Herr Präsident! Meine Damen und Herren! -Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß meine Parteifreunde die Vorlage begrüßen, die ein Versprechen des Grundgesetzes einlösen soll; handelt es sich doch um einen Beitrag zum weiteren Ausbau der rechtsstaatlichen Garantien für das hohe Gut der persönlichen Freiheit, an deren Schutz sich vor Jahrhunderten der Gedanke entzündet hat, daß der einzelne vor der Willkür der Staatsgewalt gesichert werden muß. So führt eine lange Entwicklung von der Magna Charta zur Petition und Declaration of rights und zur Habeas-corpus-Akte und zu den modernen Grundrechtskatalogen. In der Tat würde ohne Grundrechte des einzelnen der Staatsaufbau angesichts der unerhört umfassenden Kompetenz der Legislative und Exekutive gegenüber den Vermassungstendenzen der Gegenwart kapitulieren, und es ist ein richtiger, seit langem erprobter Gedanke, den Gerichten den Schutz des einzelnen anzuvertrauen. Es kommt hinzu, daß gerade wir Deutschen auf Grund der bitteren Erfahrungen der nationalsozialistischen Herrschaft für alle Freiheitsentziehungen besonders empfindlich geworden sind, wie das große Interesse beweist, das die Vorgänge bei der Unterbringung von geisteskranken oder einer Geisteskrankheit verdächtigen Personen in Heilanstalten in der Öffentlichkeit immer wieder finden.
Aber so einleuchtend und wichtig der Grundgedanke ist, so sehr ist die Vorlage mit schwierigen Einzelproblemen belastet, wie allein daraus hervorgeht, daß der Bundesrat zu dem vier Seiten langen Entwurf fünf Seiten Änderungsvorschläge gemacht hat, zu denen die Bundesregierung ihrerseits auf vier Seiten kritisch Stellung genommen hat. Sie können natürlich nicht erwarten, daß ich zu den Einzelfragen schon Stellung nehme; es wird.
Sache des Rechtsausschusses sein, an den ich die Vorlage zu überweisen bitte, sich gründlich mit den auftauchenden Fragen auseinanderzusetzen Aber einiges darf ich wenigstens anführen.
Der Entwurf bringt eine Verfahrensordnung und klärt die materiellen Voraussetzungen der Freiheitsentziehung nicht; dies bleibt der sonstigen Bundes- und Landesgesetzgebung vorbehalten. In § 18 wird jedoch geklärt, daß längstens bis zum 31. Dezember 1953 drei Verordnungen — über die Ausländerpolizei, über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten und über die Fürsorgepflicht, die letzte aber nur für die britische und französische Besatzungszone — Freiheitsentziehungen legitimieren können, auch wenn es sich dabei nicht um formelle Gesetze handelt, die das Grundgesetz in Art. 104 als Rechtsgrundlage jeder Freiheitsentziehung verlangt. Bis zum 31. Dezember 1953 ist damit zu rechnen, daß die Parlamente auch für diese Gebiete formelle Gesetzgebungsakte geschaffen haben werden, die die Irregularität beseitigen, daß in die persönliche Freiheit auf Grund von Verordnungen eingegriffen werden kann, die nunmehr durch den § 18 einstweilen den Rang formeller Gesetze bekommen.
Schon diese Aufzählung zeigt, wie verschiedenartig die einzelnen Tatbestände sind, für die das Gesetz gelten soll. Am ältesten ist der Schutz des einzelnen gegen behördliche Festnahme im Zusammenhang mit dem Strafverfahren. Hier bleibt es bei der erprobten Regelung der Strafprozeßordnung. Aber auch die Anordnung der Freiheitsentziehung bei Jugendlichen auf Grund des BGB und des Jugendwohlfahrtsgesetzes sowie die Inhaftnahme des Schuldners in der zivilen Zwangsvollstreckung sowie die richterliche, Einweisung in Arbeitshäuser bleiben außerhalb des Anwendungsgebiets des Gesetzes.
Aber daneben stehen Freiheitsentziehungen auf verschiedenen anderen Gebieten, für die das vorliegende Gesetz etwas wirklich Neues bringt, nämlich die rechtspolitisch außerordentlich wertvolle Zusammenziehung des Rechtsschutzes bei den Amtsgerichten, mit der sich auch die Länder im Bundesrat einverstanden erklärt haben, obwohl damit die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgeschaltet wird.
Eine besondere Rolle spielt die Unterbringung in geschlossenen Krankenanstalten, insbesondere in Heil- und Pflegeanstalten, sowie in Entziehungsanstalten für Rauschgift- und Alkoholsüchtige; aber auch aus sonstigen Sicherheitsgründen notwendige Festnahmen, zu denen unter Umständen auch die Einweisung eines Infektionskranken in Isolierstationen zählen kann, sowie die Zwangshaft bei Nichtbeitreibbarkeit eines Zwangsgeldes gehören hierher.
Es ist klar, daß die Verzahnung des Landespolizei- und Landesgesundheitsrechts mit diesem neuen Bundesrecht schwierige Fragen aufwirft. Sie kumulieren in dem Problem, ob es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt, wie der Bundesrat meint, weil damit in das Verwaltungsverfahren der Verwaltungsbehörden eingegriffen werde, oder um ein gewöhnliches Bundesgesetz, wofür die Bundesregierung eintritt, weil das Gesetz nur Gerichtsverfahrensvorschriften enthält. Die Frage hat in dem sogenannten Qualifikationsproblem bei allen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Entsprechung, da hier die Tätigkeit der Gerichte gleichsam in andere Rechtssätze eingebettet ist und ihre Mitwirkung Tatbestandselement eines nicht der eigentlichen Rechtspflege zugehörigen Sachverhalts ist, also mehr verwaltenden als rechtserkennenden Charakter hat. Aber man darf sich meines Erachtens nicht darüber täuschen, daß hier die richterliche Freiheitsentziehung in erster Linie Rechtsschutzfunktionen erfüllt, nicht nur deshalb, weil in vielen Fällen die Festnahme schon durchgeführt ist, wenn das Gericht tätig wird, sondern weil auch die richterliche Tätigkeit der Einweisung in einen amtlichen Gewahrsam nur deshalb der Unterbringung des Betroffenen in eine Anstalt vorgeschaltet ist, um dem in seinen Rechtsgütern bedrohten Bürger wirksamen Rechtsschutz zu gewähren. Es ist also durchaus die eigentliche Justizaufgabe, auf der der Akzent liegt, während die Mitwirkung bei dem Verwaltungsvorgang nur der technischen Verbesserung dieses Rechtsschutzes dient. Ich möchte also dem Standpunkt der Bundesregierung den Vorzug geben.
Der Rechtsschutz selbst ist nach dem Vorbild der Strafprozeßordnung, das auch dein Grundgesetz vorschwebt — also des richterlichen Haftbefehls —, aufgebaut, aber der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugeordnet. Das Gesetz hat das Verfahren umfassend geregelt und alle aus der Strafprozeßordnung bekannten Fragen — vorläufige Festnahme, Haftprüfungsverfahren, Recht auf persönliche Anhörung, Beschwerde — in einer die persönliche Freiheit möglichst wirksam schützenden Weise geregelt, ohne den Bedürfnissen der Sonderfälle allzu abträglich zu sein. Immerhin fragte ich mich, je mehr ich mich mit der Vorlage befaßt habe, ob man auf eine einheitliche Regelung auch einzelner materieller Fragen der Freiheitsentziehung verzichten kann. Ein Beispiel: Im allgemeinen darf ein Süchtiger, der nicht gemeingefährlich und nicht entmündigt ist, nur in eine Anstalt gebracht werden, wenn er darin einwilligt. Wie aber, wenn er dann während der Kur die Entwöhnung nicht erträgt und seine sofortige Entlassung verlangt? Ist diese Willensäußerung beachtlich, oder wird sie als krankhafte Reaktion, die eine Verständigung mit dem Süchtigen ausschließt, übergangen?
In § 9 Abs. 2 hatte die Vorlage ursprünglich eine Bestimmung, die besagte, daß bei dem Antrag auf Entlassung das Gericht von einem Bescheid absehen kann, wenn sich aus Form und Inhalt des Antrags ergibt, daß wegen des Geisteszustandes des Untergebrachten eine Verständigung mit ihm nicht möglich ist. Auf Wunsch des Bundesrates ist diese Vorschrift mittlerweile gefallen: in allen Fällen hat das Gericht den Antragsteller zu bescheiden. Aber es wird sich fragen, wie das Gericht nun entscheiden muß. Gewiß wird sich dazu eine Gerichtspraxis bilden; aber diese braucht nicht einheitlich auszufallen, da der Rechtsgang beim Landgericht endet, wenn man nicht gerade an eine Grundrechtsklage beim Bundesverfassungsgericht denkt. Der Rechtsausschuß wird sich auch mit der Frage zu befassen haben, ob hier eine gesetzliche Regelung am Platze ist oder nicht.
Ich beantrage nochmals die Überweisung der Vorlage an den Rechtsausschuß.