Rede von
Helmut
Bazille
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem Vertragswerk ist erneut die Frage der Kriegsgef angenen und der Verurteilten aufgeworfen worden. Sie soll durch die Einbeziehung in die Verträge nach den Vorstellungen der Bundesregierung „im Rahmen des politisch Erreichbaren" gelöst werden. Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion habe ich dazu festzustellen, daß uns weder diese Methode der Kopplung mit den Verträgen noch der in diesen beschrittene Weg geeignet erscheinen, zu der auf diesem Gebiet notwendigen Bereinigung zu führen.
Wir müssen uns dagegen verwahren, daß elementarste Rechte deutscher Staatsbürger, Rechte, die mit jedem Menschen neu geboren werden, hier zum Gegenstand eines politischen Handels gemacht werden.
Es muß hier einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß diese Rechte keine Unterschiede kennen und deshalb bei ihrer Vertretung grundsätzlich gleich bewertet werden müssen.
Die unschuldig Verurteilten haben einen Anspruch darauf, daß sich die Stimme der Nation, der sie angehören, in jeder Phase des Fortbestehens des ihnen zugefügten Unrechts erhebt.
Sie kann und darf durch vertragliche Bestimmungen nicht zum Verstummen gebracht werden.
Nirgendwo sind nationale Phrasen unangebrachter und verwerflicher als auf diesem Gebiet. Weder die deutsche Ehre noch die Ehre des ehemaligen deutschen Soldaten kann von Mächten außerhalb Deutschlands angetastet werden. Sie kann daher von dort auch nicht zugesprochen oder, wie man so oft hört, wiederhergestellt werden. Man hat den
unschuldig Verurteilten das Recht genommen; man hat ihnen Menschlichkeit verweigert; ihre Ehre haben sie behalten.
Die Dinge haben auch ein anderes Gesicht; denn der Ehre begeben haben sich jene, die Verbrechen begangen haben.
Gegen sie verhängte Sühnemaßnahmen stellen Recht dar, und der Gedanke wäre geradezu unerträglich, daß Verbrecher durch ein Angebot neuer deutscher Soldaten ausgehandelt würden.
Eine solche Konsequenz wäre die größte Schmach, die dem deutschen Soldatentum angetan werden könnte.
Wir halten es für unsere Pflicht, unablässig an das Rechtsgewissen der Welt zu appellieren, dem Unrecht Einhalt zu gebieten, in welcher Gestalt auch immer wir ihm begegnen. Dies gilt für den Westen gleichermaßen wie für den Osten.
Wo aber bleibt das Recht unserer Gefangenen in den Verträgen? Man hat es gegen ein sehr fragwürdiges System einer Gnadenpraxis ausgehandelt, durch welches noch nicht einmal die Rechtskraft der Urteile aufgehoben ist. Das halten wir für genau so unvertretbar wie eine prononciert vorgetragene Forderung nach einer Generalamnestie für alle Verurteilten. Wer sich im Namen des deutschen Volkes der verabscheuungswürdigsten und abscheulichsten Verbrechen schuldig gemacht hat, hat den Anspruch verwirkt, daß sich die Stimme der Nation für ihn erhebt.
Hier verbietet uns die Würde auch das Schweigen. Das scheint uns allerdings eine echte Frage der nationalen Ehre zu sein.
Wenn sich die Gewahrsamsländer dazu entschließen, sowohl aus Gründen des Rechts als auch aus Gründen der Menschlichkeit und der politischen Verantwortung, die sie einmal vor dem Richterstuhl der Geschichte werden übernehmen müssen, alle mit diesem Problem aufgeworfenen Fragen auf dem Wege der Amnestie oder der Gnadenerweise zu lösen, dann ist das allein ihre Sache. Ich stehe jedoch nicht an, hier zu erklären, daß auch die deutsche Sozialdemokratie einen solchen Schritt begrüßen würde und daß sie es bedauert, daß sich die Siegermächte auch des Westens zu einem solchen Schritt seither nicht haben aufraffen können.
Die Forderung danach aber steht dem deutschen Volk aus Gründen der Selbstachtung nicht zu. Weder das deutsche Parlament noch eine andere verfassungsmäßige Institution des deutschen Volkes sind der Raum, die Frage einer Generalamnestie zu diskutieren. Hier und für uns steht allein das Recht auf der Tagesordnung, und es wird dort so lange stehenbleiben müssen, bis auch dem letzten deutschen Kriegsgefangenen Gerechtigkeit widerfahren sein wird.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet mit der
seitherigen Beharrlichkeit fortsetzen, geleitet vom Motiv. der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit und mit einer tiefen Verachtung für die Versuche, parteipolitisches Kapital aus einer Sache zu schlagen, in der sich menschliches Mitgefühl für die Betroffenen mit dem gemeinsamen Anliegen paaren sollte, das ihr Schicksal für uns Deutsche darstellt,
im Guten wie im Bösen. Hier wie anderswo gibt es weder Kollektivschuld noch Kollektivunschuld. Die Antwort auf die noch immer brennende Frage kann nur lauten: Freiheit und Recht für die unschuldigen Opfer Schuldiger.