Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auf der Konferenz der deutschen Gesundheitsminister in Düsseldorf am 13. Februar 1952 ist es ganz besonders begrüßt worden, daß sich die deutschen Ärzte in einer Zeit eigener und allgemeiner großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten weitgehend Fragen der Gesundheitspolitik zugewandt haben. Deutsche Arztetage haben immer wieder gesetzliche Maßnahmen für die Aktivierung der Gesundheitspolitik gefordert und mit Recht darüber Klage geführt, daß in den Parlamenten und Ministerien der Volksgesundheit als dem einzigen Kapital unseres Volkes nicht genügend Bedeutung beigemessen ist. Alle Aufgaben der vorbeugenden wie der behandelnden Medizin, alle Bemühungen um eine möglichst vollkommene Gesunderhaltung des deutschen Volkes müssen bei uns wie in anderen Ländern scheitern, wenn nicht die Voraussetzungen gegeben sind, die für jede Gesundheitsfürsorge unentbehrlich sind und die darin bestehen, die Durchführung der Krankenbehandlung durch eine wohlorganisierte Krankenpflege zu gewährleisten. In Deutschland wie in allen Ländern der Welt besteht die Sorge um den Nachwuchs in der Krankenpflege; es ist eine echte internationale Sorge. Appelle an den Idealismus der Jugend und bedenkliche Erläuterungen in der Presse über die veränderte seelische Haltung und die das gesellschaftliche Leben bedrohende Lage können nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch der Beruf der Frankenschwester als „Berufsstand" gesehen und gewertet werden muß, wenn das moderne Krankenhauswesen nicht zum Erliegen kommen soll.
Alle Berufe einer Zeit sind in ihrer geistig-sittlichen Substanz auch geformt von der wirtschaftlichen und schicksalhaften Situation eines Volkes. Mit moralischen Anwürfen gegen den Mangel an Idealismus oder gegen den Mangel an Opfermut, den man bei einem Stand als selbstverständlich
voraussetzt, während ihn alle anderen Stände
ablehnen, ist dem Problem nicht beizukommen. Es muß daher Aufgabe der Gesetzgebung sein, diese Fragen nicht nur vom Geistig-Sittlichen oder von der ethischen Substanz her zu sehen, sondern sie wahrhaft realistisch neu zu ordnen. Übersehen sollte man weder die sozialpolitischen noch die kulturpolitischen Voraussetzungen, wenn man daran geht, die Not zu beheben, die für die gesamte Entwicklung der Medizin wie für die Gesundheitspolitik von morgen ausschlaggebend sein werden.
Kennzeichnend für den geringen Anreiz, junge Menschen für den Krankenpflegedienst zu begeistern, ist die kritische und geradezu unerträgliche Lage in der Krankenpflege an sich. Die gesetzlichen Vorschriften über die Arbeitszeit des Krankenpflegepersonals in öffentlichen Krankenanstalten, die am 13. Februar 1924 geregelt wurden, sollten endlich überprüft werden. Auch der Runderlaß des Reichsministers des Innern von 1943 hinsichtlich der Richtzahlen bei der Besetzung von Krankenpflegestellen wird längst nicht mehr korrekt angewandt. Die Folge der mangelnden Kontrolle in den Krankenanstalten — den staatlichen wie den karitativen — ist eine unverantwortliche Überlastung des Krankenpflegepersonals. Die gut ausgebildete Krankenschwester muß sehr oft Hausarbeit mit verrichten. Die in der Ausbildung befindliche 'Krankenschwester ersetzt billige Arbeitskräfte und ist ebenfalls mit Hausarbeit überlastet. Aus Gründen der Sparsamkeit werden Stationsmädchen entlassen und den Schwestern wird weitere Arbeit aufgebürdet.
Während für die Hausangestellten immerhin die Freizeiten an Sonn- und Feiertagen geregelt sind, ist für die Krankenpflegerinnen das Einspringen in der Urlaubszeit, für die Nachtwache und bei Vertretungen eine selbstverständliche ideale Verpflichtung. Auch durch den Mangel an Urlaubsvertretungen in den Krankenhäusern sind die einzelnen Schwestern sehr oft vor Antritt ihres eigenen Urlaubs schon total erschöpft. Im „Bulletin" vom 30. September ist von der Frauenarbeitslosigkeit geschrieben, daß sie nämlich laufend zunehme und daß besonders unausgebildete Kräfte wegen Berufsfremdheit heute nicht zu vermitteln und daher Unterstützungsempfänger sind. Hier erwächst der Arbeitsverwaltung eine ganz besondere Aufgabe. phantasievoll nach neuen Wegen zu suchen, um durch Umschulung und Schulung für die Mangelberufe geeignete Kräfte zu gewinnen.
Der Landesgesundheitsrat hat sich in Niedersachsen schon im Jahre 1950 mit dem Problem der Krankenpflege befaßt und dagegen Stellung genommen, daß so unvorstellbarer Raubbau mit der Arbeitskraft der deutschen Krankenschwestern getrieben und damit die Arbeitsfreude in einem Maße eingeengt wird, das die echten Voraussetzungen der wahren Krankenpflege nicht mehr ermöglicht, nämlich auch das Ausströmen von Ruhe und hilfreicher Menschlichkeit, das in einer Atmosphäre der Hetze und Überbelastung nicht mehr möglich ist. Die Schwierigkeiten in dem modernen Krankenhausbetrieb, verschärft durch Nachkriegslasten, Neubauten und Nachholbedarf, können nicht auf dem Rücken der Schwestern und nicht durch eine Überforderung der Schwestern und Überanstrengung des gesamten Krankenpflegepersonals gelöst werden. Die Betreuung des Kranken als Mensch und Patient muß zu kurz kommen, wenn überanstrengte Krankenpflegerinnen ohne Lebenserwartung und ohne Zukunftsaus-
sichten nicht mehr jugendliche Menschen für eine Aufgabe begeistern können, unter der ihre jetzigen Vertreterinnen sehr oft nicht nur physisch, sondern auch psychisch restlos zusammenbrechen. Die nüchterne Feststellung, daß in einem großen Schwesternverband 50 bis 70 % des Nachwuchses nach dem Krankenpflegeexamen den Beruf wieder verlassen haben, sollte uns sehr zu denken geben. Auch die Form der Diskussion in der Presse trägt nicht immer dazu bei, das Problem einer guten Lösung zuzuführen. Darum ist die Fraktion der Deutschen Partei initiativ geworden und ist der Auffassung, daß schnellstens ein Rahmengesetz vorgelegt werden sollte, das die einheitliche Ausbildung in der Krankenpflege sowie den Aufbau der Krankenpflegeschulen und die Prüfung regelt.
Für die Ausbildung sollte darauf geachtet werden, daß die Schwesternhelferinnen in ihrer Ausbildungszeit nur von Ärzten und gut ausgebildeten Schwestern, nicht aber, wie so oft, auch von jungen Assistenten unterrichtet werden. Der Lehrplan sollte für alle Schulen verbindlich sein. Das bis heute gültige Gesetz sagt nur etwas über die Anzahl der Stunden aus. Die Lehrschwestern und Schulleiterinnen müssen zu diesem Lehramt ebenfalls ausgebildet sein und außerdem das notwendige pädagogische Talent besitzen. Sie sollen nicht nur wegen ihres Alters zur Oberschwester oder Oberin herangezogen werden, sondern wegen ihrer besonderen Eignung. Im Anschluß an die Ausbildung sollte auch die laufende Fortbildung gesetzlich vorgeschrieben und geregelt sein.
— Ich bitte mir doch noch eine Minute mehr zu geben.
) Wir hoffen, daß das Arbeitsministerium nach Wegen suchen wird, die Kontrolle der Arbeitszeit und die Abschaffung der Überarbeit und auch der Überbelastung endlich zu garantieren. In den Ländern sollte dafür Sorge getragen werden, daß bei den Neubauten von Krankenhäusern auf die Wohnungen für die Schwestern genügend geachtet wird und Vorsorge getroffen wird, damit die überlasteten Krankenschwestern nicht etwa zu mehreren in einem Zimmer wohnen müssen und bei ihrem wahrhaft schweren Dienst nicht einmal eine Stunde der Ruhe für sich in einem Einzelzimmer haben.
Das, was in Zeitungsanzeigen aus dem Ausland
— man ist auf der Suche nach Krankenschwestern
— zu sehen ist, das, was ich unlängst in Hannover in einer Bekanntgabe des Landesarbeitsamtes las — 184 Schwesternschülerinnen wurden in Sonderflugzeugen nach Südafrika geflogen, um, wie die Zeitung schreibt, sich dort zu verheiraten, ohne daß sie die Ausbildung, die immerhin kostspielig und langwierig ist, beendet hatten —, scheint mir auch nicht der richtige Weg. Es ist auch sehr typisch, daß schon in der Vergangenheit ein Frauenberuf, der ein besonderer und ausgeprägter Frauenberuf war, in der Öffentlichkeit weitgehend vernachlässigt behandelt worden ist. Die Notlage dieses Standes ist so aktuell, daß es mit Zeitungsartikeln und mit der Aufforderung: „Schreien Sie nur weiter, bis Sie irgendwo gehört werden", nicht getan ist.
Ich möchte, weil ich leider wegen der kurzen Zeit zum Schluß kommen muß, nur noch darauf hinweisen, daß unsere Forderung nach einem Gesetzentwurf, der die Ausbildung und Ausübung des Krankenpflegeberufs regelt, nicht etwa zum
Ziel hat, einen Gesetzentwurf für einen Einheitsstand aller Heil- und Hilfsberufe zu erstreben. Wir sind der Meinung, daß die Neuordnung des Gesundheitswesens nicht der Beginn einer sozialisierten Medizin mit einem übersteigerten technischen Apparat sein soll und daß darum auch als Grundlage für die Neuordnung des 'Gesundheitswesens nicht die Schaffung eines Einheitsstandes, sondern der Schutz und die Förderung eines Standes notwendig ist, der als spezieller Frauenberuf dieses Schutzes und dieser Förderung ganz besonders bedarf.