Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der liebenswürdigen Ansprache des Kollegen Euler werden wir demnächst in der deutschen politischen Öffentlichkeit noch einiges erleben. Ich kann dem, Kollegen Euler nur sagen: die Sozialdemokratische Partei ist es gewöhnt, von Ihnen und einem Teil — Gott sei Dank nur einem Teil! — Ihrer Freunde in einer Sprache behandelt zu werden, die uns nur aus der Erinnerung an das Dritte Reich geläufig ist!
Ich möchte zu Ihnen über dieses Thema nur sprechen, wenn auch Sie sonst im übrigen nicht den Versuch unternehmen, die demokratische Zuverlässigkeit der Sozialdemokratischen Partei in Zweifel zu ziehen. Wenn das klargestellt ist, reden wir weiter!
Jetzt zu den Äußerungen des Kollegen Euler.
— Hier steht heute auf der Tagesordnung die erste Lesung des Vertrages der Bundesregierung — —
— Das ist das Thema; das haben Sie zu verteidigen, und wehren Sie sich nicht, daß die Verträge hier auf der Anklagebank sitzen.
— Auf der Tagesordnung steht ein Vertrag, der
hier zu beraten und von Ihnen zu verteidigen ist!
— Kollege Strauß, wenn Sie auf den Kollegen Euler dahin eingewirkt hätten, daß er die Sprache führt, die in den letzten beiden Tagen erfreulicherweise von allen anderen gesprochen worden ist, dann hätte es diesen Zwischenfall nicht gegeben! Das brauche ich Ihnen doch nicht zu sagen.
Nun, wenn nach der Meinung des Kollegen Euler feststeht, daß nicht nur die Bundesrepublik, sondern bei der Entwicklung, die er sich vorstellt, künftig auch die jetzige sowjetische Besatzungszone Soldaten in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft stellt, wenn das feststeht — und das ist ungefähr der Sinn seiner politischen Konzeption -, dann können Sie mir vielleicht verraten, ob die Russen vor dieser Konzeption jetzt einfach mir nichts dir nichts in die Knie gehen und sagen werden: Bitte schön, außer dem Portemonnaie, außer der sowjetischen Besatzungszone, liefern wir euch auch noch das Leben obendrein. — Ich meine, es ist wirklich eine sehr irreale Konzeption, etwa davon auszugehen, daß das eine Bedingung sei, unter der überhaupt eine ernsthafe Konferenz zustande kommen kann, auf der die Deutschlandfrage nun einmal wirklich auf friedliche Weise nur mit der vierten Besatzungsmacht verhandelt werden kann. Denn sonst, eben wenn wir nicht eine solche Konferenz wollen, wird die Deutschlandfrage mit Gewalt gelöst. Das ist keine Konzeption, auf Grund deren eine derartige Konferenz überhaupt möglich ist. Man kann nicht mit einem Eisenbahnzug gleichzeitig auf verschiedenen Gleisen in verschiedener Richtung fahren, und das ist genau das, was Sie jetzt hier zu unternehmen versuchen.
Sie wünschen: sowohl daß die Verträge ratifiziert werden, als auch — wie Sie sagen — daß trotzdem noch auf einer Viererkonferenz über eine friedliche Lösung der Deutschlandfrage verhandelt wird — wobei Sie genau wissen, daß der Gegenstand dieser Verhandlungen weitgehend vorweggenommen wird durch das System der Verträge, das wir heute diskutieren.
— Nein, das ist keine Fiktion; Sie müssen sich die Reden Ihrer eigenen Freunde sehr genau anhören. Sie müssen sich durchlesen, was in Art. 2 des Vertrages steht. Das Ziel der Vertragspartner ist völlig klar. Sie haben es im Vertrag ausdrücklich festgelegt, daß sich die Bundesrepublik als ihr
politisches Ziel gemeinsam mit den Westmächten die Integrierung ganz Deutschlands in diejenige europäische Gemeinschaft setzt, zu der ausdrücklich auch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gehört.
Das ist das erklärte Ziel der Vertragspartner, und mit diesem Ziel vor Augen ist also eine echte Viererkonferenz nicht möglich.
Wie sieht es denn heute aus? Ist die Frage, die wir heute zu diskutieren haben, wirklich so gestellt, als ob es sich darum handelte, daß wir abzurüsten beginnen, um dann nackt und bloß den Russen gegenüberzustehen? Das ist doch gar nicht die weltpolitische Frage, vor der Deutschland heute steht, sondern die Frage ist genau umgekehrt, ob in einer Situation eines relativen Gleichgewichts der großen militärischen Blöcke in der Welt
die Deutschen von sich aus einen Beitrag dazu leisten sollen, daß die Rüstungsschraube in schnellere Umdrehung versetzt wird, ob sie einen Beitrag dazu leisten sollen, daß Öl ins Feuer gegossen wird,
statt den Versuch zu unternehmen, an einer Stelle die Kette des Verhängnisses zu durchbrechen, statt den Versuch zu unternehmen, an einer Stelle, nämlich bei der Lösung der deutschen Frage, einen Beitrag zur Entspannung der internationalen Situation zu leisten, statt die internationale Situation weiterhin zu verschärfen.
Man diskutiert mit unseren amerikanischen Freunden — ich sage bewußt „Freunden" — auch das Schicksal Europas. Niemand in diesem Saale ist davon überzeugt, daß dieses Europa nun auf ewige Zeiten nur mit amerikanischen Almosen und mit amerikanischer militärischer und wirtschaftlicher Hilfe erhalten bleiben könne. Es kommt darauf an, in der konkreten Wirklichkeit von heute auch unseren amerikanischen Freunden klarzumachen, welch großer Beitrag für die Erweiterung der Freiheit in der Welt es wäre, wenn es gelänge, durch eine Verständigung in der deutschen Frage die Grenzen der Freiheit doch zunächst einmal von Lübeck bis — sagen wir einmal — nahe Stettin vorzurücken. Die Weltkarte hätte ein anderes Gesicht. Es kommt darauf an zu prüfen, was unter diesen Umständen wirklich ein angemessener Preis für diese Veränderung der Weltlage zugunsten der freien Kräfte in der Welt wäre und ob es wirklich nun der Weisheit letzter Schluß wäre, daß man sich diesen Weg verbaut, indem man meint, wir kauften auf lange Sicht mit 12 deutschen Divisionen ein größeres Ausmaß an Freiheit ein. Es ist im Gegenteil nahezu offensichtlich, daß die deutschen Divisionen den Schutz der Bundesrepublik vielleicht im Verein mit den anderen ermöglichen können, daß sie aber nicht die Tür aufhalten für eine in absehbarer Zeit zu erreichende Befreiung von 18 Millionen Deutschen, deren Schicksal uns doch allen, Ihnen wie uns, am Herzen liegt.
Ich möchte Ihnen sagen, daß das ganze Gerede über die Neutralisierung, wo es hier nur um die militärischen und doch nicht um die politischen, ökonomischen und sozialen Aspekte der Zusammenarbeit der freien Völker geht — nur um das Militär und um nichts anderes —, doch in Wahrheit nur dazu dient, von der Tatsache abzulenken, die aus allen Ihren Erklärungen hier hindurchschimmert, daß Sie doch in Wirklichkeit die Viererkonferenz entweder gar nicht wollen oder sich von ihr so wenig versprechen, daß sie entschlossen sind, von Anfang an Bedingungen zu stellen, die sie zum Scheitern verurteilen müssen.
Es ist hier von der Analogie der zwanziger Jahre gesprochen worden. Diese Analogie ist grundfalsch. Es genügt, wenn wir daran erinnern, daß die Besatzung der zwanziger Jahre nicht die Regierungsgewalt in Deutschland ausgeübt hat. Es genügt, wenn wir daran erinnern, daß hier keine Eingriffe in die Gesetzgebungsgewalt des deutschen Parlaments und der deutschen Regierung möglich waren. Es genügt, daran zu erinnern, daß wir damals nach einem Friedensvertrag — und um einen Friedensvertrag — zu entscheiden hatten und daß uns damals niemand zugemutet hat, den Eintritt in ein bestimmtes System von Militärallianzen als Verständigungspolitik zu bezeichnen.
Das ist nämlich zweierlei. Man komme uns doch nicht mit der Behauptung, daß Verständigung mit unseren Nachbarn nur möglich ist — das ist wirklich eine sehr neue Erfindung der Politik —, wenn man sich mit ihnen in einer Armee zusammenschließt. Verständigungspolitik, Wettrüsten und Aufrüsten sind Gott sei Dank nicht synonym in der Weltgeschichte, auch für die Deutschen nicht. Sie haben andere Gründe, aber ich bitte, diese Gründe nicht immer mit der Verständigung zu maskieren. Erfreulicherweise können sich zwei Völker miteinander verständigen und auch miteinander zusammenarbeiten,
ohne daß sie zu diesem Zweck eine gemeinsame Militärallianz, ein System von Militärbündnissen eingehen müssen.
— Nach der Erklärung des Bundeskanzlers, die er uns gestern gegeben hat, ist die europäische Integration gerade nach seiner Meinung auf dem heikelsten Gebiet, nämlich auf dem militärischen Gebiet, zuerst in Angriff genommen worden.
Ich sage Ihnen ehrlich, daß es für die Sache Europas und für die Sache des echten Zusammenwachsens der europäischen Völker keine Förderung, sondern leider Gottes ein Verhängnis ist, wenn wir die europäische Sache in dieser Weise mit den Problemen der Rüstung belasten und Europa mit Rüstung gleichsetzen.
Warum sind die an den Verträgen beteiligten sechs europäischen Regierungen nicht mit dem gleichen Eifer — ich wiederhole noch einmal: mit mindestens dem gleichen Eifer —, den sie für die Schaffung der Verteidigungsgemeinschaft aufgebracht haben, daran gegangen, jene Vorschläge voranzutreiben, die — unter Förderung und Weiterausbau der Arbeiten des Europäischen Wirtschaftsrats in Paris, unter weiterem Ausbau des Instruments der Europäischen Zahlungsunion, unter Aufnahme der gerade auch von den Skandinaviern und von den Engländern im Europarat gemachten und dort gutgeheißenen Vorschläge — den Weg gewiesen haben, um nicht nur aus den sechs Ländern, sondern aus ganz Europa durch systematischen, Jahr für Jahr im vorhinein vertraglich festgelegten Abbau der Zollmauern zu einem einheitlichen, zusammenhängenden großen Wirtschafts- und Währungsgebiet zu gelangen? Das ist unsere europäische Einheit! Ich meine, sie läßt sich durchaus sehen neben dem Versuch, nun die Sechs lediglich zusammenzufassen und damit in der Praxis in diesem Euroaa, wie die letzten Erörterungen ja auch in verschiedenen Ausschüssen des Europarats gezeigt haben, neue Spannungen zwischen dem Kontinent und den doch wahrlich auch vom militärischen Gesichtspunkt und von der Sicherheit aus nicht zu verachtenden Freunden in England und in Skandinavien heraufzubeschwören.
— Der Schumanplan ist ebenfalls leider kein Plan, der wirklich imstande ist. einen einheitlichen Markt in dem Sinne zu schaffen, daß alle Verbraucher an ihm partizipieren. Durch das Herausbrechen von Teillösungen — so wie Sie es unternommen haben — kann man nicht zu einer Zusammenfassung des Ganzen kommen; denn ich kenne keinen Verbraucher, der mit Eisenbahnschienen oder mit Roheisenblöcken handelt. Woran die Verbraucherschaft, woran die ganze Wirtschaft wirklich interessiert ist,
das ist der Markt für die gesamte Wirtschaft und nicht ausschließlich für Kohle und Eisen. Aber wir führen keine Schumanplan-Debatte.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auf die Erörterung der großen Hoffnung beschränken, die Sie auf den Art. 38 des EVG-Vertrags setzen. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Diese Hoffnung ist sehr mager. Wozu verpflichten sich eigentlich die Regierungen und die Parlamente nach diesem Vertrag? Sie verpflichten sich — bitte, lesen Sie es sehr genau; der letzte Absatz ist der entscheidende —, nach einer bestimmten Zeit noch einmal eine Konferenz abzuhalten. Das ist alles, was eigentlich darin steht. Viel mehr ist doch in der Sache nicht präzisiert. Warum haben die Regierungen, wenn es ihnen darauf ankam, eine echte parlamentarische Kontrolle auch des künftigen Haushalts der Verteidigungsgemeinschaft und auch der wesentlichen Entschlüsse der Leitung der Verteidigungsgemeinschaft durchzusetzen, dann nicht an den Beginn ihrer Beratungen die Ausstattung der Versammlung dieser Gemeinschaft mit den entsprechenden parlamentarischen Befugnissen gesetzt?
— Darum geht es nicht!
— Nein, es geht genau darum, daß Sie, die den Vertrag gemacht haben, doch nicht daran gehindert worden sind, so weit zu gehen, wie Sie es für richtig hielten. Also wollten Sie die parlamentarische Kontrolle nicht! Sonst hätten Sie sie nicht weggelassen. Das ist doch die Frage. Wir haben doch den Vertrag nicht gemacht.
Und nun zu den Ausführungen des Kollegen Strauß. Ich habe ein ganzes Kapitel bei ihm vermißt. Ich nehme nicht an, daß das landsmannschaftliche Ursachen hat, verehrter Kollege Strauß. Aber immerhin, in allen Reden, die hier gehalten worden sind, mußte natürlich außer der Frage der rein militärischen Sicherung der Bundesrepublik doch — und fast alle Redner haben sich damit auseinandergesetzt — gestellt werden die Frage nach der Verknüpfung dieser Verträge mit der deutschen Einheit.
Zu diesem Thema haben Sie sich nicht geäußert. Sie haben selbst ausgeführt, daß ein unmittelbarer militärischer Angriff nicht droht. Trotzdem war der ganze Tenor Ihrer Ausführungen ausschließlich darauf abgestellt, zu beweisen, daß wir uns mit den Verträgen militärische Sicherheit für die Bundesrepublik erwerben. Es ist kein Versuch unternommen worden, sichtbar zu machen, wie denn nun mit politischen Mitteln in absehbarer Zeit die Freiheit für die 18 Millionen Deutschen in der Sowjetzone überhaupt erlangt werden kann. Diese Frage steht bis zu dieser Stunde unbeantwortet im Raume.
Wir sagen Ihnen dazu, daß der Versuch zu einer solchen Regelung entgegen der Meinung des Kanzlers nie zu früh unternommen werden kann.
Kollege Strauß hat einen beneidenswerten Sinn für Humor entwickelt. Ich gebe ehrlich zu, daß es eine schätzenswerte Eigenschaft ist, wenn man nicht immer mit einem so fürchterlichen Bierernst an alle Probleme herangeht. Er hat auch eine große Gabe für eine volkstümliche Darstellung sehr ernsthafter und schwieriger Probleme. Aber ich meine, Kollege Strauß, in der Schicksalsfrage, die wir hier diskutiert haben, da waren Ihre Ausführungen des Ernstes und der Bedeutung der Stunde nicht voll angemessen.
In dieser Weise kann man hier wirklich keine Anekdoten erzählen,
wie Sie hier versucht haben, Gleichnisse für Gebiete der Politik einzuführen, die von einer Vergleichbarkeit sehr weit entfernt sind. Ich will den Versuch unternehmen, das an einigen kleinen Beispielen aufzuzeigen. Sie haben gemeint, die sozialdemokratische Politik ginge von der Vorstellung aus, daß wir eigentlich doch der Meinung seien, obwohl Deutschland den Krieg verloren habe, müßten wir jetzt erst die totale Kapitulation der anderen fordern.
Ich darf in aller Bescheidenheit daran erinnern, daß nicht die Bundesrepublik, sondern die Deutschen im Jahre 1945 kapituliert haben nicht nur vor den Westmächten, sondern auch vor der Sowjetunion. Das ist immerhin ein nackter Tatbestand. Und was Sie jetzt wollen in der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit, das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß Sie hoffen auf eine Kapitulation der Russen, bevor ein Schuß fällt, lediglich aus dem Gefühl, daß wachsende westliche Stärke sie erzwingt.
Ein zweites. Sie haben hier vom Wohnungsbau gesprochen
und haben gemeint, man dürfe nicht den Wohnungsbau in eine Relation zu den Leistungen für den Verteidigungsbeitrag bringen. Sie haben dann im Hause den Eindruck erweckt, als ob die erfreulicherweise gewaltige Leistung des deutschen Volkes im Wohnungsbau in den vergangenen Jahren nun ausschließlich und allein ein Verdienst der amtierenden Regierung wäre.
- Das war der Eindruck, den Ihre Ausführungen machen mußten.
— Kollege Strauß, wenn Sie jetzt durch Ihre Zwischenrufe zu erkennen geben, daß Sie genau wie wir der Überzeugung sind, daß von der Bundesregierung über alle Parteien dieses Hauses bis zu den Länderregierungen und jeder Kommune uns jedem, der Hand mit angelegt hat, der Wohnungsbau eine ungeheure Gemeinschaftsleistung unseres Volkes gewesen ist, wenn das der Sinn Ihres Zwischenrufs eben gewesen ist, dann bin ich in diesem Punkt mit Ihnen einig.
— Das ist aber nicht ausschließlich eine Bilanz der Regierung; darauf kommt es in diesem Zusammenhang an!
Nun darf ich Sie. wenn wir vom Wohnungsbau sprechen, Kollege Strauß, an eine Einzelheit erinnern. Ich darf Sie erinnern an den Kampf, den wir in diesem Hause — zusammen mit dem Kollegen Lücke — allmonatlich und alljährlich geführt haben, um auch nur die letzten kümmerlichen 100 Millionen im Jahr an Bundesmitteln für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus herauszuholen. Und dann haben wir heute gehört, daß es leicht ist, daß es gar keine allzu großen Schwierigkeiten bringen wird, den Verteidigungsaufwand aufzubringen ohne Steuererhöhung und ohne Herabsetzung der sozialen Leistungen. Das beweist doch, daß entweder die Bundesregierung und der Finanzminister in den Fragen des Wohnungsbaus eben bisher von einem Standpunkt ausgegangen
sind, von dem aus man die eigenen Möglichkeiten
schlechter eingeschätzt hat, als sie waren, oder aber
— und das geht gar nicht auf unseren Finanzminister; das ist eine Bemerkung, die möchte ich allen Regierungen in der ganzen Welt gemeinsam zurufen —, daß wir hier wieder der verhängnisvollen Tradition gegenüberstehen, daß immer, wenn es um die Rüstung irgendwo in der Welt geht, alle Anstrengungen der Nation auf dieses Ziel konzentriert werden können, obwohl es in den Perioden vor der Rüstung weiß Gott Ziele gegeben hätte, die ähnlicher Anstrengungen und ähnlichen Schweißes auch wert gewesen wären.
Der Herr Finanzminister hat uns hier eine beruhigende Zusicherung gegeben. Er hat gesagt; der große Bruder aus Amerika kommt für alles auf. Aber hier steht auch noch eine Frage offen im Raum, nämlich die Frage —
— Doch, er hat in der Antwort an den Kollegen Schoettle gesagt, daß ihm die Aufbringung dieser Lasten auch dank der amerikanischen Hilfe keine Sorgen macht.
Die Amerikaner — und jetzt will ich Ihnen ein paar Zahlen nennen, vielleicht beruhigt Sie das wieder — haben sich bisher nur dahin vernehmen lassen, daß sie bereit sind, 1 Milliarde Dollar für die Erstausstattung der Deutschen zu geben. Das sind 5 Milliarden — die Zahl hat Kollege Schoettle genannt —, 5 Milliarden DM unter Brüdern gerechnet. Daß aber nach den Zahlen des Kollegen Blank, denen nicht widersprochen worden ist, 40 Milliarden bis Ende 1954 aufgebracht werden müssen für das Material für die deutschen Divisionen, daß für die Ausfüllung der Lücke, die da klafft in Gestalt von 35 Millarden, bisher nur Hoffnungen da sind und nichts anderes. das ist doch ein Tatbestand, mit dem man sich allen Ernstes auseinandersetzen muß. Es kommt noch hinzu, daß die vom Finanzminister angekündigten schweren Waffen auch nach der Zusage der Amerikaner bisher nur bis zum 30. Juni 1953 geliefert werden sollen, bis zu einem Termin, an dem es selbst,. nach Ihrem eigenen Fahrplan kaum deutsche Verbände gibt, die ernsthaft schwere Waffen gebrauchen. Und was dann?
Das ist eine ganze Reihe von offenen Fragen, die wir in gründlicher Ausschußberatung diskutieren müssen. Selbst diejenigen von Ihnen, die den Verträgen zuzustimmen beabsichtigen, müssen über diese Punkte Klarheit haben, damit sie wirklich wissen, was sie tun und was in Wirklichkeit an Lasten und Verpflichtungen übernommen wird.
Dann ist hier geredet worden von der faulen Zaubertrommel der Sozialdemokratischen Partei: „Alles oder nichts". Nun, wir haben nie ein Programm aufgestellt, in dem drinsteht „Alles oder nichts"; das ist einfach nicht wahr. Aber der Kanzler hat hier Verträge vorgelegt, bei denen in der Sache von uns gefordert wird, sie ganz anzunehmen oder ganz abzulehnen.
— Bitte, das ist doch in Wahrheit eine Politik des „Alles oder nichts" im Zusammenhang mit diesem Vertrag, des Ja oder Nein, während die Möglichkeit
bestanden hätte, durch eine rechtzeitige Aussprache
über die mit dem Vertrag in Zusammenhang stehenden Fragen in diesem Hause der Bundesregierung noch jene Rückendeckung und jene Ratschläge auch aus Ihren eigenen Reihen mit auf den Weg zu geben,
die sie bei den internationalen Verhandlungen hätte mit einsetzen können.
In der entscheidenden Stunde haben Sie sich diesem Begehren nach der Aussprache versagt, während das englische Parlament die Aussprache in der Woche vorher gehabt hat.
— Der 'Standort dieser Verträge in der politischen Wirklichkeit der Landschaft des Jahres 1952 ist in der Februar-Debatte nicht in der Weise abgehandelt worden, daß lannähernd zutreffende Präzisionen über die zur Entscheidung stehenden Fragen dem Hause wirklich bekannt waren; das ist ausgeschlossen.
Nein, meine Damen und Herren, „Alles oder nichts" ist keine Parole, weder für Sie noch für uns, sondern da meine ich, der Bundeskanzler hat ganz recht, wenn er sagt: eine Politik des Schrittfür-Schritt. Nur muß man eben wissen, wohin die Schritte gesetzt werden sollen, nur muß man wissen, nach welcher Seite man zu gehen wünscht. Wir stehen hier an dem Kreuzweg, an dem auf der einen Seite die Schritte zum Versuch einer friedlichen Wiederherstellung der deutschen Einheit,
zum Abbau der internationalen Spannungen führen und auf der andern Seite zu einer Verhärtung der jetzigen Spannungen in der Welt, zur Verwandlung der beiden Teile Deutschlands in Festungen der beiden Mächteblöcke, die einander waffenstarrend mit dem sehr gefährlichen Konflikts- und Explosionsstoff gegenüberstehen, der, unvermeidlich, sich in einer solchen Entwicklung bildet.
Kollege Strauß meinte, wir wollten Verhandlungen im machtleeren Raum. Das ist weder für heute noch für morgen richtig; denn einmal können Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Wiederherstellung der deutschen Einheit weder heute, noch, wenn Sie die Verträge ratifizieren sollten, nach Abschluß der Verträge überhaupt von den Deutschen geführt werden. Wir führen ja die Verhandlungen gar nicht.
Von idenjenigen, die die Verhandlungen führen, kann kein Mensch behaupten, nämlich auf der westlichen Seite mindestens von den Amerikanern und Engländern, daß sie den Russen nackt und waffenlos zum Fraße vorgeworfen daliegen. Das ist doch auch keine zureichende Darstellung der Tatsachen
des Verhältnisses der Verhandlungspartner bei diesen Verhandlungen.
Einige Worte haben mich etwas erschreckt, und zwar das Wort von der deutschen Weltgeltung, verehrter Kollege Strauß, und die Anklänge dahin, daß es sich doch eigentlich mit Divisionen, wenn man sie erst einmal hat, in vielen Punkten leichter verhandelt. Ich meine, gerade diese beiden Punkte deuten doch auf das hin, was Sie selbst in Ihren weiteren Ausführungen ein wenig zutreffend als Kraftmeierei gebrandmarkt haben.
Dann haben Sie sich mit dem französischen Bündnis mit der Sowjetunion beschäftigt. Sie haben geglaubt, diese Frage damit abtun zu können, daß Sie gesagt haben: Ja, wollen Sie denn Krieg mit Frankreich? Das ist doch gar nicht die Frage, sondern wie sich z. B. die Französische Republik bei einem Konflikt zwischen der 'Sowjetunion und Deutschland verhält, das ist die Frage, um die es geht. Welcher Vertrag hat dann den Vorrang?
— Nein, auch dieser Punkt ist nicht im Verteidigungsvertrag geregelt; das ist offen!
— Jawohl!
Kommen wir zu einem weiteren Punkt,. den Sie scherzhaft erwähnt haben, es gebe keine vierte Dimension. Ich muß Ihnen leider widersprechen. Es ist vielleicht merkwürdig, aber ich muß Ihnen sagen, daß es seit Einstein wirklich eine vierte Dimension gibt,
und zwar die Bewegung des Raumes in der Zeit.
Wenn Sie das nicht mitbekommen haben, dann tut
mir das leid. Aber es gibt manches in der Welt,
das sich Ihrem Zupacken, Ihrem sehr begreiflichen
Zupacken entzieht. Die Politik muß sich aber nach
allen Tatsachen und Erkenntnissen richten, auch
nach denen, die dem Kollegen Strauß nicht ganz
zugänglich sind; idas ist nun einmal nicht anders.
Nun stehen noch ein paar Fragen an, zu denen wir, glaube ich, auch noch keine zutreffende Auskunft bekommen haben. Es ist eine geschichtliche Erfahrung, daß jedes Wettrüsten bisher in der Welt an einen Punkt geführt hat, bei dem die Explosion nahezu unvermeidlich wurde.
— Darauf komme ich noch zu sprechen. Ich frage: Wie stark muß man eigentlich werden — und meinen Sie wirklich, daß die andere Seite nicht auch Bemühungen unternimmt, in der gleichen Zeit stärker zu werden? —,
wie stark muß man eigentlich werden, ehe Sie
glauben, daß die Viererkonferenz einen Sinn hat?
Diese Frage bitte ich offen 'zu beantworten..
Die Viererkonferenz hat nur einen Sinn, wenn man sie will und wenn man den Erfolg will. Dazu muß man unseren westlichen Verhandlungspartnern dann aber auch zuraten und darf ihnen nicht abraten. Dazu darf man keine Tatsachen schaffen, die durch die Eingliederung der Bundesrepublik in ein festes System der Militärbündnisse der anderen Seite das Abhalten einer solchen Konferenz nahezu interesselos machen.
Was meinen Sie denn, über was verhandelt wird, wenn wir einmal zu einer friedlichen Wiederherstellung der deutschen Einheit kommen werden und man sitzt mit dem Russen an einem Tisch? Meinen Sie, daß dann die Frage ides Austritts des bereits mitgerüsteten Deutschland aus der europäischen Verteidigungsgemeinschaft noch ernsthaft erörtert werden kann? Meinen Sie, daß man erst 40 Milliarden zum Fenster hinauswirft, um nachher zu sagen: Wir können das alles als Schrott verkaufen? Damit setzen Sie eine Entwicklung in Gang, die tatsächlich eine gewisse Eigengesetzlichkeit entfaltet.
Wo ist der Weg,
der nach Ihrer Meinung automatisch in Anwendung dieser Verträge zur Wiedervereinigung führt? Das Wort des Kollegen Lemmer von der Dynamik ist in diesem Punkt tatsächlich eine Deklamation, die in den Tatsachen keine Stütze findet.
Sie meinen, es besteht keine Hoffnung, es ist sinnlos, sich mit den Russen an einen Tisch zu setzen.
Das kann man erst wissen. wenn man es ernsthaft ergründet hat. Es gibt ein Beispiel, daß der Bundeskanzler selbst zitiert hat. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung ausgeführt, daß der Rückzug der Sowjetrussen aus Persien durch die Vereinten Nationen erzwungen worden sei. Er ist nicht erzwungen worden mit Gewalt, er ist nicht erzwungen worden durch die Einbeziehung Persiens in irgendein System der Militärallianzen, sondern er ist erzwungen worden auf dem Weg von Verhandlungen, bei denen es gelang, beide Seiten davon zu überzeugen, daß sie jede in dieser Lösung tatsächlich für die Zukunft einen eigenen Erfolg erblicken könnten. Bitte, das ist der Weg, der auch im Deutschlandfalle ernsthaft beschritten werden muß. Ich meine, wir sind das unserem Volke und dem Frieden der Welt schuldig.