denn sonst würde man über solche Erklärungen wohl nur mit Lächeln zur Tagesordnung übergehen oder uns auffressen, um mit den Worten des Herrn Bundeskanzlers zu sprechen.
Das meinen wir, wenn wir von einem eigenen politischen Beitrag sprechen. Dann sprechen wir allerdings nicht, wie es nun auch von der Frau Kollegin Wessel immer wieder geschehen ist, davon,
daß wir doch ein Deutschland zwischen den Machtblöcken konstruieren müßten, das unabhängig nach Osten und Westen ist oder, wie es gelegentlich ausgesprochen wird, sogar von allen Vieren gemeinsam garantiert wird. Selbst wenn es praktikabel wäre, fürchte ich, daß es unserem Volke, und zwar insgesamt, sehr schlecht bekommen würde,, wenn wir auf diese Weise die dadurch ja nicht zu beseitigenden Gegensetzlichkeiten der Weltmächte noch mehr in unseren unmittelbaren engen Volksbereich hineinzögen.
Ich möchte mich mit der Flut der Eingaben, die uns direkt und indirekt die Herren von der kommunistischen Gruppe beschafft haben, nicht weiter befassen. Bis hin zu dem Obmann der südbadischen Schwerathleten bin ich mit diesen Dingen befaßt worden. Delegationen und Briefe haben wir genug bekommen, meine Damen und Herren! Wir haben alle — ich hoffe, Sie haben es gelesen — das Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands der Kommunistischen Partei vom 2. November 1952 erhalten.
— Ich lese es vor. Das eben ist ja mein Wunsch, Herr Rische. Ich komme Ihnen völlig entgegen. Da steht, wie man die demokratischen Freiheitsrechte des deutschen Volkes sichern kann.
Alle Gesetze und Verordnungen,
— haben Sie wenigstens meine Rede mal gelesen? Das ist sehr dankenswert! —
die der Beschränkung der demokratischen Freiheiten des deutschen Volkes dienen, werden aufgehoben. Alle demokratischen Rechte und Freiheiten, wie die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Koalitions- und Streikrecht, das Recht der freien Meinungsäußerung und der Religionsausübung, der Unverletzlichkeit der Person und der Wohnung, werden durch Gesetze garantiert.
Ich habe das Gefühl, daß die Herren, die diese Delegation inszeniert und diese Briefe zu Hunderten und Tausenden veranlaßt haben,
etwas Positives tun könnten, wenn sie auch nur 5 %von dem, was sie hier für ganz Deutschland, fordern, in ihrem Machtbereich verwirklichten.
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Sie wissen ja, daß ich auch schon einmal den Versuch gemacht habe, auf meine Weise der deutschen Einheit zu dienen. Auch damals gab es ja schont eine gewisse Einmütigkeit der Ablehnung.
Ich habe damals die Vorstellung gehabt, daß die Herren im Osten vielleicht einmal die Gelegenheit benutzen könnten, uns deutlich zu machen, daß sie mit dem; was sie uns ständig mit den Mitteln der Presse und des Funks und der immer wieder neu gegründeten verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften übermitteln, "auch nur in den Anfängen ernst machen würden. Heute nachmittag ist von jener Seite der Zwischenruf gekommen, 1500 — oder wieviel es sind — seien aus Waldheim entlassen worden. Daneben steht eine Verschärfung
des Kurses, eine Versteifung der Unterdrückung der Freiheit des Volkes.
— Ja, dafür gibt es leider zu viel Beweise, annähernd tausend jeden Tag in Berlin. Das sollten Sie nicht so laut sagen.
Dafür gibt es Beweise, und wir haben daraus —
leider, sage ich — die Erkenntnis gewinnen müssen,
daß alles das, was dort geschieht, die konsequente
Verfolgung eines vorgefaßten Planes ist und daß
es mit den aktuellen politischen Ereignissen — auch
mit idem Generalvertrag, wie man uns immer wieder einreden will, nicht das geringste zu tun hat!
Lassen Sie mich in diesem 'Zusammenhang eine Frage in aller Kürze anschneiden. Der Herr Kollege Arndt hat gesagt:
Wer aber da sagt, die Wehrfrage eigne sich nicht für eine Selbstbestimmung der Wähler, der verachtet das Volk und der verachtet die Demokratie.
Ich will nicht daran erinnern, was damals —1919 — auch ein Herr, der der gleichen Partei wie Herr Kollege Arndt vor 33 Jahren angehörte, erklärt hat: über den Friedensvertrag könne nur das Volk entscheiden. Es ist dann doch nicht geschehen.
Ich möchte aber etwas anderes vorlesen. Es ist einmal gesagt worden:
Wir sind der Ansicht, daß es nicht zweckmäßig ist, einer Minderheit von einem Viertel das Recht zu geben, in diesem Fall
— nämlich bei einer Verfassungsänderung —
ein Referendum zu beantragen, sondern wir sind der Ansicht, daß, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Bundestags und zwei Drittel der Mitglieder des Bundesrats einer Verfassungsänderung zugestimmt haben, der überwiegende Wille der Volksvertretung bereits hinreichend zum Ausdruck gekommen ist und diese Manipulation im Abs. 3 vollkommen überflüssig ist. Sie führt nichts anderes als eine Verzögerung oder eine Verschleppung herbei. Sie gibt die Möglichkeit zu etwaigen demagogischen Experimenten.
Der das gesagt hat, war in der 12. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates der Herr Abgeordnete Dr. Katz.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns doch vielleicht nicht so ganz leicht dem Vorwurf beugen, den Herr Arndt gemacht hat, daß man über den Art. 63 ja an das Volk hätte appellieren können. Ich möchte mir einen Augenblick nur die Frage gestatten, was Herr Dr. Arndt 'als Vertreter einer Regierungspartei etwa gesagt hätte, wenn wir als Vertreter der Opposition ihm nahegelegt hätten, in einem ähnlichen Fall auf diesem Umweg einen Volksentscheid einzuführen, den der Verfassungsgeber nicht gewollt hat.
In Kürze noch einige Hinweise. Ich habe von den Meinungen gesprochen, die hier durch Frau Kollegin Wessel vertreten worden sind, die uns gesagt hat, das sowjetische Sicherheitsbedürfnis sei der Angelpunkt für die Wiedervereinigung. Es werde entscheidend sein, ob wir bereit seien, dem russischen Sicherheitsbedürfnis dadurch entgegenzukommen, daß wir darauf verzichten, uns militärisch in den Westen einzugliedern. —Meine Damen und Herren, ich habe alles Verständnis für ein russisches Sicherheitsbedürfnis; aber ich bitte doch, in den Kundgebungen der „Gesamtdeutschen Volkspartei", die an viele Menschen appellieren, die sich ein vollständiges konkretes Bild der politischen Dinge nicht machen können, nicht den Eindruck zu erwecken, als ob die Weltlage und die europäische Lage nur durch ein russisches Sicherheitsbedürfnis bestimmt würden. Ich würde zunächst einmal die Frage stellen: Was ist denn das Sicherheitsbedürfnis unseres eigenen Volkes?
Ich glaube nicht, daß der Weg, den Frau Kollegin Wessel uns gewiesen hat, daß wir eine Außenpolitik treiben müßten, die uns aus dem Objektverhältnis der beiden Weltmächte heraushole, der geeignete Weg ist. Auch hier wird diese merkwürdige und, wie ich glaube, von der ganz überwiegenden Mehrheit dieses Hauses nicht vertretene fiktive Gleichstellung der Verhältnisse in Ost und West sichtbar. Es ist leider nicht die gleiche Situation. Es ist nicht die gleiche Politik. Es sind nicht die gleichen Mittel, und es sind nicht die gleichen Zielsetzungen. Es leistet niemand dem deutschen Volk und seinen Menschen, die den Frieden wollen, einen Dienst, wenn man so tut, als ob man auf diesem Wege ohne große Schwierigkeiten, wenn man nur wollte, die Probleme lösen könnte.
„Die diplomatische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion dürfte nicht aufgeschoben werden", sagt man uns. Ich habe davon gesprochen, meine Damen und Herren: gern eine diplomatische Auseinandersetzung auch mit der Sowjetunion; aber dann, bitte, schaffen Sie zunächst einmal die Verhältnisse und die Voraussetzungen dafür!
Im Zusammenhang damit steht die Frage, die viele Menschen, insbesondere auch im Raum der Kirche bewegt, nach dem Recht der Kriegsdienstverweigerung. Ich möchte nicht, um nun nicht noch einmal Herrn Dr. Schumacher zu zitieren, das wiederhole-n, was er am 11. November 1950 in Hersfeld gesagt hat. Das würde darauf auch ein Licht werfen; aber es kommt darauf nicht an.
Herr Arndt hat uns vorgeworfen, daß wir Gewissenszwang üben wollten und daß wir den Art. 4 Abs. 3, der eine Art Ölzweig hätte sein sollen, vertauschten und ein dahinter verborgenes Bajonett herausholten.
Ich habe schon einmal an dieser Stelle gesagt, die Bestimmung des Art. 4 Abs. 3 ist uns bedeutsam, und wir gedenken sie ebensowenig wie im Parlamentarischen Rat in irgendeiner Weise zu erweichen oder zu beseitigen.
Aber wir werden doch wohl die Frage aufstellen dürfen: Was ist denn die Möglichkeit und der Sinn einer solchen Bestimmung? Wenn man uns sagt, in dieser Bestimmung werde deutlich, daß wir überhaupt nicht mit einer Wehrmacht, nicht mit einer Wehrpflicht, mit einem Wehrdienst mit der Waffe gerechnet hätten, dann muß ich — und entschuldigen Sie, Herr Präsident, daß ich es gerade
jetzt tue — Herrn Professor Schmid zitieren, der im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rats gesagt hat:
Wenn Sie glauben, daß im Falle eines Krieges wegen dieses Artikels ein wilder Verschleiß
— das ist zu dem Abgeordneten Herrn Professor Heuss gesagt —
von Gewissen stattfinden würde, so bezweifle ich, ob das richtig ist. Ich glaube, es wird im Kriegsfall mehr Zivilcourage dazu gehören, zu sagen: „Ich berufe mich auf diesen Artikel und nehme kein Gewehr auf die Schulter", als Courage dazu gehören wird, einem Gestellungsbefehl Folge zu leisten.
Ich vermag nicht ganz zu erkennen, warum Herr Professor Schmid das gesagt hat, wenn nach der Gesamtlage des Grundgesetzes überhaupt nicht damit zu rechnen war, daß jemand einen -Gestellungsbefehl bekommt.
Denn nur theoretisch hat man diese Dinge doch offenbar im Saal dort drüben nicht erörtert.
Es ist uns in zahlreichen Veröffentlichungen von Männern der Kirche und Pastoren gesagt worden, daß man diese Anliegen unterstützen müsse. Auch in Elbingerode hat man darüber gesprochen. Es ist gerade ein Aufruf herausgekommen, den etwa 60 rheinische 'Pastoren unterschrieben haben, in dem steht:
Heute aber haben wir in der Kirche erkannt, daß auch die Wehrdienstverweigerung eine im Gehorsam gegen Gott vollzogene Entscheidung sein kann. Darum muß sich jeder Christ prüfen, ob er sich an Rüstung und Waffendienst beteiligen darf; denn diese Entscheidung kann uns von keiner politischen Instanz abgenommen werden.
Nein, meine Damen und Herren! Ich möchte für mich jedenfalls nicht behaupten, daß ich irgend jemand diese Entscheidung abnehmen könnte. Aber ich würde wünschen, daß die Herren, die diesen Aufruf ins Land hinausgeben, nicht nur von dem Gewissen des einzelnen, sondern auch von der Gesamtverantwortung eines Volkes und Staates einmal sprechen!
Wir können doch nun einmal nicht den Eindruck erwecken, daß es den isolierten Einzelmenschen in der Welt gebe, der tun und lassen könne, was ihm und seinem Gewissen gefalle. Der Mensch hat eine Verantwortung zu tragen auch für die anderen, auch für den 'Staat, auch für den Nächsten. Und ich möchte für mich — ich habe das auf dem Kirchentag in Stuttgart schon einmal gesagt — die Möglichkeit in Anspruch nehmen, meine Verantwortung für den Nächsten zunächst und erst einmal bei den 48 und darüber hinaus den 18 Millionen Menschen, die unserer 'besonderen Verantwortung befohlen sind, in ihrer Gesamtheit beginnen zu lassen.
Man kann nicht, indem man von diesen Dingen
redet, den Eindruck erwecken wollen, daß es in
Ost und West die gleichen Probleme gebe, den
Eindruck, daß man im Augenblick nichts anderes
zu tun habe, als den unterdrückten Menschen im
Westen davor zu schützen, daß dieser Staat und
dieses Parlament sein Gewissen knebelt und ihn zum Wehrdienst preßt. Wer das tut, gibt den Menschen, die in einer ernsten inneren Not sind, eine unzureichende Weisung und einen falschen Ratschlag.
Und zum Schluß. Herr Kollege Brandt hat uns gesagt, er warne davor, daß wir unsere Entscheidung auf die Furcht bauten; er halte den Weg der Geduld für realistischer. Herr Kollege Brandt, ich bin der Meinung, daß Furcht und Geduld keine echten Gegensätze sind!
Ich bin sogar der Meinung, daß das, was von der Furcht so oft gesagt wird und was Herr Dr. Heinemann uns immer wieder sagt, Furcht sei Unglaube, ein gefährliches Wort ist. Es mag sein, daß im Leben des einzelnen Furcht Unglaube ist. Ich halte die Sorge und die Furcht vor kommenden Ereignissen und Bedrohungen im politischen Leben für ein legitime Sache, der sich niemand, der Verantwortung trägt, entziehen darf.
Die Sorge um Leben und Freiheit eines Volkes ist legitim. Ich habe den Eindruck, daß das Wissen darum in unserem Volke wächst, insbesondere in unserer Jugend,
und nicht in irgendeinem Fanatismus, sondern in der Einsicht in eine bittere, unausweichliche Notwendigkeit; und ich halte das für eine gute Sache daß wir nicht mit falscher Begeisterung noch einmal an das Soldatentum herangehen.
Aber wenn das so ist, meine Damen und Herren, dann sollten wir uns auch dagegen wehren, daß man das Sprechen von der notwendigen Macht des Staates 'dadurch verfälscht, daß man an die Stelle des Wortes „Macht" das Wort „Gewalt" setzt und daß man so tut, als ob die Wahrnehmung der Macht eines Volkes — und das ist in dieser Debatte oft genug geschehen — den Krieg und den Willen zum Kriege in sich schlösse.
Es gibt in der Geschichte unseres Volkes Beispiele genug, an denen sich zeigt, daß die verantwortungsbewußte Wahrnehmung der Macht nicht den Krieg, sondern den Frieden gebiert.
Was von uns gefordert ist, ist nicht, zu sagen: „Die Macht ist böse" oder „Soldaten und Generäle sind schlecht". Wer das einmal gesagt hat und uns einmal hat aufzwingen wollen, ist ein höchst unrealistischer Schwärmer gewesen. Was uns geboten ist, ist die Errichtung einer politischen Ordnung, die sicherstellt, daß diese Macht des Staates niemals wieder zu einem falschen und verbrecherischen Zwecke mißbraucht wird. An dieser Arbeit sind wir.
Wenn sich nach der Ratifizierung der Verträge bei den Verhandlungen, die sich daran knüpfen werden, und bei den weiteren Entwicklungen, die daraus herauswachsen werden, ergibt, daß wir alliierte Truppen im Lande haben, sollten wir in jedem unserer Schritte sichtbar machen, daß es für uns ein nicht mehr vollziehbarer Gedanke ist, etwa mit Heinrich von Kleist zu sprechen:
Solang' ein Feind noch in Germanien trotzt,
Ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache. Dem sagen wir ab und haben wir als Volk abgesagt.
Wir wollen auch nicht, um nun einmal Bismarck zu zitieren — man darf das ja wohl schon wieder, besonders nachdem durch die Freundlichkeit und Vermittlung des Herrn Kollegen Ritzel uns das Lenbachsche Bismarck-Bild geschenkt worden ist — bombastisch, und ich meine, für uns unecht, sagen: „Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts in der Welt!" Aber lassen Sie mich unseren Weg beschreiben mit einem anderen, sehr bescheidenen Bismarckwort: Es bliebe uns auch in dieser Frage nichts übrig, als zu warten, bis der Mantel Gottes durch die Geschichte rauscht, und dann zuzuspringen und den Saum seines Mantels zu fassen. In dieser Bescheidung und in dieser Bereitschaft werden wir unsere Entscheidung fällen.