Meine Damen und Herren! Ich glaube, man sollte den Inhalt dieses Gesetzes weniger vom Standpunkt des Juristen oder des Arztes aus betrachten, als vielmehr vom Standpunkt des Staatsbürgers aus, den wir weitestgehend vor dem
Entzug seiner Freiheit schützen wollen. Das nämlich ist der Sinn des Art. 104 des Grundgesetzes. Der Herr Staatssekretär des Bundesjustizministeriums hat ,in seinen Ausführungen bereits darauf hingewiesen, daß die Vorlage dieses Gesetzes eine Notwendigkeit ist, die sich aus der Formulierung des Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes zwingend ergibt.
Bei der Abfassung des Art. 104 ist unter den Mitgliedern des Parlamentarischen Rats einmütig die Auffassung vorhanden gewesen, daß der Wille zu diesem Artikel aus dem Mißbrauch erwachsen ist, der mit der Freiheitsentziehung — insbesondere in den Jahren von 1933 bis 1945 — getrieben worden ist. Der Wille der Mitglieder des Parlamentarischen Rates war es, die Beschränkung der Freiheit der Person oder gar die Entziehung der Freiheit in ihrer Anwendung auf das geringstmögliche Maß zu fixieren. Das ergibt sich ganz eindeutig aus den Ausführungen in dem entsprechenden Ausschuß des Parlamentarischen Rates. Ich möchte bitten, diese den Beratungen im Rechtsausschuß und, falls noch ein anderer Ausschuß beteiligt sein sollte, auch in diesem zugrunde zu legen.
Das vorliegende Gesetz trägt im wesentlichen dem Willen des Verfassungsgebers Rechnung, und meine Freunde und ich sind insoweit auch mit dem wesentlichen Teil seines Inhalts einverstanden. Ich möchte hier dennoch auf einige wenige Punkte im einzelnen eingehen.
Die Durchführung des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen bietet insofern keine Schwierigkeiten, als es sich um die Bestimmung des § 1 Buchstabe a handelt. In diesem Falle liegt die rechtskräftige richterliche Entscheidung zur Entziehung der Freiheit vor. Anders ist es allerdings — und in diesem Falle treten eben die Schwierigkeiten auf — bei der Bestimmung des § 1 Buchstabe b. Insbesondere die Herren Kollegen und die Damen Kolleginnen aus dem Ärzteberuf haben bereits darauf hingewiesen. Es ist deshalb für uns alle, glaube ich, selbstverständlich, daß jegliche Art von Schutzhaft natürlicherweise sowohl bei der Freiheitsentziehung als auch bei der Freiheitsbeschränkung ausscheidet. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf ist auf die begriffliche Unterscheidung zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung hingewiesen und zum Ausdruck gebracht worden, daß es dem Bundesjustizministerium nicht möglich erscheint, eine klare, „abstrakte Grenzlinie zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung zu finden", wie es unter II der Begründung zu § 1 heißt. Das Bundesjustizministerium steht auf dem Standpunkt, daß „der Unterschied zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung .... kein begrifflicher, sondern lediglich ein gradueller" ist. Das wird im wesentlichen richtig sein. Dennoch sollte man sich nicht zu der Auffassung verleiten lassen, eine Freiheitsbeschränkung sei nicht so ernst zu nehmen, und man solle bei der Beschränkung der Freiheit im Gegensatz zu der Entziehung der Freiheit nicht so strenge Maßstäbe anlegen, wie es im allgemeinen wünschenswert zu sein scheint.
In der Begründung ist weiter meines Erachtens mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Schwierigkeiten der Freiheitsentziehung und ihrer gesetzlichen Festlegung zum großen Teil dadurch behoben werden können, daß man eine enumerative Definition dessen in das Gesetz hineinbringt, was Freiheitsentziehung ist. Auch damit kann ich mich einverstanden erklären. Immerhin gibt es
einige Punkte, bei denen meine Freunde und ich wünschen, daß eine andere Regelung als die uns vorgelegte gefunden wird. Insbesondere möchte ich bitten zu prüfen, ob nicht die Ausdehnung dieses eben von mir erwähnten Enumerationsprinzips auf die Freiheitsbeschränkung im Interesse des Schutzes der Freiheit der Person erfolgen könnte. Ich erwähne gerade diesen Fall deswegen, weil ja eben auch von medizinischer Seite zum Ausdruck gebracht worden ist — das ist etwas ganz Merkwürdiges, aber immerhin doch Erwähnenswertes —, daß es durch das Zusammenwirken aller Beteiligten verhältnismäßig einfach ist — wir haben es in letzter Zeit in der Presse lesen können, ohne daß es stichhaltig widerlegt werden konnte —, angeblich Geisteskranke in eine Anstalt zu bringen. Ganz klar sind mir die Deduktionen der Mediziner hier heute allerdings nicht geworden. Insofern möchte ich Ihnen doch empfehlen, sich etwas mehr an die Gepflogenheiten der Juristen zu halten als Frau Kollegin Dr. Steinbiß, die meinte, daß die Sicherungsmaßnahmen übertrieben würden, und man am besten in jedes Krankenhaus einen Richter täte, um all das auch richtig machen zu können, was nach diesem Gesetz vorgeschrieben werden wird.
Herr Kollege Dr. Hammer meinte dagegen, daß die Kranken zu kurz gekommen seien und daß man auf sie eben mehr Rücksicht nehmen müsse. Offenbar klafft da insofern ein Widerspruch, als es sich doch hier um Maßnahmen handelt, die nichts anderes darstellen als Verwaltungsakte. Es handelt sich für uns hier nicht darum, Herr Kollege Dr. Hammer, festzustellen, ob jemand im medizinischen Sinne krank ist und deswegen der Heilung bedarf. Vielmehr handelt es sich für uns darum, wenn von
ärztlicher Seite aus — und das ist ja in diesem Gesetz gesagt worden — festgestellt ist, daß er krank ist, wenn also z. B. der Psychiater eine Heilbedürftigkeit festgestellt hat, festzulegen, was dann mit dem Betreffenden zu geschehen hat. Das ist das, was in diesem Gesetz steht. Hier möchten wir eben — vielleicht sogar in Zusammenarbeit mit Ihnen — einen etwas besseren Schutz auch von ärztlicher Seite haben.
Es darf meines Erachtens nicht genügen, daß ein Arzt die Geisteskrankheit oder Geistesschwäche eines bestimmten Menschen feststellt und der Auffassung ist, daß seine Unterbringung in einer Heiloder Pflegeanstalt erforderlich ist, um den Richter zu verpflichten, auf ein solches Gutachten hin die entsprechende Unterbringung anzuordnen. Ich bitte, wenn das Gesetz in den Gesundheitsausschuß kommt, dort noch einmal zu überlegen, ob hier nicht eine viel weitergehende Einschaltung des Amtsarztes notwendig ist
— heute ist das noch nicht in dem Umfang der Fall, wie wir es wünschen —, ob nicht eine viel weitergehende Beteiligung eines Ärztekollegiums unter Vorsitz des Amtsarztes vielleicht die Voraussetzungen gibt, daß der Richter, der ja nicht Mediziner ist, auf Grund einer solchen Stellungnahme nicht eines einzelnen, sondern eines Kollegiums viel eher die Verantwortung dafür tragen kann, daß der Betreffende in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht wird. Das sind Gesichtspunkte, die meine Freunde und ich in den entsprechenden Ausschüssen zur Diskussion stellen wollen.
Abgesehen von diesen Gesichtspunkten ist dann die Frage aufgetaucht, ob man die Anordnung der
Freiheitsentziehung den ordentlichen Gerichten oder den Verwaltungsgerichten überlassen soll. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es richtig ist, die ordentlichen Gerichte einzuschalten. Denjenigen, die am Grundgesetz mitgewirkt haben, hat hierbei zweifelsohne auch die Einschaltung der ordentlichen Gerichte und nicht die der Verwaltungsgerichte vorgeschwebt. Allerdings ist man im Bundesrat in dieser Frage zu einer etwas verschiedenartigen Auffassung gekommen. Der Bundesrat selbst hat allerdings insoweit keine Änderung vorgeschlagen; aber bei einzelnen Ländern scheint mir darüber keine genügende Klarheit vorhanden zu sein, wie man so etwas regeln soll. Ich darf mich hier aus Höflichkeit auf das Land beziehen, aus dem ich selbst komme, nämlich auf Niedersachsen. Während sich der Vertreter des Landes Niedersachsen für dieses Gesetz auf den Standpunkt gestellt hat, die Verwaltungsgerichte einzuschalten, hat der niedersächsische Landtag mit Gesetz vom 23. Mai 1952 beschlossen — es handelt sich um das niedersächsische Gesetz über die Anstaltsunterbringung gemeingefährlicher Geisteskranker, Rauschgift- und Alkoholsüchtiger —, daß die Anstaltsunterbringung solcher Personen auf Antrag der Verwaltungsbehörde vom Amtsgericht angeordnet wird. Die Länder können sich schlechterdings nicht auf den Standpunkt stellen, daß so etwas zu Hause anders gemacht wird, als es hier gemacht werden sollte, wenn der Bundestag zuständig ist. Es ist schon aus Gründen, die in der Begründung gegeben sind, notwendig, die Amtsgerichte und nicht die Verwaltungsgerichte einzuschalten, weil man auf die Schnelligkeit der Erledigung durch die Gerichte Wert legt und die Amtsgerichte hierzu viel eher in der Lage sind, da sie 'zahlreicher sind und dem Tatort viel näher liegen. Meines Erachtens würde es zuviel Schwierigkeiten machen, innerhalb der hier vorgesehenen Fristen eine rechtzeitige Entscheidung des Verwaltungsgerichts herbeizuführen, da es in einzelnen Ländern nur ein oder höchstens zwei Verwaltungsgerichte 'gibt, während die Zahl der Amtsgerichte ja viel größer "ist.
Ich darf mich dann noch kurz zu den §§ 11 und 12 äußern. In § 11 heißt es in Abs. 1:
Ist ein Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt, so kann das Gericht, falls dies zur Vorbereitung eines 'Gutachtens 'über den Gesundheitszustand einer Person, der die Freiheit entzogen werden soll, oder aus anderen Gründen dringend erforderlich ist . . .
Mir ist die Fassung „oder aus anderen Gründen" zu allgemein. Solche „anderen Gründe" können sich immer finden lassen. Die daran anschließende Formulierung, daß eine Unterbringung „dringend erforderlich" ist, scheint mir auch kein ausreichender Schutz dafür zu sein — angesichts der einzelnen Tatbestände, die uns aus der jüngsten Vergangenheit bekanntgeworden sind —, daß dem einzelnen seine Freiheit nicht nur dann entzogen oder beschränkt wird, 'wenn dies wirklich aus allgemeinen Gründen und möglicherweise auch in seinem eigenen Interesse, wie bei Kranken, erforderlich ist.
Der besondere Fall des § 12, ob nur die Polizei nach Art. 104 bis zum nächsten Tage die richterliche Entscheidung herbeizuführen hat oder auch die anderen zur Festnahme berechtigten Behörden, scheint mir in der Vorlage des Gesetzentwurfs richtig geregelt zu sein. Richtig ist auch, daß darüber im Grundgesetz keine genügend präzise Anweisung an den Gesetzgeber gegeben worden 'ist. Aber es kann unter 'keinen Umständen der Sinn des Grund-
gesetzes und demnach auch nicht dieses Gesetzes sein, daß die Polizei bei der Entziehung oder Beschränkung der Freiheit zu mehr verpflichtet ist als andere Behörden, die neben der Polizei zur Entziehung oder Beschränkung der Freiheit berechtigt sind. Ich begrüße insoweit auch die Fassung, die dem Gesetz in § 12 gegeben ist.
Über die Vorschläge des Bundesrats wird sich der Rechtsausschuß im einzelnen klarzuwerden haben, insbesondere darüber, ob dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf oder nicht.
Abschließend möchte ich nur noch allgemein zum Ausdruck bringen: meine Freunde und ich wünschen, daß die Handhabung dieses Gesetzes in demselben Geiste erfolgen möge, der den Grundrechtsnormen ,des Grundgesetzes eigen ist, zu denen nach meiner Auffassung auch der Art. 104 gehört. Ich habe es außerordentlich begrüßt, daß der Herr Staatssekretär des Bundesjustizministeriums sich offiziell auf den Standpunkt gestellt hat, der Art. 104 sei geltendes Recht und müsse demzufolge auch unmittelbar angewendet werden. Es ist meines Erachtens bedauerlich und bedeutet auch schon einen Rückfall in die nationalsozialistische Ideologie und die unrechtsstaatliche Ordnung des nationalsozialistischen Staates, wenn man dem Art. 104 nur proklamatorische Bedeutung zuerkennen will, wie das weithin schon wieder geschieht, und ihn als unmittelbar geltende Rechtsnorm ablehnt. Was in diesem Zusammenhang als bedauerlich zu erwähnen ist, ist, daß auch ein höchstes Gericht wie z. B. das Oberlandesgericht in Schleswig diesen Standpunkt teilt.
Meine Freunde und ich stimmen der Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu. Aufgabe des Rechtsausschusses wird es sein, 'zu prüfen, ob die Freiheit des einzelnen in diesem Gesetz in genügender Weise geschützt ist, und darauf zu achten, daß keine Freiheitsentziehung und -beschränkung in größerem Umfange erfolgt, als unbedingt notwendig ist.
Ob auch der Gesundheitsausschuß an dieser Frage beteiligt werden soll, möchte ich persönlich dem Hohen Hause selbst zur 'Entscheidung überlassen. Die Entziehung der Freiheit dient ja allerdings nicht immer der 'Schädigung, sondern auch der Förderung der Gesundheit. Man braucht ja nur, Frau Kollegin Steinbiß, an die Unterbringung in einer Heilanstalt für Trunksüchtige zu denken.