Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie schlecht das Gewissen eines Politikers sein muß, wenn er hinter allem und jedem Politik wittert. Daß Herr Kollege Fisch den § 1 gründlich mißverstanden hat, ist klar. Gerade deshalb ist das „L a g e r" einbezogen, weil eben auch in Lagern nur auf Grund ausdrücklicher richterlicher Genehmigung einer gefangen-gesetzt werden soll. So ist die Meinung. Aber zum Gesetzeslesen gehört ein bißchen mehr als bloß politische Überzeugtheit.
Meine Freunde und ich begrüßen die Vorlage, allerdings nicht ohne jedes Bedauern, daß nicht doch gegenüber dem allzu buntscheckigen Länderrecht wenigstens der Versuch gemacht worden ist, hier auch die materielle Seite zu regeln, nämlich die Frage: Wann kann denn überhaupt außerhalb des Strafrechts Freiheit entzogen werden? Ich meine, dazu hat die Debatte das beigetragen, daß das Bedürfnis dafür größer als vorher geworden ist. Dazu wenige Bemerkungen.
Außer den jammervollen Erfahrungen der Nazizeit gibt es seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten die Beschwernis, daß bei der Unterbringung angeblich Geisteskranker in Heilanstalten immer wieder Dinge passieren, die, da die Öffentlichkeit sie selten— und meistens erst spät — erfährt, zu größten Erregungen Anlaß geben. Diese Tatsache ist vor allem der praktische Grund, weswegen jeder, der mit diesen Dingen befaßt ist, aus Gründen, die mit Politik gar nichts zu tun haben, der Meinung ist: hier ist eine Gesetzeslücke. Es geht nicht an, daß ein Irrenarzt oder ein Leiter einer Anstalt als Papst ganz allein über Freiheit entscheidet. Meine Herren Mediziner, bitte erkennen Sie insoweit eine Notlage an, die dieses Gesetz geradezu zwingend fordert.
Etwas ganz anderes ist es bei dem Schutz vor Infektionskrankheiten. Ich habe in all meinem Leben noch niemals gehört, daß irgend jemand sich beschwert habe, wenn er als Typhuskranker isoliert und wenn der Zutritt seiner Angehörigen zu ihm verboten wurde. Diese Isolierung ist eine Selbstverständlichkeit für jeden Kranken, der ja sowieso geschwächt ist, und ebenso für jeden An-
gehörigen, der gern will, daß sein kranker Angehöriger möglichst bald geheilt und insbesondere als Bazillenträger geheilt wird. Deswegen glaube ich: insoweit brauchten wir das Gesetz nicht. Und nun dazu die eigenartige Begründung der Vorlage: die Isolierung Kranker — das erfahren wir aus der Begründung, nicht aus dem Gesetzestext! — soll nur eine „Freiheitsbeschränkung" sein. — Entschuldigen Sie, Herr Staatssekretär, Sie haben als Freiheitsbeschränkung in der schriftlichen Begründung u. a. folgendes Beispiel gebildet: „Schulkinder, die in Behausungen leben, in denen ansteckende Erkrankungen vorgekommen sind, werden zeitweilig vom Schulbesuch ferngehalten". Vom Standpunkt der Schulkinder aus gesehen ist das das größte Geschenk der Freiheit; sie brauchen nicht in die Schule! Dann wäre j a auch dann eine Freiheitsbeschränkung gegeben, wenn für den Verkehr eine Brücke gesperrt ist, weil sie baufällig ist, und man sie auf dem Wege nach Hause nicht betreten darf. Das hat mit „Freiheitsbeschränkung" meines Erachtens gar nichts zu tun. Was Sie wollen, ist, daß bei Infektionskrankheiten eine isolierte Behandlung der Patienten, selbst wenn sie in einem Zimmer eingesperrt sind, weil wie beim Typhus Tobsuchtsanfälle möglich sind, das eben nur eine „Freiheitsbeschränkung", keine Entziehung sei.
Wenn Sie das wollen — und das wollen wir alle —, dann bitte ich, das doch in dem Gesetz klar auszusprechen. Ich bin durchaus mit den Herren und Damen der Medizin, mit denen man ja sonst als Jurist bei Freiheitsbeschränkungen ab und zu nicht ganz gleicher Meinung ist, in diesem Fall völlig einig. Wenn wirklich die Behandlung Infektionskranker in jedem einzelnen Falle eines Richterspruchs bedarf, wenn nach der Überzeugung
des Arztes die Grenze zwischen Freiheitsbeschränkung und -entziehung überschritten sein könnte, dann kommen wir mit dem Gesetz in eine Situation hinein, die keiner will. Und das muß meines Erachtens allerdings in den Ausschüssen sehr klar behandelt werden.
Ich möchte daher bitten, die Vorlage an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß, aber auch an den Gesundheitsausschuß zu überweisen, um besonders diese Fragen zu klären.