Meine Damen und Herren! Die Statistik der Krankenkassen zeigt, daß die Erkrankungsziffer bei den in der Krankenpflege beschäftigten Personen bei 8,5 % liegt, während sie bei allen übrigen Arbeitnehmern nur 3,2 % beträgt; und auf dem letzten Ärztetag in München 1951 hat Dr. Fromme festgestellt, daß die Zahl der Berufserkrankungen bei den Angestellten der Krankenhäuser im Bundesgebiet im Jahre 1949 dreimal so hoch war wie im Gesamtdeutschland im Jahre 1934. Diese Zahlen beleuchten eine Situation, die uns nicht nur im Hinblick auf die betreffenden Berufe, sondern auch auf die gesamte Volksgesundheit mit Sorge erfüllen muß; denn eine Herabsetzung der Leistungsfähigkeit der Krankenpflegerinnen oder des Krankenpflegers bringt eine mangelhaftere Versorgung des kranken Menschen, ja sogar Gefährdung für ihn mit sich. Ein erschütterndes Beispiel ist der Fall jener Krankenschwester, die kürzlich unter Anklage vor Gericht stand und sich damit verteidigte, daß sie im Zustand völliger Erschöpfung gewesen sei, so daß sie für ihr Handeln nicht verantwortlich gemacht wer- den könne. Als das Gericht Zweifel in diese Aussage setzte, wurde sie von den Mitschwestern und der Oberin bestätigt. Die Schwester hatte wochenlang nicht nur zehn bis zwölf Stunden, sondern länger täglich arbeiten müssen. Sosehr wir die selbstlose Opferbereitschaft anerkennen, mit der sich Menschen in echtem Liebesdienst der Krankenpflege widmen, sosehr sind wir doch auch verpflichtet, dafür zu sorgen, daß diese Menschen nicht selber ihre Gesundheit ruinieren und darüber hinaus der Kranke Schaden leidet.
Der allgemeine Nachwuchsmangel im Schwesternberuf aber droht, wenn ihm nicht abgeholfen wird, in naher Zukunft zu einer Katastrophe in unserer Krankenversorgung zu führen. Dieses Problem hat schon seit längerer Zeit nicht nur die davon betroffenen Schwesternschaften, sondern alle mit dem Gesundheitswesen befaßten Organisationen und Personen beschäftigt. Von seiten der Gewerkschaft ÖTV liegt eine Denkschrift über die „Arbeits- und Organisationsverhältnisse der Schwestern in Krankenhäusern" vor, und wir haben Empfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Wenn jetzt von seiten einer der Regierungsparteien ein Antrag kommt, der die Ausbildung, Förderung und Ausübung des Krankenpflegeberufs gesetzlich regeln will, so möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß dieser Gesetzentwurf zu der Gruppe von Gesetzen gehört, von der sich die Koalitionsparteien vorgenommen haben, daß sie noch im Laufe dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollen.
Die Ausbildung der Krankenschwestern muß selbstverständlich dem internationalen Niveau entsprechen, und sie bedarf einer der heutigen medizinischen Forschung entsprechenden Ausweitung und Vertiefung. Vor allen Dingen, glaube ich, müssen wir erkennen, daß der Krankenschwesternberuf nicht mehr allein von der Caritas her bestimmt sein kann, sondern daß man ihn auch als einen echten Beruf wie jeden anderen werten muß,
der seine Anerkennung und auch die seiner
Leistung entsprechende Entlohnung finden muß.
Selbstverständlich wird gerade zu diesem Beruf
eine besondere Liebe gehören, ein besonderes Streben, eine innere Neigung zum Helfenwollen, zum Pflegen; aber er darf in seinen Bedingungen nicht unter die Arbeits- und Lebensbedingungen anderer Berufe herabsinken. Die Lebensbedingungen der Schwestern sind heute, was ihre Entlohnung, was ihre Arbeit anbelangt, besonders schlecht. Daß, wenn sie gebessert werden, durchaus ein Anreiz besteht, daß junge Menschen sich diesem Beruf wieder zuwenden, sehen wir an dem Beispiel der Hansestadt Hamburg, die in ihren staatlichen Krankenhäusern keinen Mangel an Schwesternnachwuchs kennt, ja die sogar teilweise ein Überangebot hat. Die Hansestadt Hamburg zahlt aber tarifliche Löhne, sie hat eine gesicherte Altersversorgung für die Schwestern und eine vernünftig beschränkte Arbeitszeit. Es wurde hier auf die 60-Stunden-Woche als erstrebenswert hingewiesen. Nun, diese 60-Stunden-Woche ist heute noch durch die Krankenhaustarifordnung gesetzlich verankert;
sie wird bloß nirgends befolgt, und die Schwestern müssen 10 und 12 Stunden, ja länger am Tage arbeiten und werden zudem noch in zwei Dritteln aller Anstalten mit nichtpflegerischen Arbeiten, d. h. mit Hausarbeiten, belastet. Das trifft ganz besonders für die Lehrschwestern zu, die außerdem noch vielfach für ihre Unterrichtsstunden einen Teil ihrer Freizeit opfern müssen.
Es ist nicht so, daß die materielle Grundlage und die Arbeitsbedingungen nicht sehr ausschlaggebend sind. Ich gebe aber zu, daß Frau Kollegin Steinbiß recht hat, daß ein Grund auch der ist, daß der Krankenpflegedienst erst mit dem 18. Lebensjahr angetreten werden kann und hier zwischen dem Verlassen der Schule und dem 18. Lebensjahr o eine Lücke klafft, die ausgefüllt werden muß, damit nicht junge Mädchen, die Neigung zu diesem Beruf haben, sich in der Zwischenzeit schon anders entscheiden. Wir sollten ferner nicht übersehen, daß der strukturelle Wandel unserer Gesellschaft heute viele junge Mädchen und junge Frauen zwingt, nicht nur für sich, sondern auch für eine Familie, für Eltern, für Geschwister zu sorgen, und daß sie es sich nicht leisten können, einen Beruf zu wählen. der ihnen diese Möglichkeit nicht gibt.
Wertvolle Kräfte, die Liebe und Neigung zum Krankenpflegeberuf haben, gehen ihm auf diese Weise verloren.
Ein besonderes Anliegen der Schwestern aber sind die mangelhaften Wohnverhältnisse in den Krankenhäusern. Oftmals wird sich die notwendige Arbeitsentlastung durch Neueinstellung von Schwestern für die Schwestern dahin auswirken, daß sie nun zwar kürzer arbeiten können, dafür aber nicht nur zu viert, sondern sogar zu sechst ein Zimmer miteinander teilen müssen. Gerade bei einem Beruf aber, der wie der der Krankenschwester in ihrem Umgang mit dem kranken Menschen immer wieder aufs neue seelische Kräfte verlangt, ist der Ausgleich, den die Ruhe und die Zurückgezogenheit eines eigenen Zimmers geben, unbedingt notwendig und erforderlich.
Wir müssen hier darauf dringen, daß die jungen Schwestern und in noch viel stärkerem Maße natürlich die Schwestern mit zunehmendem Alter die Wohnlichkeit eines eigenen Raumes, eines eigenen Heimes für sich in Anspruch nehmen können.
Der Bau von Schwesternwohnheimen sollte auch ein Anliegen der Bundesregierung sein. Ich möchte hier anregen, daß im Rahmen des allgemeinen Wohnungsbauprogramms des Bundes eine Förderung des Baues von Schwesternheimen erfolgt. Der Bund sollte vor allen Dingen selbst mit gutem Beispiel und nicht mit schlechtem vorangehen. Wir haben nicht nur mit Erstaunen, sondern mit Erschütterung gehört, daß bei dem Bau des Bundesversorgungskrankenhauses in Pyrmont nicht einmal ein Posten für ein Schwesternwohnheim eingesetzt ist.
Wir müssen erwarten, daß diesem Mangel noch in dem Nachtragshaushalt für 1952 abgeholfen wird; und ich möchte hier die Bitte an den leider nicht anwesenden Herrn Bundesarbeitsminister richten, daß er einen Bericht anfordert und uns zuleiten läßt, ob in den Bundesversorgungskrankenhäusern, was die Wohnverhältnisse der Schwestern anlangt, wenigstens die Richtlinien der Deutschen Krankenhausgesellschaft beachtet worden sind.
Wenn ich alle Forderungen, die auch Frau Kalinke aufgestellt hat, zusammenfasse, nicht nur hinsichtlich einer ausreichenden Entlohnung, sondern auch hinsichtlich der Einstellung von genügendem Personal an Schwestern wie von genügendem Hilfspersonal in Krankenhäusern, ferner hinsichtlich des notwendigen Schwesternwohnraums, dann sind dafür ohne Zweifel Mittel notwendig. Es hätte auch eine Aufgabe der von uns seinerzeit geforderten Sozialen Studienkommission sein sollen, die Sie, meine Damen und Herren, leider abgelehnt haben, einmal auf Bundesebene festzustellen, wie hoch der Bedarf hierfür ist. Gerade dieser Antrag zeigt wieder, daß es eben mit Einzelgesetzgebung nicht geht, sondern daß man diese Probleme im größeren Rahmen sehen muß. Wie der Herr Bundesinnenminister soeben angeführt hat, hängt das Problem der Schwestern eng mit der Situation der Krankenhäuser zusammen und ist davon nicht zu trennen; eines greift in das andere. Nur wenn wir hier zu einer sinnvollen Planung und Koordinierung kommen, werden wir wirklich zum Ziel gelangen.