Rede von
Dr.
Otto Heinrich
Greve
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, woher ausgerechnet der Herr Kollege Müller von der KPD das Recht nimmt,
an uns, die wir irgend willens sind, Restitution zu leisten und auch Wiedergutmachung zu üben, Forderungen zu stellen und uns hier Belehrungen zu erteilen. Herr Kollege Müller, Sie fahren am besten in die von Ihnen so geliebten Gebiete östlich des Eisernen Vorhangs
und halten dort die Rede, die Sie hier eben gehalten haben!
Wo gibt es in den Gebieten der sowjetisch besetzten Zone eine Restitution? Was haben Sie mit dem jüdischen Vermögen in diesen Gebieten gemacht? Volkseigene Betriebe haben Sie aus diesen Vermögen gemacht!
— Ja, halten Sie das für eine richtige Restitution?
— Na ja, wenn Sie das für eine richtige Restitution halten, dann haben Sie nicht das Recht, sich hierher zu stellen und so zu tun, als ob Sie im Interesse von Recht und Gerechtigkeit etwas sagten!
Wir wissen doch alle, die wir aus den Gebieten der sowjetischen Zone stammen, was man selbst mit unserem Vermögen gemacht hat, die wir nicht vom Nationalsozialismus betroffen sind. Das wissen wir doch auch!
(Zustimmung in der Mitte. — Abg. Rische:
Sie haben aber reichlich geredet! — Weitere Zurufe von der KPD.)
Meine verehrten Anwesenden! Die Frage der Rückerstattung, die uns alle schon ausgiebig beschäftigt hat, veranlaßt mich, zunächst dem Herrn Kollegen Dr. Weber außerordentlich zu danken für die Art und den Inhalt der Berichterstattung, die bestimmt keine leichte gewesen ist, wenn das wiedergegeben werden sollte, was das Ergebnis der vielfältigen, oft auch dramatischen Bemühungen und Arbeiten im Rechtsausschuß gewesen ist. Meine Freunde und ich stimmen im wesentlichen den Punkten zu, die Herr Kollege Dr. Weber hier erwähnt hat. Wir freuen uns, daß wir im Rechtsausschuß zu diesem Ergebnis gekommen sind.
Allerdings darf ich sagen, daß es sich gerade bei der Rückerstattung darum handelt, sich zu bekennen. Nirgends gilt mehr der Satz „Hic Rhodos, hic salta!" Jeder muß hier eben Partei ergreifen, ob er will oder nicht, entweder für den Geist der Rückerstattung, der, wie mein Freund Arndt das hier heute anläßlich der Begründung des Wiedergutmachungsgesetzes gesagt hat, aus Reue und Buße geboren sein muß, wenn er echt ist; oder aber, wenn jemand nicht für den Geist der Rückerstattung Partei ergreift, dann bleibt ihm nur die Möglichkeit, sich für die erbarmungslose Verfolgung der Gegner des Nationalsozialismus möglicherweise noch nachträglich einzusetzen.
Wir brauchen uns nur zu fragen: „Wer ist der Berechtigte?" In jedem Fall doch sowohl auf dem Gebiete der Rückerstattung wie auf dem Gebiete der Entschädigung der Verfolgte oder ein Erbe des
Verfolgten, der meist selber auch Verfolgter gewesen ist. Und wer ist in den meisten Fällen — und da stimme ich nicht mit den Kollegen überein, die etwas anderes behauptet haben — der Entzieher? Der Entzieher ist eben in den meisten Fällen auch der Nutznießer. Es ist in manchen Fällen auch jemand, der aus Gefälligkeit gehandelt hat, und es gibt Nacherwerber — auch da stimme ich mit Ihnen weitgehend überein, Herr Kollege Dr. Weber —, die gutgläubig gewesen sind. Aber auch Sie stimmen darin mit mir überein, daß es Nacherwerber gibt, die sehr schlechtgläubig gewesen sind. Es wird darauf ankommen, im einzelnen zu untersuchen, wo gerade in den Fällen etwas getan werden soll, die vom sogenannten Härteausgleich betroffen werden. Ich darf für meine Person sagen, daß ich mich im Konfliktsfalle für den Berechtigten und nicht den Verpflichteten entscheide. Ich glaube auch, daß im Konfliktsfalle der Berechtigte den Vorrang vor dem Verpflichteten haben sollte.
Ich darf mich einigen Ausführungen meiner Vorredner zuwenden, weil ich mich für verpflichtet halte, ihnen zu widersprechen. Kollege Dr. Etzel meinte, daß die Erwerber bzw. die Nacherwerber, die im wesentlichen gutgläubig gewesen seien, die meisten der Leidtragenden, wie er es nannte, die Mehrheit der Verpflichteten ausmachen. Nun, das stimmt nicht. Wer selbst aktiv in der Arbeit der Rückerstattung tätig ist, der weiß, daß die meisten Rückerstattungsverpflichteten zu Recht Verpflichtete sind und auch zu Recht von den Bestimmungen der Rückerstattungsgesetze betroffen werden. Eine vollständige .Beseitigung ,offenkundiger Härten, wie sie vom Kollegen Dr. Etzel gefordert wird, ist einfach ausgeschlossen. Hier muß im Konfliktsfalle der Vorrang der Berechtigten gegenüber den Verpflichteten gelten.
Herr Kollege Ewers, es ist erstaunlich, daß gerade immer ein Vertreter Ihrer Partei uns bei der Erörterung solcher delikater Probleme zu gegensätzlichen Meinungen und gegensätzlichen Ausführungen herausfordert. Sie haben zwar zum Schluß Ihrer Ausführungen hier festgestellt, daß Sie im wesentlichen der Vorlage des Rechtsausschusses zustimmen und daß Sie auch weithin dem Inhalt der Gesetzesvorlage meiner politischen Freunde Ihre Zustimmung nicht versagen wollen. Aber der Vergleich, den Sie anläßlich der Erörterung dieser beiden Punkte hier zwischen dem „Dritten Reich" und der Bundesrepublik gerade im Hinblick auf die deutsche Jugend gezogen haben, ist doch in jeder Weise schief. Wir wissen, daß es der Bundesrepublik, die ja nur ein Teil Deutschlands ist — das bitte ich zu berücksichtigen; die Wiedervereinigung Deutschlands ist ja noch nicht Wirklichkeit geworden —, bisher nicht gelungen ist, die Jugend schwärmerisch an sich heranzuziehen und sie geradezu für die Ideale der Demokratie und des parlamentarischen Regierungssystems zu begeistern. Sie haben demgegenüber festgestellt, daß die Jugend damals weithin Ideale gehabt habe. Ich frage Sie: Waren denn das wirklich Ideale? Was die Jugend damals sah, das war ein System von Verbrechern. das uns dazu gebracht hat, daß wir uns heute mit diesen Gesetzesvorlagen und dem Bericht des Rechtsausschusses befassen müssen. Wir müssen uns doch nachträglich davon absetzen, daß diese Jugend überhaupt etwas Derartiges als Ideal haben konnte! Herr Kollege Ewers, auch wir sprechen die Jugend in keiner Weise schuldig, sondern sagen, daß sie weitgehend unschuldig war, daß es ihr vielleicht damals weithin nicht möglich war, anders zu sehen. Aber wir haben auch die Pflicht, der Jugend von heute zu sagen, was Wahrheit war und was heute Wahrheit ist. Unter diesem Gesichtspunkt kann man doch nicht zu der Auffassung kommen, daß die heute Dissentierenden zu Staatsfeinden werden — wenn man es auf den Gegensatz zwischen dem, was Sie „Drittes Reich" nannten, und der Bundesrepublik abstellt.
Auch die Argumentation ist falsch, wenn Sie sagen, daß Sie unsere Gesetzesvorlage nicht akzeptieren können, weil darin jeder Widerstand zu einer rechtmäßigen Handlung erklärt wird. Sie dürfen doch diesen Widerstand nur aus der damaligen und nicht aus der heutig en Schau sehen. Ich gebe Ihnen darin vollkommen recht, daß es einem schwer fällt, jemandem zuzuerkennen, er habe damals Widerstand geleistet, der heute zum Widerstand herausfordert, wie es in den Gebieten jenseits des Eisernen Vorhangs der Fall ist. Lassen Sie uns das im Rechtsausschuß miteinander besprechen, und da Sie Jurist sind und ich Jurist bin, werden wir vielleicht nach dem Grundsatz der compensatio lucri cum damno etwas weiterkommen, Herr Kollege Ewers. Aber das ändert an dem Grundsatz, daß jeder Widerstand gegen das nationalsozialistische System rechtmäßig war, nichts.
Herr Kollege Schneider, einige Worte zu Ihren Ausführungen. Wenn Sie das, was wir mit unserer Gesetzesvorlage verlangen, als Vollentschädigung bezeichnen, dann haben die 131er mehr bekommen, als sie überhaupt zu beanspruchen gehabt hätten. Denn diese Sonderregelung, die wir allerdings für die vom Nationalsozialismus Geschädigten in einzelnen Fällen vorsehen, bleibt nicht nur soweit hinter dem tatsächlichen Schaden zurück, daß es sich heute praktisch oft nicht mehr um eine Entschädigung, um eine Wiedergutmachung handelt, sondern sie bleibt weit hinter dem zurück, was der Deutsche Bundestag auf anderen Gebieten getan hat. Ich erinnere in diesem Zusammenhang ausdrücklich an das Gesetz zur Ausführung des Art. 131 des Grundgesetzes. Da waren Sie nicht so sorgsam darauf bedacht, daß auch nicht zuviel gezahlt würde. Herr Kollege Wuermeling, Sie meinen — Kollege Wuermeling ist leider nicht da —, daß hier schon eine Schuld von 7 Milliarden DM anzunehmen sei, die den Haushalt der Bundesrepublik belaste. Ich muß Ihnen erwidern, daß diese Art der Argumentation uns zwingt, Sie zu fragen, ob Sie etwa auch die Lasten, die die Bundesrepublik für ihre Beamten und Pensionäre zu tragen hat, als Schulden ansehen, die so zu behandeln sind, wie Sie das in diesem Falle wünschen. Ich glaube, daß Sie uns auf dem Wege wohl nicht recht folgen können, aber eigentlich folgen müssen, wenn Ihre Ausführungen über 7 Milliarden DM Schulden der Bundesrepublik ernst genommen werden sollen.
Die Aufforderung, Herr Kollege Schneider, diese Gesetzesvorlage nicht nur an den Rechtsausschuß, sondern auch an den Ausschuß für Geld und Kredit zu überweisen, ist schon nach dem Wesensgehalt dieses Gesetzes unmöglich. Ich sage Ihnen ausdrücklich: meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß die Beträge, die auf Grund dieses Gesetzes gezahlt werden müssen, unter allen Umständen mit Vorrang vor allen anderen Ausgaben in den Bundeshaushalt einzustellen sind
und daß es völlig überflüssig ist, irgendeinen Ausschuß, der sich mit Finanzen oder Krediten oder Geld zu befassen hat, damit zu beschäftigen. Bei der ordnungsgemäßen Beratung des deutschen Bundeshaushalts im Haushaltsausschuß mag auch über diesen Posten gesprochen werden wie über jeden anderen. Für die Fragen des Entschädigungsgesetzes sollte ausschließlich der Rechtsausschuß zuständig sein.
Zum Abschluß meiner Ausführungen darf ich noch auf eins hinweisen. Ich vermag mich nicht ausschließlich auf den Standpunkt zu stellen, der vom Kollegen Weber vertreten worden ist, daß der Härteausgleich so gehandhabt wird, wie es vorgesehen ist, auch unter Berücksichtigung der Ziffer E. Es ist nicht notwendig, hier einzelne Ausführungen zu machen. Das ergibt sich aus dem, was ich Ihnen bereits im Hinblick auf den Vorrang der Berechtigten gegenüber den Verpflichteten im Konfliktsfalle vorgetragen habe. Aber auf eines möchte ich den Herrn Bundesfinanzminister aufmerksam machen, damit er möglicherweise auch die Herren Länderfinanzminister darauf hinweist. Das ist in der Öffentlichkeit nicht genügend bekannt, und im allgemeinen wissen es nur diejenigen, die als Praktiker mit diesen Dingen in Berührung kommen. Wenn sich z. B. jemand als Verpflichteter mit dem Berechtigten heute im Vergleichswege auf einen bestimmten Betrag einigt, dann glauben Sie nicht, meine verehrten Damen und Herren, daß der Verpflichtete das nun auch wirklich aus seinem Vermögen bezahlt! Nein, das bezahlen wir alle! Die Oberfinanzdirektionen haben nämlich in diesen Fällen das getan, was ein guter Steuereinnehmer eigentlich nicht zu tun pflegt. Im ersten Jahr können in erheblichem Umfange von den Beträgen, die die Verpflichteten an den Berechtigten zahlen, 30 % steuerlich abgesetzt werden und in den nächsten sieben Jahren je 10 %, so daß also die wesentliche Summe nicht aus dem Vermögen der Verpflichteten selbst, das sie an sich rückerstatten sollten, gezahlt wird, sondern über den Steuerhaushalt aus den Taschen der Steuerzahler entnommen wird. Wie lange noch, Herr Bundesfinanzminister, frage ich Sie, soll diese Handhabung der Oberfinanzdirektionen aufrechterhalten werden? Halten Sie es nicht für angebracht, daß in den Fällen, in denen wirklich auch restitutionsverpflichtetes Vermögen vorhanden ist, dieses restitutionsverpflichtete Vermögen selbst in Anspruch genommen und nicht der Steuerzahler zur Abdeckung der Restitutionsverpflichtungen herangezogen wird? Ich glaube, daß wir bei der Beratung des Gesetzes, das uns möglicherweise vorgelegt wird, auf diesen Punkt sehr genau eingehen müssen.
Zum Schluß, meine verehrten Anwesenden, möchte ich Ihnen sagen, daß ich Ausführungen zu dem Gesetz, das meine Fraktion vorgelegt hat, nicht zu machen habe.
Was die Restitution betrifft, die wir insbesondere gegenüber den durch den Nationalsozialismus geschädigten Juden zu leisten haben, so, glaube ich, hat mein Freund Arndt Worte gefunden, denen ich nicht viel hinzuzusetzen brauche. Ich glaube aber, daß es richtig ist, die Vertretung der Bundesrepublik an ein Wort zu erinnern, das der insbesondere den Juristen nicht unbekannte Max Hachenburg in seinem achten oder neunten Lebensjahrzehnt gerade im Hinblick auf die Restitution gesprochen hat. Er sagt: „Das Gewissen des Volkes spricht durch den Mund seiner Vertreter." Wir sind die Vertreter, die hier das Gewissen des Volkes sprechen lassen müssen. Auch dafür gilt, was
Hachenburg in einem weiteren Satz sagte: daß uns als Gewissenspflicht die „Reue über das Vorgefallene gestellt ist und sich aus ihr das Bestreben nach Wiedergutmachung natürlich ergeben sollte."