Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nun kommt, um ein richtiges Verständnis und den richtigen Ausgangspunkt zur Würdigung des ganzen Vertragswerks — z. B. gegenüber Italiens Behandlung, auch gegenüber Japans Behandlung — zu finden, noch folgendes hinzu, und ich bitte Sie, sich das doch in Ruhe anzuhören und sich zu überlegen.
Die geographische Lage Deutschlands ist nun einmal eine andere als die Italiens, ist eine andere als die Japans. Wir liegen hier mit der Bundesrepublik dicht an dicht gegenüber der sowjetrussischen Macht. Von dieser sowjetrussischen Macht fühlen sich auch die Vereinigten Staaten, fühlt sich Frankreich, fühlt sich Großbritannien bedroht. Wenn sie nun hier auf Grund der bedingungslosen Kapitulation Rechte haben, die sie in den Stand setzen, gegenüber einem etwaigen Angriff von Sowjetrußland sich zu schützen, dann kann doch kein Mensch erwarten, daß sich das Besatzungsstatut von selbst auflösen werde. Ich habe schon vorgestern gesagt, die Leute müßten ja hirnverbrannt sein, die diese Rechte aufgeben, wenn sie nicht auf irgendeine andere Weise von uns eine Sicherheit bekommen.
Ich verstehe infolgedessen nicht, wie Herr Ollenhauer vom Katze-im-Sack-kaufen sprechen konnte. Nein, meine Herren, es handelt sich nicht um Katze-im-Sack-kaufen, es handelt sich bei dieser ganzen Frage um sehr ernste, um sehr realistische Verhandlungen, bei denen wir auf unsere Kosten kommen müssen, bei denen die anderen aber auch auf ihre Kosten kommen wollen; und man muß verstehen, daß sie es wollen. Bei der Einschätzung, die leider Gottes der Deutsche noch vielfach in der Welt genießt, und bei der geographischen Lage Deutschlands gegenüber Sowjetrußland würde niemals eine Macht bereit gewesen sein, auf die Rechte aus dem Besatzungsstatut zu verzichten, ohne daß gleichzeitig die Bundesrepublik mit ihr zusammengeht. Das ist doch so einfach wie nur etwas; und wenn man sich die Dinge ruhig überlegt, kann man doch gar nicht zu einem anderen Schluß kommen. Das hat mit Partnerschaft usw. gar nichts zu tun — es handelt sich um ein Lebensinteresse für die anderen und um ein Lebensinteresse für uns.
Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, ablehnen und neu verhandeln sei besser als zustimmen und revidieren. Da bin ich, Herr Kollege Ollenhauer, fundamental anderer Ansicht. Ich bin der Auffassung, wenn man erst einmal so weit ist, sollte man abschließen, wenn sich dann später geeignete Ansätze zu neuen Verhandlungen ergeben — diese Ansätze sind ja doch im Generalvertrag niedergelegt —, dann komme ich schon zu neuen Verhandlungen. Wenn ich aber jetzt abbreche, meine Damen und Herren, wenn ich nicht weiter verhandle, dann kann ja kein Mensch aber auch nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen, die anderen lassen sich jetzt nach anderthalb Jahren Verhandlungen auf neue ein;' das glaube ich nicht, meine Damen und Herren. Das ist meine tiefste Überzeugung und ist namentlich meine Überzeugung, wenn solche Zwischenrufe kommen, wie sie eben leider Gottes gekommen sind.
Ich habe das Wort „dynamische Entwicklung" gebraucht; das hat mir Herr Ollenhauer ganz übel genommen, er hat da von Hitler-Diktatur gesprochen. Ich glaube, er hat auch von Wilhelm II. gesprochen — in einem anderen Zusammenhang.
Er hat auch in diesem Zusammenhang davon gesprochen, ich hätte — ich bin da nicht mitgekommen — ich weiß nicht wem, damit einen tödlichen Stoß versetzt. Ich stehe effektiv vor einem Rätsel. In der ganzen Welt gibt es eine dynamische Entwicklung. Wir sind ja mitten drin. Ist die Entwicklung seit 1945, in der wir stehen, nicht eine dynamische Entwicklung?
Also was habe ich denn nun für ein Unrecht getan, wenn ich davon gesprochen habe?
— Ich weiß, daß ich ein armer Sünder bin, aber ein bißchen — —
Der Herr Kollege 011enhauer hat uns zum Vorwurf gemacht, wir hätten im Schumanplan-Vertrag nicht stipuliert, daß die Ostzone im Falle der Wiedervereinigung ohne weiteres zum Schumanplan gehöre. Ich bin überzeugt, daß, wenn wir's getan hätten, wir auch einen Rüffel bekommen hätten.
Aber das nehmen wir ruhig hin. Ich möchte nur folgendes fragen: Wenn das schon ein Fehler war, wenn das schon gegen die Interessen der Ostzone verstieß, daß sie nicht ohne weiteres dazukommt, welchen Verstoß haben Sie begangen, daß Sie den Schumanplan abgelehnt haben?
Ich nehme einen weiteren Punkt. Herr Kollege Ollenhauer hat mich sehr getadelt, weil ich immer von Stärke gesprochen hätte. Stärke—ich bin allerdings, und ich glaube, Herr Ollenhauer ist es auch -- der Auffassung, daß Moskau mit einem kleinen Schwächling überhaupt nicht verhandelt; den frißt es einfach.
Unsere Stärke würde doch nicht allein in den
L2 deutschen Divisionen beruhen, sondern sie
würde doch in dem Zusammenschluß mit den
andern beruhen. Selbstverständlich — Sie haben vollkommen recht darin, Herr Kollege Ollenhauer —, entscheidend ist das Kräfteverhältnis zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten. Aber wir wollen doch dafür sorgen, daß die Kräfte der Vereinigten Staaten vermehrt werden,
weil das eben entscheidend ist. Das können Sie uns doch nicht übelnehmen.
Ich möchte noch ein Wort sagen zu diesem Punkt: Wenn es zu Zeiten, als Hitler in Polen einbrach, einen Atlantikpakt gegeben hätte — Hitler würde niemals seine Geschichten gemacht haben.
Es wurde bezweifelt, daß diese 12 Divisionen überhaupt etwas zu bedeuten hätten. Meine verehrten Damen und Herren, auch das kann ich Ihnen und der Öffentlichkeit, wie ich glaube, in wenigen Sätzen klarmachen, was das zu bedeuten hat. Wenn wir deutsche Divisionen haben, dann haben wir bei der Ausarbeitung der strategischen Verteidigungspläne mitzusprechen. Es gab zwei Vorstellungen solcher Pläne.
Die eine Vorstellung war die: Verteidigung westlich des Rheins, gestützt auf die Ardennen. Das würde allerdings für uns der Untergang gewesen sein, falls ein Krieg kommen sollte.
Die zweite Vorstellung war die, die auch Herr Kollege Dr. Schumacher immer vertreten hat; er hat die These vertreten: möglichst am Eisernen Vorhang verteidigen, und wenn möglich offensiv gegen Osten.
Dieser These, die auch Herr Kollege Schumacher vertreten hat, verhelfen wir zum Erfolg.
— Meine Damen und Herren, meine Freunde dort drüben sind heute solche Engel, wie ich sie noch nie gesehen habe.
Nun zu der Industrieverlagerung, über die zunächst Herr Schöne heute gesprochen und die dann Herr Kollege Ollenhauer so ausgemalt hat. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, am Eisernen Vorhang werde ein Elendsgebiet entstehen und wir rissen dort geradezu ein soziales Loch auf. Haben Sie denn die Verträge, obwohl Sie sie ein halbes Jahr in Händen haben, nicht gelesen? Worum handelt es sich denn bei der Industrieverlagerung? Das Wort „Industrieverlagerung" steht überhaupt nicht da drin,
sondern es handelt sich darum, daß gewisse Industrien nur westlich einer gewissen Linie etabliert werden können. Diese Industrien sind in dem Vertrag auch aufgeführt, und ich darf mir
gestatten, sie auch Ihnen hier aufzuführen. Das sind Atomwaffen, chemische Waffen, biologische Waffen,
das sind V-Waffen, Kriegsschiffe und Militärflugzeuge. Wenn wir die nicht weiter nach Osten legen
dürfen, damit sie nicht eines Tages von sowjetrussischen Flugzeugen blitzartig zerstört werden,
wird deswegen dann die deutsche Volkswirtschaft dort notleidend werden? Das ist doch alles unrichtig!
— Ja, Sie müssen es noch etwas ertragen!
Seien Sie ruhig, dann komme ich vielleicht noch mit mehr heraus; nur, Sie müssen ruhig sein!
Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, im Vorfeld
— d. h. im Vorfeld vor jedem Abschluß von Verträgen mit dem Westen — liege die Wiedervereinigung. Nun frage ich: glaubt denn nach allem, was wir erfahren haben, irgendeiner, daß Sowjetruß-land eines Tages an uns oder an die drei Westalliierten eine Note richten und sagen wird: Liebe Freunde, ich sehe ein, ich habe Unrecht getan, hier habt ihr eure Ostzone gratis und franko wieder!? Nein, meine Damen und Herren, das glaube ich nie
und nimmer!
Deswegen liegt die Wiedervereinigung Deutschlands nicht im Vorfeld dieser Verträge, sondern mitten in diesen Verträgen drin.
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Ernsthafte
Verträge!)
Dann müssen Sie sich auf Ihr Stühlchen setzen und sagen: Ich lasse Gottes Wasser über Gottes Land laufen!
Herr Kollege Ollenhauer hat das Beispiel Koreas gebraucht, um damit seine Mahnung zur Geduld zu begründen. Ich weiß nicht, ob die armen Koreaner, wenn sie das hören sollten, diesem Beispiel irgendwie Beifall zollen würden. Gerade Korea, das Land, das mitten dazwischen lag und das wehrlos und ungeschützt war,
muß für uns Deutsche ein warnendes Beispiel dafür sein, dafür zu sorgen, daß unsere Heimat nicht das Schicksal Koreas teilt.
Wir wollen keinen Krieg; wir wollen auch nicht Schauplatz eines Krieges werden, den andere führen.
Warten —worauf sollen wir denn warten?
Haben sich die Verhältnisse in der Welt nicht in
den letzten 12, 18 Monaten verschlimmert, und
sieht es nicht so aus, als wenn sie sich weiter
verschlimmerten? Ich bin fest davon überzeugt —
ich wiederhole, ich bin fest davon überzeugt —,
daß, wenn nicht die Vereinigten Staaten und andere Glieder der UNO auf Korea so reagiert hätten, wie sie reagiert haben, wir dann schon lange von Sowjetrußland geschluckt wären.
Herr Kollege Ollenhauer hat auseinandergesetzt: Es wird so lange dauern, es wird 1954 werden, es wird 1955 werden. Nach meinem simplen Menschenverstand ist das ein Grund, möglichst schnell zu machen.
— Das werden Sie noch merken, Herr Mellies! —Sicher, wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir im Juli in allen drei Lesungen die Sache erledigt,
und ich versichere Ihnen, die politische Entwicklung in der Welt wäre höchstwahrscheinlich viel angenehmer verlaufen, als sie verlaufen ist, solange die Ungewißheit besteht: Wird Deutschland es tun, wird es es nicht tun; was macht die Opposition, was sagt die Opposition dazu, wird die Opposition den Verfassungsgerichtshof anrufen, wird sie ihn nicht anrufen, wird sie anrufen und ersuchen, eine einstweilige Verfügung gegen den Bundespräsidenten zu erlassen, was wird sie tun? Nein, wir wollen so schnell wie möglich alles tun, damit die Welt sieht, was ist. Ich bin überzeugt, wenn die Welt das sieht, dann wird auch in Frankreich und in den anderen Ländern eine große Beruhigung eintreten, und wir dienen der Sache des Friedens,
während uns die Unruhe nur dem Krieg näherbringt.
Ich bin ja schließlich nicht dazu angestellt, mir
— Herr Mellies, ich könnte Ihnen doch manchen guten Rat geben!
Aber — und was ich jetzt sage, ist mir sehr ernst gemeint —, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist eine große Partei. Sie ist eine Partei mit großer Vergangenheit,
, und sie muß bleiben.
Sie muß ein bestimmender Faktor des politischen Lebens in Deutschland bleiben.
— Nein, meine Damen und Herren, machen Sie sich keine falschen Hoffnungen!
Aber jetzt kommt, was ich sagen wollte: Wenn ich höre von Sozialisten anderer europäischer Länder, und zwar von namhaften, führenden Sozialisten, wie sie über die Rolle, die die deutsche Sozialdemokratie in Mailand gespielt hat, urteilen, dann muß ich Ihnen sagen: Als Deutscher bedauere ich, daß die deutsche Sozialdemokratie sich bei ihren eigenen Gesinnungsgenossen in Europa soviel verscherzt hat, wie sie es leider getan hat.