Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Art und Weise, wie Frau K a -
linke das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz in den Orkus verbannt hat, kann auch ich nicht unwidersprochen lassen.
Ich bin damals im Frankfurter Wirtschaftsrat einer der Mitverantwortlichen an der Gestaltung dieses Gesetzes gewesen, und es sitzen ja hier in diesem Hohen Hause noch einige Damen und Herren, die ebenso wie der Kollege Richter, der damals der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik war — und ich hatte das Vergnügen, der stellvertretende Vorsitzende zu sein —, die ebenso wie wir an diesem Gesetz mitgearbeitet und auch mit dafür gestimmt haben. Ich glaube, man muß jetzt in dieser Situation doch auch die Feststellung 'treffen, daß auch die damaligen Abgeordneten ,der Deutschen Partei im Frankfurter Wirtschaftsrat diesem Sozialversicherungsgesetz — ich müßte mich sehr täuschen — zugestimmt haben.
— Wenn das nicht richtig ist, mag Frau Kollegin Kalinke mich korrigieren. Aber selbst wenn diese Abgeordneten der Deutschen Partei dagegen gestimmt haben, muß man, wenn man die Dinge heute rückwirkend beurteilen will, den damaligen Verhältnissen und der Zeitlage sicherlich Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Der Frankfurter Wirtschaftsrat, der eben nur für die britische und amerikanische Zone zuständig war, wie Sie wissen, ist im Juni 1947 gebildet worden, und erst ein ganzes Jahr später haben uns die Kontrollmächte die Erlaubnis gegeben, auch eine Verwaltung für Arbeit einzurichten.
Im Spätherbst des Jahres 1948 konnte damals Herr Storch als Direktor der Verwaltung für Arbeit erst seine Tätigkeit aufnehmen. Wir sind dann im Dezember 1948 zur Verabschiedung dieses Sozialversicherungs-Anpassungsgeseetzes gekommen, und ich darf, meine sehr verehrten Damen und Herren, etwa das wiederholen, was der Kollege Richter seinerzeit gesagt hat: Es war die erste Möglichkeit, unter den damaligen Verhältnissen in diesen Dingen etwas zu tun; unter Verhältnissen, die durch all die Jahre, die wir hinter uns hatten, so geworden waren.
Ich bekenne sehr offen und ehrlich, meine Damen und Herren, daß, wenn wir heute ein derartiges Gesetz zu machen hätten, darin manches wahrscheinlich anders aussehen würde.
Aus unserer Grundkonzeption heraus und unter den heutigen Umständen im Vergleich zu damals gesehen hat dieses Gesetz selbstverständlich seine Fehler und seine Mängel. Vom Versicherungsmäßigen her gesehen ist es sicherlich nicht richtig, daß wir damals eine Mindestrente geschaffen haben, für die sich aus versicherungsrechtlicher Grundlage, also aus gezahlten Beiträgen heraus, eine derartige Rentenhöhe nicht errechnen ließe. Aber gerade in dieser Frage müssen wir uns, glaube ich, in die damalige Situation hineinversetzen.
Wir haben in dem vorjährigen Renten-Zulagegesetz auch in dieser Beziehung wenigstens eine erste Korrektur vorgenommen.
Die verehrte Frau Kollegin Kalinke hebt ganz besonders diese unterschiedliche Behandlung in der Frage der Witwenrente hervor. Jawohl, meine Damen und Herren, wir haben uns darüber damals in Frankfurt im Ausschuß und auch im Plenum sehr ernsthaft unterhalten und die Köpfe zerbrochen. Aber es war damals ebenso, wie es auch heute bei unserer finanziellen Lage ist. Auch wir schaffen heute hin und wieder ein sozialpolitisches Gesetz mit dieser oder jener Neuerung, sind uns klar dar-
über, daß man die Verbesserung, die man jetzt hier beschließt, nicht für die gleiche Kategorie — auf, was weiß ich, wie lange Zeit — noch rückwirkend beschließen kann, weil das einfach die Finanzlage nicht zuläßt. Ich möchte zum Beispiel an das Bundesversorgungsgesetz erinnern und an die Frage der Abfindung der Witwen, die wieder heiraten. Auch da gibt es einen Teil von Witwen, die in früheren Jahren verwitwet waren und die sich wieder verheiratet haben, ,die es als eine Ungerechtigkeit ansehen, daß man ihnen das nicht gegeben hat. Aber man konnte es ihnen nicht geben, weil eine solche rückwirkende Lösung 'nicht möglich war. So liegt es auch hier in diesen Dingen. Man soll deshalb eine Verbesserung, die wir damals in dieser Beziehung — wenigstens von diesem Stichtag an — durchgeführt haben, nicht deshalb verurteilen, weil sie ein Teil der früheren Witwen nicht bekommen konnte. Ich würde meinen, man sollte sich darüber freuen, daß diese Verbesserung wenigstens von diesem Stichtag ab gewährt werden konnte.
Ich möchte abschließend folgendes sagen. Sicherlich werden wir uns über das Sozialversicherungs-
Anpassungsgesetz und seine tatsächlichen oder vermeintlichen Mängel noch gründlich unterhalten müssen. Ich bin aber der Meinung — und vertrete damit auch die Auffassung meiner Freunde —, daß es hier ebenso ist wie bei vielen anderen Fragen, von denen wir überzeugt sind, daß sie irgendwie korrigiert werden müssen. Wir können nicht jede Einzelfrage vorwegnehmen, sondern wir müssen diesen Komplex auf die kommende Gesamtreform verschieben.
So bin ich der Meinung, daß es erst recht bei diesem Gesetz notwendig wird, es im Zusammenhang mit den demnächst stattfindenden Beratungen über eine Gesamtreform zu behandeln, weil ich sonst fürchte, daß wir vielleicht jetzt wieder etwas machen 'würden, was wir unter Umständen bei einer späteren Reform so oder so wieder zu korrigieren gezwungen sein könnten. Ich halte also dafür, daß man diese Dinge im Gesamtkomplex sehen muß und daß man sie bei dieser Gesamtlösung regelt. Das ist die Auffassung meiner Freunde. Ich möchte noch einmal sagen: wenn wir Kritik am damaligen Gesetz üben, dann sollten wir uns dabei doch wenigstens bewußt bleiben, daß es nur unter der damaligen Situation gesehen werden kann. Ich hätte beinahe gesagt, wie es der Skatspieler tut: nachkarten ist immer leicht, aber in jedem Augenblick das Richtige tun ist manchmal sehr schwer.