Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Ich hätte gerne geschwiegen; denn an sich ist es vollkommen untunlich, sich jetzt im Stadium der Erhebungen über die materiellen Fragen oder über die Verfahrensfragen in aller Öffentlichkeit auseinanderzusetzen.
Viel ungeschickter kann man sich im Interesse der Erhebungen und der Klärung des Sachverhalts nicht benehmen.
Für mich ist es etwas peinlich, daß der mir unterstellte Herr Oberbundesanwalt und seine Behörde sowohl von Herrn Kollegen Menzel als auch von Herrn Kollegen Zinn einer Kritik unterzogen wurden und der Eindruck entsteht, es sei nicht das Erforderliche geschehen; im Gegenteil, es seien auf Weisung des Herrn Oberbundesanwalts hinreichend verdächtige Personen, die sogar unter schwerem Verdacht gestanden hätten, auf freien Fuß gesetzt worden. So sind nun die Dinge nicht, das muß ich wohl hier klarstellen.
Angesichts der Debatte will ich nur einige kleine Streiflichter auf den Sachverhalt fallen lassen.
Der Herr Oberstaatsanwalt in Frankfurt ist am 18. September beim Herrn Oberbundesanwalt in Karlsruhe erschienen und hat einen Bericht vom 17. September mitgebracht. In diesem Bericht — das ist das Entscheidende, meine Damen und ,Herren — steht keine Silbe davon, daß dieser Technische Dienst neben der Partisanentätigkeit die Tendenz habe, innenpolitisch zu wirken.
In dem Bericht ist vielmehr nur davon die Rede, daß sich innenpolitisch die Aufgaben dieser Einrichtung auf die Bekämpfung der KPD und gewisse mit der Frage der Remilitarisierung zusammenhängende Maßnahmen der SPD erstrecken sollten.
Das war der Tatbestand, Was hat der Herr Oberbundesanwalt getan? Oder richtiger: was war das Problem, das vor ihm stand, insofern als der Bestand dieser Partisanenorganisation von der amerikanischen Besatzungsmacht veranlaßt war? Die Frage war für ihn: Hat er die Möglichkeit des Einschreitens? Besteht überhaupt eine rechtliche Chance für ihn, ein Strafverfahren einzuleiten? Für ihn gilt leider immer noch das Gesetz 62 — in diesem Hause übel berüchtigt als die lex Kemritz. Nach diesem Gesetz findet weder das deutsche Strafgesetzbuch noch sonst irgendein Strafgesetz des Bundes oder eines Landes Anwendung auf die Aufnahme oder Unterhaltung von Beziehungen zu den Regierungen der Besatzungsmächte. Das ist maßgebend gewesen. Daß mußte geklärt werden, und der Herr Oberbundesanwalt hat das nicht etwa in der Schwebe gelassen, sondern seinen Sachbearbeiter am nächsten Tag nach Köln zum Bundesamt für Verfassungsschutz geschickt. Dieser hat dort versucht, die Frage zu klären. Es ergab sich die Notwendigkeit der Rücksprache mit den maßgebenden amerikanischen Stellen. Als das nun geklärt war, als vom Bundesamt für Verfassungsschutz die Erklärung abgegeben worden war: „Hier liegen Maßnahmen vor, die von der Besatzungsmacht, von den Vereinigten Staaten gedeckt werden", mußte die Freilassung verfügt werden.
Es ist also nicht richtig, wenn der Herr Kollege Menzel meint, die Entlassung sei erfolgt, weil das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen die Täter gedeckt hätte. Es ist richtig, daß das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen auch befragt worden ist. Dieses hat keine Erklärung abgegeben, sondern die maßgebende Entscheidung erfolgte von dem Bundesamt für Verfassungsschutz.
Es ist auch nicht richtig, was Herr Ministerpräsident Zinn annimmt, daß die Entlassung erst am 1. Oktober erfolgt sei. Die Anordnung der Haftent-
lassung geschah vielmehr am 30. September. Am 1. Oktober kamen die Bedenken. Am 30. September nachts hatte nämlich die Unterredung zwischen dem Herrn Ministerpräsidenten Zinn und dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz in Wiesbaden stattgefunden, durch die der Verdacht einer Proskription, d. h. des Planes verbrecherischer Handlungen gegen Deutsche, entstanden war.
Dann ist die Angelegenheit an sich auf den Herrn Oberbundesanwalt übergegangen gewesen, ohne daß ihm allerdings das Material zunächst zugänglich war. Jetzt die Schuldfrage hier vor dem Bundestag zu klären, ist wohl schwer. Da das Verfahren auf den Oberbundesanwalt übergegangen ist, wäre es selbstverständlich gewesen, das gesamte Material, das j a zu den Akten gehört, auch dem Oberbundesanwalt zuzuleiten. Das ist nicht geschehen. Daher die Unklarheit der Verhältnisse.
Sobald die Dinge für mich etwas deutlicher waren, habe ich eingegriffen. Ich habe eine eingehende Besprechung der Dinge mit dem Herrn Ministerpräsidenten und mit seinen zuständigen Beamten, besonders auch der Staatsanwaltschaft in Frankfurt, durchgeführt. Wir haben uns dann am 13. Oktober entschlossen, daß angesichts der vermuteten Belastungen die besonders verdächtigen Personen wieder in Haft genommen werden müssen. Mit diesem Entschluß ist der Herr Oberbundesanwalt nach Hause gefahren. Am nächsten Tage ist bei mir freiwillig der Herr Peters zusammen mit dem Herrn Riet d o r f, der den als Proskriptionsliste bezeichneten Ordner geführt hat, erschienen. Ich habe veranlaßt, daß der Herr Peters mit seinem Begleiter sofort nach Karlsruhe fuhr und dort vernommen wurde. So benehmen sich an
sich nicht Personen, die ein schlechtes Gewissen haben.
Er hat das getan und sich tagelang der Oberbundesanwaltschaft zur Verfügung gestellt.
Der Beauftragte des Oberbundesanwalts hat versucht, beim Ermittlungsrichter in Frankfurt gegen weitere Beschuldigte Haftbefehle zu erwirken. Diese sind ihm nicht gegeben worden. Die Dinge sind dann in Karlsruhe ganz eingehend und sorgfältig erneut geprüft worden. Der Oberbundesanwalt stand vor der Frage, ob ein dringender Verdacht einer strafbaren Handlung, der die Wiederverhaftung ermöglichte, vorlag. Ich muß sagen: nach ganz gewissenhafter Prüfung ist dieser dringende Tatverdacht verneint worden. Ich habe persönlich nach Rücksprache mit dem Herrn Oberbundesanwalt dieses Ergebnis gebilligt.
Inzwischen ist neues Material aufgetaucht, das der Untersuchung auch neue Aufgaben stellt. Meine Damen und Herren, wir können ja die Dinge wegen der Gefahr, daß Beteiligte oder Zeugen an den Lautsprechern mithören oder sonst die Dinge erfahren, hier nicht erörtern.
Nur um Ihnen ein Bild zu geben, worum es sich handelt: Also da ist die Proskriptionsliste.
— Ja, und zwar — um das nach dem, der sie geführt hat, zu motivieren — in Anlehnung an Vorgänge in der Ostzone. In der Ostzone, so sagte er
aus eigener Erfahrung, werden die Verdächtigen auf eine Proskriptionsliste gesetzt.
Ich nehme nicht an, daß der Führer dieser Liste humanistisch gebildet ist
und sich diesen Begriff aus den römischen Verhältnissen genommen hat. In dieser Liste sind nur KPD-Leute enthalten. Es ist einmal ein ganz aufschlußreicher Monatsbericht vorhanden, in dem es heißt: Folgende Leute müssen im X-Fall sichergestellt. werden.
- Nun gut, über diese Frage gibt es abweichende Zeugenaussagen. Sie werden nicht erwarten daß ich mich hier zu dieser Frage äußere. Meine Damen und Herren insoweit müssen wir halt Geduld haben. Sie dürfen auch das Vertrauen zur Oberbundesanwaltschaft haben,
die, meine Damen und Herren, eine ausgezeichnete, objektive Behörde ist.
Ich weiß von keinem der Herren dieser Behörde, wozu er sich politisch bekennt; ich weiß nur, daß sie ausgezeichnete und gewissenhafte Beamte sind, daß der Herr Oberbundesanwalt über jeden Verdacht, er könne seine Pflicht nicht erfüllen, erhaben ist.
Nun gibt es daneben noch eine Liste „Personelles". Darin sind alle möglichen Personen aufgeführt. Ich schlage gerade zufällig auf und finde meinen Freund und Kollegen Dr. Adolf Arndt. Ich weiß nicht, es ist nichts Nachteiliges über ihn enthalten.
Da heißt es: Geboren in Königsberg. Position — kein Wort, geflüchtet vor den Russen nach Marburg. Durchaus gewissenhaft. — Es gibt teilweise auch böse Dinge. Zum Beispiel die von mir hochverehrte Kollegin — —
— Ja, das ist auch festgestellt. Das ist ein Schema, das auch von anderen Seiten verwendet worden ist. Also von der Haarfarbe bis zum Brillenträger. Das erscheint nicht gerade typisch für Liquidationsabsichten.
Die so sympathische Frau Kipp-Kaule wird z. B. als Typ der Suffragette bezeichnet.
Das ist natürlich unerhört.
Dann z. B. der Herr Kollege — —
— Nein, wir wollen es nicht humoristisch nehmen!
Aber man kann es auch nicht tragisch nehmen.
Zum Beispiel über den Herrn Minister Halbfell
wird gesagt, daß er ein ausgezeichneter Sozialpolitiker ist, Also, ist das die Grundlage für eine Proskription? Oder von meinem Freund Dr. Fritz Koch —
— Ja, politisches Interesse bestand. Und wenn ich in einer solchen Organisation wäre, würde ich ein Interesse dafür haben, zu erfahren, was hinter dem Herrn Renner steckt.
Von meinem Freund Fritz Koch, jetzt Staatssekretär im bayerischen Justizministerium, wird gesagt, daß er ein politisch unbeschriebenes Blatt sei, aber er werde es mit seinem Minister, dem Herrn Dr. Josef Müller, wahrscheinlich sehr schwer haben. Er hat es sehr schwer gehabt, nehme ich an. Vielleicht noch netter ist die Kennzeichnung des Staatssekretärs im bayerischen Landwirtschafts- und Ernährungsministerium. Sie wissen ja, daß Bayern eine besondere Einrichtung hat — man ist sehr vorsichtig —, da setzt man neben den CDU-Minister immer einen SPD-Staatssekretär, damit sie sich gegenseitig kontrollieren. Herr Kollege Maag nun von der SPD ist Staatssekretär im Landwirtschafts-
und Ernährungsministerium; von ihm wird gesagt, daß er ein sehr weinfroher Franke sei.
Mir sehr sympathisch!
Meine Damen und Herren, ich habe nicht das Gefühl, daß unsere heutige Aussprache irgendwie sachdienlich ist. Die richtigen Hintergründe sind nicht aufgezeigt worden.
— Herr Wehner, da haben Sie recht: Auch die vorschnellen Urteile sind so ähnlich zustande gekommen wie die Erklärung meines Herrn Kollegen Lehr in Hamburg: durch eine nicht gutwillige Presse. Es ist nicht wahr, daß ich die Dinge als ,.faulen Zauber" bezeichnet habe. Irgendein junger Pressemann hat mich zwischen Tür und Angel am Rock gefaßt und irgend etwas aus meinen Äußerungen herausgenommen und in seinem Sinne verwertet. In einem gebe ich dem Herrn Ministerpräsidenten Dr. Zinn völlig recht — ob es allerdings richtig war, wie er die Sache behandelt hat, ist eine Frage für sich —, darin nämlich, daß er sie wichtig genommen hat und daß sie wichtig ist; darüber sind wir uns völlig einig. Von mir aus und vom Herrn Oberbundesanwalt aus wird nichts unterlassen werden, um den Fall, der uns heute beschäftigt, restlos zu klären.