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    Deutscher Bundestag — 229. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. September 1952 10419 229. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 11. September 1952. Geschäftliche Mitteilungen 10421A Änderungen der Tagesordnung 10421B Kleine Anfrage Nr. 285 der Abg. Dr. Schmid (Tübingen) u. Gen. betr. Wohnungsbeschlagnahme in Mannheim und Sigmaringen (Nrn. 3615, 3677 der Drucksachen) 10421B Vorlage des Entwurfs einer Verordnung zur Ergänzung der Verordnung M Nr. 1/52 über Preise für Milch, Butter und Käse 10421B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Großer Knechtsand (Nrn. 3604, 2970 der Drucksachen): Beratung abgesetzt 10421C Fortsetzung der Beratung der Berichte des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der BP betr. Bau der Zellertalbahn (Nrn. 3485, 440 der Drucksachen), über den Antrag der Abg. Volkholz, Donhauser, Dr. Seelos und Fraktion der BP betr. Geplante Einstellung der Lokalbahn Passau-Wegscheid auf der Strecke Obernzell-Wegscheid (Nrn. 3488, 1087 der Drucksachen), über die Anträge der Abg. Dr. Etzel, Dr. Seelos und Fraktion der BP betr. Bau einer Autobahn und der Abg. Dr. Baumgartner, Dr. Etzel, Dr. Seelos und Fraktion der BP betr. Ausbau und Instandsetzung des Straßennetzes in Bayern (Nrn. 3486, 442, 469 der Drucksachen) und über den Antrag der Abg. Stücklen, Strauß, Dr. Solleder, Bodensteiner u. Gen. betr. Straßenbauten in Bayern (Nrn. 3487, 470 der Drucksachen) . . 10421C Ausschußüberweisungen 10421D Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 643) 10421D Beschlußfassung 10421D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (Nr. 3640 der Drucksachen) 10421D Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz . . 10422A Dr. Wahl (CDU) 10422C Frau Dr. Steinbiß (CDU) 10423D Dr. Schneider (FDP) 10424C Dr. Hammer (FDP) 10424D Dr. Greve (SPD) 10425B Dr. Reismann (FU) 10427B Fisch (KPD) 10427D Ewers (DP) 10428C Ausschußüberweisung 10429B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Gebührenbefreiungen beim Wohnungsbau (Nr. 3611 der Drucksachen) . 10429B Ausschußüberweisung 10429C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik , Deutschland und Frankreich (Nr. 3599 der Drucksachen) . 10429C Ausschußüberweisung 10429D Beratung des Mündlichen 'Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Nowack, Neumayer, Dr. Atzenroth, Dr. Blank, Dr. Wellhausen, Dr. Oellers u. Gen. betr. Vereinheitlichung des Rückerstattungsrechtes, über den Antrag der Abg. Schmidt (Bayern) u. Gen. betr. Abänderung des Gesetzes für Wiedergutmachung, über den Antrag der Abg. Dr. Solleder, Dr. Horlacher, Bauereisen u. Gen. betr. Änderung des Rückerstattungsgesetzes, über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Vorlage des Entwurfs eines Wiedergutmachungsgesetzes, über den Antrag der Fraktion der. BP betr. Rückerstattung feststellbaren ehemals jüdischen Vermögens (Restitution), (Nrn. 3583, 159, 886, 1010, 1828, 2447 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung des deutschen Widerstandes und zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Nr. 3472 der Drucksachen; Umdrucke Nrn. 653, 656) 10429D Dr. Weber (Koblenz) (CDU): als Berichterstatter 10430A als Abgeordneter 10443A Dr. Arndt (SPD), Antragsteller . . 10433C Dr. Etzel (Bamberg) (FU) 10436A Ewers (DP) 10436B Dr. Schneider (FDP) 10437B Müller (Frankfurt) (KPD) 10438C Dr. Greve (SPD) 10440B von Thadden (Fraktionslos) 10442C Abstimmungen 10445B Erste Beratung des Entwurfs eines Arbeitsgerichtsgesetzes (Nr. 3516 der Drucksachen; Umdruck Nr. 647) 10445C Storch, Bundesminister für Arbeit 10445C Sabel (CDU) 10446B Kohl (Stuttgart) (KPD) 10447B Richter (Frankfurt) (SPD) 10448B Dr. Atzenroth (FDP) 10449C Schuster (DP) 10450A Ausschußüberweisung 10450C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Ablauf der durch Kriegsvorschriften gehemmten Fristen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung (Nr. 3597 der Drucksachen) 10450C Ausschußüberweisung 10450D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk (Nr. 3598 der Drucksachen) . . . . 10450D Storch, Bundesminister für Arbeit . 10450D Dr. Etzel (Bamberg) (FU) 10451D Eickhoff (DP) 10452C Becker (Pirmasens) (CDU) 10453A Freidhof (SPD) 10454C Dr. Hammer (FDP) 10455D Ausschußüberweisung 10456A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Vorlage eines Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (Nrn. 3566, 3135 der Drucksachen; Änderungsantrag Umdruck Nr. 655) 10456B Frau Kipp-Kaule (SPD), Berichterstatterin 10456B Dr. Etzel (Bamberg) (FU) 10457B Schmücker (CDU) 10457D Kalbfell (SPD) 10458D Storch, Bundesminister für Arbeit . 10459B Dr. Hammer (FDP) 10459D Schuster (DP) 10460A Abstimmungen 10460B Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Angestellte und Beamte in Berlin (Nr. 3451 der Drucksachen) . . . . 10460C Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 10460C, 10464B Schröter (SPD) 10461B Horn (CDU) 10463A Hübner (FDP): zur Sache 10463D persönliche Erklärung . . . . 10465A Arndgen (CDU) 10464D Beschlußfassung 104653 Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Bundesanstalt für Angestelltenversicherung in Berlin (Nr. 3452 [neu] der Drucksachen) 10465B Frau Kalinke (DP): als Antragstellerin 10465B als Abgeordnete 10469A persönliche Erklärung 10471D Storch, Bundesminister für Arbeit 10466C Dr. Schellenberg (SPD) 10467A Kohl (Stuttgart) (KPD) 10468B Frau Wolff (SPD) 10470A Arndgen (CDU) 10471B Abstimmungen 10471C Beratung des Antrags der Fraktion der FU betr. Erhöhung der Posttarife (Nr. 3630 der Drucksachen) 10471D Mayerhofer (FU), Antragsteller . . 10472A Cramer (SPD) 10472B Leonhard (CDU) 10473A Dr. Schneider, Staatssekretär im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen 10474B Niebes (KPD) 10475D Hübner (FDP) 10476A Dr.-Ing. Decker (FU) 10476C Ausschußüberweisungen 10476D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abg. Goetzendorff gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 20. Juni 1952 (Nr. 3634 der Drucksachen) . . . . 10476D Muckermann (CDU), Berichterstatter 10477A Beschlußfassung 10477C Beratung der Übersicht Nr. 56 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen (Umdruck Nr. 641) 10477C Beschlußfassung 10477C Nächste Sitzung 10477C Die Sitzung wird um 13 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Otto Heinrich Greve


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Ich glaube, man sollte den Inhalt dieses Gesetzes weniger vom Standpunkt des Juristen oder des Arztes aus betrachten, als vielmehr vom Standpunkt des Staatsbürgers aus, den wir weitestgehend vor dem
    Entzug seiner Freiheit schützen wollen. Das nämlich ist der Sinn des Art. 104 des Grundgesetzes. Der Herr Staatssekretär des Bundesjustizministeriums hat ,in seinen Ausführungen bereits darauf hingewiesen, daß die Vorlage dieses Gesetzes eine Notwendigkeit ist, die sich aus der Formulierung des Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes zwingend ergibt.
    Bei der Abfassung des Art. 104 ist unter den Mitgliedern des Parlamentarischen Rats einmütig die Auffassung vorhanden gewesen, daß der Wille zu diesem Artikel aus dem Mißbrauch erwachsen ist, der mit der Freiheitsentziehung — insbesondere in den Jahren von 1933 bis 1945 — getrieben worden ist. Der Wille der Mitglieder des Parlamentarischen Rates war es, die Beschränkung der Freiheit der Person oder gar die Entziehung der Freiheit in ihrer Anwendung auf das geringstmögliche Maß zu fixieren. Das ergibt sich ganz eindeutig aus den Ausführungen in dem entsprechenden Ausschuß des Parlamentarischen Rates. Ich möchte bitten, diese den Beratungen im Rechtsausschuß und, falls noch ein anderer Ausschuß beteiligt sein sollte, auch in diesem zugrunde zu legen.
    Das vorliegende Gesetz trägt im wesentlichen dem Willen des Verfassungsgebers Rechnung, und meine Freunde und ich sind insoweit auch mit dem wesentlichen Teil seines Inhalts einverstanden. Ich möchte hier dennoch auf einige wenige Punkte im einzelnen eingehen.
    Die Durchführung des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen bietet insofern keine Schwierigkeiten, als es sich um die Bestimmung des § 1 Buchstabe a handelt. In diesem Falle liegt die rechtskräftige richterliche Entscheidung zur Entziehung der Freiheit vor. Anders ist es allerdings — und in diesem Falle treten eben die Schwierigkeiten auf — bei der Bestimmung des § 1 Buchstabe b. Insbesondere die Herren Kollegen und die Damen Kolleginnen aus dem Ärzteberuf haben bereits darauf hingewiesen. Es ist deshalb für uns alle, glaube ich, selbstverständlich, daß jegliche Art von Schutzhaft natürlicherweise sowohl bei der Freiheitsentziehung als auch bei der Freiheitsbeschränkung ausscheidet. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf ist auf die begriffliche Unterscheidung zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung hingewiesen und zum Ausdruck gebracht worden, daß es dem Bundesjustizministerium nicht möglich erscheint, eine klare, „abstrakte Grenzlinie zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung zu finden", wie es unter II der Begründung zu § 1 heißt. Das Bundesjustizministerium steht auf dem Standpunkt, daß „der Unterschied zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung .... kein begrifflicher, sondern lediglich ein gradueller" ist. Das wird im wesentlichen richtig sein. Dennoch sollte man sich nicht zu der Auffassung verleiten lassen, eine Freiheitsbeschränkung sei nicht so ernst zu nehmen, und man solle bei der Beschränkung der Freiheit im Gegensatz zu der Entziehung der Freiheit nicht so strenge Maßstäbe anlegen, wie es im allgemeinen wünschenswert zu sein scheint.
    In der Begründung ist weiter meines Erachtens mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Schwierigkeiten der Freiheitsentziehung und ihrer gesetzlichen Festlegung zum großen Teil dadurch behoben werden können, daß man eine enumerative Definition dessen in das Gesetz hineinbringt, was Freiheitsentziehung ist. Auch damit kann ich mich einverstanden erklären. Immerhin gibt es


    (Dr. Greve)

    einige Punkte, bei denen meine Freunde und ich wünschen, daß eine andere Regelung als die uns vorgelegte gefunden wird. Insbesondere möchte ich bitten zu prüfen, ob nicht die Ausdehnung dieses eben von mir erwähnten Enumerationsprinzips auf die Freiheitsbeschränkung im Interesse des Schutzes der Freiheit der Person erfolgen könnte. Ich erwähne gerade diesen Fall deswegen, weil ja eben auch von medizinischer Seite zum Ausdruck gebracht worden ist — das ist etwas ganz Merkwürdiges, aber immerhin doch Erwähnenswertes —, daß es durch das Zusammenwirken aller Beteiligten verhältnismäßig einfach ist — wir haben es in letzter Zeit in der Presse lesen können, ohne daß es stichhaltig widerlegt werden konnte —, angeblich Geisteskranke in eine Anstalt zu bringen. Ganz klar sind mir die Deduktionen der Mediziner hier heute allerdings nicht geworden. Insofern möchte ich Ihnen doch empfehlen, sich etwas mehr an die Gepflogenheiten der Juristen zu halten als Frau Kollegin Dr. Steinbiß, die meinte, daß die Sicherungsmaßnahmen übertrieben würden, und man am besten in jedes Krankenhaus einen Richter täte, um all das auch richtig machen zu können, was nach diesem Gesetz vorgeschrieben werden wird.
    Herr Kollege Dr. Hammer meinte dagegen, daß die Kranken zu kurz gekommen seien und daß man auf sie eben mehr Rücksicht nehmen müsse. Offenbar klafft da insofern ein Widerspruch, als es sich doch hier um Maßnahmen handelt, die nichts anderes darstellen als Verwaltungsakte. Es handelt sich für uns hier nicht darum, Herr Kollege Dr. Hammer, festzustellen, ob jemand im medizinischen Sinne krank ist und deswegen der Heilung bedarf. Vielmehr handelt es sich für uns darum, wenn von
    ärztlicher Seite aus — und das ist ja in diesem Gesetz gesagt worden — festgestellt ist, daß er krank ist, wenn also z. B. der Psychiater eine Heilbedürftigkeit festgestellt hat, festzulegen, was dann mit dem Betreffenden zu geschehen hat. Das ist das, was in diesem Gesetz steht. Hier möchten wir eben — vielleicht sogar in Zusammenarbeit mit Ihnen — einen etwas besseren Schutz auch von ärztlicher Seite haben.
    Es darf meines Erachtens nicht genügen, daß ein Arzt die Geisteskrankheit oder Geistesschwäche eines bestimmten Menschen feststellt und der Auffassung ist, daß seine Unterbringung in einer Heiloder Pflegeanstalt erforderlich ist, um den Richter zu verpflichten, auf ein solches Gutachten hin die entsprechende Unterbringung anzuordnen. Ich bitte, wenn das Gesetz in den Gesundheitsausschuß kommt, dort noch einmal zu überlegen, ob hier nicht eine viel weitergehende Einschaltung des Amtsarztes notwendig ist

    (Abg. Frau Dr. Steinbiß: Ist ja heute schon der Fall!)

    — heute ist das noch nicht in dem Umfang der Fall, wie wir es wünschen —, ob nicht eine viel weitergehende Beteiligung eines Ärztekollegiums unter Vorsitz des Amtsarztes vielleicht die Voraussetzungen gibt, daß der Richter, der ja nicht Mediziner ist, auf Grund einer solchen Stellungnahme nicht eines einzelnen, sondern eines Kollegiums viel eher die Verantwortung dafür tragen kann, daß der Betreffende in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht wird. Das sind Gesichtspunkte, die meine Freunde und ich in den entsprechenden Ausschüssen zur Diskussion stellen wollen.
    Abgesehen von diesen Gesichtspunkten ist dann die Frage aufgetaucht, ob man die Anordnung der
    Freiheitsentziehung den ordentlichen Gerichten oder den Verwaltungsgerichten überlassen soll. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es richtig ist, die ordentlichen Gerichte einzuschalten. Denjenigen, die am Grundgesetz mitgewirkt haben, hat hierbei zweifelsohne auch die Einschaltung der ordentlichen Gerichte und nicht die der Verwaltungsgerichte vorgeschwebt. Allerdings ist man im Bundesrat in dieser Frage zu einer etwas verschiedenartigen Auffassung gekommen. Der Bundesrat selbst hat allerdings insoweit keine Änderung vorgeschlagen; aber bei einzelnen Ländern scheint mir darüber keine genügende Klarheit vorhanden zu sein, wie man so etwas regeln soll. Ich darf mich hier aus Höflichkeit auf das Land beziehen, aus dem ich selbst komme, nämlich auf Niedersachsen. Während sich der Vertreter des Landes Niedersachsen für dieses Gesetz auf den Standpunkt gestellt hat, die Verwaltungsgerichte einzuschalten, hat der niedersächsische Landtag mit Gesetz vom 23. Mai 1952 beschlossen — es handelt sich um das niedersächsische Gesetz über die Anstaltsunterbringung gemeingefährlicher Geisteskranker, Rauschgift- und Alkoholsüchtiger —, daß die Anstaltsunterbringung solcher Personen auf Antrag der Verwaltungsbehörde vom Amtsgericht angeordnet wird. Die Länder können sich schlechterdings nicht auf den Standpunkt stellen, daß so etwas zu Hause anders gemacht wird, als es hier gemacht werden sollte, wenn der Bundestag zuständig ist. Es ist schon aus Gründen, die in der Begründung gegeben sind, notwendig, die Amtsgerichte und nicht die Verwaltungsgerichte einzuschalten, weil man auf die Schnelligkeit der Erledigung durch die Gerichte Wert legt und die Amtsgerichte hierzu viel eher in der Lage sind, da sie 'zahlreicher sind und dem Tatort viel näher liegen. Meines Erachtens würde es zuviel Schwierigkeiten machen, innerhalb der hier vorgesehenen Fristen eine rechtzeitige Entscheidung des Verwaltungsgerichts herbeizuführen, da es in einzelnen Ländern nur ein oder höchstens zwei Verwaltungsgerichte 'gibt, während die Zahl der Amtsgerichte ja viel größer "ist.
    Ich darf mich dann noch kurz zu den §§ 11 und 12 äußern. In § 11 heißt es in Abs. 1:
    Ist ein Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt, so kann das Gericht, falls dies zur Vorbereitung eines 'Gutachtens 'über den Gesundheitszustand einer Person, der die Freiheit entzogen werden soll, oder aus anderen Gründen dringend erforderlich ist . . .
    Mir ist die Fassung „oder aus anderen Gründen" zu allgemein. Solche „anderen Gründe" können sich immer finden lassen. Die daran anschließende Formulierung, daß eine Unterbringung „dringend erforderlich" ist, scheint mir auch kein ausreichender Schutz dafür zu sein — angesichts der einzelnen Tatbestände, die uns aus der jüngsten Vergangenheit bekanntgeworden sind —, daß dem einzelnen seine Freiheit nicht nur dann entzogen oder beschränkt wird, 'wenn dies wirklich aus allgemeinen Gründen und möglicherweise auch in seinem eigenen Interesse, wie bei Kranken, erforderlich ist.
    Der besondere Fall des § 12, ob nur die Polizei nach Art. 104 bis zum nächsten Tage die richterliche Entscheidung herbeizuführen hat oder auch die anderen zur Festnahme berechtigten Behörden, scheint mir in der Vorlage des Gesetzentwurfs richtig geregelt zu sein. Richtig ist auch, daß darüber im Grundgesetz keine genügend präzise Anweisung an den Gesetzgeber gegeben worden 'ist. Aber es kann unter 'keinen Umständen der Sinn des Grund-


    (Dr. Greve)

    gesetzes und demnach auch nicht dieses Gesetzes sein, daß die Polizei bei der Entziehung oder Beschränkung der Freiheit zu mehr verpflichtet ist als andere Behörden, die neben der Polizei zur Entziehung oder Beschränkung der Freiheit berechtigt sind. Ich begrüße insoweit auch die Fassung, die dem Gesetz in § 12 gegeben ist.
    Über die Vorschläge des Bundesrats wird sich der Rechtsausschuß im einzelnen klarzuwerden haben, insbesondere darüber, ob dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf oder nicht.
    Abschließend möchte ich nur noch allgemein zum Ausdruck bringen: meine Freunde und ich wünschen, daß die Handhabung dieses Gesetzes in demselben Geiste erfolgen möge, der den Grundrechtsnormen ,des Grundgesetzes eigen ist, zu denen nach meiner Auffassung auch der Art. 104 gehört. Ich habe es außerordentlich begrüßt, daß der Herr Staatssekretär des Bundesjustizministeriums sich offiziell auf den Standpunkt gestellt hat, der Art. 104 sei geltendes Recht und müsse demzufolge auch unmittelbar angewendet werden. Es ist meines Erachtens bedauerlich und bedeutet auch schon einen Rückfall in die nationalsozialistische Ideologie und die unrechtsstaatliche Ordnung des nationalsozialistischen Staates, wenn man dem Art. 104 nur proklamatorische Bedeutung zuerkennen will, wie das weithin schon wieder geschieht, und ihn als unmittelbar geltende Rechtsnorm ablehnt. Was in diesem Zusammenhang als bedauerlich zu erwähnen ist, ist, daß auch ein höchstes Gericht wie z. B. das Oberlandesgericht in Schleswig diesen Standpunkt teilt.
    Meine Freunde und ich stimmen der Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu. Aufgabe des Rechtsausschusses wird es sein, 'zu prüfen, ob die Freiheit des einzelnen in diesem Gesetz in genügender Weise geschützt ist, und darauf zu achten, daß keine Freiheitsentziehung und -beschränkung in größerem Umfange erfolgt, als unbedingt notwendig ist.
    Ob auch der Gesundheitsausschuß an dieser Frage beteiligt werden soll, möchte ich persönlich dem Hohen Hause selbst zur 'Entscheidung überlassen. Die Entziehung der Freiheit dient ja allerdings nicht immer der 'Schädigung, sondern auch der Förderung der Gesundheit. Man braucht ja nur, Frau Kollegin Steinbiß, an die Unterbringung in einer Heilanstalt für Trunksüchtige zu denken.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Bernhard Reismann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage dieses Gesetzes entspricht einer Verpflichtung aus dem Grundgesetz. Abgesehen davon ist aber auch die Wichtigkeit der Sache selbst so evident, daß man in dieser Frage nicht wie sonst denken könnte, das Haus wird mit soviel Gesetzesvorlagen überschüttet, man könnte vielleicht auf dem einen oder anderen Gebiet doch etwas sparen, und etwas weniger wäre mehr. Hier ist es also in der Tat notwendig, ein Gesetz vorzulegen.
    Aber wenn man nach der Ratio der Vorlage vorgeht, so ist es doch die: Schutz der Freiheit der Persönlichkeit gegen eine unberechtigte Entziehung oder Beeinträchtigung überhaupt. Auf den Unterschied zwischen der Freiheitsbeschränkung und -beeinträchtigung komme ich gleich noch. Dieses
    Gesetz sollte eigentlich nicht eine Handhabe dazu bieten, eine Freiheitsentziehung in solchen Fällen vorzunehmen, wo das nicht bisher auch schon möglich gewesen wäre. Wenn man den Namen liest, so kommt man auf den Gedanken, es handelt sich nur um eine Regelung des Verfahrens. Befaßt man sich aber mit dem Inhalt, so stellt man doch fest, daß verschiedene Möglichkeiten neu geschaffen werden oder wenigstens die Bestimmungen des Gesetzes so ausgelegt werden können, daß es sich um die Neuschaffung von Freiheitsentziehungsmöglichkeiten handelt. Damit würde meine Fraktion nicht einverstanden sein. Es entspricht weder der Notwendigkeit, die vorhandene Zahl der möglichen Freiheitsentziehungen 'zu vergrößern, noch dem Zweck des Gesetzes, in dieser Zeit nach 'den vorausgegangenen politischen 'Erfahrungen so zu verfahren.
    Wenn ich gerade in diesem Zusammenhang und aus diesen Überlegungen heraus in der Begründung den Punkt 2 ansehe, so fällt mir dabei auf, daß .die Bundesregierung glaubt, aus polizeilichen Gesichtspunkten könnten z. B. krankheits- oder ansteckungsverdächtige Personen auch gegen ihren Willen unter Umständen längere Zeit interniert werden. Dazu muß man auch den § 4 des Gesetzes lesen, wonach unter Umständen dann nicht einmal eine richterliche Anhörung erforderlich ist. Ohne richterliche Anhörung mit der Behauptung, daß eine Krankheit vorliege, jemanden einzusperren, halten wir gegen Sinn und Grund dieses Gesetzes verstoßend und für völlig unmöglich.
    Wir sehen also, daß trotz der an sich harmlosen Überschrift und trotz der offenbar wohlmeinenden Absicht schon allein in diesem Punkte sich eine ganz erhebliche Gefahr in der Vorlage befindet, mit der wir uns nicht einverstanden erklären werden. Ich habe wegen der Kürze 'der Redezeit, die mir zur Verfügung steht, nicht die Möglichkeit, noch auf andere 'Bedenken ähnlicher Art hinzuweisen. Wir möchten aber von vornherein gerade auf diesen wichtigen Punkt aufmerksam machen. Das Gesetz darf auf keinen Fall zu irgendeiner Zeit irgendeiner Regierung als Vorwand oder Handhabe dazu dienen, Leute einzusperren, wenn nicht schon nach den bisher vorliegenden Gesetzen Veranlassung, ja sogar die Notwendigkeit dazu besteht.
    Mit der Verweisung an die beiden Ausschüsse ist die Fraktion der Föderalistischen Union einverstanden. Wir haben nichts dagegen, daß sich auch der Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens damit befaßt, obwohl es sich eigentlich nur am Rande um eine Frage der Gesundheitspflege handelt. Aber diese Gesichtspunkte sollen dabei nicht übersehen werden. Deswegen sind wir damit einverstanden. Federführend müßte aber der Rechtsausschuß sein; denn in erster Linie kommt es auf den Schutz der Freiheit der Person an.