Rede von
Margarete
Hütter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident, meine Herren und Damen! Ich habe die Ehre, den Antrag meiner Fraktion auf Drucksache Nr. 3693 zu begründen, die Bundesregierung möge bis spätestens 31. Oktober dieses Jahres ein Gesetz vorlegen, das die ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen für ihre in Gefangenschaft geleisteten Arbeiten entschädigt.
Was hat uns zu diesem Antrage geführt? Als die
Presse diesen Antrag veröffentlichte, erhielt ich
unter anderen einen Brief, in dem es heißt:
Im Oktober 1944 haben mich die Amerikaner an die Engländer ausgeliefert. Nach einiger Zeit wurde ich einer Arbeitskompanie zugeteilt. Die Arbeit der Kompanie bestand in der Errichtung von großen Zelten und Nissen-hallen, die für die Unterbringung von englischem Wehrmachtsgut bestimmt waren. Auf diese Arbeiten folgte dann landwirtschaftlicher Einsatz beim englischen Farmer in Bedfordshire, nördlich von London gelegen. Unsere Arbeit bestand in der Einbringung der Kartoffel- und Rübenernte. Nach dieser Tätigkeit kamen wir in ein Sand- und Steinwerk. In diesem Werk arbeiteten wir mit englischen Arbeitern zusammen. Wir mußten Bausteine herstellen. Inzwischen gingen wir unserer Stellungen und Arbeitsplätze in der Heimat verlustig. Unsere Familien verarmten; und als sich dann die Tore der Freiheit öffneten, hatten wir es sehr schwer, den Anschluß wieder zu finden. Man wies uns auf Arbeitsplätze, die wir finanziell gesehen schon im Jahre 1937 und 1938 innehatten. Das war der Dank, so sah er aus.
Meine Herren und Damen, ich habe absichtlich das Beispiel eines England-Heimkehrers angezogen. Es ist ungünstig genug; und daß der RußlandHeimkehrer noch viel ungünstiger daran war und ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, noch brauche ich hervorzuheben, daß es sich bei dem zitierten Fall um einen von vielen Fällen handelt.
Die deutschen Kriegsgefangenen haben, wie der Herr Bundespräsident einmal sagte, „stellvertretend für das ganze deutsche Volk" gehandelt, als sie in der Gefangenschaft nach Werten nicht zu ermessende Arbeitsleistungen unter schwersten körperlichen und seelischen Entbehrungen vollbringen mußten, ohne von den Gewahrsamsländern angemessen entschädigt zu werden. Die Fraktion der FDP vertritt dabei die Ansicht, daß diese Entbehrungen der Kriegsgefangenen durch keine materiellen Vorteile aufgewogen werden können. Wir sollten uns aber verpflichtet fühlen, den berechtigten Anspruch der Kriegsgefangenen auf Entschädigung durch eine lex specialis, durch ein besonderes Gesetz Rechnung zu tragen, um ihre Leistungen, wenn auch nur unvollkommen, abzugelten. Es ist nicht nur ein Politikum erster Ordnung, die entlassenen Kriegsgefangenen auf dem schnellsten Wege in das normale Wirtschaftsleben einzugliedern, wozu das Heimkehrergesetz leider nur unvollkommene Hilfe leistet, sondern auch unsere Pflicht, einen Teil unserer Schuld diesen Menschen gegenüber abzutragen.
Der Antrag der FDP unterscheidet sich von dem der SPD insofern, als die SPD die Frage der Entschädigung im Zusammenhang mit der Reparationsfrage aufwirft. Tatsächlich forderten sowohl Frankreich als auch die UdSSR im Geheimabkommen von Jalta ausdrücklich Reparationen durch Einsatz deutscher Arbeitskräfte. Dennoch meine ich, wir sollten auf diese Verbindung verzichten und eine Entschädigung grundsätzlich und unabhängig von der Frage der Reparationsleistungen gewähren; denn, um noch einmal den Herrn Bundespräsidenten zu zitieren: wir alle stehen in ihrer Schuld, in der Schuld der deutschen Kriegsgefangenen.
Diese formelle Trennung von der Reparationsfrage zeigt sich bereits in der Harmssenschen
Denkschrift vom Oktober 1947, wo es heißt: Deutschland ist auf den guten Willen der Alliierten angewiesen und kann nur an deren Menschlichkeit appellieren. Eben deshalb, weil die Entlassung der Gefangenen ein Gebot der Menschlichkeit ist, lehnt es Deutschland ab, für die nicht freiwillige Arbeit seiner Söhne in der Fremde Gutschriften auf Reparationen zu fordern. Wohl aber kann der Verlust ermessen werden, der darin besteht, daß ihm seit Mitte 1945 Millionen produktiver Arbeitskräfte vorenthalten werden.
Wir sollten daher zur gegebenen Zeit die Kriegsgefangenenarbeit als echte Reparationsleistung ausschließlich im Sinne des Verlustes deutscher produktiver Arbeitskräfte in Ansatz bringen. Es zeugt von einem guten Geist, daß man in jenen schweren Jahren die Kriegsgefangenen in den Haushalt einrangierte, bevor sie noch nach Hause gekommen waren. Wir erklären uns im übrigen einverstanden mit dem Vorschlag der SPD, die Zivilinternierten, die nach § 1 Abs. 3 des Heimkehrergesetzes als Heimkehrer gelten, in das Entschädigungsgesetz einzubeziehen.
Diese beiden Anträge scheinen uns aber gar nichts zu tun zu haben mit dem Antrag der CDU, der
lediglich Verbesserungen des Heimkehrergesetzes anstrebt. Denn dieser Antrag bezieht sich auf fürsorgliche Betreuung und Hilfe nach der Entlassung für die Gruppe der jetzt noch zu erwartenden Heimkehrer, während die Anträge auf Entschädigung, auf Entgelt für Leistungen vor der Heimkehr, nämlich während der Gefangenschaft, ausgehen. Da es sich also um eine besondere Materie handelt, muß sie auch in einem besonderen Gesetz behandelt werden.
Vielleicht erinnern sich die Kollegen und Kolleginnen des Ausschusses für Kriegsopferfragen unserer ersten Debatte um eine den Kriegsgefangenen zu gewährende Entschädigung anläßlich der Beratung zum Heimkehrergesetz im Frühjahr 1950. Damals schon war en wir unter der Leitung unseres leider zu früh verstorbenen Kollegen Leddin übereinstimmend zu der Auffassung gekommen, daß diese Materie in einem Sondergesetz geregelt werden müsse, weil sie nichts zu tun hat mit einem Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer.
Was nun die materielle Zuständigkeit angeht, so empfehlen wir als federführende Behörde das Bundesvertriebenenministerium, dem die Pflege der Beziehungen mit den Gefangenen obliegt, dem die Suchdienste unterstehen und das mit diesen Fragen am besten vertraut ist. Auch die Bundesregierung hatte das Vertriebenenministerium zum federführenden Ministerium für die Vorbereitung eines Regierungsentwurfs bestimmt, als zum erstenmal ein Initiativgesetzentwurf von einem der zuständigen Verbände vorgelegt worden war. Ferner war es eine Sitzung des Kriegsgefangenenbeirats beim Bundesvertriebenenministerium, bei der sich im Monat Juli dieses Jahres sämtliche anwesenden Fachverbände hinter diesen Antrag stellten, ein Entschädigungsgesetz zu schaffen.
Hieraus wird ersichtlich, daß sich die Bundesregierung bereits mit dem Entschädigungsgesetz befaßt hat. Es haben Ressortbesprechungen stattgefunden, die schließlich zur Festlegung der Grundzüge eines Regierungsentwurfs führten. Ein fertiger Entwurf besteht jedoch noch nicht.
Daß auch der Herr Finanzminister ein gewichtiges Wort dazu zu sagen haben wird, versteht sich von selbst.
Zur Begründung möchte ich noch folgendes ausführen. Es handelt sich hierbei um einen Anspruch, der den deutschen Kriegsgefangenen, die zugunsten der Allgemeinheit einen Schaden erlitten haben, zu gewähren ist. Im deutschen öffentlichen Recht kennt man schon seit dem 18. Jahrhundert einen sogenannten Aufopferungsanspruch. Dieser besagt, daß einzelne Bürger oder eine Gruppe von Bürgern, die zugunsten der Allgemeinheit einen unverschuldeten Schaden erlitten und damit ein freiwilliges Vermögensopfer erbracht haben, vom Staat zu entschädigen sind. Ähnlich liegt es bei der Kriegsgefangenenarbeit. Es hätten ja alle Deutschen von den ehemaligen Feindmächten zur Zwangsarbeit herangezogen werden können. Aber es wurde nur ein Teil der Kriegsgefangenen willkürlich herausgezogen und ihnen das besondere Opfer auferlegt. In der Zwischenzeit konnten die übrigen Deutschen darangehen, für sich selbst wieder aufzubauen. Damit ist nichts gegen die Überzeugung ausgesagt, daß jeder einzelne das Risiko eines Verhängnisses selbst zu tragen hat. Diese Auffassung hat aber dort ihre Grenze, wo dem einzelnen die Entscheidung über sich selbst aus der Hand genommen wird, wie im Falle eines Krieges.
Der Zweck dieses Gesetzes ist aber noch mehr, als nur einen Anspruch zu befriedigen; in ihm liegt auch der Gedanke der Wiedergutmachung an einer Gruppe von Menschen, die sich bisher benachteiligt gefühlt hat, wenn sie sich mit anderen Gruppen verglich, denen man die Wiedergutmachung bereits zuerkannt hat. Es ist für die Aufrechterhaltung des innerpolitischen Friedens von Wichtigkeit, wenn Geschädigte anerkannt und im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten berücksichtigt werden. Die vorhandenen Möglichkeiten sind beschränkt; das wissen nicht zuletzt die Kriegsgefangenen selbst. Die Verteilung des Vorhandenen aber kann nicht unter Außerachtlassung der Ansprüche der Kriegsgefangenen erfolgen, sie muß
eventuell sogar einer Revision unterzogen werden, wenn die Berücksichtigung neuer Forderungen dies nötig macht.
Es dürfte Sie interessieren, daß der Gedanke der Zahlung einer Entschädigung an ehemalige Kriegsgefangene im Saargebiet bereits seine Verwirklichung gefunden hat. Allerdings hat man sich dort aus unschwer zu erkennenden Gründen auf die Ausgleichszulage für Kriegsgefangene aus dem Osten beschränkt.
Was nun die Möglichkeiten einer Regelung angeht, so liegen bereits verschiedene Vorschläge vor. Sie alle laufen in erster Linie auf die Verwendung zweckgebundener Mittel zur Ausführung konstruktiver Ziele, wie Wohnungsbau, Existenzaufbauhilfe, Arbeitsplatzbeschaffung und dergleichen mehr, hinaus. Ein anderer Vorschlag geht dahin, Schuldverschreibungen auf den Namen des Betreffenden auszugeben, die über einen längeren Zeitraum ebenfalls zweckgebunden zur Einlösung gelangen sollen. Ferner müßte einkalkuliert werden, daß ein Teil der arbeitenden Kriegsgefangenen schon eine — wenn auch geringe — Bezahlung erhalten hat, so z. B. die zum lebensgefährlichen Arbeitseinsatz befohlenen Minenräumer. Nach meiner Information war die Bezahlung sehr schlecht und in keiner Weise auch nur annähernd dem Einsatz entsprechend.
Der Möglichkeiten der Realisierung sind viele. Ich will mich daher nicht weiter mit ihnen befassen, sondern die Überlegung darüber der gemeinsamen Arbeit von Parlament und Regierung überlassen. Fest steht, daß diese Frage eiligst geregelt werden muß. Daher die Befristung auf den 31. Oktober, den Termin, zu dem, wie aus der Presse hervorgeht, der Herr Bundeskanzler die Verträge ratifiziert haben möchte. Ich sehe dabei ein, daß die Kompliziertheit der Materie die Einhaltung des Termins nicht zuläßt. Ich muß dennoch sagen, daß die Regelung dieser Frage eine moralische Voraussetzung des Verteidigungsbeitrages gewesen wäre. Die Länderparlamente von Bayern, Niedersachsen und Bremen haben durch einstimmigen Beschluß ihrerseits die Bundesregierung bereits ersucht, ein Entschädigungsgesetz für die von den deutschen Kriegsgefangenen erbrachten Arbeitsleistungen vorzulegen. Bei der Debatte in der bremischen Bürgerschaft wurde gesagt: „Jedenfalls muß man in Bonn durchaus unter dem Eindruck stehen, daß die bremische Bürgerschaft bereit und fest entschlossen ist, das Äußerste zu tun, damit unsere Kriegsgefangenen nun auch wirklich in den Genuß ihrer Rechte kommen; es ist für uns eine Ehrenpflicht, für diese ihre Forderungen einzutreten." Und der Herr Finanzminister, meine Herren und Damen, sagte sogar schon vor zwei Jahren, als ich ihn im Vestibül dieses Hohen
Hauses in einem freundlichen Gespräch mit dem Gedanken eines Entschädigungsgesetzes vertraut machen wollte: „Für eine solche Forderung habe ich jedes Verständnis."
Im Namen der Fraktion der FDP beantrage ich Überweisung dieses Antrages an den Ausschuß für Kriegsopferfragen als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß.