Meine Herren und Damen! Frau Kollegin Rehling hatte die Freundlichkeit, vornehmlich mich in ihrer Rede zu erwähnen. Ich habe es eigentlich nicht nötig, für meine Versammlungen und die der Notgemeinschaft
die Empfehlung des Bundestags durch Frau Rehling zu bekommen; denn die Versammlungsteilnehmer kommen auch ohne diese Empfehlung dorthin.
Mir scheint es aber doch notwendig zu sein, zu den Ausführungen von Frau Rehling, die mir nun aus dem Stenogramm vorliegen, einige Dinge richtigzustellen. Das, was ich in meinen Versammlungen draußen sage, sage ich auch hier im Bundestag. Ich glaube, ich habe es gar nicht nötig, über diese meine politische Linie, der ja von Ihnen sehr oft widersprochen worden ist, noch etwas auszuführen. Es hat sich aber wohl aus der politischen Entwicklung erwiesen, daß so manches sich als richtiger gezeigt hat als dasjenige, was vor einem
halben Jahre hier noch von ihrer Seite gesprochen worden ist.
Von Frau Rehling ist eine Versammlung erwähnt worden, die hier in Bonn am Himmelfahrtstag stattgefunden hat. Ich möchte einmal in aller Öffentlichkeit feststellen, daß auf dieser Versammlung nur christliche Frauen gesprochen haben, unter anderen die Vikarin Küppers, die ja Frau Rehling näher bekannt sein müßte als mir. Frau Thiele ist nicht unter den Rednern gewesen; ich weiß nicht einmal, ob Frau Thiele dort gewesen ist.
Es ist doch einmal zu sagen, daß man hier nicht einfach lose Behauptungen aufstellen kann, die nicht zu beweisen sind.
Es wird dann davon gesprochen, ich oder andere Leute der Notgemeinschaft wären ,,kommunistisch ferngesteuert". Meine Herren und Damen. Herr Dr. Heinemann und ich haben es sich jetzt vorgenommen — und wir haben es ,bereits getan -
jeder dieser Bemerkungen auch gerichtlich nachzugehen. Da läßt sich immer feststellen, daß man dann nicht zu seinem Worte steht und daß man es ganz anders gemeint hat.
Ich möchte nur wünschen und ich fordere auch die Mitglieder dieses Bundestags, die solche Bemerkungen machen, auf, dies in einer öffentlichen Versammlung und nicht im Schutz der Immunität dieses Hauses zu tun, damit sie den Beweis erbringen müssen.
- Ich rege mich gar nicht auf, Herr Kollege; aber
diese Methoden, die Sie sich zu erlauben belieben,
scheinen mir alles andere als anständig zu sein! —
Es ließe sich ja dann durchaus nachweisen, inwieweit wir „ferngesteuert" sind, und ich möchte sehr gern einen solchen Termin einmal erleben, damit Sie auch für diese Behauptungen, die Sie so leichtfertig ausstreuen, den Beweis antreten müssen. Es gibt auch für Sie ein achtes Gebot: Man soll nicht ein falsches Zeugnis ablegen!
Das gilt auch für uns in diesem Hause.
Aber ich möchte mich jetzt noch einmal zu einigen anderen Bemerkungen äußern. Es ist gesagt worden, daß im Grunde genommen die Frauen ja ganz anders denken als diejenigen, die davon sprechen, daß es zu einer Verständigung und zum Frieden kommen muß. Meine Damen und Herren, das Wort „Frieden" — das gebe ich Ihnen zu — ist sehr viel mißbraucht worden. Aber immerhin ist es doch ganz interessant, daß nach der letzten Untersuchung des EMNID-Instituts in Bielefeld — ich habe die Zahl nicht ganz genau in Erinnerung, aber doch ungefähr — weniger als 20 % der befragten Frauen sich noch im Mai 1952 für eine Wiederaufrüstung ausgesprochen haben. Dazu braucht man keine kommunistisch ferngesteuerten Versammlungen abzuhalten, um zu wissen, wie die tatsächliche Meinung draußen im Volk ist.
Frau Rehling hat mir empfohlen, doch auch einmal in der Ostzone zu sprechen. Meine Damen und Herren, wir hätten vielleicht alle die Verantwortung, gerade den Menschen in der Ostzone in ihrer gegenwärtigen Situation ein Wort zu sagen, und ich möchte hier an Ausführungen von Karl Barth erinnern, der ja Frau Rehling nähersteht als mir. Er hat davon gesprochen, daß gerade in einer Zeit, in der die Menschen in der Ostzone im Kollektiv und im Fernsein von Gott stehen, die Kirchen und die Menschen, die sich zu ihm bekennen, eine ganz besondere Aufgabe zu erfüllen haben. Aber stellen Sie sich doch einmal vor, ich würde eine Versammlung in der Ostzone abhalten. Dann wäre ich schon „hundertfünfzigprozentig kommunistisch"!
Das ist ja die Methode heute bei uns, daß man von vornherein etwas unterstellt, was aus ganz anderen Motiven hervorgeht. Ich habe am vergangenen Sonntag immerhin in West-Berlin eine Rede gehalten und habe dort das ausgesprochen, was in der gegenwärtigen Zeit auszusprechen notwendig ist. Ich werde mir erlauben, nicht nur Frau Rehling, sondern auch den anderen Kollegen und Kolleginnen dieses Hauses diese Rede demnächst im Wortlaut vorzulegen, und dann können Sie ja einmal selbst feststellen, wieweit ich in Wirklichkeit „kommunistisch ferngesteuert" bin.
- Das ist ja die Methode, Frau Rehling!
Das kennen wir ja aus Ihren Versammlungen, aus denen berichtet worden ist.
Man sagt das nicht, aber die Zuhörer müssen den
Eindruck haben, daß die Angegriffenen es wären.
Das bewegt sich immer so an der Grenze dessen, daß die Zuhörer annehmen können, es wäre doch der Fall.
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht mehr die Möglichkeit haben können, auch andere Auffassungen von der Politik des Herrn Bundeskanzlers zu haben, ist es schlimm um die Demokratie bestellt. Herr Kollege Dr. Friedensburg, der in der Versammlung am Sonntag in Berlin anwesend war, wird kein Wort gefunden haben — und Sie werden es in meiner Rede auch nicht finden können —, mit dem ich polemisch irgendwie gegen diese Politik etwas gesagt oder dem Herrn Bundeskanzler Motive unterschoben hätte, die vielleicht im Jargon der Ostzone beliebt sind. Aber man kann doch dieser Politik gegenüber auch noch eine andere Auffassung haben, nämlich die, daß ich daran glaube, daß mit Machtpolitik diese Welt nicht wieder in Ordnung zu bringen ist,
sondern daß gerade die Menschen, die vom christlichen Standpunkt aus diese Welt in Ordnung bringen wollen,
die Persönlichkeit des Menschen und den Glauben an den Geist und seine Wirkung höher einschätzen sollten als Atombomben und Panzer.
Es muß doch möglich sein, auch gegenüber der Auffassung, von der aus jetzt die Integration Europas vorgenommen wird und von der ich persönlich der Überzeugung bin, daß die vorliegenden Verträge uns in eine falsche Sicherheit bringen — ich möchte da nur an die Ausführungen erinnern, die noch in diesen Tagen von dem Expräsidenten Hoover in Amerika gemacht worden sind —, gerade den Menschen, die einen andern Standpunkt vertreten, Gelegenheit zu geben, die Frage aufzuwerfen, wieweit denn diese Verträge wirklich eine echte Integration Europas vornehmen. Ich glaube, gerade von dem Menschen, dem es darauf ankommt, ein echtes, freies und vom Persönlichkeitswert getragenes Europa zu schaffen, der sich als Ziel auch die Neuordnung der Gesellschaft und der sozialen Frage gestellt hat, der ein Europa will, das seine politische Einigung als das Entscheidende im Kampfe gegen den Kommunismus sieht, kann man nicht einfach behaupten, daß er damit die Geschäfte der Kommunisten besorge. Das ist doch wohl das Entscheidende, worin wir uns alle begegnen sollten: auch von der Politik anders denkender Menschen immer anzunehmen, daß sie aus dem gemeinsamen deutschen Willen gestaltet wird.
Ich kann, weil ich nicht so viel Zeit zur Verfügung habe, nicht im einzelnen auf die Frage eingehen, weshalb man seine Einwendungen zu den Verträgen haben kann. Ich möchte aber mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur drei ausländische Stimmen erwähnen, die in der „Rhein-Zeitung" am 30. Mai 1952 gestanden haben. Da schrieb die englische Zeitung „Daily Mail", die immerhin unabhängig-konservativ ist:
Weil der Bonner Vertrag unsere schönsten Hoffnungen vernichtet, ist er eine schlechte Lösung. Es liegt in der Natur der Dinge, daß dieses Abkommen nicht von Dauer sein kann. Die internationalen Spannungen wird es weder lockern noch lösen.
Und die Schweizer Zeitung „Die Tat", die man als ein liberales Blatt bezeichnet, schrieb unter Anspielung auf ein Schauspiel von Ibsen unter der Überschrift „Gespenstersonate":
Das Wort drängt sich wieder und wieder auf, wenn man beobachtet, wie die Staatsmänner des heutigen Rumpfeuropa mit den unsichtbaren Kräften ringen, die sich ungeladen mit ihnen zu Tisch gesetzt haben, wie unter ihren eigenen durchsichtigen Überwürfen die nationalen alten Farben durchschlagen. Selbst die Federn, mit denen die Bonner Konvention unterschrieben wurde, drückten es aus, daß keine einheitliche Konzeption hinter dem begonnenen Werk steht.
Als letzte die französische Zeitung „Le Monde": Mit dem heutigen Tag beschreiten wir einen gefährlichen Weg. Die Wiederbewaffnung Deutschlands im Rahmen der Europa-Armee stellt zweifellos nicht die beste Lösung dar. Es ist Sache der Diplomaten, herauszufinden, ob sich die beiden Lager über das künftige Schicksal Deutschlands — mit oder ohne Armee — einigen können, bevor sich der Rhythmus der gegenseitigen Überbietungen immer mehr beschleunigt.
Meine Redezeit ist zu Ende. Auch ich möchte wie Frau Rehling mit einem historischen Zitat schließen, und zwar mit dem von Schiller über die Möglichkeiten einer früheren Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. Er schrieb:
Der große Zeitpunkt fand nur mittelmäßige Geister auf der Bühne.
Ungenutzt blieb der entscheidende Moment, weil es den Mächtigen an Einsicht und den Mutigen an Macht fehlte.