Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Ministerpräsident Zinn gemäß Artikel 43 des Grundgesetzes.
Zinn, Ministerpräsident des Landes Hessen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, unbedingt zu der Angelegenheit zu sprechen, weil ich nach der
Rücksprache, die ich gestern abend und auch heute mit dem Herrn Bundesjustizminister hatte, den Eindruck gewonnen habe, daß der Herr Bundesjustizminister die Angelegenheit sehr ernst nimmt. Die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesinnenministers veranlassen mich jedoch, einiges auch zur Richtigstellung des von ihnen Dargelegten zu sagen.
Zunächst möchte ich folgendes vorausschicken: An dem Tage, an dem ich im Dezember 1950 von der sozialdemokratischen Fraktion des Hessischen Landtages zum Ministerpräsidenten des Landes Hessen ausersehen wurde, wurde mir in Gegenwart des jetzigen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Erich Ollenhauer, eröffnet, wie ernst die damalige politische und militärische Lage sei. Diese loyale Erklärung der hier in Frage kommenden amerikanischen Dienststelle sollte mich innerlich vorbereiten, Maßnahmen für einen möglichen Ernstfall im Interesse der deutschen Zivilbevölkerung, selbstverständlich auch der deutschen Zivilbevölkerung in einem etwa russisch besetzten Gebiet, zu treffen. Sie werden daher verstehen, wie befremdet und erstaunt ich war, als ich davon erfuhr, daß amerikanische Dienststellen ohne Wissen der Bundesregierung, ohne Wissen einer Länderregierung eine Geheimorganisation aufgezogen haben, wobei ich überzeugt bin, daß die amerikanische Hohe Kommission keine Kenntnis von dem Bestehen oder der Errichtung dieser Organisation gehabt hat. Diese Organisation ist aufgezogen worden, um, wie aus den Dokumenten und den sogenannten Mob-Plänen, dem Mob-Plan A und dem Mob-Plan B, hervorgeht, eine Partisanentätigkeit auszuüben. Ich bin der Meinung, daß angesichts der Umstände hier in Mitteleuropa und in Deutschland der Versuch, mit solchen Gruppen von verlorenen Haufen einen Partisanenkrieg zu führen, militärischen Dilettantismus darstellt.
Diese meine Auffassung teilt auch der amerikanische Hohe Kommissar,
der sie mir durch seinen Stellvertreter Mr. Reber übermittelt hat,
Der Adjutant des zuständigen amerikanischen Generals hat mir zugegeben, daß sie heute auch der Auffassung seien, wie dilettantisch diese Angelegenheit sei.
Aber völlig unabhängig von dem militärischen Unwert einer solchen Aktion sollte für jede deutsche Regierung doch die Frage entscheidend sein: Welche Folgen haben Aktionen einer solchen Gruppe im Ernstfall für die Zivilbevölkerung eines russisch besetzten Gebiets, für die sich eine deutsche Regierung, gleich, ob Bundes- oder Landesregierung, jederzeit mit verantwortlich fühlen muß?
Ich freue mich, daß ich mich insoweit in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundeskanzler und wohl
auch mit dem Herrn Bundesinnenminister befinde.
Ich bestätige, daß der Herr Bundeskanzler mir am 3. Oktober erklärt hat: Es ist völlig unmöglich, daß eine Besatzungsmacht hinter dem Rücken der Bundesregierung oder einer deutschen Landesregierung staatlich nicht kontrollierbare Geheimorganisationen aufzieht.
Ich hielt es für notwendig, mit aller Deutlichkeit meine Auffassung zu diesen Fragen vor dem Hessischen Landtag zu äußern, um so mehr, als nach den Akten angenommen werden mußte, daß zum mindesten eine Stelle des Bundesverfassungsschutzamtes mehr wußte als die gesamte Bundesregierung und alle Landesregierungen.
Es trifft nicht zu, Herr Bundesinnenminister, daß der Herr Leiter des Bundesverfassungsschutzamtes einer Landesregierung oder der hessischen Landesregierung davon Mitteilung gemacht habe, daß Herr Peters beim Bundesverfassungsschutzamt in Köln gewesen sei und dort Andeutungen über das Bestehen einer Partisanenorganisation gemacht habe. Herr Dr. John hat darüber auch am 13. September in Wiesbaden nichts gesagt, als jene Polizeiaktion in Hessen stieg. Er hat lediglich in Gegenwart des Staatssekretärs Bach, des Ministerialdirektors Dr. Schuster, des Polizeipräsidenten Dr. Littmann, des Regierungsdirektors Pforr vom Landeskriminalpolizeiamt erklärt, mit dem BDJ sei irgend etwas nicht in Ordnung; Konkretes habe man allerdings nicht, um damit etwas anfangen zu können.
Die Darstellung des Herrn Bundesinnenministers über die Information des Herrn Oberbundesanwalts bedarf einer Richtigstellung, und zwar in einem sehr wesentlichen Punkt. Ich darf zunächst einmal betonen, daß hessische Dienst-
stellen von dem Bestehen der Geheimorganisation erstmals am 9. September 1952 Kenntnis erhalten haben; ich selbst wurde durch den Frankfurter Polizeipräsidenten Dr. Littmann am i 1. September 1952 davon unterrichtet. Am 13. September, 17 Uhr, wurde in Hessen die bekannte Polizeiaktion durchgeführt. Am gleichen Tage um 20 Uhr war der Leiter des Bundesverfassungsschutzamtes in Wiesbaden. Er wurde in einer zweieinhalbstündigen Besprechung über alle Einzelheiten des bis dahin bekannten Sachverhalts und über die in Gang befindlichen polizeilichen Maßnahmen unterrichtet. Er billigte die getroffenen Maßnahmen und hielt es insbesondere auch für notwendig, daß nach den beiden Vorsitzenden des BDJ, Lüth und Peters — Peters hat sein Amt als zweiter Vorsitzender vor einiger Zeit niedergelegt — gefahndet wird. Anwesend waren außer ihm und mir Staatssekretär Dr. Bach, Ministerialdirektor Dr. Schuster, Polizeipräsident Dr. Littmann und Regierungsdirektor Pforr vom Landeskriminalpolizeiamt. Am 18. September hat der Oberstaatsanwalt Buchthal, Frankfurt am Main, in Begleitung des Ersten Staatsanwalts Donath die Akten nebst einem Begleitbericht der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe persönlich übergeben.
Die -Akten wurden von dem Bundesanwalt Schrübbers und dem Ersten Staatsanwalt Wagner übernommen. Die Vertreter der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main haben dabei den Akteninhalt erläutert und darauf hingewiesen, daß sich in Frankfurt am Main bei der Staatsanwaltschaft eine große Menge beschlagnahmten Aktenmaterials der Geheimorganisation befinde, das so umfangreich sei, daß eine Sichtung und Auswertung nur zu
einem geringen Teil habe erfolgen können. Sie seien bereit, das Aktenmaterial sofort mit einem Lastkraftwagen nach Karlsruhe zu bringen. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft erklärten, man möge von der Überführung des beschlagnahmten Materials vorläufig absehen, weil man in Karlsruhe keinen ausreichenden Platz habe, um das Material unterzubringen.
Aus den der Bundesanwaltschaft übergebenen Akten der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main — mit der Übergabe war das Verfahren auf die Bundesanwaltschaft übergegangen — ergaben sich bereits hinreichende Verdachtsmomente, daß sich die Organisation innenpolitisch gegen KPD und SPD richten könnte. In dem schriftlichen Begleitbericht des Oberstaatsanwalts Frankfurt am Main war ebenfalls darauf hingewiesen, daß sich innenpolitisch die Aufgabe der Geheimorganisation gegen die KPD und gegen gewisse mit der Remilitarisierung zusammenhängende Maßnahmen der SPD erstreckte.
Am 1. Oktober ordnete die Bundesanwaltschaft die Freilassung der in Hessen festgenommenen Hauptbeteiligten an:
Erstens, ohne daß sich die Bundesanwaltschaft zuvor mit dem Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main in Verbindung gesetzt hatte;
zweitens, ohne daß sie zuvor irgendwelche Vernehmungen vorgenommen hatte;
drittens, ohne daß sie zuvor Einsicht in das beschlagnahmte Aktenmaterial der Geheimorganisation genommen hatte;
viertens, ohne daß dem Herrn Bundesjustizminister zuvor Bericht erstattet war;
fünftens, ohne daß dem Herrn Bundesjustizminister die Akten vorgelegt waren.
Ich nehme an, daß das auf Unzulänglichkeiten in der Besetzung, Zeitnot und Raummangel zurückzuführen ist.
Wohl haben die Akten aber drei Tage dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen vorgelegen.
Die Freilassung ist, wie sich aus einer späteren Besprechung zwischen dem Herrn Bundesjustizminister, dem Herrn Oberbundesanwalt und dem Herrn Generalstaatsanwalt von Frankfurt am Main und mir sowie zwei Herren aus Hessen ergab, erfolgt, nachdem ein Angehöriger des Bundesverfassungsschutzamtes erklärt hatte, daß die weitere Festhaltung der Verhafteten nicht notwendig erscheine.
Am 3. Oktober 1952 hat der Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main in einem weiteren schriftlichen Bericht angeregt, das beschlagnahmte Material nach Karlsruhe zu übernehmen.