Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Flüchtig besehen enthält dieser Gesetzentwurf über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen keine politischen Motive. In der Begründung ist sehr viel die Rede von medizinischen Sachverständigen, von seuchenpolizeilichen Vorschriften, von der Unterbringung in Heilanstalten und derartigem mehr. Wenn man aber die Sache genauer betrachtet, sieht man, daß mit dieser Vor-
lage sehr bedeutsame politische Motive und politische Absichten verknüpft sind.
Man muß sich nur fragen, aus welchem Grunde die bisherigen Redner so bescheiden gewesen sind, daß sie diesen bedeutsamen Komplex so sorgfältig umgangen haben. Insbesondere aber muß man sich fragen, welche Absichten dem Vorgehen der Verfasser des Entwurfs zugrunde liegen, die auf eine solche Weise scheinbar medizinische Komplexe mit rein politischen verknüpft und in einer einzigen Vorlage verbunden haben. Offenbar haben sie dies doch wohl nur darum getan, um bestimmte politische Absichten einschmuggeln, um sie legalisieren zu können, und zwar in einer auf den ersten Blick äußerlich harmlos erscheinenden Form.
In dieser Vorlage wird tatsächlich, das System
der willkürlichen Festnahme festgelegt, wird der
Begriff der Schutzhaft zum ersten Mal offiziell legalisiert. Ich möchte Sie auf die Begründung des
§ 12 hinweisen. Darin heißt es ausdrücklich:
Das Grundgesetz regelt das Recht der vorläufigen Festnahme in Art. 104 Abs. 3 nur für das Strafverfahren. Es kann sich aber auch außerhalb des Srafverfahrens die Notwendigkeit ergeben, eine Person zu ihrem Schutze oder zum Schutze der Allgemeinheit alsbald festzunehmen und in eine Anstalt zu verbringen.
Dieser Begriff „zu ihrem Schutze oder zum Schutze der Allgemeinheit" hat doch wohl seinen Ursprung in der Praxis des nationalsozialistischen Regimes. Auf diese Weise soll er wieder eingeführt werden.
Mit Rücksicht auf die Kürze meiner 'Redezeit möchte ich nur noch auf zwei besondere Punkte ) dieses Entwurfs hinweisen. Erstens: es gibt keine klare Abgrenzung zwischen dem Begriff des Freiheitsentzugs, für den hier bestimmte rechtliche Normen festgelegt sind, und dem Begriff der Freiheitsbeschränkung, die, wie aus der Begründung hervorgeht, offiziell der richterlichen Entscheidung entzogen bleiben soll. Dabei wird aber in der Begründung festgestellt, daß eine klare Abgrenzung zwischen diesen beiden Begriffen nicht zu ziehen sei. Man sagt, es gebe lediglich gewisse graduelle Unterschiede. Die Polizeiorgane können also jederzeit nach Willkür entscheiden, ob „Freiheitsbeschränkung" vorliegt, wobei also keine besondere richterliche Entscheidung benötigt wird, oder ob es sich um „Freiheitsentzug" handelt.
Zweitens, meine Damen und Herren, wird hier — und das ist wohl das Wesentlichste an der ganzen Vorlage — zum erstenmal der Begriff „Lagerhaft" eingeführt. Auf Seite 7 der Begründung heißt es zu § 1 ausdrücklich im Zusammenhang mit der Umschreibung der typischen Freiheitsentziehung folgendermaßen:
. . . die zwangsweise Unterbringung in einem Gefängnis, einem zum Vollzuge von Haft dienenden Raum , einem Arbeitshaus oder einer geschlossenen Anstalt der Fürsorge . . . Dem Sinn der Vorschrift entsprechend soll damit nicht nur die Unterbringung in festen Häusern, sondern auch die Unterbringung in Lagern erfaßt werden.
Es soll uns ja niemand kommen und sagen, es handle sich hier um „seuchenpolizeiliche Erwägungen", um Unterbringung in Baracken für gewisse Krankheiten. Davon kann keine Rede sein. Mir
scheint viel eher, der Herr Bundesminister des Innern stellt die Perspektive auf, daß bei der Durchführung seiner Pläne
die Zuchthäuser nicht mehr ausreichen. Mir scheint, daß hier eine Visitenkarte der sogenannten freiheitlichen demokratischen Ordnung vorgelegt wird, auf die man sich hier dauernd berufen möchte.
Wir fordern zu der Vorlage, die uns unterbreitet ist, eine genaue Auskunft: Was ist unter „Unterbringung in Lagern" beabsichtigt? Wir werden die Bundesregierung an diese Formulierung noch oft erinnern, und wir werden diese Vorlage, weil sie dazu geschaffen ist, im Sinne eines polizeistaatlichen Willkürregimes angewandt zu werden, ablehnen und auch ihre Behandlung in den Ausschüssen zurückweisen.