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ID0122902400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 229. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. September 1952 10419 229. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 11. September 1952. Geschäftliche Mitteilungen 10421A Änderungen der Tagesordnung 10421B Kleine Anfrage Nr. 285 der Abg. Dr. Schmid (Tübingen) u. Gen. betr. Wohnungsbeschlagnahme in Mannheim und Sigmaringen (Nrn. 3615, 3677 der Drucksachen) 10421B Vorlage des Entwurfs einer Verordnung zur Ergänzung der Verordnung M Nr. 1/52 über Preise für Milch, Butter und Käse 10421B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Großer Knechtsand (Nrn. 3604, 2970 der Drucksachen): Beratung abgesetzt 10421C Fortsetzung der Beratung der Berichte des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der BP betr. Bau der Zellertalbahn (Nrn. 3485, 440 der Drucksachen), über den Antrag der Abg. Volkholz, Donhauser, Dr. Seelos und Fraktion der BP betr. Geplante Einstellung der Lokalbahn Passau-Wegscheid auf der Strecke Obernzell-Wegscheid (Nrn. 3488, 1087 der Drucksachen), über die Anträge der Abg. Dr. Etzel, Dr. Seelos und Fraktion der BP betr. Bau einer Autobahn und der Abg. Dr. Baumgartner, Dr. Etzel, Dr. Seelos und Fraktion der BP betr. Ausbau und Instandsetzung des Straßennetzes in Bayern (Nrn. 3486, 442, 469 der Drucksachen) und über den Antrag der Abg. Stücklen, Strauß, Dr. Solleder, Bodensteiner u. Gen. betr. Straßenbauten in Bayern (Nrn. 3487, 470 der Drucksachen) . . 10421C Ausschußüberweisungen 10421D Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 643) 10421D Beschlußfassung 10421D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (Nr. 3640 der Drucksachen) 10421D Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz . . 10422A Dr. Wahl (CDU) 10422C Frau Dr. Steinbiß (CDU) 10423D Dr. Schneider (FDP) 10424C Dr. Hammer (FDP) 10424D Dr. Greve (SPD) 10425B Dr. Reismann (FU) 10427B Fisch (KPD) 10427D Ewers (DP) 10428C Ausschußüberweisung 10429B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Gebührenbefreiungen beim Wohnungsbau (Nr. 3611 der Drucksachen) . 10429B Ausschußüberweisung 10429C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik , Deutschland und Frankreich (Nr. 3599 der Drucksachen) . 10429C Ausschußüberweisung 10429D Beratung des Mündlichen 'Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Nowack, Neumayer, Dr. Atzenroth, Dr. Blank, Dr. Wellhausen, Dr. Oellers u. Gen. betr. Vereinheitlichung des Rückerstattungsrechtes, über den Antrag der Abg. Schmidt (Bayern) u. Gen. betr. Abänderung des Gesetzes für Wiedergutmachung, über den Antrag der Abg. Dr. Solleder, Dr. Horlacher, Bauereisen u. Gen. betr. Änderung des Rückerstattungsgesetzes, über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Vorlage des Entwurfs eines Wiedergutmachungsgesetzes, über den Antrag der Fraktion der. BP betr. Rückerstattung feststellbaren ehemals jüdischen Vermögens (Restitution), (Nrn. 3583, 159, 886, 1010, 1828, 2447 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung des deutschen Widerstandes und zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Nr. 3472 der Drucksachen; Umdrucke Nrn. 653, 656) 10429D Dr. Weber (Koblenz) (CDU): als Berichterstatter 10430A als Abgeordneter 10443A Dr. Arndt (SPD), Antragsteller . . 10433C Dr. Etzel (Bamberg) (FU) 10436A Ewers (DP) 10436B Dr. Schneider (FDP) 10437B Müller (Frankfurt) (KPD) 10438C Dr. Greve (SPD) 10440B von Thadden (Fraktionslos) 10442C Abstimmungen 10445B Erste Beratung des Entwurfs eines Arbeitsgerichtsgesetzes (Nr. 3516 der Drucksachen; Umdruck Nr. 647) 10445C Storch, Bundesminister für Arbeit 10445C Sabel (CDU) 10446B Kohl (Stuttgart) (KPD) 10447B Richter (Frankfurt) (SPD) 10448B Dr. Atzenroth (FDP) 10449C Schuster (DP) 10450A Ausschußüberweisung 10450C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Ablauf der durch Kriegsvorschriften gehemmten Fristen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung (Nr. 3597 der Drucksachen) 10450C Ausschußüberweisung 10450D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk (Nr. 3598 der Drucksachen) . . . . 10450D Storch, Bundesminister für Arbeit . 10450D Dr. Etzel (Bamberg) (FU) 10451D Eickhoff (DP) 10452C Becker (Pirmasens) (CDU) 10453A Freidhof (SPD) 10454C Dr. Hammer (FDP) 10455D Ausschußüberweisung 10456A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Vorlage eines Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (Nrn. 3566, 3135 der Drucksachen; Änderungsantrag Umdruck Nr. 655) 10456B Frau Kipp-Kaule (SPD), Berichterstatterin 10456B Dr. Etzel (Bamberg) (FU) 10457B Schmücker (CDU) 10457D Kalbfell (SPD) 10458D Storch, Bundesminister für Arbeit . 10459B Dr. Hammer (FDP) 10459D Schuster (DP) 10460A Abstimmungen 10460B Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Angestellte und Beamte in Berlin (Nr. 3451 der Drucksachen) . . . . 10460C Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 10460C, 10464B Schröter (SPD) 10461B Horn (CDU) 10463A Hübner (FDP): zur Sache 10463D persönliche Erklärung . . . . 10465A Arndgen (CDU) 10464D Beschlußfassung 104653 Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Bundesanstalt für Angestelltenversicherung in Berlin (Nr. 3452 [neu] der Drucksachen) 10465B Frau Kalinke (DP): als Antragstellerin 10465B als Abgeordnete 10469A persönliche Erklärung 10471D Storch, Bundesminister für Arbeit 10466C Dr. Schellenberg (SPD) 10467A Kohl (Stuttgart) (KPD) 10468B Frau Wolff (SPD) 10470A Arndgen (CDU) 10471B Abstimmungen 10471C Beratung des Antrags der Fraktion der FU betr. Erhöhung der Posttarife (Nr. 3630 der Drucksachen) 10471D Mayerhofer (FU), Antragsteller . . 10472A Cramer (SPD) 10472B Leonhard (CDU) 10473A Dr. Schneider, Staatssekretär im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen 10474B Niebes (KPD) 10475D Hübner (FDP) 10476A Dr.-Ing. Decker (FU) 10476C Ausschußüberweisungen 10476D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abg. Goetzendorff gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 20. Juni 1952 (Nr. 3634 der Drucksachen) . . . . 10476D Muckermann (CDU), Berichterstatter 10477A Beschlußfassung 10477C Beratung der Übersicht Nr. 56 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen (Umdruck Nr. 641) 10477C Beschlußfassung 10477C Nächste Sitzung 10477C Die Sitzung wird um 13 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Karl Weber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Drucksache Nr. 3583 behandelt zwei Probleme, die dadurch entstanden sind, daß der Nationalsozialismus auf weiten Gebieten den Boden von Recht und Gerechtigkeit verlassen hat, und will wenigstens zu einem Teil deren gerechte Ordnung wieder herbeiführen. Die im Eingang der Drucksache aufgeführten Anträge sollen diesem Zwecke dienen. Einmal behandeln sie -- dies ist der Antrag der SPD auf Vorlage eines Wiedergutmachungsgesetzes — das Entschädigungsproblem, die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus, und zum andern behandeln sie Probleme, die sich aus der Rückerstattung des noch feststellbaren Vermögens ergeben haben. Das sind zwei Sachgebiete, die zu scheiden sind, die in den Antragen aber
    nicht immer geschieden wurden. Wiedergutmachung ist nach der heutigen Sprachregelung, die sich allgemein durchgesetzt hat, der Oberbegriff. Er umfaßt als Teilgebiete sowohl die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus wie auch die Rückerstattung. Das Rückerstattungsrecht ist nicht von deutscher Seite, von den deutschen Ländern geregelt, sondern durch die Besatzung erlassen worden. Ich werde darauf noch näher zu sprechen kommen.
    Zunächst wende ich mich der Behandlung der Entschädigung zu, weil das eine Aufgabe ist, die den deutschen Parlamenten, insbesondere dem Deutschen Bundestag als eigene Aufgabe zusteht und deren Regelung zum mindesten in manchen Ländern allzulange hat auf sich warten lassen. In den Ausschußverhandlungen ist betont worden, daß es gut gewesen wäre, wenn der Grundgesetzgeber einen Art. 130 a in das Grundgesetz aufgenommen hätte, um damit auch die Regelung dieses Problems vor dem Problem der Wiedergutmachung bzw. Entschädigung derjenigen, die seinerzeit durch den Nationalsozialismus aus ihren Stellungen gekommen 'sind, herbeizuführen. Der Ausschuß hat sich insbesondere mit der Entschädigung sehr eingehend befaßt und es für notwendig gehalten, eine Reihe von Sachverständigen zu hören, die in diesen Fragen als besondere Experten angesehen wurden, so den Ministerialdirektor Küster in Stuttgart, den Regierungsdirektor Weißstein in Wiesbaden und schließlich auch den Leiter der Delegation im Haag, Herrn Professor Böhm. Ebenso sind auch Vertreter der Geschädigtenverbände gehört worden, und es ist auch mit der Konferenz der obersten Wiedergutmachungsbehörden in den Ländern Fühlung genommen worden.
    In der amerikanischen und französischen Zone bestehen bereits seit einigen Jahren Entschädigungsgesetze, die allerdings — in dieser Hinsicht darf ich auf die Debatte in der 120. Sitzung vom 22. Februar 1951 verweisen, in der der Antrag der SPD an den Rechtsausschuß überwiesen worden ist — untereinander erheblich abweichen, insbesondere was Stichtage und Entschädigungshöchstbeträge angeht. Es erscheint schon aus diesem Grunde geboten, im gesamten Bundesgebiet eine gleichmäßige Ordnung herbeizuführen. Vor allem aber ist ein Eingreifen des Bundesgesetzgebers deshalb erforderlich, weil die britische Zone auf diesem Gebiet noch erheblich zurückliegt. Es bestehen dort lediglich Regelungen über Haftentschädigung und Körperschäden, aber noch keine Regelungen für die Entschädigung von Vermögensschäden und Existenzschäden.
    Deshalb hatte sich der Ausschuß mit der Frage zu befassen, was angesichts dieser Lage zu tun sei. Ich betone: die Beratungen haben sehr lange gedauert. Dies ergab sich einmal aus der Schwierigkeit der Materie selbst und zum andern aus der Frage, wie die hier aufzuwendenden Mittel aufgebracht werden können. Damals bestand ja noch der § 48 der Geschäftsordnung. Von allen Fraktionen und allen an den Beratungen Beteiligten wurde die Verpflichtung zur Wiedergutmachung unbedingt anerkannt.
    Eine Verzögerung ergab sich unter anderem dadurch, daß im Herbst des letzten Jahres bekannt wurde, daß in den Verhandlungen über das kommende Vertragswerk zur Ablösung des Besatzungsstatuts auch die Frage der Entschädigung angeschnitten wurde und die Alliierten insofern bestimmte Forderungen stellten. Des weiteren ergab sich eine Verzögerung daraus, daß in Verfolg der Erklärung der Bundesregierung vom letzten Herbst, in der sie grundsätzlich die Entschädigungspflicht anerkannt hatte, Verhandlungen in Den Haag aufgenommen wurden sowohl mit Israel wie auch mit den jüdischen Weltverbänden und daß auch diese im Wege der Verhandlungen gewonnenen Ergebnisse mit berücksichtigt werden mußten.
    Die erste Frage, die der Ausschuß zu entscheiden hatte, war nun die, ob man ein eigenes Bundesentschädigungsgesetz schaffen wolle oder oh man sich darauf beschränken wolle, ein Bundesrahmen- und -ergänzungsgesetz zu schaffen. Der Ausschuß hat sich auf Grund der Auskünfte, die ihm die Sachverständigen gegeben haben, insbesondere auch angesichts der Lage, die dadurch geschaffen würde, daß sich voraussichtlich die Erledigung der Entschädigungsansprüche um Jahre verzögern würde, wenn ein neues Bundesgesetz geschaffen würde und dadurch die Ländergesetze nicht mehr ausgeführt würden, entschlossen, Ihnen vorzuschlagen, daß ein Bundesrahmen- und -ergänzungsgesetz geschaffen wird. Dadurch soll erreicht werden, daß die Entschädigung, die in einer Reihe von Ländern — wie ich bereits bemerkte, in der französischen und amerikanischen Besatzungszone — bereits angelaufen ist, auf der alten Grundlage fortgeführt wird und daß dann lediglich die Verbesserungen, die durch das Bundesrahmen- und -ergänzungsgesetz kommen sollen, in diese Entschädigung eingebaut werden. Deshalb lautet der erste Satz des Ausschußantrages unter I, Entschädigung:
    Die Bundesregierung wird ersucht, alsbald den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialis-


    (Dr. Weber [Koblenz])

    mus durch ein Bundesergänzungs- und Rahmengesetz regelt.
    Der Ausschuß hat es auch für notwendig gehalten, in etwa die Gesichtspunkte darzulegen, aus denen heraus er eine derartige gesetzliche Regelung für notwendig und geboten hält. Es heißt deshalb weiter:
    Dabei ist davon auszugehen, daß Personen, die wegen ihrer politischen Überzeugung, ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer Weltanschauung verfolgt wurden, Unrecht geschehen ist und der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes und Staates war.
    Insbesondere der letzte Halbsatz war es, der in Verbindung mit dem damals bereits vorliegenden Antrag der Sozialdemokratischen Partei auf Erlaß eines Bundesentschädigungsgesetzes und Anerkennung des deutschen Widerstandes — Drucksache Nr. 3472 — ausgedehnte Debatten im Ausschuß hervorrief. Der Ausschuß hat sich aber schließlich doch entschlossen, diese Formulierung anzunehmen. Gerade im Hinblick auf Vorgänge und Erörterungen der letzten Zeit erschien es notwendig und angebracht, daß der Deutsche Bundestag als Repräsentant des Deutschen Volkes den Frauen und Männern, die in trübster Zeit der Zwangsherrschaft das Banner der Freiheit zu entfalten versuchten und dabei ihr eigenes Leben und ihre eigene Freiheit mutig in die Schanze schlugen, wie es z. B. die Männer des 20. Juli 1944 getan haben, die Anerkennung des deutschen Volkes ausspricht.
    Der Ausschuß war sich dabei bewußt, daß mit
    der von ihm vorgeschlagenen Anerkennung des deutschen Widerstandes ein schwieriges Problem angeschnitten wird. Einmal ergeben sich Schwierigkeiten daraus, daß z. B. in den Konzentrationslagern rein Kriminelle neben den „Politischen" eingesperrt waren und im Jahre 1945 „befreit" wurden, die sich dann als „Verfolgte" und „Widerständler" ausgaben. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, und es bestand auch allgemeine Einigkeit im Ausschuß darüber, daß solche Elemente und gemeine Verbrecher nicht unter diese Anerkennung fallen, auch wenn sie in der damals gesetzlich normierten, überscharfen Weise unter vielfach Menschenrechte und Menschenwürde verachtenden Methoden verfolgt wurden. Zur Beseitigung solcher Übergriffe und Härten sind die Gesetze und Anordnungen zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege da, wie sie auch in allen Ländern der Bundesre-. publik erlassen wurden.
    Ebenso sollen damit nicht Handlungen anerkannt werden, bei denen der aus politisch entgegengesetzter Einstellung handelnde Täter auch Leben und Sicherheit anderer Mitmenschen gewissenlos aufs Spiel setzte. In diesem Zusammenhang wurde allerdings im Ausschuß betont, daß zwar von gewisser Seite viel von Sabotageakten geredet wird, um den Boden für eine neue Dolchstoßlegende zu bereiten, daß aber bis heute kein einziger Fall bekanntgeworden ist oder vorgebracht wurde, der eine solche Behauptung rechtfertigen könnte.
    Der Antrag legt weiter klar, wer Entschädigungen erhält. Ich kann es mir wohl versagen, die Bestimmungen im einzelnen zu erläutern, und darf
    nur betonen, daß wir die Punkte herausgegriffen haben, die nach unserer Ansicht die Ländergesetzgebung, die auf diesem Gebiet bereits besteht, ergänzen, Lücken schließen und Verbesserungen bringen, die für notwendig gehalten werden. Insbesondere hat dabei der Antrag bereits den damals bekannten Ergebnissen der internationalen Verhandlungen und Vereinbarungen Rechnung getragen. Inzwischen sind diese Verhandlungen weitergeführt worden. Wir haben gehört, daß es gestern in Luxemburg zum Abschluß von Verträgen gekommen ist, die auch diese Probleme behandeln. Die Einzelheiten sind noch nicht bekannt. Aber die Bundesregierung hat j a den allgemeinen Auftrag, in dem vorzulegenden Gesetz die in internationalen Vereinbarungen und Besprechungen erzielten Ergebnisse zu berücksichtigen.
    Ferner haben wir es für notwendig gehalten, auch eine allgemeine Härteklausel für die Fälle nationalsozialistischer Verfolgung einzufügen, in denen aus formalen Gründen keine Entschädigung gewährt wurde oder gewährt werden kann. Schließlich haben es die Sachverständigen in Übereinstimmung mit dem Ausschuß für notwendig gehalten, daß der Rechtsmittelzug verbessert, insbesondere eine Revisionsinstanz und ein Rechtsmittelzug zum Bundesgerichtshof geschaffen wird.
    Die Bundesregierung wird ersucht, die Finanzierung der sich nach diesem Gesetz ergebenden gesamten Entschädigungsleistungen sicherzustellen, insbesondere die Aufteilung der Entschädigungslasten zwischen Bund und Ländern sowie den Zeitpunkt der Fälligkeit für die Bewirkung der nach dem Gesetz entstehenden Entschädigungsleistungen zu regeln. Manche Länder waren ja wohl deshalb in dem Erlaß von Entschädigungsgesetzen zurückhaltend, weil sie hofften, daß der Bund ein Entschädigungsgesetz erlassen würde und sie damit diese Last loswurden. Der Ausschuß hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Ländergesetze bestehen bleiben sollen, um wenigstens in diesen Ländern das Weitergehen der Entschädigung zu gewährleisten mit der Maßgabe, daß also die Länder zunächst die Leistungen aufzubringen haben, daß aber die Bundesregierung mit den Ländern einen Ausgleich suchen soll. Schließlich ist es j a gleichgültig, ob der Ausgleich hier in dieser gesetzlichen Regelung gefunden wird oder ob er etwa hinterher durch die Heranziehung eines Einkommensteueranteils von den Ländern her durch den Bund gesucht wird.
    Das zweite Problem, das in dem Antrag behandelt wird, ist die Rückerstattung. Diese Rückerstattung ist in den Gesetzen Nr. 59 der amerikanischen und britischen Zone und in der Verordnung 120 der französischen Zone geregelt.
    Die deutschen Länder hatten schon im Jahre 1946 Verhandlungen darüber geführt, die dahin gingen, daß sie eigene Rückerstattungsgesetze erlassen wollten. Diese Verhandlungen waren auch bereits recht weit gediehen, bis sie dann schließlich im November 1947 ziemlich abrupt abgebrochen wurden und die Besatzungsmächte mit eigenen Gesetzen dieses Problem zu regeln suchten.
    Von deutscher Seite ist nie bestritten worden, daß auch dieser Fragenkomplex, der auf dem Boden des nationalsozialistischen Unrechts erwachsen ist, nach Recht und Gerechtigkeit geregelt würde. Meine Unterrichtung geht dahin, daß eine derartige gerechte Regelung auch in den deutschen Ge-


    (Dr. Weber [Koblenz])

    setzentwürfen der Jahre 1946 und 1947 vorgesehen war. Wenn man uns die Regelung dieses Problems selber überlassen hätte, dann wäre vielleicht manche Ungerechtigkeit vermieden worden.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Die Anfrage der CDU Drucksache Nr. 1455 vom 10. Oktober 1950 beleuchtete bereits einige dieser aufgetretenen Ungerechtigkeiten und wollte Auskunft darüber haben, ob die Bundesregierung ihrerseits etwas tun könne, um die Offenkundigen Härten dieser Rückerstattungsregelung zu beheben.
    Bereits vorher lag der Antrag Drucksache Nr. 159 der Freien Demokratischen Partei vor, die auch eine Regelung des Problems von deutscher Seite erstrebte. Die Behandlung dieses Antrags im Herbst 1949 im Ausschuß ergab aber, daß zunächst nicht zu erreichen war, daß die Alliierten von dem im Besatzungsstatut gemachten Vorbehalt, dieses Sachgebiet selbst zu regeln, Abstand nehmen würden. Infolgedessen unterblieb die weitere Beratung dieses Antrages, der deshalb erst heute nach nahezu drei Jahren verabschiedet werden kann.
    Inzwischen ist die Rückerstattung nach den besatzungsrechtlichen Gesetzen recht weit durchgeführt. Der Herr Bundesjustizminister hat damals in der Drucksache Nr. 1567 in seiner Antwort vom 4. November 1950 zu den in der Anfrage aufgeworfenen Fragen Stellung genommen und dabei besonders betont, daß nach den geführten Verhandlungen nicht erwartet werden könne, daß die Besatzungsmächte zu irgendwelchen Änderungen der Rückerstattungsregelung, wie sie sie in den Besatzungsgesetzen vorgenommen hätten, ihre Zustimmung geben würden, so daß also derartige Anträge aussichtslos seien. Der Herr Bundesjustizminister hat gleichzeitig damals bereits einen Überblick über den Stand der Rückerstattung in den einzelnen Ländern beigefügt. Auf diesen darf ich Sie verweisen.
    Inzwischen sind natürlich die Dinge erheblich weiter gegangen, und man darf sagen, daß in den Ländern der französischen Zone die Rückerstattung wohl zu drei Vierteln durchgeführt ist und daß in den Ländern der amerikanischen Zone die Individualansprüche wohl auch zu etwa drei Vierteln geregelt sind, während die sogenannten IrsoAnsprüche noch etwas weiter zurückliegen. In den Ländern der britischen Zone ist die Rückerstattung wohl zu etwa 50 % geregelt, d. h. durch Urteil oder Vergleiche abgeschlossen.
    Auch in den Ausschußberatungen wurde von den verschiedensten Seiten betont, daß man doch versuchen solle, und zwar mit Nachdruck, eine Regelung der Rückerstattung in deutscher Zuständigkeit zu erreichen. Es ist in der Öffentlichkeit, aber auch im Ausschuß, manches Mal der Ausspruch gefallen, die jetzige Regelung der, Rückerstattung führe dazu, daß altes Unrecht mit neuem Unrecht wiedergutgemacht würde, und das sei ein unerfreuliches Ergebnis. Es ist auch nicht zu leugnen, daß sich erhebliche Härten ergeben haben. Es mag dieser Ausspruch, wie vielfach Verallgemeinerungen, übertrieben sein, und ich mache ihn mir nicht zu eigen; aber ich wollte damit nur beleuchten, wie das Problem in der Öffentlichkeit angesehen wird. Wir müssen diesen Dingen — das ist auch betont worden — unsere Aufmerksamkeit schenken, damit nicht neue Stimmungen aufkommen, die politisch sehr unerwünscht wären.
    Es wurde im Ausschuß, wie ich sagte, auch die Meinung vertreten, man solle mit Nachdruck nochmals einen Vorstoß machen, um die Regelung der Rückerstattung in deutscher Zuständigkeit zu erreichen. Zu diesem Zwecke und um den Willen zu einer gerechten Rückerstattung zu bekunden, solle man ein eigenes, ausgearbeitetes deutsches Gesetz zur Vorlage bringen. Davon ist man aber wieder abgekommen, nachdem bekannt wurde, wie die Dinge in den Vorverhandlungen zu dem Vertragswerk zur Ablösung des Besatzungsstatuts liefen. So sehen wir ja auch als Ergebnis, daß dieses Problem in dem Vertrag geregelt ist, und zwar im III. Teil der Annexverträge unter der Überschrift „Innere Rückerstattung". Es sind hier gewisse Fortschritte insofern erzielt worden, als auch in den Ländern der britischen und amerikanischen Besatzungszone nunmehr ein gemischtes Obergericht geschaffen wird, wie es in der französischen Zone bereits besteht. Das war j a eine Forderung, die von deutscher Seite stets mit Nachdruck erhoben wurde.
    Auch diejenigen, die angesichts dieser Lage nun eine neues Gesetz nicht für durchsetzbar hielten, äußerten aber bestimmte Wünsche in der Richtung, daß doch zumindest versucht werden sollte, bei ' den Alliierten zu erreichen, daß der Richter, der mit diesen Verfahren befaßt ist, freier gestellt würde. Es war schon einmal im Ausschuß ein Vorschlag dahingehend gemacht worden, daß eine Ermächtigung an den Richter gegeben werden sollte, in Fällen der Zahlung eines angemessenen Kaufpreises durch Erwerber, die aus der Notlage des Verfolgten keinen Nutzen gezogen haben, statt der Rückerstattung eine angemessene Entschädigung zuzubilligen, sofern das Rückerstattungsverlangen berechtigt ist, oder eine angemessene Nachzahlung anzuordnen, wenn der Erwerber in einer dem Veräußerer günstigen Absicht gehandelt habe und nur durch das Eingreifen der Genehmigungsbehörden der vertragsgemäße Preis nicht gezahlt worden sei. Der Richter solle auch ermächtigt werden, eine der beiden vorbezeichneten Möglichkeiten zur Anwendung zu bringen, wenn eine solche Maßnahme aus sonstigen Gründen notwendig sei, um zur Vermeidung grober Unbilligkeit zu einer gerechten Regelung zu kommen. Eine allgemeine Regelung, wie sie in § 26 des Gesetzes Nr. 59 und in § 6 des saarländischen Gesetzes zur Ausführung der Verordnung 120 vom 30. 6. 1949 vorgesehen war, sei angebracht.
    Ich habe eben schon betont, daß die Zonengesetze erheblich voneinander abweichen und daß Möglichkeiten günstigerer Regelungen, die in der einen Zone geboten sind, in der anderen Zone nicht bestehen. Die Vertragsregelung im Bonner Vertrag Teil III sieht allerdings vor, daß die bislang bestehenden besatzungsrechtlichen Regelungen zunächst vertraglich übernommen und garantiert werden.
    Es erschien weiter notwendig, auch die rückerstattungsrechtlichen Verbindlichkeiten des früheren Deutschen Reiches zu regeln. Deshalb schlägt Ihnen der Ausschuß unter II seines Antrags vor, die Bundesregierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf über die Regelung der rückerstattungsrechtlichen Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches und zur Behebung der durch die von der Besatzung vorgenommene Regelung der Rückerstattung entstandenen offenkundigen Härten vorzulegen.
    Im Ausschuß ist — das will ich ebenfalls ausdrücklich betonen — auch die Meinung vertreten worden, es sei richtig, die Besatzungsgesetze aus-


    (Dr. Weber [Koblenz])


    (A) laufen zu lassen und nicht durch Eingriffe von deutscher Seite Änderungen herbeizuführen. Es wurde mit Recht darauf hingewiesen, daß die Entnazifizierung entsprechend den Richtlinien der Besatzung schließlich in deutscher Zuständigkeit vorgenommen worden sei und daß dadurch erhebliche Mißstände und Mißverständnisse aufgetreten seien, die man auf diesem Gebiet der Rückerstattung vermeiden sollte. Der Vorschlag des Ausschusses geht angesichts der nunmehr vorgenommenen Regelung im Vertragswerk diesen Weg. Er schlägt zunächst vor, daß der Bund jetzt auch eine Regelung der rückerstattungsrechtlichen Verbindlichkeiten des Reiches, wie sie in II A im einzelnen aufgeführt sind, vornimmt. In B wird dann vorgeschlagen, daß sich diese Regelung auch auf die Regreßansprüche derjenigen Bewerber beziehen soll, die rückerstattungspflichtige Gegenstände vom Deutschen Reich erworben haben. Auch eine derartige Regelung erscheint notwendig, weil ja das Reich vielfach dazu übergegangen ist, selbst den Nutzen aus dem Raubzug zu ziehen und das, was es auf diese Weise an sich gerissen hatte, an dritte Personen weiter zu veräußern.

    Eine ziemlich umfangreiche Debatte rief der nun unter C von II vorliegende Antrag hervor. Ihnen allen ist bekannt, daß die Rückerstattung mitunter zu recht groben Härten geführt hat. Wir alle haben doch in den drei Jahren unserer Tätigkeit jede Woche, ja fast täglich Briefe erhalten, in denen auf diese Härten und Unzuträglichkeiten hingewiesen und um Abhilfe gebeten wurde. Insbesondere liegen Härtefälle vor, wo Personen ihr Eigentum durch Enteignung für Truppenübungsplätze verloren haben. Man hat diese Personen in großem Umfang auf vorher enteignetes jüdisches Eigentum

    (B) ausgewiesen. Diesen Leuten blieb gar nichts anderes übrig, als das zu nehmen, weil eine andere Entschädigungsmöglichkeit und eine andere Existenzmöglichkeit eben nicht geboten wurden. Es liegen auch viele Fälle vor, in denen Freunde von Verfolgten glaubten, diesen helfen zu sollen, und ihr Eigentum, das sie bereits besaßen, veräußerten, das Eigentum des Verfolgten unter Inanspruchnahme auch fremder Mittel erwarben und dadurch nun heute nach Durchführung der Rückerstattung so dastehen, daß sie ihr früheres eigenes Eigentum verloren haben und dazu das neu erworbene Eigentum auch noch zurückgeben müssen, also alles verlieren. Erhebliche Unzuträglichkeiten ergeben sich auch aus der Frage der Umstellung und daraus, daß das Reich j a vielfach den Erlös für das veräußerte Eigentum selber eingezogen hat.

    Um alle diese Fälle erfassen zu können und wenigstens zu einer teilweisen Befriedigung und Behebung der auftretenden Härten zu kommen, schlägt der Ausschuß Ihnen vor, daß das Gesetz auch offenkundige Härten der durch die Besatzungsmächte angeordneten Rückerstattung mildern und den Rückerstattungspflichtigen unter den Voraussetzungen, wie sie im einzelnen unter Ziffer 1 bis 3 dargelegt sind, einen Ausgleichsanspruch gegen den Bund geben solle. Dabei möchte ich hervorheben, daß die Voraussetzungen der Ziffern 1 bis 3 insgesamt vorliegen müssen, daß aber die unter a), b) und c) der Ziffer 3 genannten Voraussetzungen nicht kumulativ vorzuliegen brauchen. Vielmehr genügt es, wenn eine dieser Voraussetzungen vorliegt, wie sie in a), b) und c) enthalten sind, um bei Vorliegen von Ziffer 1 und Ziffer 2 im übrigen dann diesen Härteausgleichsanspruch zu begründen.
    Unter D ist vorgeschlagen, daß der gleiche Ausgleichsanspruch auch denjenigen gegeben wird, die wegen eines Rückgriffanspruchs auf Grund eines rechtskräftigen Urteils oder eines gerichtlichen Vergleichs einem Nacherwerber Schadensersatz geleistet haben, wenn die gleichen Voraussetzungen vorliegen. Nun ist es aber bekannt, daß in einer Reihe von Fällen — und das trifft insbesondere auf größere Fälle zu — Rückerstattungsverbindlichkeiten zu steuerlichen Begünstigungen insofern führen, daß sie in erheblichem Umfang abgeschrieben werden können. Deshalb ist es nach unserer Auffassung gerechtfertigt, daß diejenigen. die auf diese Weise bereits einen Ausgleich erhalten haben, nun nicht nochmals einen Härteausgleich verlangen können,
    Dementsprechend habe ich Ihnen namens des Ausschusses vorzuschlagen, daß durch die nun erfolgende Beschlußfassung zu Ziffer I der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Vorlage des Entwurfs eines Wiedergutmachungsgesetzes — Nr. 1828 der Drucksachen — und durch die Beschlußfassung zu II die unter IV aufgeführten Anträge für erledigt erklärt werden. Namens des Ausschusses bitte ich Sie, dementsprechend zu beschließen.

    (Beifall.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Zur Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD auf Drucksache Nr. 3472 Herr Abgeordneter Dr. Arndt!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Adolf Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Wiedergutmachung kann in diesem Hause nicht gesprochen werden, ohne an die denkwürdige Rede anzuknüpfen, die unter dem einmütigen Beifall aller Fraktionen Georg August Zinn am 16. März 1950 in der 47. Sitzung des Bundestages gehalten hat. Als das Vermächtnis des deutschen Widerstandes hat Zinn den Gedanken der Versöhnung aufleuchten lassen. Zinn, der von sich sagte, daß er das Schicksal derer, die ihrer politischen Überzeugung wegen eingekerkert wurden, aber auch das Schicksal derer teilte, die in der russischen Steppe als Soldat vor Stalingrad oder sonst irgendwo auf dem weiten Kontinent in den schwersten Konflikt, den Konflikt zwischen Vaterland und Menschheit, gestellt waren, Zinn hat damals ausgesprochen, daß der Opfergang des Widerstandes nicht herausgelöst werden kann und darf aus dem Opfergang des ganzen deutschen Volkes, insbesondere seiner in ihrer Gläubigkeit betrogenen Jugend und aller der Irrenden, die zunächst im blinden und später im zagenden Vertrauen jenen folgten, die sich ihre Führer nannten. Aus der Gemeinsamkeit dieses Schicksals, sagte Zinn, möge eine Brücke werden zwischen den Männern und Frauen des deutschen Widerstandes und denen, die durch die Soldaten von Stalingrad repräsentiert werden.
    Allein in diesem sinne wird die erste freigewählte Volksvertretung der Deutschen das für den inneren Frieden der Nation notwendige Wort zu sprechen haben, daß sich um das Wohl des deutschen Volkes und Staates verdient gemacht und sich rechtmäßig verhalten hat, wer aus Überzeugung oder um seines Glaubens oder Gewissens willen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Widerstand leistete, um die Menschenrechte zu verteidigen oder einem Verfolgten beizustehen oder der Zerstörung Deutschlands Einhalt zu gebieten oder sich gegen die Unterdrückung aufzulehnen.


    (Dr. Arndt)

    Dieses Wort soll nicht gegen den einen oder anderen gesprochen sein; gegen keinen, der guten Willens oder guten Glaubens war. Insbesondere soll es niemandem, der sich um seine Pflicht als Bürger und Mensch redlich mühte, ein Recht absprechen. Die unselige Zeit, daß ganze Gruppen von Menschen ohne Ansehung des einzelnen rechtlos gemacht und um ihrer Gruppe willen mindergeachtet werden, muß abgeschlossen und vergangen sein. Dieses Wort der Anerkennung und Rechtfertigung soll vielmehr einzig eine Fürsprache sein, ein Wort für den Rechtsfrieden aller und darum für das Recht derer, denen Gewalt ihr Recht auf Menschsein und Bürgersein geraubt hatte und die als Zeugen des Rechts und der Freiheit grausames Leid und oft den Tod erduldet haben. Wir wollen nicht mehr zulassen, daß unser Volk weiterhin zerrissen wird durch Streit und Zank über Fragen, die nicht Gegenstand des Parteihaders sein dürfen, nicht Beute der Rachsucht oder des Unverstands Unbelehrbarer.
    Die Gewissensnot und das Heldentum des deutschen Widerstands gehören der Geschichte an. Es kann darum nicht Aufgabe der Gerichte sein, über Geschichte zu urteilen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Unsere Gerichte werden überfordert. Aber es ziemt ihnen auch nicht, einmal in Neumünster, einmal in Braunschweig und morgen wieder anderswo vor ihre Schranken zu ziehen, was ein bitteres und zugleich auch stolzes und verpflichtendes Erbe des ganzen Volkes ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Diese Fragen lassen sich nicht durch richterliche
    Entscheidungen lösen, sondern allein auf politische
    Weise dadurch, daß die Nation geistig überwindet,
    sittlich gesundet und durch die selbstbestimmte Gestaltung ihrer Zukunft aus der Erfahrung des vergangenen Schicksals wieder zur geschichtlichen Gemeinschaft wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darum soll dieses Gesetz, für alle Bürger und jedes Gericht bindend, ein Friedensspruch der Volksvertretung sein und unseren Willen zur Rechtfertigung des Widerstands kundtun, um von nun an diesen Streit aus unserer Mitte zu verbannen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Was uns dann noch zu tun bleibt, ist, endlich die Wunden zu heilen oder zu lindern, die eine Gewaltherrschaft den Ausgestoßenen schlug. Ich komme damit zum zweiten Teil des Gesetzentwurfs, der mit seinem ersten Teil in einem allein moralischen Zusammenhang steht, sonst aber tatbestandsmäßig völlig davon zu trennen ist.
    Widerstand ist weder erforderlich noch genügend, um wiedergutmachungsberechtigt zu sein. Ebensowenig allerdings ist eine Art der Wiedergutmachung überhaupt als angemessen denkbar für das, was die Frauen und Männer des Widerstands geopfert haben und was wir ihnen schulden. Einer Wiedergutmachung zugänglich sind nur Schäden, die heute als unbillige Nachteile fortwirken und von der Allgemeinheit zu tragen sind.
    Wenn wir die Aufgaben des Bundestags überschauen, so stoßen wir allenthalben auf Notwendigkeiten einer Wiedergutmachung: an den Kriegsopfern, an den Heimatvertriebenen, an den Kriegs-und Besatzungsgeschädigten, an den verdrängten Beamten. Gegenüber diesen Opfern eines gemeinsamen Schicksals müssen jedoch d i e Menschen eine Sonderstellung einnehmen, die deshalb gelitten
    haben, weil sie aus der Gemeinschaft ausgestoßen, weil sie durch Unrecht verfolgt wurden. In absichtlichem Unterschied zu den Landesgesetzen, die in der Ausführung zu groben Unzulänglichkeiten führten, knüpft deshalb unser Gesetzentwurf nicht an subjektive Merkmale des Geschädigten an, seine Rasse, seinen Glauben, seine politische Überzeugung, sondern an den objektiven Tatbestand des Unrechtes, das ihm durch eine nationalsozialistische Verfolgungs- oder Unterdrückungsmaßnahme zugefügt wurde, eines Unrechtes, das sich gegen die Menschen- und Bürgerrechte richtete. Denn es kann nicht genügen, die Menschenrechte durch unsere Verfassungen wieder zur Geltung gebracht zu haben und sie der Welt gegenüber in Anspruch zu nehmen. Die Rechtsgemeinschaft muß auch für das Verletzen der Menschenrechte in der Vergangenheit einstehen.
    Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung der Menschengruppe gegenüber, die nach Zahl und Maß am grausamsten in ihren Menschenrechten gekränkt wurde, den Weg des guten Willens beschritten hat: den Juden gegenüber. Unserem bereits am 24. Januar 1951 gestellten Antrag, den Staat Israel als Treuhänder für die verfolgten Juden in aller Welt anzuerkennen, ist dadurch in gewisser Weise Genüge geschehen. Wir halten es allerdings für erwünscht, daß die Bundesregierung in weit stärkerem Maße als bisher die deutsche Öffentlichkeit über den Sinn und die innere Rechtfertigung der vom Staate Israel erhobenen Ansprüche aufklärt, insbesondere darüber, daß es sich in der Hauptsache um eine Eingliederungshilfe für die durch rassenwahnsinnige Gewalt Heimatvertriebenen handelt, keineswegs dagegen um eine Art Ersatzleistung für die millionenfachen Blutopfer, vor denen wir nur in ohnmächtiger Scham verharren können. Wir Sozialdemokraten begrüßen von ganzem Herzen, daß die Bundesregierung gestern in Luxemburg mit dem Staat Israel ein Abkommen getroffen hat, das einen Beitrag unseres Volkes leisten will, um den Israelis beim Aufbau einer neuen Gemeinschaft zu helfen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Allerdings wäre die Legitimation der Bundesregierung eine andere und bessere gewesen, hatte sie den politischen Gepflogenheiten der Demokratie entsprechend den Ausschuß des Bundestages für. auswärtige Angelegenheiten vor der Unterzeichnung beteiligt. Besonderen Dank wissen wir Sozialdemokraten den deutschen Unterhändlern Franz Böhm und Otto Küster, die sich mit ihrer ganzen Kraft dieser Aufgabe gewidmet haben.
    Ich will aber auch nicht verschweigen, daß ich keinen Grund sehe, uns der jetzt von Deutschland versprochenen Leistungen zu rühmen oder gar zu meinen, dadurch eine Art Ausgleich geschaffen zu haben. Wir bleiben unter dem Schatten einer unermeßlichen Schuld und sollten wieder und wieder still werden im unvergeßlichen Gedenken an die Opfer des Rassenwahns, die ungesühnt uns eine bleibende Mahnung sein müssen. Wir dürfen uns der so bitteren Wahrheit nicht verschließen, daß es unserer menschlichen Kraft versagt ist, den Toten zu helfen. Um so mehr muß es unser Anliegen werden, den Überlebenden beizustehen.
    Wir beklagen deshalb die Untätigkeit der Bundesregierung im Bereich der innerdeutschen Wiedergutmachung. Eine der peinlichsten Bestimmungen der umstrittenen Verträge mit den westlichen Besatzungsmächten ist die uns auferlegte Wiedergutmachung. Als ob es nicht unser ur-


    (Dr. Arndt)

    eigenstes Anliegen sein müßte, diese gesetzgeberische Aufgabe selbst zu lösen!

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Um der geschichtlichen Wahrheit willen darf ich feststellen, daß die Landesregierungen von Bayern, Hessen und Württemberg-Baden 1945 sofort aus freien Stücken die Arbeiten an deutschen Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetzen aufgenommen haben. Wenige wissen, daß die Militärregierungen dann diese Arbeit lange Zeit hindurch ausdrücklich verboten haben,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und fast völlig unbekannt ist, daß der Süddeutsche Länderrat in Stuttgart nach Aufhebung dieses widersinnigen Verbots ein deutsches Rückerstattungsgesetz sogar beschlossen hatte, dem aber General Clay die Genehmigung versagte, obgleich das Länderratsgesetz sachkundiger und gerechter war als die späteren Besatzungsvorschriften.

    (Erneute Rufe bei der SPD: Hört! Hört!) Aber die Länder konnten diese gesamtdeutsche Aufgabe aus ihrer Kraft niemals befriedigend lösen — insbesondere fehlten ihnen dazu die Mittel —, selbst wenn der Wille besser gewesen wäre, als er sich leider inzwischen, da er auch erlahmte, gezeigt hat.

    Bereits am 24. Januar 1951 haben wir deshalb die Bundesregierung interpelliert, wann sie ein Bundesgesetz vorlegen werde, um die Entschädigung der Verfolgten bundeseinheitlich zu regeln. In den anderthalb Jahren, die seitdem verstrichen sind, haben weder der Herr Bundesfinanzminister noch sein Staatssekretär es für nötig erachtet, in den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu kommen, um über die finanziellen Möglichkeiten Aufschluß zu geben, obgleich der Ausschuß durch Beschluß darum ersucht hatte.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat sich deshalb entschlossen, selbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der alle bisher erlassenen Landesgesetze sowie insbesondere die bei ihrer durchaus unbefriedigenden Ausführung gesammelten Erfahrungen berücksichtigt. Nach unserer Überzeugung duldet die Dringlichkeit dieser Aufgabe keinen Aufschub mehr. Die Alten sterben dahin, und die um ihre Jugend oder ihre Ausbildung Betrogenen stehen weiter im Schatten.
    Allerdings hat ein westdeutsches Blatt als „Meinung des Auslands" berichtet — wenn ich das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen darf —:
    „Was ist nun im Weltinteresse wichtiger, die Aufrüstung oder die Wiedergutmachungszahlungen? Die Westmächte sind weitaus mehr an der deutschen Aufrüstung interessiert; denn sie wissen, daß ohne deutsche Beteiligung keine Aussichten bestehen, den Osten in Schranken zu halten. Das Primäre ist daher die Aufrüstung."
    Meine Damen und Herren, so zu lesen in der Pfingstnummer — Pfingstnummer! — des „Rheinischen Merkur".

    (Hört! Hört! links.)

    Mir ist jedoch die Stunde zu ernst, um mich mit allen Widrigkeiten zu befassen, denen der Gedanke der Wiedergutmachung ausgesetzt war und ist. Ich bekenne mich zu dem Glauben, daß über Sein und Nichtsein eines Volkes zuerst und zuletzt entscheidet, ob es noch den Ruf der sittlichen Gebote hört.
    Die Wiedergutmachung aber, und zwar endlich die unverzügliche Wiedergutmachung, ist ein sittliches Gebot. Ihre Regelung durch Bundesgesetz hat nicht nur den Sinn, die Rechtseinheit, sondern auch die tatsächliche und beschleunigte Erfüllung der Ansprüche zu gewährleisten.
    Wir sind der Meinung, daß in der Rangfolge der öffentlichen Ausgaben die Wiedergutmachung mit an erster Stelle stehen muß. Die Amerikaner z. B. müssen 5,8 Milliarden Dollar jährlich für den Dienst ihrer Bundesschulden aufbringen, das sind also etwa 8 % ihrer gesamten Bundesausgaben. Die amerikanische Nationalschuld erreicht 260 Milliarden Dollar, also etwa eine Billion Deutsche Mark, mehr als das gesamte gegenwärtige Nationaleinkommen der. Amerikaner. Man hat deshalb Vergleiche zwischen der Staatsschuld anderer Länder und der der Bundesrepublik Deutschland gezogen. Wir halten solche Vergleiche für nicht möglich, da die Sachverhalte untereinander zu verschieden sind. Die scheinbare Geringfügigkeit der deutschen Staatsschuld erklärt sich daraus, daß unsere Schuldenlast noch weitgehend unsichtbar blieb. Die Londoner Schuldenkonferenz hat aber bereits eine erhebliche Schuldenlast erkennbar gemacht. Auch ist nicht zu verkennen, daß vordringliche Aufgaben ein Anwachsen der inneren Verschuldung notwendig machen werden. Gleichwohl wird es eine beachtliche Tatsache bleiben, daß die Währungsreform uns von einem bedeutenden Teil der inneren Staatsschuld entlastet hat. Wir stehen deshalb auf dem Standpunkt, daß zu den überkommenen Reichs- oder Bundesschulden in erster Linie die Verbindlichkeiten aus dem Unrecht der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gehören und daß es möglich ist, diese Schulden als Bundesschuld anzuerkennen, zu konsolidieren und zu tilgen. Wir werden darauf bestehen, daß Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden, um den Zahlungsdienst alsbald aufzunehmen.
    Das Wesentliche an unserem Gesetzentwurf ist deshalb, daß er die Rechte auf Wiedergutmachung nicht bloß formell anerkennt, sondern eine praktische Regelung für die materielle Erfüllung bringt. Im einzelnen werden wir noch eine schriftliche Begründung zu unserem Gesetzentwurf nachreichen, um das Verständnis für die spätere Praxis zu erleichtern.
    Namens der Fraktion der 'Sozialdemokratischen Partei beantrage ich, unseren Gesetzentwurf dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. Wir halten es jedoch für unerläßlich, daß die Beratung des Gesetzes in absehbarer Zeit durchgeführt sein muß. Sollte sich dies bei der Überlastung des Rechtsausschusses als undurchführbar erweisen, so müssen wir uns vorbehalten, die Einsetzung eines besonderen Ausschusses zu beantragen.
    Meine Damen und Herren, ein letztes Wort. Unser Ziel muß sein, das Menschenmögliche an Wiedergutmachung zu -leisten. Denn Empfänger dieser Leistungen sind nicht allein die durch Unrecht Verfolgten, sondern ist die gesamte Rechtsgemeinschaft, weil es darum geht, Deutschland wieder ehrlich zu machen. Auch bleibt uns die schmerzliche Einsicht nicht versagt, wie klein selbst die größte Leistung leider sein wird angesichts des Übermaßes an Unmenschlichkeit, das geschehen ist. Nichts wird das Blut und die Tränen auslöschen können, die für immer diese Blätter der deutschen Geschichte trüben und verdunkeln. Aber wir wollen ein neues Blatt der Geschichte beginnen, das


    (Dr. Arndt)

    die Aufschrift tragen soll: Helfen, um wiedergutzumachen! Durch dieses Parlament geht außen- und innenpolitisch ein Riß der fast unversöhnlichen Gegensätze. Um so herzlicher darf ich Sie alle rufen: Reichen wir uns zu diesem Werk der Versöhnung die Hand! Wir sind aufgefordert, hier allen Streit schweigen zu lassen und uns zu finden im Geist der Menschlichkeit.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU.)