Rede von
Richard
Schröter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, das Hohe Haus wird es mir nachsehen, wenn ich die Ausführungen meiner verehrten Vorrednerin nicht so ernst nehme, wie sie sich eigentlich für Berlin auswirken. Ich würde sie nicht ernst nehmen, wenn es nicht der Antrag eines Mitglieds der Regierungskoalition wäre. Ein Mitglied einer Fraktion, die die Bundesregierung unterstützt, macht der Bundesregierung Vorwürfe darüber, daß sie die Rechte der Bundesbeamten nicht wahre.
Eine genaue Analyse Ihres Antrags, den Sie nun ständig verbessern — jetzt schon wieder durch Einfügung des Wortes „Bundesbehörden" —, zeigt, daß er absolut ganz anderen Zwecken dienen soll. Er soll den Zwecken dienen, die Frau Kalinke nun schon solange in diesem Hause betreibt,
nämlich ihr Versicherungstöpfchen am Kochen zu halten.
Die Dame mit dem Versicherungskomplex will alles 1 in der Welt aus einem Punkt kurieren,
und infolgedessen nutzt sie jede Gelegenheit, auch die Stunden, in denen es auf nationale Geschlossenheit ankommt, um dann ihr Töpfchen noch ans Feuer zu schieben. Deshalb müssen wir uns etwas ernstlicher mit ihr beschäftigen.
Frau Kalinke hat in ihren Ausführungen dauernd das Wort „unerträglich" gebraucht. Ich muß Ihnen sagen, wir Berliner finden es unerträglich: daß sie bei jeder Gelegenheit, ohne die Entwicklung in Berlin genau zu kennen, immer wieder versucht, ihr Feuerchen anzuzünden und hineinzupusten und Streit zu entfachen, wo die Dinge von uns Berlinern selber gemeistert werden.
Gestatten Sie mir deshalb einen kurzen Rückblick auf das, was geschehen ist, weil die Kunst des Vergessens hier in Westdeutschland ja besonders groß ist.
— Was das heißen soll? Das will ich Ihnen ganz genau erklären! Nicht im Berlin-Ausschuß, dessen Arbeit wir anerkennen, aber in weiten Kreisen der Bevölkerung wird in der letzten Zeit vergessen, daß Berlin einen Start unter ganz anderen Umständen gehabt hat. Bei uns lagen die Rechte im wahrsten Sinne des Wortes auf den Schlachtfeldern. Wir als Berliner Beamte haben uns diese Rechtsgrundlage mühsam Schritt für Schritt auf einem anderen Wege, als es bei Ihnen möglich war, selber schaffen müssen. Aber statt daß man das anerkennt, werden immer wieder vorweg, ehe wir zu einem Endzug kommen, neue Streitobjekte hineingeworfen, die uns die Aufbauarbeit erschweren.
Ich darf feststellen, daß der Antrag, sofern er sich auf Bundesbeamte bezieht, offene Türen einrennt. Denn es steht fest, daß jeder Beamte und Angestellte, der nach Berlin kommt, unter den gleichen Bedingungen nach Berlin kommt, unter denen er hier im Bundesgebiet arbeitet. Diese Dinge sind ausdrücklich festgelegt, und der Ausschuß für Arbeit hat das noch einmal besonders unterstrichen, damit niemand in Berlin auf den Gedanken kommen kann, etwa noch nach einer anderen Lösung zu suchen.
In diesem Sinne muß festgestellt werden, daß der vorgelegte Antrag absolut überflüssig ist. Jeder, der in der Ersatzkasse ist oder war, kann in Berlin weiter in der Ersatzkasse bleiben. Die Angestellten sind versicherungspflichtig in demselben Rahmen und in derselben Höhe wie im Bundesgebiet. Sollte es sich ergeben, daß die Bundesregierung sich vielleicht in einigen Punkten — sagen wir einmal — nicht mit der nötigen Intensität einiger Bundeseinrichtungen annimmt, dann steht es ja bei Ihnen, darauf etwas stärker zu drücken. Ich erinnere nur an unsere ehemalige Reichsdruckerei. Die Verhältnisse der Angestellten an der Reichsdruckerei werden sehr bald so geregelt werden, daß damit klare und endgültige Rechtsverhältnisse da sind.
Im übrigen darf ich aber feststellen, daß das dafür verantwortliche Ministerium nach den Unterlagen, die mir vom Betriebsrat gegeben worden sind, von sich aus bereit ist, alle Härten zu mildern und das Ziel, die volle Übernahme und Überleitung zu erreichen, von sich aus in Angriff genommen hat. Die Kritik könnte sich also höchstens nach dieser Richtung hin auswirken. Aber darüber
wird ja die Bundesregierung Aufklärung geben können.
Ich habe Sie vorhin darauf hingewiesen, daß wir uns unsere Rechtsgrundlage unter ganz anderen Umständen geschaffen haben, und zwar nicht zum wenigsten auch dank der Mitwirkung der Gewerkschaften. Vergessen Sie nicht, daß wir immer alle vier Besatzungsmächte bei uns hatten, die ihren Einspruch gemeinsam vorbrachten. Wir haben unter diesen Umständen unser gemeinsames Ziel, nämlich den allgemeinen Anschluß an den Bund, nie aus dem Auge verloren. Die Situationen sind oft sehr schwierig, und es ist oft schwer, das Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren, da Kräfte am Werk sind — auch von alliierter Seite -, die dafür sorgen, daß aus der de-facto-Eingliederung nicht eine de-iure-Eingliederung wird. Wir können das .einmal mit aller Deutlichkeit aussprechen. Deshalb sind die hier aufgestellten Behauptungen so störend.
Sie unterstützen, Frau Kalinke, diese Kräfte — und die habe ich gemeint, nicht unsere Freunde, von denen wir uns eine ganze Menge gewonnen haben —, die Kräfte, die nur an ihre eigenen Interessen denken und alle Möglichkeiten suchen, um nicht nach Berlin gehen zu müssen. Der Antrag, der hier besondere Garantien für das Übersiedeln nach Berlin in einer Zeit verlangt, in der wir uns mit allen Mitteln bemühen, die Leute auf Berlin aufmerksam zu machen und die Verbindung nicht abreißen zu lassen, bedeutet doch glatt, daß man die Kräfte ermuntert, die sich unter allen möglichen Umständen einer Versetzung nach Berlin entziehen wollen. Abgesehen davon: wie Sie das mit Ihrer Auffassung von Beamtenpflichten vereinigen können, ist mir ein Rätsel! Das ist die andere Seite dieser Anträge.
Im übrigen darf ich Sie darauf verweisen, daß wir bereit sind, alle diese Dinge abzuwickeln, aber in dem Tempo, das unseren Lebensinteressen entspricht, die letzten Endes auch Ihre sind. Denn darüber müssen Sie sich doch klar sein, daß, wenn Berlin nicht mehr sicher ist, Sie hier auch nicht mehr sicher sitzen, Frau Kalinke!
— Das hat sehr viel mit, diesen Dingen zu tun, weil die Propaganda in dieser Form sich so auswirkt. Und das ist das, was uns nachgerade unerträglich wird.
Ich darf Ihnen dazu folgendes sagen. Ich habe vor mir ein Merkblatt des Verbandes der Berliner Lehrer und Erzieher liegen, das ganz genaue Anweisungen darüber herausgibt, wie die Betreffenden sich ihre Rechte bei der Lösung von der VAB bewahren sollen. Das geht doch aber nicht von heute auf morgen. Das braucht doch seine Zeit. Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie viel mehr für Aufklärung nach dieser Richtung sorgten, daß die Menschen sich freiwillig nach Berlin melden sollten, um nicht erst durch irgendeinen Befehl nach Berlin versetzt werden zu müssen. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns darin unterstützten.
Aus diesem Grunde wenden wir uns gegen diesen Antrag. In Berlin brauchen wir keine besonderen Garantien. In Berlin brauchen wir nichts anderes als das Gefühl, daß man uns in dieser
Richtung unterstützt -- so wie auch wir freundlicherweise bei Ihnen Unterstützung erhalten — und uns die Möglichkeit gibt, unser Schicksal zu gestalten. Das brauchen wir in Berlin, Frau Kalinke! Ihre wohlmeinenden Ratschläge, vorzeitig Sonderinteressen zu verfolgen, können Sie für sich behalten. Ich sage das in aller Deutlichkeit.
Auch in Berlin war die Frage der Versicherungspflicht nicht in erster Linie die Frage eines Streites über Versicherungsprinzipien. Wir haben das selbst gemacht. Wir Beamte, die wir gegenüber der großen Zahl von Rentnern und Arbeitslosen das Glück hatten, zuerst wieder im Brot zu stehen, haben damit einen Beitrag der Solidarität geleistet.
Durch den Anschluß an den Bund ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, daß wir diese Dinge allmählich ablösen können. Wo aber wäre Berlin geblieben, wenn wir damals nicht diese Grundlage geschaffen hätten! Sie hat vielen Tausenden alten Arbeitern und Rentnern das Leben gerettet.
Dieser Pflicht hat sich auch die Berliner Beamtenschaft unterzogen, ohne ihre Grundinteressen aufzugeben. Das Ziel hat sie verfolgt.
Was die Berliner Beamten selbst angeht, so kommen Sie reichlich spät. In Berlin haben wir nämlich unser Beamtengesetz inzwischen fertig, und ich darf Ihnen sagen, es ist einstimmig von allen Parteien angenommen worden.
Und weil es einstimmig angenommen ist, werden wir auch in größter Einmütigkeit die Konsequenzen daraus ziehen. Die Beamtenrechte in Berlin brauchen Sie nicht zu verteidigen. Das überlassen Sie uns Berliner Beamten selbst.
— Warum haben wir diese Zeit gebraucht? Weil Verhältnisse geschaffen wurden von Leuten, die sich heute wieder melden, die uns in die Lage gebracht haben, daß wir in Berlin allein standen und uns jahrelang allein helfen mußten. Ich habe Ihnen erklärt: unsere Rechte ragen auf den Schlachtfeldern. Wir haben sie uns wiedergeholt, und deshalb wollen wir uns unsere Arbeit nicht stören lassen durch Anträge, die uns scheinbar helfen wollen. Dieser Antrag ist ein vergifteter Antrag, und deshalb bitten wir Sie, ihn abzulehnen. Er ist erstens sachlich nicht gerechtfertigt, zweitens unzweckmäßig und drittens schädlich.
Nun möchte ich Ihnen noch etwas sagen.
— Mein Herr, Parlament kommt bekanntlich von parlieren. Ja?
Mein Herr Kollege, immerhin ist es eine Regierungsfraktion, die diesen Antrag unterschrieben hat, und man muß sich mit ihr einmal ernsthaft auseinandersetzen, nachdem hier dauernd Propaganda gemacht wird mit dem Wort -;,unerträgliche Zustände in Berlin". Das können Sie uns nicht verdenken.
Dazu möchte ich Ihnen etwas sagen; vielleicht denken Sie mal darüber nach. Vor hundert Jahren hat sich Max von Schenkendorf auch einmal das
deutsche Volk betrachtet, als er von Süden nach Norden zog, und dabei hat er festgestellt:
Aber einmal müßt Ihr ringen
Noch in ernster Geisterschlacht
Und den letzten Feind bezwingen,
Der im Innern drohend wacht.
Haß und Argwohn müßt Ihr dämpfen, Geiz und Neid und böse Lust.
Dann, nach langen schweren Kämpfen, Kannst Du ruhen, deutsche Brust.
Vielleicht denken Sie in diesem Zusammenhang mal darüber nach!