Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es sehr gut und sehr richtig und sehr notwendig gewesen ist, daß der Kollege Ollenhauer sich der Mühe unterzogen hat, das, was das Thema des heutigen Tages ist, in einen größeren, allgemeinen, politischen Zusammenhang zu stellen. Wir teilen in vielen Punkten durchaus seine Auffassung von der grundsätzlichen Wichtigkeit der Entscheidung, die heute hier zu treffen ist. Sie werden uns nicht verübeln, daß wir trotz mancher Übereinstimmung im Grundsätzlichen doch vieles etwas anders sehen. Ich werde mich bemühen, das in aller Kürze darzustellen.
Sehen Sie, es gehen jetzt etwa drei Jahre Gesetzgebungsarbeit des Deutschen Bundestages zu Ende, etwa in diesen Tagen, gerade vor den Ferien. Meine Freunde und ich sind zutiefst von der Überzeugung durchdrungen, daß es notwendig ist, diesen ersten großen Dreijahresabschnitt unserer Gesetzgebungsarbeit
mit einem Gesetz zu krönen — möchte ich geradezu sagen —,
das von einer tiefgreifenden sozialpolitischen und ebenso großen allgemein-politischen Bedeutung ist. Wenn Sie, Herr Kollege Ollenhauer, in diesen Zusammenhang, wie ich glaube, ganz richtigerweise auch das Lastenausgleichsgesetz einbezogen haben, so sehen wir in dem Aufeinanderfolgen zweier so großer, wichtiger und einschneidender Gesetze geradezu einen symbolischen Akt. Wir sind mit Ihnen, wenn auch in anderer Wertung, der Auffassung, daß hier ein Markstein sozialpolitischer und allgemein-politischer Entwicklung gelegt wird.
Sie haben gerügt, daß wir in der zweiten Lesung viel geschwiegen haben. Sie werden uns heute weniger schweigsam als in der zweiten Lesung finden. Aber wir schmeicheln uns nicht, daß es heute möglich sein würde, das, was in mehr als zweijähriger Ausschußarbeit in vielen Dutzenden von Sitzungen diskutiert und behandelt worden ist, nun noch einmal in allen Einzelheiten in das öffentliche Bewußtsein zurückzubringen. Dieses Gesetz ist viel zu umfassend, es ist viel zu kompliziert und detailliert, als daß es möglich wäre, das noch einmal zu tun, was Sie in der zweiten Lesung versucht haben. Herr Kollege Richter, den wir als einen intensiven und zähen Arbeiter sehr schätzen, hat in der Fülle von Änderungsanträgen, die gestellt worden sind, eigentlich noch einmal den ganzen, Strauß von Änderungsanträgen zusammengefaßt, der in zwei Jahren behandelt worden ist,
— im Grunde ein Unterfangen, das schon rein technisch an den gegebenen Notwendigkeiten scheitern mußte. Soviel ich selber von theoretischer Bemühung halte und so wichtig sicherlich die Diskussion, auch die theoretische Diskussion von Grundsätzen, ist, glaube ich doch, daß hier ein Gesetz vorliegt, bei dem allein die praktische Bewährung den Ausschlag wird geben können. Ich glaube aber
— und das ist etwas, was ich in den letzten Wochen der „Demonstrationen" als sehr schmerzlich empfunden habe —, daß eine Voraussetzung für eine vertiefte Diskussion einmal die sein würde, daß die breiten Massen, die dieses Gesetz in allererster Linie angeht, auch tatsächlich einen Text davon in den Händen hätten und nicht nur einer Fülle von Parolen folgen müßten, die sie auf ihren Gehalt ja in, keiner Weise kontrollieren können.
Meine Damen und Herren, ich habe in Versammlungen der letzten Zeit sehr oft den Vorschlag gemacht, wie folgt zu verfahren: der Deutsche Gewerkschaftsbund könnte sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er bereit wäre, das Gesetz von 1920 und daneben das Gesetz, das wir hoffentlich heute verabschieden werden, abzudrucken
und dieses Gesetz mit einem doppelten Kommentar zu versehen. Ich würde als die eine Kommentatorseite jemanden aus Ihren Reihen empfehlen — Sie können dafür nehmen, wen Sie wollen —, Sie müssen uns nur erlauben, daß wir unsererseits den anderen Kommentar schreiben würden, — bitte, mit der gleichen Zeilenlänge, von gleichem Umfang und unverändert abgedruckt. Ich glaube, auf dieser Basis würde sich in der Arbeiterschaft eine wesentlich bessere und vertieftere Diskussion dieses Problems ermöglichen lassen.
Nun noch wenige Worte zu dem, was Sie über die Methoden der zweiten Lesung gesagt haben, Herr Kollege O 11 e n h a u e r. Wir stehen dicht vor dem Ferienabschied, vor den Ferien, nach. denen wir uns hoffentlich alle gut erholt hier wieder einfinden werden, und deswegen möchte ich das in aller Freundlichkeit tun. Aber wenn Sie meinen, daß wir dabei seien, eine „robuste Ausnutzung vorübergehender Macht" vorzunehmen, dann möchte ich Ihnen dazu doch einmal eins sagen: Über das Thema des Vorübergehens dieser Macht wolle wir uns nicht streiten. Das ist eine Entscheidung, die wir getrost dem deutschen Volk überlassen.
Aber zu dem anderen Punkt möchte ich doch etwas sagen. Was die robuste Ausnutzung einer Machtposition angeht, — nun ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, meine Freunde und ich werden noch sehr viel von Ihnen zu lernen haben, was die robuste Ausnutzung politischer Macht angeht.
Sie haben die Freundlichkeit gehabt, Herr Kollege Ollenhauer, meine Ausführungen in der Sitzung am 27. Juli 1950 - also vor beinahe zwei Jahren — zu zitieren. Ich will Ihnen darauf ant-
worten: Das ist heute Wort für Wort und Satz für Satz ebenso richtig wie damals,
und ich stehe zu diesen Ausführungen von damals und zu jedem Wort, was ich in der damaligen Debatte gesagt habe, heute noch völlig unverändert. Sehen Sie, wir haben damals gesagt — und Sie können das in unserer Begründung nachlesen —, daß dieses Gesetz folgenden Zweck haben soll: Die Lösung muß dem Arbeitsfrieden und der Zusammenarbeit der Sozialpartner dienen und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft im allgemeinen Interesse steigern. Das ist eine Formulierung, auf deren Boden Sie sicher heute wie damals zu treten bereit sind. Ich bin seit jenen Tagen, in denen wir zuerst im engeren Kreis, dann in der Fraktion und schließlich in der Regierungskoalition diese Dinge diskutiert haben, immer von der Hoffnung beseelt gewesen, daß dieses Gesetz in diesem Hause eine Mehrheit finden möge, die so breit wie nur irgend möglich ist. Sie werden nicht bestreiten können, daß wir uns in den Ausschüssen, daß wir uns in allen Verhandlungen bis in die letzten Minuten des vergangenen Montags hinein um eine solche Lösung bemüht haben. Wenn heute unsere Hoffnung darauf, daß die Mehrheit hier im Hause eine ganz breite werden möge, auch nur noch schwach sein mag, so vertrauen wir aber doch auf eins, und darauf vertrauen wir in der Tat sehr entschieden, daß nämlich die Zustimmung draußen — vielleicht nicht morgen, aber übermorgen, Herr Kollege Ollenhauer — eine absolut positive und eine sehr, sehr breite sein wird.
Wenn wir heute dieses Gesetz zum Abschluß bringen, so sind wir uns völlig klar darüber, daß damit erst ein Kapitel behandelt ist. Wir sind uns völlig klar darüber, daß der große Sektor des öffentlichen Dienstes nachfolgen muß, und Sie wissen aus vielen Ausführungen, die wir teils in diesem Hause, teils außerhalb dieses Hauses gemacht haben, daß unsere Absicht ist, auch den öffentlichen Dienst in der weitest vertretbaren Art diesem Gesetz entsprechend zu behandeln. Aber in der Frage des wesentlich größeren und entscheidenderen Ringens, die Sie auch gerade angesprochen haben, der Frage einer außerbetrieblichen Mitbestimmung, Herr Kollege Ollenhauer, glaube ich, daß wir es dabei nicht als einen sehr verheißungsvollen Auftakt buchen können, wenn Sie meinen, daß die Theorie der Wirtschaftsdemokratie, wie sie etwas verstaubt in den Kisten der zwanziger Jahre gelegen hat, heute wieder voll aufgezäumt werden könnte.
Wir sind in vielem der politischen Entwicklung weit über solche Auffassungen hinausgekommen, die auch damals selbst in Ihren eigenen Reihen keine breite Unterstützung gefunden haben. Ich empfehle allen hier im Hause, zur Vorbereitung auf dieses kommende große Ringen um dieses große Thema doch das nachzulesen, was Professor Böhm vor wenigen Wochen in seiner großen Arbeit zu dieser Frage ausgeführt hat, damit wir endlich einmal 'zu einer modernen theoretischen Betrachtung dieses Problems kommen. Meine Damen und 'Herren, ich bin mir völlig klar, daß wir in unserer gesamten Politik, auf etwas längere Sicht gesehen, mit 'der Zusammenarbeit aller stehen oder fallen werden. Deswegen werde ich nicht ablassen in dem Bemühen — und etwas davon hat ja gerade der Herr Bundesarbeitsminister seinerseits angesprochen —, tatsächlich alle verantwortlichen Kräfte zu einem Höchstmaß von Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu führen. Ich wiederhole im Namen meiner Freunde die Anregung an die Bundesregierung, von sich aus wenigstens vorläufig einen nationalen Wirtschafts- und Sozialrat zu schaffen und einzuberufen, um damit auch eine Demonstration des guten Willens zur Zusammenarbeit mit allen zu geben, die 'zu dieser Zusammenarbeit bereit sind.
Meine Damen und Herren, ich möchte die heutige dritte Beratung nicht vorübergehen lassen, ohne hier ganz nachdrücklich im Namen meiner Freunde einem Dank Ausdruck zu geben, der mir schuldig zu sein scheint, nämlich einem Dank an den Kollegen Sabel,
der diese schwierigen Ausschußarbeiten zwei Jahre lang geführt hat. Er, ein Mann aus der Arbeiterschaft, ist wie kein anderer, glaube ich, berufen gewesen, hier der geborene Vermittler zwischen den verschiedenen Auffassungen zu sein, und ich bin der Überzeugung, daß er dabei eine sehr bewundernswerte Leistung vollbracht hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: hier geht es nicht um ein politisches Geschäft innerhalb der Regierungskoalition.
Dieser Gedanke mag in den Hirnen irgendwelcher Menschen entstehen können, die krampfhaft nach ' der ausgefallensten Erklärung suchen müssen. Sehen 'Sie, das, was wir heute hier sagen, das, was wir in den Ausschüssen gesagt haben, das, was wir in den Verhandlungen mit den Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesagt haben, das sagen wir seit zwei Jahren mehr oder weniger unverändert, jedenfalls in der Substanz unverändert.
Wir sind der Überzeugung, daß das, was wir heute versuchen, eines der kühnsten sozialen Experimente in der ganzen Welt ist,
und ich warte auf denjenigen, der mir nachweisen wird, daß es in Europa oder außerhalb Europas ein Gesetz gibt, das über das hinausgeht, was hier in Deutschland der Arbeiterschaft durch dieses Gesetz an Rechten neu errungen wird.
Meine Damen und Herren, wir werden der Erörterung dieses Problems hier im Hause und weiter draußen in voller Ruhe entgegensehen, und ich will Ihnen sagen, aus welchem Grunde. Wir vertrauen dabei auf den Arbeiter wie auf den Unternehmer, und ich bin der Überzeugug, daß sie beide, wenn sie so zusammenarbeiten, wie es unserer Vorstellung entspricht, dieses Gesetz, in die deutsche Wirklichkeit umgesetzt, 'zu einem vollen Erfolg werden lassen.