Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich einige Bemerkungen zu der Kritik am materiellen Inhalt
des Gesetzes mache. Herr Kollege 011enhauer und Herr Kollege Imig haben hier ein Bild dieses Gesetzes gezeichnet, das nicht richtig ist. Ich möchte sagen: das Bild, das hier von ihnen aufgezeigt worden ist, ist wirklich ein Zerrbild. Ich nehme es dem Kollegen Ollenhauer nicht übel. Er weiß ja letztlich nicht in allen Dingen Bescheid, die sämtliche Verhandlungen der letzten zwei Jahre betreffen; das kann er wegen seiner andern Tätigkeit nicht. Aber es scheint mir doch notwendig zu sein, einmal den Versuch zu machen, das richtigzustellen, was hier in der Kritik hervorgetreten ist. Es wird ganz generell behauptet, das Betriebsverfassungsgesetz sei schlechter als das Gesetz von 1920, und es sei schlechter als die Ländergesetze. Wie ist es in Wirklichkeit? Ich glaube, mit dem ersten Vorwurf brauche ich mich nicht länger zu beschäftigen; denn jeder, der im Arbeitsrecht einigermaßen Bescheid weiß, weiß, daß dieser Vorwurf völlig unbegründet ist und daß das, was wir heute verabschieden wollen, tatsächlich weit über das hinausgeht, was 1920 geschaffen worden ist.
Aber lassen Sie mich zu dem andern Vorwurf etwas sagen, das Gesetz sei schlechter als die Länderregelungen. Wie sieht es da in Wirklichkeit aus? Wir haben acht Ländergesetze in der Bundesrepublik; aber diese Gesetze sind doch zum Teil nur Fragmente eines Gesetzes und keine umfassenden Regelungen dieser Materie. Das ist verständlich. Wir müssen uns der Zeit erinnern, in der diese Gesetze geschaffen worden sind. Also sie stellen bestimmt nichts Vollkommenes dar, und wir haben auf der andern Seite drei Länder, die noch keine gesetzliche Regelung haben. Nun sagt man, hier seien auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 22 Betriebsvereinbarungen geschaffen worden, die über das hinausgehen, was im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt werden soll. Darf ich daran erinnern, daß wir diese Betriebsvereinbarungen doch nur für einen Teil der Betriebe haben. Darf ich daran erinnern, daß in diesen Ländern weithin noch ein • Vakuum vorhanden ist, das ausgefüllt werden muß und das in Wirklichkeit gerade die Klein- und Mittelbetriebe betrifft. Das sollten wir doch sehen, wenn wir zu einem objektiven Urteil kommen wollen.
Der materielle Inhalt der Ländergesetze und ihr Aufbau sind sehr differenziert. Wir hatten eine Koordinierungsaufgabe, wir sollten ein einheitliches Gesetz schaffen. Es war nicht möglich, alles, was in den Ländergesetzen steht, in dieses einheitliche Bundesgesetz zu übernehmen, schon allein deshalb, weil der Aufbau nach einem ganz differenzierten Schema vorgenommen wurde.
Wir haben versucht, diese uns gestellte Koordinierungsaufgabe so gut zu lösen, wie es möglich war. Sie sind zweifellos in der Lage, aus jedem Ländergesetz etwas herauszupicken, was in diesem Bundesgesetz nicht enthalten ist; das gebe ich ohne weiteres zu. Aber wenn wir zu einer Wertung kommen wollen, dann müssen wir uns bemühen, einmal den ganzen materiellen Inhalt der Ländergesetze dem materiellen Inhalt des Bundesgesetzes, über das wir diskutieren, gegenüberzustellen. Dann wird jeder objektive Beurteiler sagen müssen, daß der generelle Vorwurf, wie er hier erhoben wird, unberechtigt ist, der Vorwurf, daß wir etwas generell Schlechteres gemacht hätten als die Ländergesetze.
Eine andere Frage! Wer die Diskussion dieser i Tage erlebt hat, der mußte zu der Auffassung kommen, als seien die Gegensätze zwischen den beiden Fronten riesengroß. Meine Damen und Herren, ich hatte bei den Verhandlungen nicht diesen Eindruck. Herr Kollege Ollenhauer sagt: „Was wir an Gegenvorschlägen vorgelegt haben, entspricht den Wünschen der Gewerkschaften." Ich hatte mir nach dem ersten Tag der zweiten Lesung die Mühe gemacht, einmal Ihre Änderungsvorschläge zu vergleichen mit den Ergebnissen unserer Beratungen, die wir mit führenden Leuten des Deutschen Gewerkschaftsbundes gehabt haben. Eine Reihe von Freunden aus diesem Hause hatte an diesen Beratungen vor wenigen Wochen teilgenommen. Da mußte ich feststellen, daß für etwa 25 Paragraphen in der ersten Hälfte des Gesetzes von der SPD Änderungsanträge gestellt worden waren, während uns die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesagt haben, daß sie keine Bedenken hätten.
Das ist doch immerhin eine Feststellung, die meines Erachtens zeigt, daß man die Gegensätze schärfer profiliert, als dies notwendig wäre. Sie werden mir sagen: Wir sind durch die Zusagen oder die Besprechungen, die ihr mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund gehabt habt, nicht gebunden. Das ist richtig; die SPD-Fraktion ist souverän und kann darüber entscheiden. Ich wollte nur damit deutlich machen, daß manchmal wirklich die Gegensätze hier schärfer aufgezeigt werden, als sie in Wirklichkeit sind.
Wir haben uns weithin bemüht, Ihnen entgegenzukommen. Bitte, Sie mögen aus den Verhandlungen der letzten Tage zu einer anderen Schlußfolgerung gekommen sein; aber wir verhandeln ja über dieses Gesetz seit zwei Jahren, und in diesen zwei Jahren haben wir in wesentlichen Punkten Entgegenkommen bewiesen.
Sie müssen uns aber gestatten, daß wir dort hart bleiben, wo wir Ihnen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zustimmen können. Ich will Ihnen einen Kardinalpunkt herausstellen: Wir sind nun einmal der Meinung, daß das Mitbestimmungsrecht auf der betrieblichen Ebene von den Kräften des Betriebs getragen werden muß;
da stehen wir in einem Gegensatz zu Ihnen. Wir sind der Meinung, daß, soweit es sich um das Mitbestimmungsrecht auf der betrieblichen Ebene handelt, die Organisationen der Arbeiter und der Unternehmer lediglich eine Beratungsfunktion haben, weil wir meinen, daß diese Dinge von den am Betrieb Beteiligten getragen werden müssen.
Lassen Sie mich einiges sagen, um Ihnen deutlich zu machen, daß der Vorwurf: „Schlechter als die Ländergesetze" nicht berechtigt ist. Eine Bemerkung zunächst, die als Antwort auf eine Äußerung des Kollegen Richter in der zweiten Lesung zu werten ist. Ich habe in der zweiten Lesung darauf hingewiesen, daß die Ländergesetze allgemein das Alter für das aktive Wahlrecht auf 18 Jahre festgelegt haben. Herr Kollege Richter hat dem widersprochen. Er sagte, das stimme nicht. Ich habe es noch einmal überprüft. In sieben Gesetzen ist das Wahlalter. auf 18 Jahre festgelegt. Lediglich in der Wahlordnung von Württemberg-Baden, die noch vom Länderrat festgelegt worden ist, ich möchte einmal sagen: nicht den anderen Gesetzen gleichwertig ist, ist man zu einer anderen Regelung gekommen.
Ich darf darauf hinweisen, daß zum umstrittenen Problem der Verhältniswahl Vorbilder im Betriebsrätegesetz von 1920 gegeben sind und daß man mit dem neuen Gesetz in Bayern gute Erfahrungen gemacht hat, und zwar gute Erfahrungen deshalb, weil jetzt auch die Möglichkeit gegeben ist, daß auch Minderheiten bei der Wahl zum Betriebsrat zum Zuge kommen können.
Ich darf nachholen, daß wir beispielsweise in bezug auf das Alter für das passive Wahlrecht den Wünschen wesentlich entgegen gekommen sind und daß wir im Gegensatz zum Betriebsrätegesetz von 1920, im Gegensatz zum Hessischen Betriebsrätegesetz und zum Gesetz in Württemberg-Hohenzollern nun das Alter für das passive Wahlrecht auf 21 statt auf 24 Jahre festgelegt haben.
Ich möchte nicht im einzelnen auf das Problem Personalvertretungsgesetz eingehen. Wir werden nach den Parlamentsferien die erste Lesung des Personalvertretungsgesetzes haben und uns dann auch über die Frage hier unterhalten müssen, was denn eigentlich auf der Länderebene auf diesem Gebiet vorliegt. Dabei werden Sie dann feststellen, daß auch die Regelungen auf der Länderebene, die diese Materie betreffen, reichlich unvollkommen sind.
Zum personellen Mitbestimmungsrecht darf ich sagen, daß ja die Tatsache, daß wir im vorigen Jahr ein Kündigungsschutzgesetz geschaffen haben, das in keinem Industriestaat seinesgleichen findet, uns die Möglichkeit gab, nun auf die Regelung dieses Problems im Betriebsverfassungsgesetz zu verzichten. Es bestand keine Veranlassung, diese Materie an zwei Stellen zu regeln. Ich bin auch der Meinung, daß die Formel, die die SPD vorgetragen hat, nicht tragbar ist, die besagt, daß ein Verstoß gegen die wohlverstandenen Interessen der Betriebe und Belegschaften nun hier die Handhabe geben müßte, um auch über das individuelle Recht, gegen die Kündigung Einspruch zu erheben, hinaus noch Rechte der Belegschaft zu statuieren. Ich bin der Meinung, daß das falsch ist, denn all die Tatbestände, die nun zur Begründung angeführt werden, werden ja dadurch getroffen, daß solche Kündigungen immer wieder sozialwidrig sein werden, also durch das Kündigungsschutzgesetz angegriffen werden können und die Möglichkeit zu einem Einspruch geben.
Ich darf noch sagen, daß das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht, wie es in diesem Gesetz enthalten ist, auch wirklich ohne Vorbild in irgendeinem anderen Lande ist. Es ist falsch, wenn man uns hier vorwirft, wir wären gegenüber den Vorlagen zurückgewichen. Ich bitte Sie ernstlich, prüfen Sie die Vorlage der SPD, dann werden Sie sehen, daß wir uns doch immerhin ,bemüht haben, hier Regelungen zu finden, die einen echten Fortschritt bedeuten.
Von meinem Kollegen Dr. Wellhausen ist darauf hingewiesen worden, daß bezüglich des Mitbestimmungsrecht in sozialen Fragen keine Meinungsverschiedenheiten bestanden haben. Niemand wird bestreiten können, daß wir noch in der letzten Zeit gerade in dieser Beziehung einige wesentliche Verbesserungen angebracht und inzwischen auch in zweiter Lesung angenommen haben.
Und nun noch das Problem der Beteiligung der Arbeiter an den Aufsichtsräten. Ja, meine Damen und Herren, wie ist da die Situation in den Länder-
gesetzen? Zum Teil haben wir lediglich die Zuziehung von beratenden Mitgliedern. Ich komme aus Hessen. Dort haben wir die Möglichkeit, zwei Arbeitnehmervertreter als beratende Mitglieder in den Aufsichtsrat zu schicken; also ein Entscheidungsrecht haben sie nicht. Nun wollen wir den Aufsichtsrat zu einem Drittel mit Arbeitnehmern besetzen, die diesem Aufsichtsorgan als vollberechtigte Mitglieder angehören. Die Regelungen in anderen Ländern liegen ähnlich. Sie sind untereinander verschieden. Generell kann man sagen: entweder war keine Regelung dieser Frage vorhanden oder sie war wesentlich geringwertiger. Das sollte man nicht übersehen.
Ich möchte auch kurz zu der Frage Stellung nehmen, die von dem Herrn Kollegen Ollenhauer heute angeschnitten worden ist: Haben die Gewerkschaften oder Organisationen im allgemeinen das Recht zu solchen Aktionen, wie wir sie in-den letzten Wochen erlebt haben? Ich möchte dazu folgendes sagen. Zweifellos muß das Parlament ein offenes Ohr für die Wünsche der einzelnen Gruppen haben. Wir haben uns doch weithin bemüht, die Wünsche der verschiedensten Gruppen, der Arbeitnehmer und der Unternehmer in allen ihren Einzelorganisationen kennenzulernen und auf ihren wirklichen Gehalt und ihre Durchsetzbarkeit zu überprüfen. Das muß festgestellt werden. Auch ich bin mir darüber im klaren, daß es schwer ist. die Grenze der Beeinflussungsmöglichkeit eines Parlaments festzustellen. Aber ich habe doch den Eindruck, daß hier diese Grenze wesentlich überschritten worden ist. Ich darf Sie einmal auf eine Äußerung hinweisen, die vor wenigen Wochen der sozialistische österreichische Bundespräsident Körner getan hat. Er sagte nach einer dpa-Meldung am 9. Mai:
Parlament und Parlamentarier sollten stets bereit sein, widerstreitende Meinungen Außenstehender anzuhören und sich von Sachverständigen beraten zu lassen. Die Entscheidung aber und die eigentliche gesetzgeberische Arbeit darf sich das Parlament weder von einer politischen oder wirtschaftlichen Körperschaft noch von einem Gremium einzelner Stände, Berufe oder Schichten aus der Hand nehmen lassen.
Ich habe dieser Erklärung nichts hinzuzufügen. Ich glaube, sie trifft den Nagel auf den Kopf.
Eine kurze Schlußbemerkung. Das Gesetz ist ein Kompromiß. Kollege Wellhausen hat das deutlich gemacht. Es kann nichts anderes sein als ein Kompromiß. Ich gestehe ohne weiteres zu: es bleiben manche Wünsche offen. Ich sage Ihnen ehrlich: auch manche persönlichen Wünsche von mir, aber auch Wünsche von vielen meiner Freunde sind offengeblieben. Das ist die Situation. Wir können die Wünsche aller Gruppen nicht restlos erfüllen, sondern müssen uns ehrlich um einen Ausgleich bemühen. Ich möchte sagen. daß wir hier eine Form gefunden haben. die dem einzelnen wohl nicht alles, aber das Mögliche gibt.