Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es ist beklagenswert, daß wir, behindert durch die Besatzungsmächte und durch die Zeitumstände, das schwere Unrecht des „Dritten Reiches" — sei es begangen, wo es wolle — immer erst mit einer unendlichen Verzögerung wiedergutmachen können und damit im deutschen
Volk Emotionen hervorrufen, die leider Gottes die schöne Einmütigkeit, die Herr Kollege Arndt hier mit seinen bewegenden Worten gefordert hat, außerhalb dieses Hauses zerstören. Man muß bedenken, daß weite Volksschichten im „Dritten Reich" in ihren jüngsten Jahren ein Ideal gefunden haben, das zerbrochen am Boden liegt, und daß es in den sieben Nachkriegsjahren, von denen ja vier elendiglich genug waren, nicht gelungen ist, diese Jugend, heute meinetwegen 25 bis 30 Jahre alt, zu überzeugen, daß wir, die wir hier im Hause eine einhellige Auffassung, wie ich hoffe, über das „Dritte Reich" haben, geschichtlich recht haben.
Denn, Herr Kollege Arndt — da weiche ich von Ihnen ab —, nicht wir sprechen hier Recht über die Vergangenheit, sondern das tut die Geschichte, insbesondere die Geschichtswissenschaft. Und ich sage ganz offen: Ich möchte nicht in der Haut eines heute noch lebenden früheren Naziführers stecken, der sich vorstellen kann, wie man einmal nach einem Jahrhundert über die Periode von 1933 bis 1945 wohl zu Gericht sitzen wird.
— Wie ich sie beurteile? Ich habe unter den zwölf Jahren seelisch gelitten und habe die Verfolgten des- Dritten Reiches gerichtlich vertreten und dabei Einblicke in die geheimen Zustände getan, die allerdings meine ganze 'Haltung beanspruchten, wenn ich von meiner anwaltlichen Schweigepflicht zum Schutze der Klienten Gebrauch machen wollte. Lassen Sie also bitte mich persönlich aus dem Spiele!
Wir sind uns weitgehend auf der Basis des Herrn Kollegen Arndt einig, mit der einen Einschränkung: Diese Gefühle sind leider heute nicht so im deutschen Volk verbreitet, wie er wohl und wie wir alle wünschen möchten. Und wir haben alle Veranlassung, die heute noch Dissentierenden nicht zu Staatsfeinden 'zu machen; und darin sehen wir unsere konservative Aufgabe. Nur im Sinne dieser Befürchtungen muß ich Ihnen erklären, daß meine politischen Freunde aus der Präambel zu den Bestimmungen, die vorgeschlagen werden und die wir durchweg 'billigen, die Worte, daß jedermann, der sich im Widerstand bewegt hat, sich „ein Verdienst erworben" habe, bedauern nicht annehmen zu können.
Wir sind gegen jede Kollektivschuld, aber auch gegen jedes Kollektivverdienst, sondern wir wollen im einzelnen prüfen. So sehr wir z. B. anerkennen, daß die erst nach 1945 bekanntgewordene Haltung der Opfer des 20. Juli 1944 gerade vor dem Gericht — ich erinnere auch an den Film, den die Nazis davon gemacht haben — das Ehrenhafteste und Heldischste ist, was man sich in dieser Gestalt vorstellen kann, sowenig kann ich einsehen, daß etwa der Kommunist, der nach 1945 in Buchenwald andere Leute einsperrte und dort einen Mann wie Heinrich George, den großen Menschen und Schauspieler, sterben ließ, durch 'seinen Widerstand sich ein Verdienst erworben habe. Ich kann das nicht anerkennen.
Wir sollen daher ja mit der Vorlage auch keinen
Orden verteilen. Wir wollen und sollen Ansprüche
regeln, und daher ist die Frage des „Verdienstes",
das doch ein ethischer Begriff ist, in diesem Gesetz oder in diesen Vorschlägen nach unserer Meinung fehl am Platze, weil wir uns dazu nicht zu äußern haben. Auch die Gerichte haben sich nicht zu äußern, Herr Kollege Arndt; ich gehe mit Ihnen in dieser Beziehung völlig einig. Unser Vorschlag geht dahin, den letzten Halbsatz des Satzes, den ja auch Herr Kollege Dr. Weber verlesen hat, zu ändern. Ich darf ihn des Zusammenhangs willen ganz verlesen, damit Sie die Einreihung sehen. Es heißt:
Dabei ist davon auszugehen, daß Personen, die
wegen ihrer politischen Überzeugung, ihrer
Rasse, ihres 'Glaubens oder ihrer Weltanschauung verfolgt wurden, Unrecht geschehen ist
— in Ordnung! —
und der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand
— und nun die Änderung! —
in Notwehr begangen und daher als rechtmäßig anzuerkennen ist.
Denn eine Notwehrhandlung kann nie widerrechtlich sein. Wir wollen die Frage also nach der heutigen geläuterten Rechtsauffassung ansehen und sagen: die damalige Staatsgewalt hat den Widerstand als Staatsnotwehr hervorgerufen, und wenn man deswegen verfolgt wurde, so hat man Unrecht erlitten, wie es im ersten Satzteil ja auch lautet. Wir wollen also an der Tendenz nichts ändern; wir können nur ein Kollektivverdienst nichtanerkennen, getreulich unserer Grundhaltung, daß es ein Recht und ein Unrecht für eine Gesamtheit im Rechtsstaat überhaupt nicht gibt, sondern daß der Anspruch, den der einzelne hat, nach seinem persönlichen Verhalten gewürdigt und zuerkannt werden muß; genau das gleiche gilt auch für ein rein ethisches Verdienst.
Im übrigen bemerke ich — und ich freue mich, das anerkennen zu können —, daß Sie meine nicht sehr leichten Worte, die ich hier nach den eindrucksvollen Ausführungen des Herrn Kollegen Arndt vorbringen mußte, in dieser vorbildlichen Ruhe angehört haben, so daß wir nach außen hin bei dieser Beratung den geschlossenen Eindruck hervorrufen konnten, den wir allerdings als Parlament des deutschen Volkes alle wünschen müssen.