Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem der Altersversorgung des deutschen Handwerks wird heute nicht zum erstenmal hier in diesem Hause behandelt. Ich darf insbesondere auf die Beratung vom 19. März dieses Jahres und die verschiedenen Eingaben verweisen, die von den verschiedenen Seiten dieses Hauses zu diesem Thema bereits gekommen sind.
Grundsätzlich möchte ich sagen, daß wir den vorliegenden Gesetzentwurf begrüßen, weil jetzt endlich Ordnung und Ruhe in Handwerkskreisen eintreten kann. Diese Ordnung, .glaube ich, ist eine sozialpolitische Notwendigkeit.
Im Jahre 1949 hat der damalige Wirtschaftsrat das Sozialversicherungsanpassungsgesetz geschaffen. Ich glaube, genau so notwendig war und ist ein Altersversorgungsanpassungsgesetz. Wir wissen zwar, daß in Handwerkskreisen keine einheitliche Auffassung über die Altersversorgung besteht. Das liegt nun einmal in der wirtschaftlichen, in der sozialen und sonstigen Verschiedenheit der einzelnen Berufssparten, aber auch der einzelnen Berufsangehörigen begründet. Wenn mein Vorredner, der Herr Kollege Eickhoff, angeführt hat, daß ein — ich möchte aber sagen kleinerer — Teil des Handwerks die völlige Freiheit und die Aufhebung des Gesetzes vom 21. Dezember 1938 wünscht, dann möchte ich von mir aus sagen, daß sich zu dieser Argumentation vielleicht manches sagen läßt. Auch unser Kollege Eickhoff weiß ja, daß wir uns gerade in den letzten Tagen unter uns Handwerkerabgeordneten über dieses Problem eingehend ausgesprochen haben.
Trotzdem läßt sich noch mehr gegen eine solche
Lösung sagen. Ich möchte aber hier in der ersten
Lesung dieses Problem nicht allzu sehr vertiefen.
Der Vorschlag einer eigenen Versicherung, d. h. in eigener Zuständigkeit und Verantwortlichkeit, findet wohl Befürworter im Handwerk, noch mehr aber in den Kreisen derer, die das Gesetz vom 21. Dezember 1938 als eine Belastung für die Angegestelltenversicherung ansehen. Ich möchte noch einmal wiederholen, es läßt sich manches dafür sagen, wenn ich nur an das Wort Solidarität des Berufsstandes oder aber an die Gefahr der Einheitszwangsversicherung denke, der ich durchaus nicht das Wort reden möchte. Aber all die vielfältigen Schwierigkeiten, die sich einer eigenen Versicherung entgegenstellen, sind wohl im Augenblick nicht zu überwinden.
Der überwiegende Teil des Handwerks hat die Notwendigkeit einer allgemeinen, auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Regelung der Altersversorgung des Handwerks erkannt, wie es auch in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt. Aber alle im Handwerk sind sich wohl darüber einig, daß die starre, allzu zwangsmäßige Form des Gesetzes vom 21. Dezember 1938 gelockert werden muß. Wir wissen, daß von den einzelnen Handwerkern und auch von den Organisationen schon seit Jahren immer wieder — ich möchte sagen — an den Gitterstäben dieses allzu engen Gesetzes gerüttelt wird. Ich gebe gern zu und begrüße es, daß dieser Gesetzentwurf wertvolle Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Gesetz bringt. Doch sind noch sehr viele berechtigte Wünsche offen geblieben. Sosehr
wir oder doch wenigstens viele Handwerker es begrüßen, daß die Versicherungspflichtgrenze gefallen ist, so müssen wir doch wieder fragen, wo die Erleichterung für einen großen Teil von Handwerkern bleibt, die auf andere Art und Weise für ihren Lebensabend vorgesorgt haben. Ich denke an den Teil unserer ländlichen Handwerker, die neben ihrem Handwerk Eigentum, Grundbesitz, Hausbesitz haben und die von jeher auf diese Art und Weise am besten für ihr Alter vorgesorgt haben. Dieser Menschenkreis hat zu leben, aber bei ihm wird das Wort „Geld" besonders groß geschrieben. Das gleiche gilt für diejenigen, die durch besondere Eigentumsverhältnisse oder sonstige Dinge für ihren Lebensabend vorgesorgt haben. Ich darf in dieser Beziehung nur auf meine Ausführungen anläßlich der Handwerkerdebatte am 19. März 1952 hinweisen. Ich möchte wiederholen, was ich damals sagte: Wir wollen doch die Schaffung und Erhaltung von Eigentum anerkennen und auch fördern.
Bei der Betrachtung dieses Gesetzentwurfs fragen wir uns: Warum keine Wahlfreiheit bezüglich der Invaliden- und Angestelltenversicherung, insbesondere bei denen, die schon Jahrzehnte als Lehrlinge oder Gesellen ihre Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet haben? Hierüber wird im Ausschuß noch manches zu sagen sein. Ich gebe gern zu, wie es auch meine beiden Herren Vorredner getan haben, daß insbesondere die Übergangsvorschriften Erleichterungen vor allem für unsere älteren Handwerkskollegen bringen. Nur möchte ich meinen, daß die Fristen, die in diesem Entwurf genannt sind, verlängert werden müssen, da ja in den nächsten Wochen doch noch nicht mit einer Verabschiedung zu rechnen ist.
Aber lassen Sie mich eines sagen: Wir bedauern es wohl alle lebhaft, daß die Aufwertung der Lebensversicherungen für die ab 1938 zwangsversicherten Handwerker nicht gleichzeitig mitangepackt wurde.
Ich möchte sagen, das ist ja die große Sorge, insbesondere unserer älteren Handwerkskollegen.
Jeder von Ihnen, ganz gleich, auf welche Seite dieses Hauses Sie sitzen, Sie alle haben doch schon mehr oder weniger Briefe mit den Klagen älterer Handwerkskollegen bekommen. Deshalb hätte ich es gern gesehen, daß gleichzeitig mit diesem Gesetzentwurf dieses Problem angeschnitten worden wäre.
Ich möchte nicht gerade den Lebensversicherungen das Wort reden. Manchmal bekomme ich sogar andere Gedanken, insbesondere wenn ich mir die ganzen schönen Neubauten ansehe oder auch mal Zahlen über Direktorengehälter bei den Lebensversicherungen höre. Dann möchte ich meinen, daß es vielleicht für diese Institutionen ganz gut gewesen wäre, wenn sie auch etwas für die Kreise getan hätten, die ihnen Jahre hindurch das Geld für die Versicherungen gebracht haben.
Ich spreche nicht gegen das Bauen, im Gegenteil, ich freue mich über jeden Stein, der auf den anderen gesetzt wird. Aber wenn jetzt über den Verwendungszweck des Geldes entschieden werden soll, und zwar entweder für Bauten oder für Menschen, dann möchte ich mich hier doch in erster Linie für die Menschen entscheiden.
Der Vorschlag im Entwurf zur Ablösung der Versicherungspflicht durch Erhöhung der Lebensversicherung von 5000 DM auf 10 000 DM ist, glaube ich, sehr hart, insbesondere für unsere älteren Kollegen. Ja, hier ist er nicht nur hart, hier ist er — ich möchte sagen — unmöglich; denn das Einkommen, insbesondere bei den älteren Handwerkern, schwankt sehr, und zwar nach unten, während die Prämien bleiben. Ich glaube, wir müssen uns im Ausschuß überlegen, ob es nicht wenigstens für die älteren Handwerker von einem bestimmten Lebensalter an oder meinetwegen für die, die in Verfolg des Gesetzes vom 21. Dezember 1938 eine Lebensversicherung abgeschlossen haben, bei der bisherigen Regelung verbleiben kann.
Lassen Sie mich noch sagen, daß wir uns durchaus der Schwierigkeiten bewußt sind, die das Problem Altersversorgung mit sich bringt. Ich möchte noch zusätzlich sagen, daß wir allein mit versicherungsmathematischen Berechnungen auch nicht mehr auskommen. Wir alle wissen, daß sich das Lebensalter des deutschen Volkes erhöht hat und daß darunter auch nicht wenige Handwerker fallen. Beispielsweise waren 1910 5 % der Bevölkerung über 65 Jahre alt, während es 1950 schon 9,3 % sind! Die Katastrophe des „Tausendjährigen Reiches" sehen wir täglich mehr. Wir müssen heute nämlich feststellen, daß wir genau soviel 65jährige wie 35jährige Menschen haben. Ich will damit nicht sagen, daß wir zuviel 65jährige haben, sondern wir haben zuwenig 35jährige; es fehlen die, die uns in dem Wahnsinn des „Tausendjährigen Reiches" genommen wurden.
Abschließend darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß es immerhin 120 000 Handwerker sind, die mit über 65 Jahren noch als Betriebsinhaber im
Beruf tätig sind, weil sie es müssen. Viel größer ist, glaube ich, noch die Zahl derjenigen, die ihr Handwerk nicht mehr ausüben und die nun sehen müssen, wie sie ihre alten Tage verbringen. Vielfach ist es das Wohlfahrtsamt, das ihnen der letzte Rettungsanker sein muß, — und das oft nach einer Tätigkeit von 30 und 40 Jahren!
Trotz all dieser Schwierigkeiten, die das Gesetz mit sich bringen kann und auch bringen wird, möchte ich sagen, daß es psychologisch falsch wäre, wenn wir ein Gesetz verabschieden wollten, das den Widerspruch des gesamten Handwerks auslösen müßte. Deshalb bitte ich, daß wir unsere Aufmerksamkeit den Wünschen und den Problemen, die das Handwerk immer wieder vorträgt und vortragen muß, im Ausschuß eingehend widmen.
Ein Wort noch zu einem Problem, das mit diesem Gesetzentwurf direkt nichts zu tun hat. Immer wieder kommen Klagen an uns heran über rigorose und drakonische Maßnahmen bei der Beitragseinziehung zur Versicherung. Wir erinnern uns, daß der Herr Bundesarbeitsminister am 19. März 1952 für die LVA eine gewisse Stillhalteerklärung hier abgegeben hat. Wir müssen jetzt leider feststellen, daß einige Landesversicherungsanstalten noch kurz vor Torschluß beim Beitragseinzug mit Methoden vorgehen, die nicht unsere Billigung finden können. Diese Beschwerdebriefe kommen hauptsächlich aus Hamburg. Da darf ich vielleicht sagen, daß andere Landesversicherungsanstalten in dieser Beziehung vorbildlich handeln. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht Hessen nennen, das auf diesem Gebiete eine vorbildliche Lösung gefunden hat. Deshalb richte ich die Bitte an unser Bundesarbeitsministerium, durch geeignete Maßnahmen auf die einzelnen Landesversicherungsanstalten einzuwirken. Sie mögen stillhalten und sich bis zur Verabschiedung dieses Gesetzes loyal verhalten.
Die zuständigen Ausschüsse bitte ich, diesen Gesetzentwurf möglichst bald zu verabschieden, damit in unserem Handwerk Beruhigung eintreten kann. Ich schlage vor, wie schon geschehen, diesen Gesetzentwurf dem sozialpolitischen Ausschuß als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung zu überweisen.