Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Auseinandersetzungen über die Frage eines Ja oder Nein zu dem uns heute hier in erster Lesung vorliegenden Vertragswerke sind in den vergangenen Monaten auch in der deutschen Frauenwelt mit großer Leidenschaftlichkeit und teils so gefühlsbetont geführt worden, daß ich mich veranlaßt sehe, vom Standpunkt der Frau einiges zu dem ganzen Fragenkomplex zu sagen.
Es ist selbstverständlich, daß wir deutschen Frauen und Mütter, die zum erstenmal wieder seit Generationen den Krieg auf deutschem Boden erlebten, und zwar in der furchtbaren Form des totalen Krieges, der auch Frauen und Kinder in der Heimat nicht schonte, den Schock der Kriegs- und Nachkriegsjahre noch nicht überwunden haben. Sind es doch in erster Linie die Frauen und Mütter, denen die Kriege von jeher besonderes Herzeleid gebracht haben und die nicht nur im Kriege, sondern auch hinterher den Kampf aufzunehmen haben mit all den Folgeerscheinungen kriegerischer Katastrophen, dem Hunger, dem Wohnungselend, den Seuchen und dem ganzen stumpfen Widerstand einer aus den Fugen geratenen Welt. Ich sage, es ist verständlich, daß wir Frauen und Mütter noch unter den Schockwirkungen der vergangenen Jahre stehen. Aber es wäre außerordentlich verhängnisvoll, wollten wir in dem Zustand der Betäubung verharren oder uns gar einreden, daß nun ein für allemal mit allen derartigen Katastrophen Schluß sein werde, weil wir nicht noch einmal in eine solche hineingeraten wollen.
Wer in solchen Zeiten schwerer weltpolitischer Spannungen wie der unseren als Frau verantwortlich im politischen Leben steht, hat nicht nur die Verpflichtung, selbst die Wirklichkeit bezüglich der Beziehungen der Völker untereinander klar und nüchtern zu sehen und sich nicht zu gefühlsbetonten Entscheidungen drängen zu lassen, sondern auch die Aufgabe, den deutschen Frauen und Müttern ein klares und sachlich nüchternes Bild der Lage zu vermitteln, in der sie sich befinden. Es ist nun einmal so, daß die Menschen auf dieser Erde nicht in dem Umfange, wie wir es wünschen möchten, die Konsequenzen ziehen aus der geschichtlichen Entwicklung und aus den Katastrophen, und daß es heute wie vor Jahrhunderten eben doch immer wieder so ist, daß überall auf dieser Erde der Kampf ums Dasein tobt und daß der Starke den Schwachen unterdrückt und knebelt. Das ist eine
geschichtliche Wahrheit, die wir nicht leugnen können und die wir bei unserem politischen Handeln in Rechnung zu stellen haben, anderenfalls verfehlen wir unsere politische Aufgabe.
Gerade aber in diesem Punkt versucht man nun, der deutschen Frau und Mutter die klare Sicht zu vernebeln, indem man ihr in Wort und Schrift immer wieder einzureden versucht, daß durch die Wehrlosigkeit der Deutschen Bundesrepublik der Friede erhalten werden könne, während ein Ja zu dem Einschluß unseres Landes in ein westeuropäisches Staatensystem und die Beteiligung an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft unweigerlich zum Krieg führen würde. Wann hat man je aus diesenKreisen gehört, daß die Ansammlung russischer Divisionen in Ostdeutschland, die Verstärkung der Satellitenarmeen und die Aufstellung der an Kriegswaffen verschiedenster Art ausgebildeten Einheiten der Volkspolizei etwa so gedeutet worden wäre, daß russischerseits ein Angriff auf uns geplant sei?
Nur wenn es darum geht, daß die westdeutsche Bundesrepublik einen Verteidigungsbeitrag leisten soll, heißt es: Das bedeutet Krieg. Man verschweigt geflissentlich, daß es in Europa Staaten gibt, die über hundert Jahre lang keinen Krieg geführt haben, aber trotzdem ein modernst ausgerüstetes Heer besitzen.
Ich war dabei, als im Europarat zum erstenmal im Sommer 1950 die Frage einer europäischen Verteidigungsarmee unter Einschluß der westdeutschen Bundesrepublik erörtert wurde. Ich habe seitdem alle Debatten miterlebt, die über diese Probleme im Europarat geführt worden sind. Ich kann Ihnen versichern, daß keine einzige der dort zusammengeschlossenen Nationen an einen Angriffskrieg denkt.
Als wir im Mai 1951 in Straßburg den Schuman-plan debattierten, war das, was in allen Reden aller europäischen Politiker immer wiederkehrte, daß durch diese Montanunion die Völker Europas zum ersten Mal wieder zu einer friedlichen Zusammenarbeit zusammengeführt worden sind.
Der ehemalige französische Ministerpräsident Reynaud fand in der Versammlung stärksten Beifall, als er ausführte:
Wenn es uns an dieser Stelle zum ersten Mal gelingt, die punktierten Ländergrenzen in Europa auszulöschen, dann wird es uns auch gelingen, die Tränen der Mütter in Europa zu trocknen.
Was für diese Montanunion gilt, gilt in noch viel stärkerem Maße für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Seit Jahrhunderten haben sich Frankreich und Deutschland in Kriegen zerfleischt, in die der Reihe nach nicht nur alle europäischen Staaten hineingezogen worden sind, sondern in die in den letzten beiden Kriegen die ganze Welt verwickelt worden ist.
Es ist das Konstruktive und Weltgeschichtliche an dieser Verteidigungsgemeinschaft, daß hiermit ein Ende gemacht und diesen Kriegen Halt geboten wird.
Ich meine, gerade die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten in dem Diplomaten Kennan den Mann nach Moskau geschickt haben, der als bester Kenner russischer Verhältnisse gilt und die These von
dem möglichen friedlichen Nebeneinander der Sowjetunion und der USA vertritt, ist der beste Beweis dafür, daß auch Amerika alles daranzusetzen bereit ist, einen dritten Weltkrieg zu vermeiden.
Der Ablauf der Geschichte hat durch die Jahrtausende hindurch gelehrt, daß ein Nichtvorhandensein militärischen Gleichgewichts zwischen Völkern oder Mächtegruppen am ehesten zur Auslösung kriegerischer Konflikte führt. Gerade weil wir den Frieden erhalten möchten und wissen, daß ein 'weiterer totaler Krieg unser sicherer Untergang wäre, wollen wir dazu beitragen, ein militärisches Gleichgewicht zwischen Ost und West herzustellen.
Man versucht seitens der Kommunisten und ihrer Hilfsgruppen, gerade die Frauen propagandistisch zu beeinflussen, indem man einerseits an ihre Angst vor einem neuen Kriege, andererseits an ihre Verpflichtung, das Leben ihrer Kinder zu schützen, appelliert.
Meine Herren und Damen, ich habe früher schon einmal von dieser Stelle aus betont, daß ich es als die vornehmste Aufgabe in meiner poltischen Arbeit ansehe, für den Frieden zu wirken durch Neuknüpfung der zwischen den Nationen zerrissenen Fäden.
Aber ich muß mich doch sehr deutlich mit einer besonderen Art von Frauen-Friedenstagen und Frauen-Friedenskundgebungen, 'wie sie bei uns üblich geworden sind, auseinandersetzen. In den verflossenen Monaten sind uns allen ganze Stapel von Entschließungen sogenannter Frauen-Friedenskundgebungen oder Frauen-Friedenstage mit Unterschriften zugegangen, die fordern: Wir wollen einen gerechten Friedensvertrag und keinen Generalvertrag. Gerade die hierbei praktizierte Methode, einen sogenannten Volksentscheid herb eizuführen, gibt dem SPD-Abgeordneten im Parlamentarischen Rat Herrn Dr. Katz hundertprozentig recht, der bei der Ablehnung, den Volksentscheid. in das Grundgesetz einzubauen, ausführte, daß es in den jetzigen aufgeregten Zeiten unpraktisch sei, Zweifelsfragen zum Gegenstand großer Debatten im Volk zu machen, da sie leicht, zu leicht mit demagogischen Parolen belastet werden könnten.
Die uns zugegangenen Entschließungen waren Musterbeispiele für die Anwendung von demagogischen Schlagworten.
Warum geben die auf Frauen-Friedenskundgebungen redenden Frauen — und damit möchte ich mich in erster Linie an unsere Kollegin Frau Wessel wenden —
nicht zunächst einen durch Dokumente zu belegenden kurzen Überblick darüber, wie es zu dieser
fürchterlichen Zerreißung unseres Vaterlandes
überhaupt gekommen ist? Die Verschärfung der
politischen Situation in Mitteleuropa ist doch nicht
von Westdeutschland und den westeuropäischen
Staaten herbeigeführt worden, sondern es war die
sowjetische Besatzungsmacht, die gleich nach Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens durch
Nichtachtung der dort gefaßten Beschlüsse die ostdeutschen Gebiete systematisch bolschewisierte und damit die in Potsdam beschlossene Einheitlichkeit der Verwaltung Deutschlands, ungeachtet der Aufteilung in Besatzungszonen, unmöglich machte. Nicht wir sind es gewesen, die den Eisernen Vorhang herabgelassen haben. Nicht wir haben die Stadtverwaltung von Berlin in einen Ost- und Westmagistrat zerschlagen. Nicht wir haben die Luftbrücke notwendig gemacht. Nicht wir haben in Permanenz den Personen- und Güterverkehr zwischen den Zonen behindert, und nicht wir sind es, die Sperrzonen errichten, die Bevölkerung an der Zonengrenze von Haus und Hof verjagen, mit Schußwaffen bedrohen und Umleitungskanäle und -eisenbahnstrecken bauen, um die Verbindungen zwischen den Deutschen in Ost und West zu zerschneiden.
Diese Maßnahmen sind in keiner Weise durch die Unterzeichnung der Verträge gerechtfertigt; sie enthüllen nur den wahren Charakter der östlichen Regenten.
Es muß den Frauen gesagt werden, daß die östlichen Machthaber unter dem Leitmotiv der bolschewistischen Parteilichkeit und durch Einhämmern der bolschewistischen Ideologie — wir kennen die Methoden aus der Zeit des Nationalsozialismus ja zur Genüge — in Erziehung und Unterricht eine geistige Kluft aufzureißen versuchen, die schon wesentlich tiefergreifende Konsequenzen für eine Trennung der Deutschen in Ost- und Westdeutschland gehabt hätte, wenn nicht der weitaus größte Prozentsatz unserer Brüder und Schwestern einen so bewundernswürdigen geistigen Widerstand geleistet hätte.
Daß die kommunistischen Propagandisten diese Tatsachen verschweigen, ist nicht verwunderlich. Aber daß Männer und Frauen in Westdeutschland, die es weit von sich weisen, dem Kommunismus nahezustehen, das gleiche tun und auch nicht erwähnen, daß die Sowjets im Osten Europas schon längst systematisch einen Staatenblock gebildet haben, der politisch so straff durchorganisiert ist, daß sämtliche Regierungen der unterworfenen Länder nichts anderes sind als Funktionäre der Zentrale in Moskau, wie ja auch die Regenten in der Ostzone nichts anderes sind als linientreue Funktionäre, — daß sie dies alles nicht erwähnen, läßt stärkste Zweifel an der Objektivität dieser Männer und Frauen aufkommen.
Eine solche geistige Eingleisigkeit, die den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht anerkennen will, ist doch ein Zeichen dafür, daß man entweder nicht gewillt oder nicht fähig ist, nüchtern und realistisch 'Politik zu treiben.
Nach den mir vorliegenden Wiedergaben der Rede von Frau Wessel auf der Friedenskundgebung in Bonn am Himmelfahrtstag, die ich in der „Deutschen Woche" und in der Zeitung ,,Schwarz-Weiß" fand, beklagte sie, daß die deutschen Menschen so wenig im echten Sinne politisch denken könnten, und zitierte einen ehemaligen Reichsgerichtspräsidenten, der vor 50 Jahren schon festgestellt habe, es fehle bei uns am Augenmaß für den Wert politischer Entscheidungen. Ich habe aus allen Entschließungen und aus allen Briefen, möchte ich hier betonen, die ich im Anschluß an
solche Kundgebungen bekommen habe, nicht den Eindruck gewonnen, daß bei den Friedenskundgebungen oder den Kundgebungen der Notgemeinschaft den Teilnehmern und Teilnehmerinnen dieses fehlende Augenmaß vermittelt worden wäre.
Ich finde es vielmehr erschütternd, wie man gerade bei der Beeinflussung der Frauen in Westdeutschland auf ihre mangelnde Einsicht in politische Zusammenhänge spekuliert.
Ich frage mich immer, warum alle diejenigen, die sich an die deutschen Frauen und Mütter mit der Aufforderung wenden, sich der Aufstellung deutscher Soldaten zu widersetzen, weil sie eine Herausforderung an den Osten bedeute, ihnen nicht gleichzeitig empfehlen, sich abends bei unverschlossener Haustür sorglos zu Bett zu legen. Mein Kollege Strauß hat heute morgen schon davon gesprochen, wie herausfordernd unter Umständen der Hausschlüssel auf den Einbrecher wirken könne.
Wenn man dem Staat grundsätzlich das Recht und die Pflicht zuerkennt, im Innern die Guten vor den Übergriffen und Gewalttaten durch die Bösen zu schützen, dann verstehe ich nicht, wie man ihm das Recht verwehren will, das Leben der ihm anvertrauten Bürger gegen Bedrohungen von außen zu sichern. Wie sagte doch der damalige Pfarrer Niemöller aus Berlin-Dahlem auf der Evangelischen Woche in Hannover am 27. August 1935, als er in seinem Vortrag „Der Friede Gottes als die Kraft des wehrhaften Mannes" den Christen im Hinblick auf die nationalsozialistische Aufrüstung theologisch — ich wiederhole: theologisch! — die Verpflichtung begründete, seinem Vaterlande mit der Waffe zu dienen? Damals führte er aus — ich bitte um die Genehmigung, das zitieren zu dürfen —:
Es ist eine gefährliche und unverantwortliche Utopie, wenn wir so tun wollten, als lebten wir in einer Welt des Friedens, wie es eine mehr als bedenkliche Illusion wäre, wenn wir uns so einrichten würden, als gäbe es weder Mord noch Ehebruch noch Diebstahl noch Verleumdung, kurz, als gäbe es kein Böses in dieser Welt, weil Gottes Gebot ja das alles verbiete. Gott hat die von ihm geschaffene und von ihm abgefallene Welt unter das Gesetz gestellt und der Obrigkeit den Befehl gegeben, das Gesetz zu hüten und dem Bösen zu wehren. Dazu trägt sie das Schwert, dazu hat sie Polizei und Gerichte und Gefängnisse und Henker. So hat die weltliche Macht des Staates auch das Leben des Volkes zu schützen und notfalls mit der Waffe, die ihr gegeben ist, zu verteidigen. Und wir sind ihr verpflichtet zu dem Dienst, den sie dazu von uns fordert.
Soweit Herr Pfarrer Niemöller im Jahre 1935!
Nun sagt j a auch Frau Wessel in ihren Reden gewiß nicht, daß wir in einer Welt des Friedens lebten. Aber sie versucht doch, den Frauen und Müttern zu suggerieren, daß es in ihrer Hand liege, diesen Zustand herbeizuführen. Das ist doch eine völlige Verzeichnung der Situation, in der wir uns befinden. Die tatsächliche Lage ist doch so, daß alle diese Friedenskämpfer und Friedenskämpferinnen ihren Ruf nach Frieden absolut einseitig erschallen lassen. Wo ist denn das echte Echo vom Osten her?
Frau Wessel sagte am Himmelfahrtstage:
Nicht die Versklavung an die Materie, sondern
Geist und Liebe müssen die Welt beherrschen.
Und sie fuhr fort:
Daß unsere gesamte Jugend und unsere Männer auch Kämpfer für den Frieden werden, liegt in der Hand der Frauen.
Mit solchen und ähnlichen Deklamationen — ich denke hier auch an den Schluß der Rede von Frau Rosel Hildebrand, bayerische SPD-Abgeordnete, auf der Frauen-Friedenskonferenz in München Mitte Juni: „Es lebe die eine, die friedliche, die geliebte Welt!" — ich wiederhole, mit solchen Deklamationen können die deutschen Mütter nichts, aber auch gar nichts anfangen,
wenn nicht von der anderen 'Seite ein echtes Echo kommt. Denn zum Frieden gehören immer zwei, Krieg kann einer allein anfangen.
Solange nicht auch Stalin dem schon wiederholt an ihn herangetragenen Vorschlag auf eine allgemeine Abrüstung Gehör schenkt, bleiben alle diese Frauen-Friedenskundgebungen eine Angelegenheit, die den Frauen und Müttern in Westdeutschland keinen Schritt vorwärts hilft auf dem Wege, den Frieden für unser Volk zu sichern. Es wird hier nichts anderes getrieben als eine Wunschtraumpolitik oder politische Schwarmgeisterei. Stalin ist Materialist; ihn interessieren nicht Wünsche und Gefühle, sondern einzig und allein Tatsachen. Nach dem Pressebericht hat Frau Wessel in Bonn auch gesagt: „In der Friedensbewegung stehen Menschen aller — —"
— Die begreife ich gleichzeitig unter den „Mitstreiterinnen und Mitkämpferinnen", Herr Kollege Besold; es hält sonst zu lange auf, alle einzeln aufzuführen. - „In der Friedensbewegung stehen Menschen aller Anschauungen und aller politischen Parteien, auch Kommunisten, mit denen wir uns in dieser Forderung gegen den Generalvertrag und für einen Friedensvertrag einig wissen." Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren, es sträubt sich alles in mir, anzunehmen, daß eine Frau von der Intelligenz von Frau Wessel nicht wissen sollte, daß es kein Wort im deutschen Sprachschatz gibt, mit dem von kommunistisch-bolschewistischer Seite eine solche Falschmünzerei getrieben wird wie mit dem Wort Frieden.
Sie wissen doch sicherlich alle, daß der kommunistisch-bolschewistische Friedenskämpfer jeden
Grundsatzpazifismus ablehnt. Das kann nicht nachdrücklich genug auch heute wieder betont werden.
Ich verwahre mich dagegen, daß bei der Agitation
in Frauenkreisen immer wieder die tiefe Friedenssehnsucht der deutschen Mütter mißbraucht wird.
Ich möchte noch einmal hervorheben, daß der östliche Friedensbegriff nichts gemein hat mit dem, was wir unter Frieden verstehen.
In einem Aufsatz des prominenten sowjetischen Theoretikers Chrustow in der Zeitschrift „Neue Welt", 1952, Nr. 6 heißt es:
Der Marxismus-Leninismus lehnt die Ideologie der Pazifisten ab, die scheinheilig vom Frieden schwatzen, in Wirklichkeit aber die Wachsamkeit der Völker gegenüber den Machenschaften der Kriegstreiber einschläfern und gegen die Befreiungsbewegung der unterdrückten Klassen und Nationen auftreten, um auf diese Weise die Unterjochung der Werktätigen zu verewigen.
Es ist doch aus einer Reihe von Zitaten bekannt, daß der Bolschewismus sogenannte „gerechte Kriege" kennt, und ich meine, wir erleben es in unserer Zeit, wie man versucht, mit Hilfe der Angehörigen anderer Völker solche Kriege in die Wege zu leiten. Solche Ausdrücke sollten deutsche Frauen und Mütter kennen, um nicht einer Wunschtraumpolitik zu verfallen, aus der es eines Tages ein böses Erwachen geben könnte. Sie sollten auch wissen, daß Anfang der zwanziger Jahre Lenin in einem Brief an die unabhängige deutsche Sozialistin Klara Zetkin schrieb:
Der Weg von Moskau nach Paris führt über Peking, Tokio und Kalkutta.
Und in einem Artikel, den er 1923 in der „Prawda" veröffentlichte, steht:
Man muß sich zunächst die asiatischen Menschenmassen angliedern, um mit ihnen die Revolution nach Europa zu tragen.
Wer die politischen Ereignisse in den letzten Jahrzehnten aufmerksam verfolgt hat, kann nicht umhin, festzustellen, daß Stalin sich diese Leninsche Konzeption vollinhaltlich zu eigen gemacht
hat. In Peking herrschen die Rotchinesen. Wenn Korea Hand bekommen würde, wäre man nicht mehr fern von Tokio, und quer durch Tibet versucht der chinesische Kommunismus durchzustoßen nach Kalkutta. Überall dort, wo sich schwache Stellen zeigen, versucht man einzubrechen. Ich erinnere an Indochina, an Persien, an Ägypten, an Tunesien — und nur dort wird zurückgewichen, wo sich der Wille zum Widerstand zeigt: in Griechenland, in Berlin, in Jugoslawien, in dem kleinen vorderasiatischen Staat Aserbeidschan. Das sollte uns eine Lehre sein. Jedenfalls ist es richtig, was Herr Pfarrer Niemöller 1935 in Hannover sagte:
Daß ein wehrloses Volk eine ständige Versuchung und ein dauernder Anreiz zu kriegerischen Überfällen ist und bleibt, haben wir als eine Tatsache anzuerkennen, die sich als stärker erweist als alle weltbeglückenden Pläne und Programme jener Optimisten, die da meinen, es müsse nur einer den Anfang machen, dann würde sich das übrige schon von selbst entwickeln.
Wir haben alle eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit. Wir wollen endlich Ruhe haben. Aber können wir uns auf die Friedensbeteuerungen des Ostens verlassen? Ich meine, wenn es den östlichen Machthabern damit und mit ihrer angeblichen Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit wirklich ernst wäre, dann würden sie nicht nach der Unterzeichnung der Verträge, die keine Tür zuschlagen und mit deren Unterzeichnung noch kein deutscher Soldat auf dem Plan erscheint, in der Volkskammer einen Beschluß auf Errichtung einer nationalen Armee herbeigeführt und Jugendliche,
darunter auch Mädchen, mit Gewehren bewaffnet haben. Die müssen doch immerhin schon irgendwo bereitgelegen haben!
Der Generalsekretär des kommunistischen Friedenskomitees, Heinz Willmann, sagte bereits am 30. Juni 1951 mit aller wünschenswerten Deutlichkeit:
Es soll sich niemand einbilden, daß die friedliebende FDJ aus Friedensträumern und kraftlosen Pazifisten besteht.
Wie kann, wenn es einem ernstlich um den Frieden zu tun ist, ein Vertreter des thüringischen Volksbildungsministeriums auf einer Lehrerversammlung ausrufen: „Wir müssen die Kinder hassen lehren!"? Und warum nimmt in der Gegenwartskunde in den Schulen die unentwegte Hetze gegen Westdeutschland und die Westmächte einen so breiten Raum ein?
In diesen letzten Wochen ist die Friedensliebe und die Sehnsucht der östlichen Regenten nach einem wiedervereinigten Deutschland endgültig demaskiert worden. Die ostzonale Presse berichtet uns immer wieder von der Bereitschaft Jugendlicher, in der Volkspolizei Dienst zu tun. In der Zeitung „Junge Welt" ist der Brief einer Frau Rosemarie Stern aus Burgstedt, Mutter mehrerer Kinder, an die FDJ-Spatzen in Chemnitz abgedruckt, in dem gegen die Provokationen zum Krieg Stellung genommen wird. Es heißt dort:
Sie sagen Frieden, die Transparente tragen
die Aufschrift Frieden, und daneben bereiten
diese Menschen die Bereitschaft zur Waffen-
ergreifung in der Zeitung vor.
Auf diese Zuschrift antwortete das SED-Organ „Die Volksstimme":
Frieden und Wohlstand können nur erhalten bleiben, wenn die Bereitschaft zum Kämpfen besteht und wenn auch Sie, Frau Stern, Ihren Kindern empfehlen, in den. nationalen Streitkräften der Deutschen Demokratischen Republik Dienst zu tun.
Die „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten" vom 15. Juni 1952 mit der Sonderbeilage „Hier spricht die Frontgeneration" schreibt unter der Überschrift „Wie die Bevölkerung für das Waffenhandwerk gewonnen werden soll — Wenn das Volk zu den Waffen greift":
Vor uns ersteht die vom ganzen Volk getragene Erhebung gegen Napoleon, deren heiße Flamme aber zugleich vom Kampf für demokratische Errungenschaften, wie sie Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Arndt und andere Patrioten zum Teil durchgesetzt, zum Teil angebahnt hatten, genährt wurde. Wir haben hohe und höchste Werte zu verteidigen. Darum sagen wir ja zu nationalen Streitkräften. Der jämmerliche Ruf „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" gilt nicht, wenn der Amerikaner und seine Söldner Panzer und Bomben gegen uns in Bewegung setzen.
Der Artikel ist umrahmt mit den Bildnissen Scharnhorsts, Gneisenaus, Yorcks und Nettelbecks und ,dem Hodlerschen Gemälde „Aufbruch der Jenenser Studenten".
In einer weiteren Nummer der „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten" vom 22. Juni steht unter der Überschrift „Für die nationale Freiheit" unter anderem ein Aufsatz über die Freiheitsheldin von 1813, Eleonore Prochaska, freiwilliger Jäger im Lützower Korps. Darin wird der Ausruf „Herr Leutnant, ich bin ein Mädchen!" in Schlag-
zeilen fettgedruckt hervorgehoben. Ich meine, da wäre jetzt für Frau Wessel und ihre Mitstreiterinnen eine Aufgabe, in die Ostzone zu gehen und dort Frauen-Friedenstage und Frauen-Friedenskundgebungen zu veranstalten.
Ich wäre dankbar dafür, wenn Sie uns hier wissen ließe, in wie vielen Städten sie hat sprechen und gegen die Aufrüstung in der Ostzone Stellung nehmen können und wieviel Zeit ihr die sowjetzonalen Sender zur Verfügung gestellt haben, um auch über das Radio in die Breite zu wirken.
Nun hat Fr au Wessel in der 98. Sitzung des Deutschen Bundestags am 8. November 1950 für die damalige Zentrumsfraktion erklärt:
Wir wissen, daß es ein klares Naturrecht für jedes Volk ist, sich gegen Angriffe zu verteidigen, und es ist auch kaum zweifelhaft, daß das deutsche Volk sein Land und Leben gegen den Osten verteidigen wird, aber nur dann, wenn es zur Rettung seiner Freiheit notwendig ist, und nie um imperialistischer Ziele willen.
Wollen Sie denn wohl etwa den deutschen Frauen und Müttern gegenüber behaupten, daß seit dem Vordringen der Sowjets in die Mitte unseres Vaterlandes nicht auch unsere Freiheit und die unserer Kinder beständig bedroht gewesen ist und es noch ist? Sie soll doch einmal versuchen, in ihren Versammlungen den Frauen klarzumachen, sie könnten, wenn sie an einem Fluß wohnen, der über seine Ufer tritt, dann noch schnell einen Damm aufwerfen, wenn die Überschwemmung bereits Tatsache geworden ist.
Oder sie soll ihnen zu empfehlen versuchen, erst dann ein Schloß für die Haustür zu kaufen, wenn der Einbrecher bereits auf der Schwelle steht. Die Antwort dürfte eindeutig sein.
Ich stimme ihr vollkommen bei, daß unsere Regierung die Aufgabe hat, alles zu tun, um den Ausbruch eines kriegerischen Konfliktes zu verhindern. Aber das geschieht nicht dadurch, daß wir wehrlos dem Zugriff aus dem Osten preisgegeben werden. Gewiß sollten wir keine Möglichkeit ausschlagen, zu echten Verhandlungen zu kommen. Aber wenn den Frauen immer wieder als einzige Möglichkeit, zum Frieden zu kommen, die Parole „Deutsche müssen an einen Tisch!" zugerufen wird, dann muß man doch die Frage aufwerfen: Mit wem können wir uns denn hier von Westdeutschland aus zusammen an einen Tisch setzen? Unsere Brüder und Schwestern, mit denen wir uns innerlich fest verbunden fühlen, können es weder wagen, ihre politische Meinung zu äußern, noch aber ihr Nachdruck zu verleihen. Wir wissen aus der Zeit des Nationalsozialismus, daß eine kleine Schicht gewissenloser Menschen ein ganzes Volk terrorisieren kann. Wir wissen aber auch, daß Machthaber, in deren Bereich Konzentrationslager sind, Machthaber, die Menschen verschleppen und sie, von Jugendlichen angefangen, zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilen, nicht abtreten können. Sie können sich höchstens nach dem Osten absetzen; denn wenn ihr System fällt, dann sind sie ihres Lebens nicht mehr sicher.
Gerade aber auch die deutschen Frauen sollen wissen, daß mit den gegenwärtigen Machthabern
in der Ostzone kein Paktieren möglich ist, daß diese, wenn sie von Gesamtdeutschland sprechen, nur ein solches unter bolschewistischem Vorzeichen im Auge haben. Und was das für unsere Frauen und für unsere Kinder bedeutet, das dürften wir von unseren Angehörigen drüben wissen. Der einzig gangbare Weg, um zu einer Wiedervereinigung mit unseren Brüdern und und Schwestern zu kommen, führt über freie Wahlen. Wir haben diese seit 1949 in Abständen immer wieder gefordert und damit den einzig möglichen konstruktiven und praktischen Vorschlag zu einer Wiedervereinigung gemacht. Es wäre gut, wenn den Frauen auf diesen Kundgebungen auch einmal gesagt würde, daß die Hohen Kommissare auf wiederholte Bitten an den russischen General Tschuikow, in seinem Gebiete die Voraussetzungen für freie Wahlen zu schaffen, bis auf den heutigen Tag noch keine Antwort bekommen haben.
Herrn Heinemanns Ausspruch: „Wer nicht schießen will, muß miteinander reden", klingt nicht mehr sehr überzeugend, nachdem ein rundes Jahr bei Waffenstillstandsverhandlungen in Korea geredet worden ist ohne daß die Waffen zum Schweigen gebracht worden wären. Sicherlich kann man seinem Ausspruch zustimmen, daß die längste Verhandlungszeit, um mit Rußland zu einer Verständigung zu kommen, besser ist als der kürzeste Atomkrieg. Aber glaubt Herr Heinemann wirklich, daß mit den Russen erfolgreich unterhandelt werden könnte, wenn sie die Trümpfe in der Hand haben und wir nichts? Wir haben jetzt genügend Beispiele über die Verhandlungsmethoden der Sowjets, und es sollten sich auch solche Männer wie Herr Heinemann daran erinnern, daß es ein altes russisches Sprichwort gibt, das sagt: Der Wolf verliert die Haare, aber nicht den Charakter. Gerade das, was weder die Kundgebungen der Notgemeinschaft noch die Reise des Herrn Heinemann in die Ostzone noch Herrn Niemöllers Flug nach Moskau zustande gebracht haben, nämlich die Absendung der sowjetischen Note vom 10. März 1952 zu erwirken, ist durch die konsequente Integrationspolitik des Westens möglich geworden. Daß durch die Ratifizierung der Vertragswerke die Verhandlungsmöglichkeiten nicht unterbunden sind, ist in dieser Debatte schon oft genug betont worden.
Ich kann mir denken, daß Frau Wessel einen fabelhaften Applaus bekam, als sie am Himmelfahrtstag sagte: Wenn ich mir der Verantwortung für unser Volk bewußt bin, dann habe ich als deutscher Politiker deutsche Politik zu machen und keine amerikanische und keine russische. Wenn Frau Wessel daran liegt, daß die Frauen politisch denken lernen, dann kann sie ihnen wirklich nicht einzureden versuchen, es würde heute in einer einzigen europäischen Hauptstadt - London eingeschlossen — noch eine außenpolitische Entscheidung gefällt, die nicht irgendwie von Washington oder von Moskau beeinflußt wird. Und dann soll sie doch bitte dabei sagen, wie sie diese deutsche Politik machen will. Über den vom Herrn Bundeskanzler mühsam genug erreichten Lockerungen der außenpolitischen Beschränkungen, wie wir sie beim Zusammentritt des Parlaments hier vorfanden, scheint sie vergessen zu haben, daß die Zugeständnisse in Richtung selbständiger Behandlung außenpolitischer Fragen — und dazu
rechnet ja nun leider auch die Wiedervereinigung Deutschlands, da sie nur über die Siegermächte zustande kommen kann — nach Art. 3 des Besatzungsstatuts jederzeit widerrufen werden können. Der Generalvertrag gibt uns im Art. 7 Abs. 1 wenigstens die Möglichkeit, bei einem frei zu vereinbarenden Friedensvertrag mitzureden, und sieht in Abs. 2 ein Zusammenwirken der Bundesrepublik mit den Drei Mächten vor, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland.
Nun verwahren sich diese Kreise um Frau Wessel, Herrn Heinemann und Niemöller immer sehr dagegen, als kommunistisch infiziert zu gelten.
Ich möchte hier feststellen, daß ich in den Versammlungen niemals einen dieser Männer und eine dieser Frauen den Kommunisten zuzurechnen pflege. Aber sie können es doch nun einmal nicht leugnen, daß sie als Lautverstärker der kommunistischen Propaganda gefeiert und gelobt werden.
In der Kundgebung am Himmelfahrtstag, in der ja auch Frau Thiele sprach und in der gewiß eine stattliche Zahl von Genossinnen anwesend war,
ist Frau Wessel in einer minutenlangen Ovation gefeiert worden. Die Herren Wirth, Heinemann und Niemöller wurden lobend von Herrn Reimann in der Debatte vom 7. Februar sowie mehrfach von dem Ministerpräsidenten Grotewohl in den Reden der Deutschen Demokratischen Volkskammer erwähnt, und nach dem Herrn Kirchenpräsidenten Niemöller wurden in der Ostzone Straßen und Plätze benannt.
Ich möchte fragen: Dient so etwas wirklich einer echten Befriedung oder werden dadurch unsere Brüder und Schwestern im Osten noch mehr geknechtet? Ich möchte diesen Männern und Frauen empfehlen, sich doch einmal bei den Mitgliedern unseres Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen zu erkundigen, was sie in der letzten Woche bei ihrer Grenzlandfahrt hörten, als sie den Bericht eines vertriebenen Bauern auf Tonband aufnahmen, in dem dieser sich am Schluß erbittert darüber äußerte, daß durch solche Kundgebungen der Notgemeinschaft und ähnliche Veranstaltungen den Peinigern in der Ostzone moralisch das Rückgrat gestärkt würde.
Und nun gestatten Sie mir, meine Herren und Damen, noch einige Sätze zu diesen ganzen Fragen zu sagen in meiner Eigenschaft als Glied der evangelischen Kirche, in deren Bereich das Für und Wider eines Verteidigungsbeitrags Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen gewesen ist und noch ist. Ich möchte vorab sagen, daß ich das Wächteramt der Kirche auch gegenüber dem Staat grundsätzlich bejahe und jederzeit bereit bin, mich von den Dienern der Kirche an die große Verantwortung mahnen zu lassen, die ich als ein in der Politik tätiger Christ in ganz besonderem Maße zu tragen habe.
Auf der andern Seite weiß ich aber auch, daß nach den Bekenntnisschriften unserer Kirche und den Erfahrungen, die wir im Kampf gegen den nationalsozialistischen Staat gemacht haben, die weltliche Obrigkeit, der Staat, als Gottes Ordnung von
der Kirche anerkannt und geachtet werden soll. Ich bedauere es daher aufrichtig, wenn im Laufe der Debatten über die beiden erwähnten Probleme aus dem Raume der Kirche — ich denke hier an den Kirchenpräsidenten Niemöller und ihm nahestehende Kreise — Äußerungen gefallen sind, die dazu angetan waren, die zwangsläufig noch auf schwachen Füßen stehende staatliche Autorität in der westdeutschen Bundesrepublik zu gefährden.
Ich muß es ferner auf das entschiedenste ablehnen, daß Vertreter der Kirche, die dazu berufen zu sein glauben, mir Entschließungen oder offene Briefe zusenden, in denen sie sich in politische Einzelfragen einmischen und konkrete Vorschläge machen, wie das vorliegende Problem gemeistert werden soll, ohne über die nötige Sachkenntnis zu verfügen. Ich habe sehr dankbar die Erklärung des Herrn Bischofs Dr. Dibelius im Herbst vorigen Jahres begrüßt, die feststellt, daß die Kirche es sich nicht nehmen lassen könne, politische Fragen auf ihren Veranstaltungen zu diskutieren, daß es aber nicht ihre Aufgabe sei, Methoden zu ihrer Lösung vorzuschlagen.
Wenn nun der Herr Kirchenpräsident Niemöller und seine Freunde für sich in Anspruch nehmen, in solch schwerwiegenden Fällen wie dem vorliegenden konkrete Vorschläge für das einzuschlagende Verfahren zu machen, könnten sie meines Erachtens genau so gut einem Chirurgen bei einer Operation auf Leben und Tod verbindliche Anweisungen über die anzuwendende Technik geben. Vor kurzem kam mir ein Buch über Niemöllers politisches Wirken seit 1945 in die Hand, das von seinem Sekretär, dem General a. D. Beyer, geschrieben wurde. Auf Seite 84 steht zu lesen:
Er
— Niemöller —
sieht mit Recht seine Aufgabe darin, auch im politischen Leben ein Künder und Prophet, ein Mahner und Warner zu sein. Propheten sind Männer gewesen, die der Welt das Wort Gottes sagten, von dem es gilt, daß es nicht das eine Mal ja und das andere Mal nein ist.
Die Propheten pflegten nicht als Privatleute zu sprechen und hinterher zu dementieren. Wenn jedenfalls ein kirchlicher Amtsträger meint, er müsse in der praktischen Politik tätig werden — Herr Beyer berichtet an der gleichen Stelle von Niemöller, daß das seine Ansicht sei —, dann möge er bei der nächsten Gelegenheit, die sich bietet, dahin gehen, wo er die Verantwortung für seine politischen Reden, Entscheidungen und deren Konsequenzen tragen muß, nämlich in ein Parlament, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, daß er in des Wortes ureigenster Bedeutung verantwortungslos rede.
Martin Luther hat sich in seiner Schrift „Wider die himmlischen Propheten" in scharfen Worten gegen die politischen Propheten im geistlichen Rock gewandt. Wir sollten wahrhaftig die Geschichte zu Rate ziehen und bedenken, welche Nöte solche zwangsläufig auf die Klerikalisierung der Politik hinarbeitenden Propheten uns in der Vergangenheit gebracht haben und in der Zukunft noch bringen könnten.
Ich will noch ein letztes Argument streifen, auf das ich in Versammlungen wiederholt von christlichen Müttern angesprochen worden bin. Sie berichteten, daß ihre Söhne den Standpunkt ver-
träten, man könne den Bolschewismus nicht mit Waffengewalt bekämpfen,
sondern nur mit der Kraft des Geistes, und wenn er nun über Westdeutschland kommen solle, dann sei der Christ gehalten, wehrlos alles über sich ergehen zu lassen.
Dazu habe ich folgendes zu sagen: Selbstverständlich steht es dem einzelnen Christen frei, für sich den Weg des Martyriums zu wählen und sich wehrlos erschlagen zu lassen.
Aber es ist unmöglich, daß er seine persönliche Glaubensüberzeugung zur Richtschnur für alle, für ein ganzes Volk macht.
Einer der bedeutendsten lebenden deutschen evangelischen Theologen erklärte zur Frage der Aufstellung militärischer Einheiten zur Sicherung Deutschlands: Natürlich wäre eine Regelung der ganzen Dinge ohne Anwendung von Gewalt christlicher, und ich würde darum auch alle diejenigen als Heilige betrachten, die heute bereit sind, die Ehre von Frau und Kind um Christi willen zum Opfer zu bringen für die Sünden der Menschen; jedoch würde ich die gleichen Menschen als gefährliche Schwärmer ansehen, wenn sie von Obrigkeiten das verlangen, was nur den Heiligen vorbehalten ist.
Professor Gollwitzer, einer der nächsten theologischen Freunde Dr. Niemöllers meint — ich zitiere sinngemäß —: Man könne den Bolschewismus gewiß nicht mit Kanonen bekämpfen; aber wenn man einem Angriff der Soldaten der Roten Armee begegnen wolle, dann komme man nicht ohne Waffen aus.
Zum Schluß möchte ich Ihnen noch einmal die von Frau Wessel zitierte Äußerung des früheren Reichsgerichtspräsidenten in die Erinnerung zurückrufen, der schon vor 50 Jahren feststellte, es fehle uns am Augenmaß für den Wert politischer Entscheidungen. Damals mag er wohl an die außenpolitische Situation gedacht haben, als wir uns nicht zwischen Ost und West entscheiden konnten. Der Erfolg war, daß wir uns zwischen zwei Stühle setzten und den ersten Weltkrieg als Zweifrontenkrieg erlebten.
Wir sind aber nicht, wie Herr Kollege Schmid gestern meinte, nur darauf angewiesen, mit historischen Analogien zu arbeiten.
Wir versuchen auch, historische Entwicklungen in unsere Konzeption hineinzunehmen. Ich erinnere daran, daß im Jahre 1948 der tschechische Historiker Franz Palaky in dem Schreiben, in welchem er seine Absage an die großdeutsch orientierte und damit die Einheit Österreichs gefährdende Frankfurter Nationalversammlung begründete, den berühmten Satz einfügte.:
Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müßte im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.
Fällt Österreich weg, so droht
— so prophezeite er —
dem Donau-Raum der Einbruch des russischen
Kolosses. Keins seiner Völker wäre allein
stark genug, dem mächtigen Nachbarn im Osten erfolgreich Widerstand zu leisten. Denken Sie sich Österreich in eine Menge von Republiken und Republikchen aufgelöst.
Welch ein willkommener Grundbau für eine russische Universalmonarchie!
So rief er aus. Genau hundert Jahre danach wurde seine hellsichtige Warnung unmittelbarste und düsterste Wirklichkeit.
In seinem Aufsatz „Altösterreichs späte Rechtfertigung" weist Wolfgang Höpker darauf hin, daß die Voraussetzungen dafür, daß die Russen 1948 in Prag einziehen und Europas Kerngebiet Böhmen und Mähren in ein Protektorat Moskaus verwandeln konnten, 30 Jahre vorher durch die Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie geschaffen worden ist. Dem Sog des in diesem Raum entstandenen Vakuums sind die Sowjets gefolgt. Ausgerechnet die Tschechen Masaryk und Benesch sind es gewesen, die am heftigsten die Zerschlagung Österreichs von Wilson gefordert haben. Alle diese selbständig gewordenen Nationalstaaten sind inzwischen vom Bolschewismus verschluckt worden. Soll Deutschland der nächste sein?
Im Blick auf diese Frage gedenke ich nicht, den Kopf in den Sand zu stecken oder in die rosaroten Wolken einer nicht zu praktizierenden und darum wirklichkeitsfremden Neutralitätspolitik. Ich kann auch den deutschen Frauen und Müttern eine solche Haltung nicht empfehlen. Jede Entscheidung in dieser Lage ist für uns nicht ohne Risiko. Es gilt daher, sehr sorgfältig abzuwägen, wo das geringere Risiko ist, und da möchte ich allerdings sagen, daß ich wohl bereit bin, mich der Anschauung anzuschließen, daß der Starke am mächtigsten allein ist. Aber im politischen Raum trifft es niemals zu, daß der Schwache am mächtigsten allein ist. Und daher, meine Herren und Damen, weil ich mich an der Überrollung unseres Vaterlandes und des restlichen Europas nicht mitschuldig machen möchte und weil ich der Überzeugung bin, daß die Erhaltung und Sicherung dessen, was wir als die europäische Lebensform zu bezeichnen pflegen, die seit mehr als tausend Jahren auch die unsrige ist und zu der als unveräußerliches Gut die Freiheit und das Recht gehören, nur durch den Zusammenschluß der Völker des schon so verstümmelten Europas überhaupt nur möglich ist, sage ich j a zur europäischen Integration und damit zu den beiden vorliegenden Vertragswerken.