Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute hier eine Aufgabe, die wirklich nicht leicht zu bewältigen ist. Denn ich muß hier etwas tun, was man in einer so entscheidenden Frage, wie sie heute hier zur Debatte steht, schlechterdings sehr schwierig tun kann. Ich muß nämlich das Pro und Contra der Meinungen hier vortragen, die sich in meiner Fraktion bezüglich dieser Frage ergeben haben.
Der Herr Justizminister hat in seinen Ausführungen schon dargelegt, daß die Frage, ob man die Todesstrafe wieder einführen will oder ob man den Art. 102 des Grundgesetzes beibehalten will, nicht eigentlich eine echte politische Frage ist, sondern eine Frage, die in der Weltanschauung des einzelnen und, wenn Sie wollen, auch in seiner religiösen Verantwortlichkeit und Anschauung begründet liegt und eine Frage ist, die jeder einzelne von uns schließlich vor seinem eigenen Gewissen verantworten muß.
Aus diesen Besonderheiten des Problems heraus sind meine Freunde nicht einhellig. Die einen meinen, man solle den Art. 102 beibehalten — ein Standpunkt, den ja mein Herr Vorredner eben geradezu mit ungeheurer Leidenschaftlichkeit verteidigt hat —, und die anderen meinen: nein, man muß diesen Art. 102 streichen, weil gerade aus unserem Volke heraus von draußen das gefordert wird und weil die Ereignisse der letzten Zeit auch gebieterisch zeigen, daß hier etwas geschehen müsse.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selbst bin ein Anhänger der Wiedereinführung der Todesstrafe; aber ich möchte am Schluß dessen, was ich zu sagen habe — ich muß ja sehr kürzen, ich habe nur 12 Minuten Zeit —, einiges zur möglichen Modifizierung der Vollstreckung sagen. Es wird hier gesagt: das Grundgesetz hat in seinem Art. 2 die Heiligkeit des Lebens ausdrücklich festgestellt. Kein Zweifel! Und es wird daraus nur mit Bezug auf den Mörder gefolgert: weil das Grundgesetz die Heiligkeit des Lebens festgestellt hat, deshalb hat weder ein Mensch noch der Staat als Ordnungsfunktion oder als Inhaber der höchsten Gewalt das Recht, ein Leben zerstören zu lassen, auch nicht durch Richterspruch. — Ja, sehen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren — Herr Kollege Dr. Weber ließ es schon anklingen —: ein Teil meiner politischen Freunde stellt die andere Frage: ist es denn nicht notwendig zu fragen und fordert denn unser Volk nicht geradezu gebieterisch, auch zu fragen: „Was waren denn die Leben wert, die der andere ruchlos vernichtet hat?"
Denn das ist doch die gleiche Frage, die hier aufzuwerfen ist. Und wenn der Herr Justizminister vorhin gesagt hat — ich kann mich ja leider Gottes, weil ich hier zwei Standpunkte zu vertreten
habe und das objektiv tun muß, nicht so mit ihm auseinandersetzen, wie ich das möchte —: „Jeder Täter, der den Entschluß zum Morde faßt, ist schon nicht mehr zurechnungsfähig",
so lehne ich das in dieser generellen Formulierung grundsätzlich ab.
— So ähnlich hat er es formuliert.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht zu leidenschaftlich werden. Also ein Teil meiner Freunde meint: Weil auch das andere Leben heilig war, das dort vernichtet wurde, und weil auch dort ungeheures Leid über Familien kam durch ruchlose Taten — neulich in Frankfurt wurden wieder um einiger schnöder Hundertmarkscheine willen zwei unschuldige Menschenleben einfach ausgelöscht und vernichtet! —, deshalb muß der Mörder die Sühne auf sich nehmen, die das erfordert, nämlich die letzte Sühne. Er muß, weil er selbst Blut vergossen hat, mit seinem eigenen Blut bezahlen. Das ist ein Standpunkt, der auch in der Bibel steht, allerdings im Alten Testament.
Ich bin noch nicht einmal so sehr der Meinung, daß die Abschreckungstheorie als wesentlich ins Feld geführt werden könnte, obwohl ich mit dem Herrn Kollegen Ewers sagen möchte: die ganzen Statistiken lassen sich, wenn man will, auch irgendwie anders deuten. Mit Statistiken kann ich alles machen, je nach der Zielrichtung, in der ich sie einsetzen will.
Für den Teil meiner Freunde, die die Wiedereinführung der Todesstrafe bejahen, möchte ich abschließend folgendes sagen. Sie glauben einfach, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe aus dem Volk heraus gefordert wird. Damit komme ich an einen heiklen Punkt. Ich habe in den letzten Wochen draußen in meinem Wahlkreis — ich bin direkt gewählter Abgeordneter — samstags und sonntags gesprochen, nicht über die vorliegenden Anträge, sondern über andere Dinge. Bezeichnenderweise — was mir noch nie begegnet ist, auch damals vor zweieinhalb Jahren nicht, als wir über dieses Problem hier diskutierten — kam jedesmal in der Diskussion die Frage auf mich zu: Wie stehen Sie zur Wiedereinführung der Todesstrafe? Ich habe mich bemüht, den Leuten klarzumachen, welch schwieriges, welch verantwortungsvolles Problem hier zur Debatte steht, wie eingehend man es prüfen und beraten muß, ehe man sich entscheidet. Ich wurde zum Schluß beinahe nicht mehr angehört. Vielmehr machte sich eine Ungeduld bemerkbar, und mindestens 80 bis 90 % der dort Anwesenden forderten kategorisch von mir als dem dort gewählten Abgeordneten, daß ich mich für die Wiedereinführung der Todesstrafe einsetze.
— Ich berichte ja nur, Frau Kollegin. — Die Frage, die wir hier zu entscheiden haben, ist die, ob ich als Abgeordneter den Standpunkt vertrete, den der Herr Justizminister hier als selbstverständlich hingestellt hat, daß ich, wenn einmal der Wahlakt vollzogen ist, wenn einmal das Vertrauen der Wählermassen mich hierhergebracht hat, an gar nichts mehr gebunden bin, sondern nur noch meinem eigenen Gewissen verantwortlich bin. Diesen Standpunkt kann ich in dieser generellen Weise
nicht teilen. Was sind wir denn eigentlich hier in Bonn, wir Abgeordneten alle miteinander?
Wir sind doch wohl dazu da, das Wohl unserer Menschen, derer, die uns hierhergeschickt haben, zu gestalten. Ich betrachte das als einen Auftrag und halte mich in gewisser Beziehung an diesen Auftrag gebunden.
Ich habe den Wählern ja seinerzeit, als ich zum Wahlkampf antrat, erzählt: ich habe die und die Weltanschauung, ich vertrete die und die Auffassung. Weil ich den Wählern das erzählt habe, haben Sie mich gewählt. Das ist für mich eine Bindung, wenn sie wollen: eine sittliche Bindung.
Nun möchte ich den Standpunkt meiner anderen Freunde aus der Fraktion ebenso ernst darlegen. Sie lehnen es ab, den Art. 102 des Grundgesetzes zu streichen, weil sie das im wesentlichen aus ihrem Gewissen, aus ihrer christlichen Verantwortung nicht glauben verantworten zu können, weil sie sich an den Satz halten: ,,Du sollst nicht töten", und weil sie den für so verpflichtend erachten, daß auch der Staat nicht das Recht habe, wie das ja schon vorher hier ausgeführt worden ist, in ein Leben vernichtend einzugreifen.
Sie sagen auch weiter — und dieser Gesichtspunkt muß bei der Debatte, die wir demnächst im Rechtsausschuß haben werden, ganz besonders beachtet werden —: ein Todesurteil ist seiner Natur nach irreparabel. Das ist ja nicht zu bestreiten; das ist ja ganz selbstverständlich. Wenn das Leben einmal vernichtet ist, dann ist es nicht mehr da,
und die Sicherungen des Wiederaufnahmeverfahrens, das wir sonst immer haben, haben keine Wirkung mehr. Deshalb sagen sie auch: Wir können die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Sie sagen auch mit dem Herrn Justizminister: es hat ja gar keinen Zweck; was nützt die Wiedereinführung der Todesstrafe. wenn. wie sie mit dem Herrn Justizminister glauben und wie auch viele Kolleginnen und Kollegen hier glauben, die Statistik exakt und nicht widerlegbar nachweise, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe an der Zahl der Fälle absolut nichts zu ändern vermöge. Mit anderen Worten: sie verneinen die Wirkung der Abschreckung.
Das sind die Gründe, die meine anderen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion bewegen, diesen Anträgen nicht zuzustimmen.
Ich selbst möchte noch eins dazu sagen. Gerade diese Erörterungen, die man manchmal hört, daß man vielleicht einen Unterschied in der Art der Beweisführung in einem Mordprozeß machen und darauf abstellen müßte, ob ein direkter Beweis oder nur ein Indizienbeweis vorläge und. je nachdem, wie es sei. man niemals bei Vorliegen nur eines Indizienbeweises zu einem Todesurteil kommen könnte. diese Theorien lehne ich ah, weil sie nicht rechtssystematisch sind. weil sie auch nicht eigentlich passen. Wir würden dann in einem wesentlichen Punkt. Herr Kollege Wagner, nämlich in einer wesentlichen Art der Beweisführung. dem Indizienbeweis eine ganz besondere Ausnahmestellung gehen. Man könnte darüber im Rechtsausschuß ernsthaft debattieren. Es gibt Für und Wider. Aber ich persönlich habe mir mit einigen
Freunden zusammen Gedanken darüber gemacht. Ich persönlich würde vielmehr, wenn wir, was ja lange noch nicht sicher steht, da hier noch eine verfassungändernde Mehrheit vorhanden sein muß, überhaupt auf derartige Einzelheiten eingehen wollen, die Lösung vorziehen, den § 13 des Strafgesetzbuches zu ändern und vielleicht einen Abs. 2 anzufügen — das ist meine These —, wonach die Todesstrafe immer nur dann vollzogen werden darf, wenn der Inhaber der Gnadengewalt das Urteil bestätigt hat; und wenn er es nicht bestätigen sollte,
dann könnte sie in lebenslanges Zuchthaus umgewandelt werden. Das wäre eine gewisse Sicherung für die Fälle, in denen sich hinsichtlich der Art der Beweisführung, die zu diesem Urteil geführt hat, vielleicht Zweifel ergeben, ob sich nicht doch, da alles menschliche Erkenntnisvermögen nun einmal unvollständig und unvollkommen ist, vielleicht eine Lücke eingeschlichen haben könnte, was dann auf diesem Umweg später repariert werden könnte.
Das ist das, was ich im Namen meiner Fraktion zu dem heute anstehenden Problem sagen wollte. Wir werden also für die Überweisung an den Rechtsausschuß stimmen, d. h. diejenigen, die den Anträgen zustimmen. Wie sich die anderen Damen und Herren entscheiden werden, weiß ich nicht; das werden wir dann sehen.