Rede von
Dr.
Elinor
Hubert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesversorgungsgesetz beruht auf der Teilung der Rente in eine Grundrente und in die Ausgleichsrente, wobei nur die Ausgleichsrente der wirtschaftlichen Sicherung des Beschädigten dient. Die Grundrente dagegen soll in etwa den Schaden ausgleichen, den der Betreffende sein ganzes Leben zu tragen hat. Sie soll den Mehraufwand decken, den der Betreffende, je nach dem Grade seiner Beschädigung, in erheblichem Maße hat und einen Ausgleich bilden für die Beeinträchtigung im Existenzkampf gegenüber dem Gesunden. Die Grundrente stellt darum kein Einkommen dar, das auf Leistungen anderer Art angerechnet werden könnte.
Daß dies nicht nur der Wille des Gesetzgebers, sondern auch die Absicht der Bundesregierung bei Einbringung der Vorlage zum Bundesversorgungsgesetz war, geht eindeutig aus der Begründung zum Bundesversorgungsgesetz hervor, aus der ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einmal etwas vorlesen und in Erinnerung bringen möchte. Hier heißt es:
Jedoch haben Beschädigte, deren Erwerbsfähigkeit infolge einer Schädigung um 25 bis 30 v. H. oder mehr gemindert ist, Mehraufwendungen oder Ausgaben, die ein gesunder Mensch nicht hat, oder Ausfälle an wirtschaftlichen Vorteilen oder Betätigung außerhalb des Berufs, die einen gewissen Ausgleich erfordern. Für diesen Ausgleich ist in § 28 Abs. 1 eine neben jedem sonstigen Einkommen zahlbare Grundrente vorgesehen.
Um den Charakter dieser Grundrente nicht antasten zu lassen, j a um ihn zu unterstreichen, hat der Bundestag von einer Einkommenshöchstgrenze bei der Zahlung dieser Grundrente abgesehen. Wenn wir nun aber den Beziehern höchster Einkommen diese Grundrente lassen, wäre es doch geradezu im höchsten Maße unsozial, ja einfach unbegreiflich, wollten wir sie den Beziehern niedrigster Einkommen, den sozial Schlechtestgestellten, d. h. in diesem Falle den Beziehern von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung, entziehen. Die Verordnung Nr. 117 in der britischen Zone über Arbeitslosenfürsorge sagt in § 7 Ziff. 2 a:
Ausgenommen von der Anrechnung sind:
Leistungen, die zur Abgeltung eines erhöhten Aufwandes gewährt werden.
Um eine solche Abgeltung erhöhten Aufwandes handelt es sich bei der Grundrente. Darüber waren wir uns, glaube ich, in diesem Hohen Hause immer einig. Wenn nun Oberversicherungsämter den Charakter dieser Grundrente und den Willen des Gesetzgebers in einer solchen Weise mißverstehen, daß Urteile ergehen, die dazu führen, daß diese Grundrente in einigen Ländern der Bundesrepublik auf andere Leistungen angerechnet wird, so ist das sehr bedauerlich. Ganz unbegreiflich aber ist die Haltung der Bundesregierung, die auf diese Mißstände, die durch die uneinheitliche Gesetzgebung in verschiedenen Ländern entstanden sind, schon mehrfach hingewiesen worden ist, und zwar nicht nur durch den Herrn Sozialminister von Niedersachsen, nicht nur durch einen Initiativgesetzantrag im Bundesrat, sondern auch durch die schon von meiner Kollegin Frau Korspeter hier angeführten Anfragen meiner Fraktion.
Die Beantwortung dieser Anfragen durch die Bundesregierung ist absolut unbefriedigend. Es wird hier immer auf einen kommenden Gesetzentwurf hingewiesen. Dabei hätte es ein besonderes Anliegen der Bundesregierung sein müssen, beschleunigt dieser Uneinheitlichkeit, die hier in der Bundesversorgung eingetreten ist, abzuhelfen.
Besonders merkwürdig aber mutet es an, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 28. März 1952 erklärt, sie habe beschlossen, daß „bei Kriegsbeschädigten ein Mehraufwand in Höhe der halben Grundrente anzuerkennen sei". Hier weicht die Bundesregierung von ihrer eigenen Begründung zu § 28 des Bundesversorgungsgesetzes ab und trägt dadurch selbst zu einer Rechtsunsicherheit bei, die in den Kreisen der Betroffenen die Unzufriedenheit vermehren und zwangsläufig zu politisch ungünstigen Auswirkungen führen muß.
Nun sind aber nicht nur die Opfer des Krieges, sondern auch die Opfer der Arbeit, die Unfallbeschädigten, in einer Lage — zwar auf Grund einer anderen Ursache, aber doch auf Grund des gleichen Tatbestandes —, die für sie dieselben Mehraufwendungen notwendig macht und sie in dieselbe ungünstige Lebenssituation bringt wie die Opfer des Krieges. Wir sind der Meinung, daß auch sie daher hier einen notwendigen Ausgleich erhalten müssen. Der Bundestag hat in § 291 des Lastenausgleichsgesetzes den Charakter der Grundrente bejaht und die Unfallbeschädigten, wenn auch leider nicht vollständig, mit einbezogen. Wir sind der Meinung, daß es notwendig ist, auch die Opfer der Arbeit, die Unfallbeschädigten, in der gleichen Höhe an einem solchen Ausgleich teilnehmen zu lassen wie die Opfer des Krieges und ihnen daher einen Freibetrag in Höhe der Grundrente zu gewähren, die der Kriegsbeschädigte mit der entsprechenden Erwerbsminderung erhält.
Die Notwendigkeit, diesen Gesetzentwurf hier einzubringen und vom Parlament aus initiativ zu werden, zeigt wieder, daß die Bundesregierung versäumt hat, da tätig zu werden, wo es ihre Angelegenheit gewesen wäre, die Einheitlichkeit auf dem Gebiet des Bundesversorgungswesens aufrechtzuerhalten. Die Mißstände und die Unsicherheit, die durch die verschiedenartige Rechtsprechung besonders in der britischen Zone entstanden ist, ist so groß, daß hier wirklich gehandelt werden muß. Ich bitte daher, diese Gesetzentwürfe nicht erst durch die Ausschüsse laufen zu lassen; denn das würde eine unnötige Verzögerung hervorrufen. Ich bitte, heute auch in die zweite und dritte Lesung dieser
Gesetzentwürfe einzutreten und sie heute in diesem Hause zu verabschieden.