Rede von
Herbert
Kriedemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Monaten, als es auf dem Gebiet der Milchwirtschaft eine gegenüber dem gegenwärtigen Zustand ganz andere Situation gab, hat es in diesem Hause einmal eine Debatte darüber gegeben, was man zur Förderung des Milchabsatzes tun könnte. Bei dieser Gelegenheit waren von allen Seiten, insbesondere von den Kollegen, die sich nicht vorwiegend mit agrarpolitischen Fragen befassen, von meinem Standpunkt aus sehr erfreuliche und mutige Ausführungen gemacht worden. Ich möchte für die heutige Beratung wünschen, daß man sich an die damaligen Gespräche erinnert; denn hier ist jetzt die Gelegenheit, Konsequenzen zu ziehen.
Die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs hat am 23. Januar dieses Jahres stattgefunden. In jenen Monaten beschäftigten wir uns mit dem Problem der in den Kühlhäusern lagernden, in ihrer Qualität immer mehr gefährdeten und unverkäuflichen Butter. In jener Zeit fand der berühmte Butterexport nach England statt. Es ist deshalb begreiflich, daß die Beratungen des Ernährungsausschusses vorwiegend unter dem Leitgedanken gestanden haben, den Trinkmilchabsatz zu fördern. Es scheint mir wichtig zu sein, heute noch einmal darauf hinzuweisen. Denn unter den aus saisonalen Gründen veränderten Umständen mag vielleicht der eine oder andere die sehr aktuelle Bedeutung des hier zur Debatte stehenden Gesetzes nicht zu erkennen vermögen. Wir sollten aber doch wenigstens soweit vorausschauen, daß wir, nachdem wir schon mit der vergangenen Milchschwemme nicht fertig werden konnten, weil wir mit dem Gesetz zu spät waren, es diesmal so rechtzeitig und so gründlich erledigen, damit wir bei der im Frühjahr wieder auftretenden Milchschwemme ein fertiges Gesetz
haben und mit mehr Aussicht auf Erfolg damit rechnen können, mit den Dingen fertig zu werden, ohne immer wieder in die wirklich bis zum Überdruß in jedem Jahr wiederholten Auseinandersetzungen verfallen zu müssen. Es scheint mir sehr gefährlich zu sein, gerade dieser Frage des Trinkmilchabsatzes heute keine Aufmerksamkeit zu schenken.
Ich weiß, daß in gewissen Bezirken die Verarbeitung von Milch zu Butter im Augenblick besonders interessant ist. Wir haben bei einer früheren Gelegenheit hier von unserer Seite schon darauf hingewiesen, daß sich daraus sehr gefährliche Rückwirkungen auf den Trinkmilchabsatz ergeben müssen. Es kann doch nicht bestritten werden, daß, abgesehen von Zeiten mit einem so unnatürlichen und von allen Seiten als weit überhöht empfundenen Butterpreis, eine Lösung für all die mit der Milchwirtschaft zusammenhängenden Probleme nur in einer Steigerung des Trinkmilchabsatzes gefunden werden kann. Es ist nun einmal der einzige Weg, auf dem die breiten Schichten unserer Bevölkerung mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Milchfett auf die billigste Weise bekommen können. Es ist selbstverständlich, daß man zu diesem Ziel, Steigerung des Trinkmilchabsatzes, nicht dadurch kommt, daß man Plakate an die Wände klebt und moralisch auf die Leute einredet, sondern es muß mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln alles getan werden, was in dieser Richtung nur möglich ist. Insbesondere wird es darauf ankommen, daß man mit einer guten Milch und mit einem guten Kundendienst den Verbrauchern den Milchverzehr leicht macht, indem man ihnen die Milch immer wieder sozusagen unter die Nase hält, sie immer wieder in Versuchung führt. Wer mit einer guten Milch einen Versuch gemacht hat, wird dann schließlich leicht dabei zu halten sein.
Im Laufe der Beratungen haben wir immer wieder gefunden, daß die Ordnung in der Milchwirtschaft aus vergangenen Zeiten noch Formen hat, die allzu starr sind. Der Herr Berichterstatter hat eben schon gesagt, daß in einem gewissen Rahmen eine Auflockerung notwendig ist. Dabei hat sich die weitaus überwiegende Mehrheit im Ernährungsausschuß gegen die Verfahren gesträubt, die unter der Überschrift „Ab-Hof-Verkauf" von Leuten angepriesen worden sind, die glaubten, auf diese recht billige Weise Propaganda in der Bauernschaft machen zu können. Im Ernährungsausschuß war man in der überwiegenden Mehrheit der Überzeugung, daß sowohl im Interesse der Erzeuger als auch der Verbraucher die Milchbelieferung liber die Molkerei als Regel angesehen werden müsse. Auf der andern Seite darf man natürlich hier auch nicht mehr tun, als unbedingt notwendig ist. Insbesondere in einer Zeit, in der man in den wirtschaftlichen Bereichen immer wieder von den Begriffen Freiheit, Wettbewerb, Leistungsvergleich usw. redet, sollte man die Zwangsmaßnahmen, die Zwangswege genau auf das Notwendige reduzieren.
Im Augenblick ist es so, daß die Erzeuger, um es einmal ganz drastisch zu sagen, zwangsweise an eine ganz bestimmte Molkerei gebunden werden, daß ebenso die Milchabnehmer, d. h. in diesem Falle die Milchhändler an eine bestimmte Molkerei gebunden werden. Zwar sieht das Gesetz in § 7 vor, daß Anträge auf Zuweisung zu einer anderen Molkerei gestellt werden können. Es handelt sich aber dann immer um Ermessensentschei-
dungen. Wenn auch von verschiedenen Landesteilen berichtet wurde, daß, soweit Wünsche überhaupt vorgebracht wurden, diese dann auch verhältnismäßig großzügig erfüllt wurden, so ist doch andererseits zu sagen, daß es eben auch Gebiete gibt, von denen das nicht berichtet werden kann. Im übrigen bleibt die Abhängigkeit von Ermessensentscheidungen für meinen Geschmack höchst bedauerlich. Daß damit ein sehr erhebliches Moment des Wettbewerbs, ein sehr erheblicher Anreiz zur Leistungssteigerung ausgeschlossen wird, kann jedenfalls nicht bezweifelt werden. Wir haben schon bei der Beratung des ersten Milchgesetzes von einem Mitglied dieses Hauses, das nun leider verstorben ist, aus seiner eigenen Erfahrung berichten hören, wie ärgerlich es ist, wenn jemand gezwungen bleibt, seine Milch an eine Molkerei zu liefern, die ihm weniger auszahlt, als er bei einer anderen Molkerei erhalten würde, die er über die gleiche Entfernung erreichen könnte.
Wir möchten nun aus dieser Situation heraus und dabei keineswegs das zerschlagen, was es an notwendiger Ordnung auf diesem Gebiet geben muß. Allerdings möchten wir diese Ordnung auf das notwendige Maß reduzieren und hier ein Element des Wettbewerbs einschalten, auf das wir nicht verzichten zu können glauben und von dem wir außerdem meinen, daß es keineswegs das gefährdet, was auch wir mit unserem Bekenntnis gegen den Ab-Hof-Verkauf, mit unserem Bekenntnis zum Weg über die Molkereien für notwendig halten.
Wir schlagen Ihnen deshalb vor, die Bestimmung in § 1, daß die Oberste Landesbehörde den Milcherzeugern mehrere Molkereien zur Wahl stellen kann, dahin abzuändern, daß die Obersten Landesbehörden ihnen innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes mehrere Molkereien zur Auswahl stellen s o 11 e n. Wir können Ihnen nicht vorschlagen, hier zu sagen „müssen", weil es in sehr einsam gelegenen, in verkehrsungünstig gelegenen Gebieten hie und da nur eine Molkerei geben mag und deshalb eine Auswahlmöglichkeit nicht geboten werden kann. Wir sind aber der Meinung, daß die Formulierung „sollen" für die Verwaltung verpflichtender ist als das Wort „kann", das sehr bequem ist. Es ist nun einmal in dieser Welt so, daß Angelegenheiten, die der behördlichen Regelung unterworfen oder, ich möchte einmal sagen, ausgeliefert sind, ganz besonders schwer aufzulockern sind, wenn man nicht als Gesetzgeber da mal einen ordentlichen Schritt nach vorn tut.
Um nun einmal die Lieferbeziehungen weniger nach dem Ermessen der Verwaltungsstellen und mehr nach den Wünschen derjenigen, die hier miteinander wirtschaften sollen, also der Erzeuger, Molkereien und auf der anderen Seite der Milchabnehmer zu gestalten und um auch den Milchabnehmern die Möglichkeit zu geben, sich die Molkerei auszusuchen, die sie in die Lage versetzt, ihre Kunden am besten zu bedienen, möchten wir, daß entsprechend unserem Vorschlag auf Umdruck Nr. 674 nach Ablauf von jeweils zwei Jahren ein Antrag auf Zuweisung an eine andere Molkerei — wieder aus einem Vorschlag der Verwaltung — gestellt werden kann, dem dann entsprochen werden muß. Wir haben uns hier alle notwendige Beschränkung auferlegt. Wir haben nicht die völlige Freiheit verlangt. Es gibt Länder in Europa, da kann der Bauer von heute auf morgen, höchstens gebunden durch einen privaten Vertrag, die Molkerei wechseln, wenn er glaubt, bei einer anderen Molkerei besser zum Zuge kommen zu können.
Wir haben das hier nicht vorgeschlagen, sondern haben es für richtig gehalten, daß sowohl der Erzeuger wie der Abnehmer wählen kann zwischen mehreren Molkereien, die auf Grund der örtlichen Zweckmäßigkeiten die Verwaltung ihm als Vorschlag zusammenstellt und anbietet.
Ich darf in diesem Zusammenhang schon auf den
§ 7 eingehen; denn das ist hier vielleicht richtig und
steht vor allem damit in logischem Zusammen-
hang. In der Drucksache Nr. 3607 heißt es unter c): Einem Milcherzeuger ... ist alle 3 Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes gestattet, eine Änderung der Liefer- und Annahmebeziehungen . . . zu beantragen. Die Oberste Landesbehörde hat dem Antrag zu entsprechen.
Das ist so radikal, daß vielleicht der eine oder andere glaubt, das sei die beste Lösung. Es ist aber — ich sage das ganz offen — so radikal, daß ich davon überzeugt bin, daß man es niemals wird zur Ausführung kommen lassen, vielleicht es nicht einmal zur Ausführung wird kommen lassen können. Denn das würde tatsächlich drei Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes alle Bande frommer Scheu zerreißen, dann würde wirklich das eintreten, was man unseren bescheidenen Vorschlägen immer entgegengehalten hat: das Chaos; denn dann könnte wirklich jeder von sich aus auf völlig unsinnige Lieferbeziehungen eingehen, und das wollen wir ganz bestimmt nicht.
Bei allem gebührenden Respekt vor dem Herrn Antragsteller zu diesem Buchstaben c) habe ich den Eindruck, daß man hier einer momentanen Aufwallung gefolgt ist, eine sehr radikale Formulierung gefunden hat und sich heute vielleicht schon damit tröstet, daß das bestimmt nicht geht und man noch drei Jahre Zeit hat, das wieder zu ändern. Wenn man es aber dann ändern wird, wird man es zweifellos wieder in dem Sinne der starren Bindung ändern, die außerordentlich bequem ist sowohl für die Verwaltung wie auch für diejenigen Molkereien, die einen echten Wettbewerb scheuen, die sich ihm gern entziehen und die ihm auch nicht ausgesetzt sind, weil nach den heute geltenden Vorschriften zur Not die Polizei sowohl den Lieferanten wie die Abnehmer an die Molkerei heranführt, von der beide wegmöchten.
Es reicht mir deshalb auch nicht aus, was zu dem gleichen Punkt auf dem Umdruck Nr. 673 vorgeschlagen wird. Vielleicht ist es aber richtig, wenn ich darauf bei der Abstimmung über den § 7 im einzelnen zurückkomme. Ich möchte mich deshalb auf das beschränken, was ich hier zu begründen habe. Es bezieht sich gleichermaßen auf den § 1 und sichert da die Rechte des Erzeugers, wie auf den § 2, wo es die Rechte des Milchabnehmers auf freie oder relativ freie Wahl der Molkerei sichert.
Ich bitte Sie, unseren Anträgen zuzustimmen, weil damit ein Maß an Freiheit gewährleistet wird, von dem niemand sagen kann, daß es schnurstracks ins Chaos führe.