Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege. Schmid hat gestern hier wie schon am Sonntag auf dem Parteitag der SPD von Südhessen in Rüsselsheim das Rezept der Sozialdemokratischen Partei bekanntgegeben, das lautet: es sollen Viermächteverhandlungen stattfinden; die SPD sagt nein zu den Verträgen, damit diese Verhandlungen stattfinden können; eine neue Lage hält die Sozialdemokratie erst dann für gegeben, wenn die Viermächteverhandlungen gescheitert sind.
Nun ist nicht schwer zu prophezeien, daß Viermächteverhandlungen kommen werden; sie sind auch für äußerst wünschenswert zu halten, damit ein neuer Versuch gemacht wird, die deutsche Einheit in Freiheit auf der Grundlage friedlicher Verständigung zu erreichen. Aber man muß sich wohl von vornherein darüber im klaren sein, daß diese Verhandlungen eine lange Dauer haben werden und daß man viel besser von einer längeren Verhandlungsperiode sprechen sollte als von Viermächteverhandlungen, wenn man darunter eine einmalige und nur mehrere Tage dauernde Konferenz versteht. Das ist wohl auch die Voraussetzung, die Herr Kollege Schmid gemacht hat, denn er hat — zwar nicht gestern hier in diesem Hause, wohl aber am Sonntag in Rüsselsheim auf dem Parteitag der SPD Hessen-Süd — folgendes ausgeführt: Wenn man mit den Sowjets ernsthaft verhandeln wolle, dann müsse man sich an den Verhandlungen in Korea ein Beispiel nehmen und Geduld beweisen und dürfe nicht das erste sowjetische Nein zum Anlaß nehmen, den Russen die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen in die Schuhe zu schieben.
Aus dieser Auffassung des Kollegen Schmid selbst ergibt sich, daß er mit einer langen Verhandlungsdauer rechnet, daß er diese lange Verhandlungsdauer wünscht. Ich glaube, er ist sich auch bewußt, daß die Bestimmung der Dauer der Verhandlungen von den Sowjets abhängt, wenn man die Verhandlungen nicht mit einem Ergebnis abschließen will, wie es die Sowjets erwarten, sondern mit einem Ergebnis, das eine für die freiheitliche Welt tragbare Lösung darstellt.
Während dieser längeren Dauer einer ganzen Verhandlungsperiode soll es also eine europäische Integration unter Einschluß der Bundesrepublik nicht geben, und es soll während dieser Zeit auch keine Defensiv rüstungsbemühungen der Bundesrepublik und der anderen europäischen Völker auf der Grundlage einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft geben. Wenn wir also dem Rezept der Sozialdemokratie folgen, tun wir auch weiterhin auf unberechenbar lange Zeit den Sowjets den Gefallen, uns so zu verhalten, wie sie es wünschen. Es ist außerdem die Schwäche in der Empfehlung der Sozialdemokratie, daß durch die darin enthaltene Meinung, wenn sie allgemein zur Herrschaft käme, die Sowjetunion geradezu ermutigt würde, die Verhandlungen aufs äußerste zu verlangsamen, da ja nach dieser Meinung feststeht, daß inzwischen der gesamte europäische Integrationsprozeß abgestellt wäre.
Nach diesem ersten Einwand gegen das neue Rezept der Sozialdemokratie will ich einen zweiten, nicht weniger entscheidenden Einwand vorbringen. Ich stelle die Frage: Besteht denn überhaupt die Aussicht, daß sich die Situation in Europa und in der gesamten Welt zur Durchsetzung unserer deutschen Forderungen auf die Verwirklichung der deutschen Einheit in Freiheit verbessert, wenn diese Verträge, die jetzt zur Diskussion stehen, nicht ratifiziert werden? Führt das Nichtwirksamwerden dieser Verträge zu einer Verbesserung der Situation derart, daß wir die Aussicht hätten, in Verhandlungen von längerer Dauer eine tragbare deutsche Lösung gegenüber den Sowjets durchzusetzen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, sehr schlüssig beweisen zu können, daß das nicht der Fall ist.
Ich möchte meinen Beweis dafür von der These her führen, die gestern Professor Carlo Schmid hier aufgestellt hat. Seine These lautete, die Verträge führten nicht zur Abrüstung, sondern zum Wettrüsten, und dieses Wettrüsten führe zum Kriege. Mit einer solchen allgemeinen These in der heutigen konkreten Situation kann man nichts anderes als eine unheilvolle Verwirrung anrichten; denn durch diese These des Herrn Professor Schmid, die sich die Sozialdemokratie zu eigen gemacht hat, wird ja doch die Frage umgangen: warum ist denn bisher die internationale Abrüstung nicht verwirklicht 'worden?
Es wird die weitere Frage umgangen: wo ist denn in der Nachkriegszeit abgerüstet worden, und wo ist in der Nachkriegszeit nicht abgerüstet worden? Wenn man diese Fragen beantwortet, die den Schlüssel für die heutige Politik und ihre Beurteilung geben, dann muli man doch mit der Feststellung beginnen, die, glaube ich, auch die Sozialdemokratie nicht bestreiten wird: der Feststellung, daß die USA, daß England, daß Frankreich nach 1945 bereits in einem unwahrscheinlichen, geradezu unverantwortlichen Maße abgerüstet hatten, während die Sowjetunion stets bei ihren 180 Divisionen geblieben ist und stets einen Finanzierungshaushalt für die Rüstung weit über Friedensausmaß hinaus, geradezu von Kriegsausmaß hatte. Die Sowjetunion hat ihre Rüstung ständig verstärkt. Sie hat den einseitigen Rüstungsstand, der durch die Abrüstung der demokratischen Völker entstanden war, dann benutzt, um die Staaten ihres Besatzungsbereiches in sowjetische Provinzen mit nationalen Scheinregierungen zu verwandeln. Sie hat weiter diese Lage benutzt, um von Jahr zu Jahr Aggressionen in aller Welt anzuzetteln. Die Aggressionen nahm sie zwar nicht selbst vor, sondern ließ sie durch andere, durch Abhängige vornehmen, denen sie aber die verantwortlichen Führer und die Waffen lieferte, denen sie die ganze materielle und rüstungsmäßige Unterstützung lieferte.
Man darf auch einmal daran erinnern, in wie außerordentlichem Maße die Vereinigten Staaten und die anderen führenden Völker der westlichen demokratischen Welt sich Mühe gegeben haben, über die UNO und ihre verschiedensten Konferenzen eine allgemeine Rüstungskontrolle durchzusetzen, beginnend mit einer allgemeinen Kontrolle der Atomwaffen. Alle diese Bemühungen und Versuche sind nicht an dem Widerstand eines nicht auszumittelnden Gegners gescheitert, sondern an dem Widerstand der Macht, die wir alle für ihre ständige Politik der Rüstungssteigerung und der Ausnutzung dieses hohen Rüstungsstandes für Aggressionen in aller Welt bestens kennen, eben der Sowjetunion. Aus diesen Erfahrungen der ersten Jahre nach 1945 ist erst spät die StopStalin-Politik der Vereinigten Staaten und der anderen demokratischen Mächte entstanden. Es be-
durfte dann immer noch einer besonders schrecklichen Erfahrung, ehe die USA zu ihrer Defensivrüstung übergingen. Es bedurfte dazu erst des kommunistischen Angriffs in Korea, der schließlich auch nur von Moskau aus gestartet wurde.
Nun, was soll es in Anbetracht dieser tatsächlichen Entwicklung heißen, wenn Herr Kollege Schmid mit Thesen über die allgemeinen Gefahren des Wettrüstens kommt? Will er denn die einseitige Abrüstung des Westens wiederhergestellt wissen oder die einseitige Unterlassung der Rüstungsbemühungen der westlichen Welt sicherstellen, d. h. ist ihm daran gelegen, in Europa die Lage wiederherzustellen, wie sie zur Zeit des Korea-Konfliktes bestanden hat, eine Lage, die auch in Europa früher oder später zu neuen sowjetischen Aggressionen führen müßte, deren Opfer wir sehr leicht werden könnten? Daß diese Gefahr in Europa drohen würde, ergibt sich aus der sowjetischen Spekulation auf die Entmutigung der USA. Die Sowjets wissen am allerbesten, daß das heutige Europa vor ihnen nur durch die im Augenblick bestehende Gewißheit Schutz genießt, daß ihr Angriff in Europa den Weltkrieg mit den Vereinigten Staaten auslösen würde. Darauf beruht unsere Sicherheit und die der europäischen Völker überhaupt, dagegen nicht auf den Möglichkeiten des Selbstschutzes; denn ein solcher ist ja im Augenblick überhaupt noch nicht gegeben, weil die allernotwendigsten Maßnahmen versäumt worden sind. Deshalb haben wir in Deutschland — aber ebenso sehr alle anderen europäischen Völker — ein ganz fundamentales Lebensinteresse daran, daß das amerikanische Volk nicht enttäuscht wird, daß es sich nicht von einer Politik des Schutzes für Europa abwendet und weiterhin bereit ist, die Anstrengungen auf sich zu nehmen und die Opfer zu tragen, die darin liegen, daß heute die Amerikaner fast völlig allein den Hauptteil aller Anstrengungen in der Welt tragen.
Ich weiß sehr wohl, daß die Sozialdemokratie diese Argumentation nicht schätzt, weil sie f älschlicherweise, wie ich meine, davon überzeugt ist, daß die USA sich nicht von Europa abwenden könnten. Das hat der Kollege Arndt schon in der 191. Sitzung vom 8. Februar gesagt. Er hat damals ausgeführt, die Notwendigkeit der Selbsterhaltung führe dazu, daß die USA das drittgrößte Industriepotential nicht an die Sowjetunion fallen lassen könne. Gestern hat Carlo Schmid denselben Gedanken etwa mit der Wendung zum Ausdruck gebracht, die amerikanische Europa- und Deutschlandpolitik beruhe auf dem wohlverstandenen Selbstschutzinteresse der USA, sich in Europa und in Deutschland selbst zu verteidigen. Nun, ich finde hierin nichts anderes als einen geradezu größenwahnsinnigen Glauben an die Automatik und die Unverlierbarkeit der USAHilfe, daran, daß diese Hilfe uns und den anderen europäischen Völkern auch dann erhalten bleibe -
das ist letzten Endes die Quintessenz der sozialdemokratischen Überzeugung —, wenn wir und die anderen Europäer die größten Dummheiten begehen. Eine solche Automatik hat es in der Welt noch niemals gegeben. Wir wissen, wie gerade maßgebliche Amerikaner, die die Politik des Einsatzes der USA in Deutschland und in Europa für richtig halten, darum besorgt sind, daß sich im amerikanischen Volk ein Wandel vollziehen könnte, der die Fortsetzung dieser Politik unmöglich machte. Es hat schon mehr Fälle solchen plötzlichen Stimmungsumschwungs in den Vereinigten Staaten gegeben, und es hat schon mehr Völker
gegeben, die in den entscheidenden Situationen große Fehler begangen haben, mit denen sie gegen ihr wohlverstandenes Eigeninteresse sehr entschieden verstießen. Es hat sie 1918 auf der alliierten Seite gegeben; es hat sie nach 1933 in Deutschland gegeben. Denn wer hätte geglaubt, daß sich 1939 dieses 1918 geschlagene Deutschland in ein Abenteuer einlassen würde, von dem mit Sicherheit zu sagen war: es erwächst der zweite Weltkrieg daraus, und er endet mit einer ebenso schlimmen Niederlage wie der erste Weltkrieg? Wer hätte nach 1945 geglaubt, daß die Amerikaner den ungeheuren Fehler einer so unglücklichen Überbezahlung der sowjetischen Bundesgenossenschaft auf die Weise begehen würden, daß sie selbst die Russen tief nach Europa hereinlassen würden.
Man braucht sich, wenn man all diese Argumente nicht für überzeugend hält, schließlich nur noch die eine Frage vorzulegen: Wäre es für das deutsche Volk selbstverständlich, den Völkern aller Welt im Kampfe um die Freiheit nicht nur ideelle Hilfe, sondern materielle Waffenhilfe und Hilfe mit Menschen, mit Soldaten, zu geben, wenn diese anderen Völker, gleichermaßen an der Erhaltung ihrer Freiheit und ihrer Existenz interessiert, nicht zum mindesten das ihren Kräften Entsprechende mit dazu beitragen würden? Wie lange würde das deutsche Volk die Politik einer Regierung unterstützen, die bereit wäre, alle Völker im Kampfe um die Freiheit mit deutschen Menschen, Waffen und Geld zu unterstützen, wenn diese anderen Völker nicht aus sich, nach ihren Kräften gemessen, das Entscheidende dazu beitragen?
Ich glaube, nach dem, was die sozialdemokratische Opposition in den letzten Jahren an außenpolitischen Ansichten gezeigt hat, könnte man davon überzeugt sein, daß gerade diese Sozialdemokratische Partei keine deutsche Regierung dulden würde, die bereit wäre, deutsche Hilfe in alle Welt zu geben, wenn sich nicht die anderen Völker entsprechend beteiligten.
Schließlich noch eins. Meine sehr geehrten Damen und Herren, stellen Sie sich einmal die Farmersleute und die Bürger am Missouri und an der amerikanischen Westküste vor. Wie weit ist da Europa entfernt! Wie leicht kann sich in die Gemüter dieser Menschen der Gedanke einschleichen: ja, müssen denn unsere Söhne nach Europa? Muß unsere Regierung die Waffen und das Geld immer wieder diesen europäischen Völkern hingeben, wenn diese europäischen Völker nicht das durch diese Situation Gebotene aus eigenen Kräften mitzutun bereit sind?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist eine abenteuerliche Leichtfertigkeit, wenn Sie versuchen, vor dem deutschen Volk den trügerischen Anschein zu erwecken, es bestehe eine unverlierbare Automatik der USA-Hilfe. Und Sie bestreiten ja nicht, daß, wenn diese Hilfe, wenn dieses Einstehen der Vereinigten Staaten für Europa verlorenginge, dann diese europäischen Völker und in erster Linie das deutsche Volk nicht die Möglichkeit hätten, der sowjetischen Gefahr ein sie abwendendes Risiko entgegenzusetzen. Jedenfalls wird lange Jahre das Machtverhältnis in der Welt noch so sein, daß die eine der beiden großen Weltmächte, die UdSSR, nur durch das Risiko eines Weltkrieges mit den USA davon abgehalten werden kann, kriegerische Unternehmungen irgendwo in Szene zu setzen. Da ist es doch nun immerhin so:
solange amerikanische Truppen in Deutschland sind, werden die Amerikaner nicht eingreifen, weil irgendwelche Garantien auf dem Papier stehen, sondern weil der Angriff auf Westdeutschland überhaupt nur durch einen Angriff auf amerikanische Truppen geleistet werden kann. Solange diese Truppen hier sind und die Amerikaner die Sowjets wissen lassen, daß der Angriff auf diese Truppen den Weltkrieg bedeutet, haben wir hier einen automatischen Friedensschutz. Da besteht wirkliche Automatik. Diese Automatik werden die Sowjets nicht auslösen. Deswegen ist ihre ganze Politik darauf gerichtet, uns und die anderen europäischen Völker zu einer Politik zu verführen, die letzten Endes darauf hinausläuft, daß wir den amerikanischen Schutz in Europa, zumindest in Deutschland, verlieren.
Wenn es die Aufgabe der Außenpolitik ist, den gefährlichsten Fall unter allen Umständen auszuschließen, dann ist es die erste Pflicht einer jeden deutschen Regierung, dem gefährlichsten Fall eines sowjetischen Angriffs, damit dem gefährlichsten Fall eines Krieges und dem gefährlichsten Fall des Untergangs in Sklaverei dadurch zu begegnen, daß wir alles tun, um uns den jetzt gegebenen, in der Anwesenheit der Amerikaner liegenden automatischen Schutz zu erhalten. Wir können ihn uns auf die Dauer nur erhalten, wenn wir uns nicht ausschließlich auf die Hilfe der anderen verlassen, sondern wenn wir im Friedensschutz durch ihre Anwesenheit beginnen, unsere eigene Kraft mit einzusetzen.
Diese Überzeugungen sind völlig schlüssig. Ich betrachte alles andere als irreal. Ich betrachte alles andere vor allem mit solchen Risiken für unser Volk belastet, daß man jede Regierung warnen müßte, von diesem gesicherten Weg ab auf einen weniger sicheren Weg zu gehen. Auf diesem Wege sind wir sicher, daß die erste Schlacht nicht stattfindet. Deshalb sollten wir ihn unter allen Umständen weitergehen. Es wird dann auch der Punkt kommen, an dem durch eine Gesamtstärkung der westlichen Welt jener Zustand der Bereitschaft zu entschiedenen Zugeständnissen bei den Sowjets erzeugt wird, der heute, jedenfalls nach dem bisherigen Verhalten der Sowjets zu schließen, noch nicht vorhanden ist. Denn heute besteht ja für die Sowjets noch die Aussicht, daß sich die Neutralisierung Deutschlands durchsetzt. Heute besteht für die Sowjets noch die Aussicht, daß aus der europäischen Integration nichts wird, also der Zustand der nationalstaatlichen Zerrissenheit in Europa verewigt wird. Heute besteht für die Sowjets noch die Chance, daß sich die USA von Europa und Deutschland abwenden, weil sie von den europäischen Völkern fortlaufend enttäuscht werden.
Nun werden diese Aussichten, die sich allesamt an die Neutralisierung Deutschlands knüpfen, von hier aus noch erheblich verstärkt, nachdem sich die Sozialdemokratie letzten Endes auf eine Politik der Neutralisierung Deutschlands eingelassen hat. Denn das, was Carlo Schmid gestern gesagt hat, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nichts anderes als die These von der Neutralisierung Deutschlands. Das ist in der Debatte bisher noch nicht gesagt worden; es ist aber dringend nötig, daß es gesagt wird.
Was soll es denn heißen, daß Deutschland ein souveräner Staat zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Machtblock werden soll? Was soll das heißen, wenn von einer eigenständigen deutschen Politik gesprochen wird, als deren Ergebnis anzustreben sei, daß Deutschland dem Westen ideologisch angeschlossen sei, ohne aber eine Gefahr für die Sowjetunion werden zu können? Und was soll es schließlich heißen, wenn gesagt wird — auch von Carlo Schmid —, es dürfe den Sowjets keine Lösung zugemutet werden, die Deutschland einem Gebiet der potentiellen Feindschaft zuschlägt? All diese Wendungen sind ja gar nicht anders zu deuten, als daß letzten Endes die Vorstellung von einem Deutschland in bewaffneter oder unbewaffneter Neutralität dahintersteht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neutral wäre dieses Deutschland doch nur kraft einer internationalen Garantie nach Abzug aller Besatzungstruppen. Die Sowjets dürften dann darauf spekulieren, daß in dem Augenblick, in dem sie einen Angriff riskieren, das Einschreiten der Garantiemächte nicht erfolgt. Es ist die Situation des Krieges mitten in Deutschland, der gerade dadurch, daß ein neutralisiertes Deutschland ein Machtvakuum sein müßte, gar nicht zu vermeiden wäre.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das erkenne ich als die bisher nicht erwähnten Konsequenzen dessen, was hier Carlo Schmid gestern als das neue Rezept der Sozialdemokratie zum besten gab. Wenn man seine Rede sehr aufmerksam liest und sehr lange über den verschiedenen von ihm gebrachten Wendungen brütet, von denen ich hier einige wiedergab —, es ist letzten Endes aus diesen Wendungen nur das eine Ziel zu entnehmen, das die Sozialdemokratie künden läßt: es ist letzten Endes das Ziel der Neutralisierung Deutschlands.
Damit hängt es ja auch zusammen, daß die Sozialdemokratie seit einiger Zeit — der Wendepunkt war letzten Endes die damals desavouierte Rede des Herrn Kollegen Luetkens hier im Bundestag — gegenüber dem Osten sehr behutsame Wendungen gebraucht, aber gegenüber dem Westen zu einer ständig maßloseren Kritik übergeht. Wir haben gestern gerade in der Rede von Carlo Schmid wieder einen sehr guten Anschauungsunterricht dafür bekommen, wie sehr jetzt in den Reden der Sozialdemokratie der gute Glaube gegenüber dem Osten Hand in Hand geht mit dem schärfsten Mißtrauen und der schärfsten Kritik gegenüber dem Westen;
und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht nur in Berlin, sondern vor allem in der Sowjetzone schon längst bemerkt werden.
Die Menschen in Berlin und in der Sowjetzone
sind nicht bereit, Ihre Illusion zu teilen.
Die befinden sich in außerordentlich großer Sorge, daß die Sozialdemokratie eine politische Linie einschlägt, die gerade unsere Menschen in der Sowjetzone nicht als den Weg zur Freiheit betrachten können, auf der sie nicht hoffen können, zur Freiheit und damit zur deutschen Einheit zu gelangen. Es wird immer mehr erkennbar, daß die Sozialdemokratie eine Politik der Weltverfälschung und auch eine Politik der Wertverfälschung betreibt.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben ja gerade Exzesse in den Formulierungen
des Herrn Dr. Schumacher selbst erlebt. Wenn Herr Dr. Schumacher vor einiger Zeit sagte: „Wer diese Verträge unterschreibt, ist kein Deutscher mehr", dann sagte er ja genau das, was Grotewohl und Pieck auch sagen,
und niemand von der Sozialdemokratie ist offiziell von dieser Bemerkung abgerückt. Es hat überhaupt nur einen unter den prominenteren Sozialdemokraten gegeben, den Bürgermeister von Bremen, Herrn Maisen, der es für erforderlich gehalten hat, sich von dieser Äußerung abzusetzen. Alle anderen sozialdemokratischen Führer haben zu dieser Äußerung geschwiegen, und Sie wissen, was das bedeutet. Sie wissen, daß diese Äußerung damit, daß sich die Partei nicht von ihr absetzt, zum Gegenstand der parteipolitischen Propaganda draußen in den breiten Schichten der Bevölkerung wird!
Sie haben sich vorhin darüber beklagt, daß die Auseinandersetzung mit Ihnen zu scharf geführt werde. Ich bin der Auffassung, sie wird noch nicht scharf genug geführt in Anbetracht der äußersten nationalen Diffamierung, mit der Sie glauben, jetzt wieder in Deutschland Politik treiben zu können. Politik, wie Sie sie verstehen, ist letzten Endes nur Politik um die Stimmen bei den nächsten Wahlen.
-- Nun, wir werden Ihnen die Quittung geben!