Rede von
Wilhelm
Naegel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Zeichen der Debatte über die Auswirkung der Verträge haben in den letzten Stunden die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme in den Vordergrund rücken müssen. Es ist selbstverständlich, daß man gerade diesen Auswirkungen der Verträge besondere Aufmerksamkeit widmet. Ich halte es aber für notwendig, daß man über diese rein fachlichen Dinge auch die grundsätzliche Frage nicht vergißt, und ich meine, wir dürfen uns auch daran erinnern,
daß die Verteidigung Europas eine Aufgabe ist, die nicht allein von Wirtschaft und Finanz abhängig ist, sondern daß sie eine allgemeine politische Aufgabe ist. Ich möchte den Primat der Politik in diesem Fall ohne weiteres in den Vordergrund rücken und anerkennen, aber ich weiß, daß die materielle Durchführung der Verteidigung ganz wesentlich von den wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen abhängig ist.
Vor hundert Jahren, im Jahre 1850, hat der große spanische Politiker Donoso Cortes bei seiner Auseinandersetzung mit dem Sozialismus vor dem spanischen Parlament in banger Erkenntnis der möglichen Konsequenzen davor gewarnt, daß eine Zeit kommen könne, in der durch die Auflösung der bestehenden Gesellschaftsordnung — d. h. der persönlichen Freiheit — und durch die Beseitigung des Privateigentums und die Vernichtung des persönlichen Besitzes in den europäischen Menschen jeder Wille zur Verteidigung gebrochen würde. Dann, so sagt er, schlägt die Stunde Rußlands. Es wird sich bis zu dieser Zeit zu einem asiatischen Staat entwickelt haben und wird sich aus der pan-slawistischen Idee heraus mit einem Gürtel von Satellitenstaaten umgeben haben. Dann, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sein würden, würde Rußland mit dem Gewehr unter dem Arm in Westeuropa einmarschieren, ohne Widerstand zu finden.
Eine düstere Vorausschau, aber eine Konsequenz aus den Entwicklungen, die sich vor hundert Jahren angelassen haben, vor denen wir heute stehen und die zu überwinden unsere wichtigste Aufgabe zu sein scheint. Es erübrigt sich, im einzelnen zu untersuchen, ob alle die Voraussetzungen heute erfüllt sind. Die Besitz- und Eigentumsverluste der Flüchtlinge und Vertriebenen aber erscheinen unter diesem Aspekt in einem ganz besonderen Licht.
Um den genannten gefährlichen Auflösungstendenzen entgegenzutreten und entgegenzuwirken, ist es unsere Aufgabe gewesen, mit allen Mitteln der Politik und der Wirtschaft eine neue Ordnung aufzubauen, die persönliche Freitheit zu sichern und zu erhalten und der Schaffung persönlichen Besitzes und Eigentums zu dienen, um zu einer neuen Gesellschaftsordnung zu gelangen, die den Verteidigungswillen stärkt, um den Frieden zu sichern. Diesen Zielen dienen nach unserer Auffassung die Möglichkeiten der sozialen Marktwirtschaft, und diesen Zielen sollen auch die Verträge dienen, die wir heute zu beraten haben. Es ist deshalb notwendig zu prüfen, ob trotz der abgeschlossenen Verträge und ob mit ihrer Hilfe die Entwicklung der Wirtschaft so beeinflußt und gestaltet werden kann, daß die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft gewahrt bleiben und wirksam bleiben.
Ich darf auf einige wirtschaftspolitische Probleme der Verträge hinweisen. Ich beschränke mich bei dieser Darstellung auf die wesentlichen Fragen, die mit der Versorgung und Beschaffung sowie mit der Organisation und Durchführung dieser Aufgaben zusammenhängen. Andere Fragen werden von meinen Kollegen ergänzend behandelt werden.
Gestatten Sie mir aber bitte noch einige grundsätzliche Bemerkungen zur Frage der. Entwicklung und Gestaltung der deutschen Wirtschaft nach dem Krieg. Die Hypothek des Krieges und der Kriegsfolgen, Bombenschäden und Raubbau sowie Demontagen und Produktionsverbote hatten die deutsche Wirtschaft fast völlig vernichtet. Die Wirtschaftshoheit war ausschließlich in der Hand der Alliierten. Für jeden einzelnen Wirtschaftsvorgang brauchten wir ein besonderes Permit. Dazu kam Mangel an Rohstoffen und Mangel an Energie. Die Produktion reichte bei weitem nicht aus, um auch nur den Bedarf der eigenen Bevölkerung im bescheidensten Umfang zu decken. Dann haben wir seit 1947 eine systematische Entwicklung der Grundstoffindustrien eingeleitet, um damit die Voraussetzung für eine weitere Förderung der Konsumgüterindustrie und vor allen Dingen des Exports zu schaffen.
Aber diese Entwicklungen vollzogen sich unendlich langsam. Noch bei der Währungsreform Mitte 1948 betrug der Produktionsindex rund 50 °/o von 1936. Dann begann unter den Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft, die die deutschen wirtschaftenden Menschen wieder zur Entfaltung und Steigerung ihrer Leistung kommen ließ, ein stürmischer Auftrieb, so daß wir im Oktober 1952 einen Produktionsindex von 158 °/o verzeichnen konnten. Das heißt, das Produktionsergebnis, das Sozialprodukt, konnte in dieser Zeit mehr als verdreifacht werden.
Wir wollen nicht vergessen, daß dabei auch Hilfe aus der Hand unserer ehemaligen Gegner ganz wesentlich mitgeholfen hat, den Erfolg zu erringen. Ich denke an Marshallplan, an GARIOA-Mittel und andere Maßnahmen.
So gelang es, die Versorgung der eigenen Bevölkerung voll ausreichend zu decken und darüber hinaus den Export, der im Jahre 1948 rund 21/2 Milliarden DM betrug, über die für die Beendigung des Marshallplans vorgesehenen und errechneten 8 Milliarden DM hinaus im Jahre 1952 auf 16 Milliarden DM zu steigern.
Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Beschäftigten von rund 12 Millionen auf über 15 Millionen Arbeitnehmer. Im August 1952 betrug der Lohnindex in der Bundesrepublik 191,9 % von 1938, und zur gleichen Zeit war der Lebenshaltungsindex auf 168 °/o von 1938 berechnet worden.
Diese wenigen Angaben, die beliebig vermehrt werden könnten, beleuchten den heutigen Stand der deutschen Wirtschaftslage. Diese Wirtschaft steht nicht mehr isoliert da, wie es bis 1947 der Fall war, sondern sie ist eingegliedert in das Gesamtgeschehen der westlichen Welt, ja der Weltwirtschaft. Allerdings muß sie dazu auch ihren Beitrag leisten.
Diese Wirtschaft hat neben der hohen Sozialleistung und neben den Gemeinde- und Landessteuern noch einen Bundeshaushalt von rund 20 bis 22 Milliarden DM zu finanzieren. Den größten Posten in diesem Etat stellen die Besatzungskosten dar, die mit 6,4 Milliarden DM, nach anderen Quellen mit 8,8 Milliarden DM angegeben werden.
Die Aufbringung dieser Beträge ist der Wirtschaft und den in ihr tätigen Menschen nicht leicht gefallen. Aber andererseits konnten diese Beträge doch aufgebracht werden, ohne daß dadurch eine Katastrophe eingetreten wäre.
Nach Inkrafttreten der Verträge wird sich die deutsche Wirtschaft vor die Notwendigkeit gestellt sehen, an Stelle der Besatzungskosten in der eben genannten Höhe einen Verteidigungsbeitrag aufzubringen, der im Etat 1953 mit 9 Milliarden DM vorgesehen ist und der nach Addition der Kosten in den Verträgen 10,2 Milliarden DM pro Jahr betragen wird. Ich verweise in diesem Zusammen-
hang auf die detaillierten Ausführungen des Kollegen Bausch, der hier jede Einzelheit gebracht hat.
Die zusätzliche Belastung, die ja ohne neue Steuern, wie der Herr Finanzminister versichert, aufgebracht werden soll, kann getragen werden, wenn die sicher erwartete Steigerung des Sozialprodukts um weitere 4 % und mehr eintritt. Die gegenwärtigen Entwicklungstendenzen lassen eine weitere Steigerung der wirtschaftlichen Leistung durchaus gerechtfertigt erscheinen.
Gestatten Sie mir auch einige Bemerkungen zu den gestrigen Ausführungen des Kollegen Kreyssig. Zunächst muß ich feststellen, daß diese Ausführungen über den Rahmen des Berichts, den er für die Minderheit des Wirtschaftspolitischen Ausschusses zu erstatten hatte, weit hinausgingen.
Das war keine Berichterstattung mehr, es war schon eine Debatte. Ich bedaure dieses Vorgehen um so mehr, weil damit der Versuch der loyalen Zulassung von Minderheitsgutachten als gescheitert angesehen werden muß.
Außerdem sind von dem Vertreter der Opposition Zahlenangaben gemacht worden, die zu hoch sind. Es ist bereits durch die Diskussion über den finanziellen Beitrag Klarheit geschaffen worden, so daß ich mir weitere Ausführungen dazu ersparen kann. Ich darf aber feststellen, daß die Zahl von 141/2 Milliarden DM als Verteidigungsbeitrag zu hoch ist, daß die Unterlagen aus den Verträgen höchstens 10,2 Milliarden DM ergeben und daß, 1 wie wir aus den Ausführungen anderer Referenten gehört haben, durch weitere Reduzierungen sogar mit einer Verringerung auch dieses Betrages gerechnet werden kann. Die Zahl von 141/2 Milliarden DM Verteidigungskosten ist im Wirtschaftspolitischen Ausschuß auch niemals genannt worden.
Für die Beurteilung der deutschen Wirtschaft und ihrer Belastung durch die Verträge ist auch noch von Bedeutung, darauf hinzuweisen, daß es sich nicht um die Unterhaltung einer nationalen Armee handelt, wie das früher in Deutschland der Fall war,
wobei übrigens die deutsche Wirtschaft durchaus nicht zusammengebrochen ist, ebensowenig wie in den anderen Staaten, die heute noch die Last ihrer nationalen Armee allein zu tragen haben. Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine Staatengemeinschaft von sechs Ländern, die sowohl in der Aufbringung der Mittel und ihrer Verwendung als auch der Unterhaltung der Truppen sich zusammengefunden haben.
Hinzu kommt darüber hinaus noch die Außenhilfe der USA, die sich, wie wir ja in den Beratungen der Ausschüsse gehört haben, nicht nur für die Erstausstattung in ganz wesentlichem Maße auswirken, sondern auch bei der weiteren Entwicklung Berücksichtigung finden wird. Eine Gefährdung der Deckung des deutschen Inlandsbedarfs und der Entwicklung des deutschen Exports scheint mir nach Prüfung der Verträge weder durch den finanziellen noch durch den güterwirtschaftlichen Beitrag zur Verteidigung gegeben zu sein.
Ich darf auch noch darauf hinweisen — was bereits betont wurde —, daß von dem Aufkommen, das Deutschland zu erbringen hat, zumindest 85 % in Deutschland verbleiben und somit als ein gewisser Impuls für die deutsche Wirtschaft angesehen werden dürfen, während wir bisher bei den Besatzungskosten, die nicht wesentlich geringer sind als der Verteidigungsbeitrag, auf die Art der Verwendung der von uns zu erbringenden Mittel gar keinen Einfluß hatten. Es ist aber sogar wahrscheinlich, daß wir mit einer weiteren Entwicklung rechnen können, nämlich damit, daß mehr als 85 %, daß 100 % des eigenen deutschen Verteidigungsbeitrags in Deutschland verbleiben und daß auch noch durch zusätzliche Aufträge von anderen EVG-Ländern weitere zusätzliche Impulse auf die deutsche Wirtschaft zukommen.
Ich möchte annehmen, allein diese kurze Betrachtung der Verhältnisse gestattet uns, mit gutem Gewissen zu sagen: Es bedarf der Leistungssteigerung, es bedarf weiterer hoher Anstrengungen; aber es ist möglich, diesen Beitrag zur Verteidigung der westlichen Welt, zur Verteidigung des Friedens zu erbringen, ohne daß eine Gefährdung und ohne daß eine katastrophale Entwicklung der deutschen Wirtschaft befürchtet werden muß.
Wenn wir uns die güterwirtschaftliche Beitragsseite einmal betrachten, dann sehen wir in erster Linie wohl die Frage der Unterbringung der Stationierungstruppen und der EVG-Truppen. Die bisher durchgeführten Überlegungen — wobei es sich noch nicht um konkrete Planungen handelt — sehen vor, daß man insgesamt mit einem Bauvolumen von 12 Milliarden DM rechnen muß. Das wird sich aber für die einzelnen Jahre sehr unterschiedlich gestalten. Man rechnet für das erste Jahr mit Größenordnungen zwischen 2,5 und 3,3 Milliarden DM auf diesem Sektor.
Dabei muß ich die Befürchtung des Herrn Kreyssig, diese unterschiedliche Beurteilung sei j a doch wohl ein Beweis für die Unklarheit, zurückweisen. Denn es handelt sich weder um eine konkrete Planung, noch ist das Kommissariat oder der Gemeinschaftsausschuß schon gebildet worden, um eine ins einzelne gehende Berechnung durchzuführen. Es sind also nur rohe Schätzungen.
Ich halte es für notwendig, darauf hinzuweisen, daß auch das Problem der Wohnungsbauten für die Zukunft dadurch nicht wesentlich beeinflußt werden kann. Es ist j a nicht der Mangel an Rohstoffen und Baumaterial gewesen, der bisher den Wohnungsbau im wesentlichen beeinträchtigt hat, sondern es waren andere Faktoren. Ich darf an den Kapitalmarkt, die Bereitstellung' der notwendigen Mittel usw. erinnern. Was aber die Bereitstellung von Bundesmitteln anlangt, so sieht der Haushaltsplan 1953/54 genau wie der vorjährige wiederum 500 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau vor. Also auch hier tritt keine Verschlechterung ein.
Die Versorgung der Stationierungstruppen oder der EVG-Truppen ist vielfach in die Diskussion geworfen worden. Man meinte, es würden dadurch Mangellagen eintreten und Schwierigkeiten auftreten. Was die Versorgung der Truppen mit Gütern der Konsumwirtschaft anlangt, so möchte man im Gegenteil bei der Betrachtung der noch nicht ausgenutzten freien Kapazitäten in Deutschland und des geringen Anteils dieser Truppen an den Produktionsergebnissen der Güterwirtschaft an-
nehmen, daß eher ein Impuls, eher eine günstigere Entwicklung als die geringste Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Einige Zahlen: Wir hatten im letzten Jahr eine Schuhproduktion von 84 Millionen Paar Stiefeln. Wenn wir für die Truppenversorgung 1,5 bis 2 Millionen rechnen, dann sieht man wohl ein, daß dadurch keine Verschlechterung der Versorgung des deutschen Binnenmarktes eintritt.
Ähnlich liegen die Dinge auf dem Gebiet der Textilwirtschaft, wobei wir höchstwahrscheinlich mit dem Produktionsergebnis eines Monats alles das decken können, was für die Installation und Einrichtung der Truppen notwendig sein wird. Wenn wir weiter berücksichtigen, daß durch Rationalisierungsmaßnahmen, durch weitere Leistungssteigerung auch noch eine Entwicklung von der Gütererzeugungsseite her möglich ist, dann, glaube ich, brauchen wir auch auf diesem Gebiet keine Besorgnis zu haben. Außerdem müssen die Beschlüsse der die Auftragsverteilung regelnden Kommission bzw. des Gemeinsamen Ausschusses entweder einstimmig oder mit Zweidrittelmehrheit gefaßt werden, und die deutschen Vertreter sind dort gleichberechtigt vertreten, so daß also auch hier eine weitere Berücksichtigung der deutschen wirtschaftlichen Verhältnisse und der sozialen Entwicklung durchaus gesichert erscheint.
Ein Wort gestatten Sie mir noch zu der Frage, wieweit die Versorgung mit Eisen und Stahl zu Schwierigkeiten führen könnte. Ich möchte sagen: Selbst wenn wir annehmen, es könnte durch Aufträge in einem Umfang, den wir heute noch nicht übersehen können, einmal eine besondere Belastung eintreten, dann darf ich vielleicht daran erinnern, daß es gerade bei der Debatte um den Schumanplan immer wieder ausgesprochen wurde: Nicht die Mangellage, sondern die Überproduktion der europäischen Eisen- und Stahlwirtschaft ist die große Gefahr für die Zukunft. Ich darf Herrn Professor Nölting zitieren, der in der Debatte bei der zweiten Lesung des Schumanplans sagte:
Überproduktion ist in absehbarer Zeit nicht bei Kohle, wohl aber bei Stahl zu befürchten, entsteht dort, und wenn der außenpolitische Wind umschlägt, haben wir alsbald eine ganz andere Situation, eine Absatzkrise. Dann werden wir alle jene Einschränkungen hinnehmen müssen, die sich aus der übertriebenen und ungesunden Kapazitätsausdehnung ergeben.
Wenn wir also hier eine weitere Steigerung des Verbrauchs durch die Industrie erzielen könnten, so würde wohl diese von Herrn Professor Nölting geäußerte Befürchtung in Zukunft nicht mehr so tragisch zu nehmen sein.
Die Wirtschaftssouveränität wird sich durch den Vertrag im wesentlichen günstig gestalten, zumal wir ja davon ausgehen müssen, daß Produktionsverbote und Einschränkungen aufgehoben werden und daß vor allen Dingen auch das Alliierte Sicherheitsamt verschwindet. Wir nehmen an, daß damit weitere Impulse für die Steigerung der deutschen Wirtschaftsleistung geschaffen werden können.
Ein Wort müssen Sie mir noch zu der Frage der arbeitsrechtlichen Entwicklung gestatten. Herr Dr. Kreyssig hat gestern das böse Wort von der Dienstverpflichtung gebraucht. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß weder die Verträge dafür eine Handhabe geben noch eine gesetzliche Regelung nach dieser Richtung vorliegt oder geplant ist.
Es würde, selbst wenn man eine Verpflichtung der Bundesregierung zur Erfüllung bestimmter Anforderungen der alliierten Stationierungstruppen anerkennte, immer erst zu einer gesetzlichen Regelung kommen müssen, über die das Parlament, hier dieses Haus, zu entscheiden hätte.
Diese Regelung müßte dann im Einklang mit dem
Grundgesetz stehen. An verschiedenen Stellen des
Vertragswerks ist festgelegt worden, daß die Durchführung der Bestimmungen nur im Rahmen der
Verfassungen der einzelnen Mitgliedstaaten mög-
lich sein werde. Aber auch anzunehmen, aus der
augenblicklichen Methode der Arbeitsvermittlung
könne etwas Ähnliches wie dine Dienstverpflich-
tung entstehen, ist eine böswillige Unterstellung.
Auch die bisherige Praxis der Arbeitsvermittlung sieht vor, daß mehrere Angebote gemacht werden, und die bisherige Auslegung der Verträge zeigt, daß die Vermittlung von Kräften für zivile Dienstleistungen bei den Stationierungstruppen über das normale deutsche Arbeitsvermittlungsverfahren gehen wird. Wir haben also gar keinen Anlaß, zu befürchten, daß Maßnahmen ergriffen werden, die etwas Ähnliches wie eine Dienstverpflichtung darstellen.
In diesem Zusammenhang darf ich aber darauf hinweisen, daß in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Vertretern der jetzigen Dienstgruppen bei den Alliierten bei mir waren und ihre Besorgnisse darüber äußerten, sie 'könnten nach Annahme der Verträge arbeitslos werden.
Also genau das Gegenteil von dem, was die Opposition 'behauptet hat, wird in den Kreisen vertreten, die heute schon einen ähnlichen Dienst ausüben.
Wir 'können also diese Frage im Hinblick auf die
zukünftige Entwicklung mit aller Ruhe betrachten.
Leider ist meine Redezeit schon abgelaufen, so daß ich es mir versagen muß, auf die Frage der Währungsstabilität und ähnliche Dinge einzugehen, die wir für dringend notwendig halten. Aber ich nehme an, 'einer meiner Kollegen wird auch hier 'das rechte Wort finden, um der Öffentlichkeit gegenüber festzustellen und klarzustellen, wie ernst es uns bei der Prüfung dieser Frage gewesen ist und wie sehr wir davon überzeugt sind, daß keine Gefahr in dieser Richtung besteht, jedenfalls nicht durch die Verträge kausal bedingt.
Unter Abwägung all dieser Überlegungen kann mit nüchternem Verstand festgestellt werden, daß sich aus den Bestimmungen der Verträge eine Gefährdung der 'deutschen Wirtschaft automatisch nicht ergeben wird. Im Gegenteil, es werden Impulse ausgelöst, die
auf vielen Gebieten und in einer ganzen Reihe von Branchen, insbesondere auf dem Konsumgütersektor als Anreiz zu einer nachhaltigen Aufwärtsentwicklung angesehen werden können.
— Ich weiß ja, der liebe Gott weiß alles, und die Opposition weiß alles besser!
Aber wir können uns deshalb im Augenblick nicht damit beschäftigen.
Die von uns vertretene soziale Marktwirtschaft wird in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Ihre drei Grundprinzipien, die Freiheit der Berufswahl, die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes und die Freiheit des Konsums, erscheinen uns durch die Annahme der Verträge gesicherter als zuvor,
da die Verträge allein im Interesse der Sicherheit und der Gewährleistung des Friedens abgeschlossen werden. Sicherheit und Frieden aber sied die notwendigen Voraussetzungen einer kontinuierlichen Aufwärtsentwicklung der Volkswirtschaften aller Vertragspartner, also auch der deutschen Bundesrepublik. Das deutsche Volk sollte sich deshalb nicht von den Kassandrarufen der Opposition irreführen lassen.
Wir haben derartige Töne ja zu oft gehört. Ich darf nur Herrn Dr. Kreyssig an das erinnern, was er anläßlich der Beratung des Leitsätze-Gesetzes im Wirtschaftsrat seinerzeit gesagt hat:
Dieses Stahlbad, durch das die Arbeiterschaft gehen wird, das Stahlbad der freien Preise, findet sein Gegenstück — und das ist es, was uns mit Besorgnis und Skepsis diesen Richtlinien und Leitsätzen gegenüber so außerordentlich erfüllt — in den Maßnahmen, die
wir bisher auf dem andern Sektor der Löhne erlebt haben.
Und dann sagt er:
Das alles hat keinen Sinn. Es wird zu einer Katastrophe führen. Wir stehen nach wie vor auf dem 'Standpunkt, daß die Wirtschaft nur in Gang gesetzt werden könnte durch eine systematische Planung und eine ebenso systematische Lenkung aller notwendigen Bedarfsgüter in Deutschland.
Ich darf Lhnen dazu einige Zahlen nennen. Der Lohnindex betrug 1948 100,7 % von 1938, im August 1952 191,9% Die Lebenshaltungskosten betrugen im Juli 1949 159 % und im August 1952 168 %.
Wir wollen die Impulse, die durch die Verträge auf die deutsche Wirtschaft ausgelöst werden, keinesfalls überschätzen. Wir wollen sie auch nicht verallgemeinern. Wir wissen andererseits auch, daß es erheblicher Anstrengungen und einer intensiven Leistungssteigerung 'bedarf, um all den neu hinzukommenden Aufgaben gerecht werden zu können. Aber wir sind davon überzeugt, daß die deutsche Wirtschaft alle noch vorhandenen Möglichkeiten und Reserven einsetzen wird, um die notwendigen Leistungen zu erbringen. Dann ist nach unserer ehrlichen Meinung eine Gefahr für die Fortführung der sozialen Marktwirtschaft und die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung und des Exports der Bundesrepublik nicht gegeben. Das 'deutsche Volk aber muß wissen, daß die Auswirkung der Verträge und die Gestaltung der Durchführung immer von den Menschen abhängig sein wird, die dieses Instrument handhaben. Im Bewußtsein unserer wirtschaftspolitischen Verantwortung werden wir für die Annahme der Verträge stimmen.