Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Standpunkt meiner Fraktion zu dem Problem der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft darzulegen.
Als die Atlantik-Charta 1945 erstmals weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung bekannt wurde, war es ein Satz, der uns alle mit einer Hoffnung erfüllte, nämlich jener, der besagte, daß die Menschheit nach diesem furchtbaren zweiten Weltkrieg ein Leben ohne Furcht und Not leben sollte. Inzwischen sind sieben Jahre ins Land gegangen, und die Menschheit lebt heute mehr als in den Tagen von 1939 in der Furcht vor dem dritten Weltkrieg. Gerade unser Land, das durch eine tragische politische Entwicklung in zwei Teile gerissen ist — 18 Millionen Deutsche drüben unter dem freiheitsfeindlichen System der sowjetischen Diktatur, 48 Millionen Deutsche hüben in der Bundesrepublik —, gerade Deutschland ist in besonderem Maße Träger jener weltpolitischen Spannungen zwischen Ost und West und damit Träger jener Furcht geworden. Es ist daher verständlich, daß in unserem Volk der Wunsch nach Frieden besonders groß ist, nicht zuletzt infolge der grausamen Erfahrungen, die unser Volk im letzten Weltkrieg machen mußte. Und wer wollte leugnen, daß ein dritter Weltkrieg Europa zum Atombombenversuchsfeld beider Parteien zwangsläufig machen müßte?
Worin liegt nun die Möglichkeit einer Friedenssicherung? Seit Tausenden von Jahren bemüht sich die Menschheit, jenes Problem des ewigen Friedens zu lösen, leider bisher ohne Erfolg! Weder die geistvolle und von tiefem ethischen Verantwortungsbewußtsein getragene Schrift des großen Königsberger Philosophen Kant „Vom ewigen Frieden" noch die modernen Institutionen wie Völkerbund, Vereinte Nationen und Weltsicherheitsrat haben eine Lösung dieses Problems gebracht. Es scheint daher wohl die nächstliegende Lösung zu sein, daß der Friede dann gewahrt wird, wenn der Kräftegruppierung und Schwerpunktbildung auf der einen Seite eine gleiche Kräftegruppierung auf der anderen Seite gegenübergestellt wird, damit in einer Verteilung der Schwergewichte keine von beiden Parteien der Verlockung unterliegen kann, eine risikolose Aktion zu wagen. Wir stimmen in dieser Konzeption durchaus dem Herrn Bundeskanzler zu, und nicht nur Politiker, sondern fast die gesamte militärische Fachwelt sieht in dieser realen Betrachtung die einzige heute gültige Sicherung des Weltfriedens. Man muß daher wohl auch das klassische Sprichwort „si vis pacem, para bellum" in diesem tieferen Sinne verstehen: Willst du den Frieden erhalten, dann mache durch deine Rüstung und Bereitschaft das Risiko für den Gegner so groß, daß er bei nüchterner Überlegung davon absieht, dieses Risiko einzugehen.
Man könnte es an einem anderen Beispiel aus dem täglichen Leben noch deutlicher sagen: Wer einen Bau errichtet, der muß Druck und Gegendruck, Schwerkraft und Stützung in seinen statischen Berechnungen so ausgleichen, daß eine Aufhebung der gegeneinander wirkenden Kräfte erfolgt. Denn nur dann, wenn die Statik gewährleistet ist, ist das Bauwerk solide; andernfalls stürzt es zusammen.
Auch der Weltfriede ist unseres Erachtens mit einem solchen Bauwerk vergleichbar. Wenn wir also die Verteidigungsgemeinschaft des Westens und die atlantische Gemeinschaft durch unseren Beitrag fördern, schaffen wir einen Ausgleich der Kräfte, die durch die gewaltige Massierung von Potential an Menschen, Gütern und revolutionären
Ideen durch den Osten bereits jahrelang angereichert werden. Die geistige Grundlage des Vertrags zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist somit die Erhaltung des Friedens, und zwar nicht nur innerhalb der Partner — auch das ist schon ein großer politischer Fortschritt —, sondern auch im Verhältnis zu jenen Spannungen zwischen den großen Rivalen der Weltpolitik in Ost und West.
Herr Kollege Reismann, ich glaube, Sie wollten den Zwischenruf machen, Rüstungen führten meistens dazu, daß sie sich dann auch entluden. Nun, wenn ich mir die Kompliziertheit der Demokratie ansehe mit ihren Bremsen und Sicherheiten, mit der Verteilung der Gewichte, und wenn ich mir auch die Kompliziertheit des EVG-Vertrags ansehe, dann erscheint mir die Gefahr, daß von dieser Seite aus eine aggressive Aktion unternommen wird, gleich null. Das ist das Privileg autoritärer Staaten, von heute auf morgen Aggressionen auszulösen. Wir haben es doch erlebt: es genügte ein Druck auf einen Knopf, und die „Iswestija", die „Prawda" und der Moskauer Rundfunk einerseits und der deutsche Reichsrundfunk und der „Völkische Beobachter" andererseits feierten das deutsch-sowjetische Freundschaftsbündnis, das meines Erachtens überhaupt erst Hitler den 1. September 1939 ermöglicht hat, als die neueste politische Weisheit. Das ist in einer Demokratie schlechthin unmöglich. Es liegt also in der Rüstung des Westens nicht die Gefahr des Präventivkriegs; das ist, wie gesagt, das Privileg autoritärer Staaten.
Das Ziel aller unserer Maßnahmen, aller unserer Sicherheitsmaßnahmen muß sein, weder die erste Schlacht zwischen Weichsel und Memel schlagen zu wollen — wie das manche auf der Seite der Opposition vor einem Jahr in ihren Reden zum Ausdruck brachten — noch die letzte Schlacht zwischen Pyrenäen und Ebro durch den Westen gewinnen zu wollen. Alles, was wir im Rahmen dieses Vertrags tun, und das höchste Ziel der deutschen Außenpolitik muß es sein, zu erreichen, daß die erste Schlacht überhaupt nicht stattfinden kann.
Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zieht meines Erachtens — wie auch bereits der Schumanplan — die Konsequenz aus dem Artikel 24 unseres Grundgesetzes. Wir waren nach Abschluß der Arbeiten des Parlamentarischen Rates mit Recht stolz darauf, daß wir im Grundgesetz als erster Verfassung der ganzen Welt einen freiwilligen Verzicht auf Souveränitätsrechte erklärt hatten. Wie mir erinnerlich ist, hat gerade die Fraktion der. heutigen Opposition sehr tatkräftig an diesem Artikel 24 mitgearbeitet, weil ihr dieser Artikel ein echtes Anliegen zu sein schien. Das Souveränitätsdogma hat doch seit der Zeit, da es Jean Bodin in seinen „Six livres de la république" interpretiert hat, sehr viel Blut und Tränen über die alte Welt gebracht. Es war daher verständlich, daß insbesondere die deutsche Jugend mit besonderer Hoffnung auf den Abbau der alten nationalstaatlichen Schranken sah und sich mit einer einhelligen Begeisterung der europäischen Idee zuwandte.
Was wir also im EVG-Vertrag vor uns haben, ist nichts anderes als die Realisierung des Absatzes 2 des Artikels 24 unserer Verfassung, in dem es heißt:
Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
Mir scheint es etwas eigenartig zu sein, wenn nun plötzlich durch den Redner der Opposition, den sehr verehrungswürdigen Professor Carlo Schmid, auf dem alten Souveränitätsdogma wieder herumgeritten wird. Man kann nicht sagen: Wir bauen ein Europahaus auf, aber nicht auf unsere Kosten. Wenn man Europa bauen will, ist es selbstverständlich, daß man beginnt, als Mitgift zu diesem Europa gewisse Verzichte einzubringen.
Unter diesem Gebot standen auch die Verhandlungen der deutschen Delegation in Paris. Sie hatte es, wie unser Fraktionsvorsitzender, Kollege Dr. Schäfer gestern schon erwähnte, einfacher als ihre Verhandlungspartner, die solche Souveränitätsverzichtsmöglichkeiten nicht in ihren Verfassungen niedergelegt haben. Wenn man einwendet, daß viele Formulierungen im EVG-Vertrag vom Mißtrauen unserer Gegner und von der Furcht vor neuen deutschen Divisionen diktiert sind, so scheint mir das übertrieben zu sein. Die ersten, im sogenannten Pleven-Plan niedergelegten Vorschläge für die strukturelle Gestaltung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft waren allerdings von einem solchen Mißtrauen getragen. Sie haben daher den rein sachlichen Prüfungen der Fachleute nicht standhalten können. Wir müssen anerkennen, daß vom Pleven-Plan zum EVG-Vertrag ein gewaltiger Fortschritt zu beobachten ist, nicht nur in der strukturellen Gestaltung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, sondern auch in der Atmosphäre der Verständigung, die unter den Partnern erreicht werden konnte.
Es ist selten, daß man in der Politik mit Dank rechnen kann. Wer sich in die Infanteriedrecklinie der Politik begibt, muß von vornherein damit rechnen, daß zu seinen Lebzeiten sein Werk nicht anerkannt wird. Es scheint mir jedoch eine gewisse moralische Verpflichtung hier vorzuliegen, zumindest anzuerkennen, daß die deutsche Delegation in Paris aus der Sache etwas gemacht hat. Wer einmal im Ausland gewesen ist und bei Verhandlungen die eisige Atmosphäre kennengelernt hat, die zunächst den deutschen Verhandlungspartnern immer entgegentritt, der muß dankbar sein, daß trotz dieser eisigen Atmosphäre schließlich eine Auflockerung eintrat und daß am Ende sachliche Ergebnisse vorliegen, deren wir uns nicht zu schämen brauchen und die die anderen auch nicht zu beklagen haben. Man steht gerade bei militärischen Verhandlungen immer in der Situation , von der einen Seite als Militarist verschrieen zu werden, wenn man viel fordert, und von der anderen Seite als Landesverräter gebrandmarkt zu werden, wenn man scheinbar zu wenig verlangt hat.
Es ist nicht Aufgabe dieser ersten Lesung, in eine Erörterung der Einzelheiten des Vertrages zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft einzutreten. Das ist die Aufgabe der zweiten und dritten Lesung. Aufgabe dieser ersten allgemeinen Aussprache ist vielmehr, eine generelle Einstellung zu dem Vertrag zu finden.
Auch hier muß ich dem Herrn Kollegen Carlo Schmid widersprechen. Die Idee einer Verteidigungsgemeinschaft ist gar nicht so neu. Der erste Weltkrieg brachte das Ende der reinen Koalitionsarmeen, während der zweite Weltkrieg, insbesondere in der Zusammenarbeit der atlantischen Kräfte, in den letzten Kriegsjahren bereits eine Verteidigungsgemeinschaft mit gemeinsamem Oberbefehl, gemeinsamer Strategie, operativen und sogar taktischen Maßnahmen zuwege gebracht hat. Ich möchte die Strategie nicht etwa interpretieren als eine rein militärische Angelegenheit. Im modernen Krieg ist die Strategie die Summe politischer, wirtschaftlicher, propagandistischer und militärischer Maßnahmen.
Wir wissen, welch gewaltige militärische Leistungen diese atlantische Verteidigungsgemeinschaft hervorzubringen in der Lage war.
Natürlich treten bei Verteidigungsgemeinschaften gewisse Schwierigkeiten auf, zumindest bei Beginn. Eine der geringsten Schwierigkeiten ist noch die sprachliche.
Die ursprünglich im Pleven-Plan vorgesehene Begrenzung der nationalen Einheiten auf Kampfgruppen in Regimentsstärke würde den Aufgaben einer echten Verteidigungsgemeinschaft nicht entsprochen haben; denn die kleinste aktionsfähige Einheit ist nach den Militärvorschriften der ganzen Welt immer die Division. Diese Feststellung ist heute beinahe überholt; denn im zweiten Weltkrieg sind seitens der Roten Armee bereits homogene Artilleriekorps eingesetzt worden. Man muß also heute die kleinste aktionsfähige militärische Einheit schon beinahe im Korps sehen. Wenn der EVG-Vertrag trotzdem die Division als die Grundeinheit vorsieht, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß im Rahmen militärtechnischer Erkenntnisse eines Tages um der Erhöhung der Schlagkraft willen die Integration erst oberhalb der Korps-ebene und nicht schon auf der Korpsebene beginnt.
Das Geheimnis militärischer Erfolge liegt in dem reibungslosen Zusammenarbeiten der verbundenen Waffen zu Lande, zu Wasser und in der Luft und in der personellen und materiellen Schwerpunktbildung. Feuer, Bewegung und Nachschub sind in diesem Funktionieren der Zusammenarbeit insbesondere auf die Nachrichtenverbindungen angewiesen. Im modernen Krieg, der binnen 24 Stunden völlig neue Situationen schaffen kann und ebenso schnelle Entschlüsse zur Folge haben muß, ist das Problem der Befehlssprache und Nachrichtenübermittlung sehr wichtig. Wir sollten daher, soweit wie möglich, eine Homogenität etwa bis zur Korpsebene einschließlich erstreben, um einen Sprachenwirrwarr und damit falsche Mel-. dungen und Befehlsübermittlungen zu vermeiden; denn schließlich können wir den Befehlshabern bis zu den Kompaniechefs keine Armee von Dolmetschern beigeben; Esperanto können wir leider auch noch nicht allgemein als Verständigungssprache gebrauchen.
Man sollte deswegen diese und vielleicht auch andere sich ergebende Schwierigkeiten ruhig der Entwicklung überlassen und der Einsicht der militärischen Organe vertrauen, jener militärischen Organe, die in ihrer Zusammenarbeit den Politikern oft voraus sind. Wenn Sie sich einmal den Text des Generalvertrags und der Annexverträge vornehmen und mit dem Text des EVG-Vertrags vergleichen, wird Ihnen auffallen, daß im EVGVertrag eine wesentlich verständlichere Sprache gesprochen ist. Man muß daher den Eindruck haben, daß dort auch klarere Vorstellungen von dem zu Erreichenden geherrscht haben.
Meine Damen und Herren, wir bedauern allerdings, daß die EVG ohne einen politischen Unterbau ist. An der Spitze der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sehen wir das entscheidende Exekutivorgan, das Kommissariat, das seinerseits von der Versammlung, dem legislativen Organ, und dem Ministerrat, dem föderativen Organ, kontrolliert wird. Schließlich haben wir neben diesen legislativen und exekutiven Organen als selbständige Säule den Gerichtshof als justizielles Organ., Wir sehen also in der Führung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die klassische Nachbildung der demokratischen Verfassungen mit einer Aufteilung der Gewalten. Trotzdem fehlt der politische Unterbau. Wir können den Politikern Europas den Vorwurf leider nicht ersparen, daß sie weder in den verschiedensten europäischen Institutionen, von denen es mehr gibt, als notwendig erscheint, noch in Straßburg in den vergangenen Jahren eine europäische Verfassung auszuarbeiten und zur Geltung zu bringen in der Lage waren. Es ist da vielleicht der EVG-Vertrag ein Initiator und ein Mahner, nun endlich nachzuholen, was bisher nicht gelungen ist. Denn wenn die Politiker der Eigengesetzlichkeit einer Armee und auch Armeegemeinschaft nicht unterliegen wollen und wenn das Schlagwort von dér „Gewerkschaft der Generale" nicht Wirklichkeit werden soll, dürfen sich die Politiker die Verantwortung nicht entwinden lassen, und durch die Politiker muß daher bald jener fehlende politische Unterbau geschaffen werden. Denn nur so kann der Primat der Politik gewahrt bleiben und verhindert werden, daß die militärischen Befehlshaber, die ohnehin eine Viel schnellere Nachrichtenübermittlung zu ihren Partnern haben als die Politiker, statt Objekte politischer Entscheidungen zu sein, Subjekte eigenverantwortlichen Handelns auch auf dem Gebiete der Politik werden.
Wir werden in der zweiten und dritten Lesung noch genügend Gelegenheit haben, uns mit den Einzelbestimmungen des Vertrages auseinanderzusetzen. Ich möchte hier nur zwei Befürchtungen herausgreifen, die in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder zu hören sind. Die eine lautet: Deutsche Männer könnten sich im Rahmen des Einsatzes der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eines Tages auf überseeischen Kriegsschauplätzen, etwa in Indochina, wiederfinden. Diese Befürchtung kann leicht widerlegt werden, denn erstens heißt es bereits in der Präambel, daß das Ziel der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die Verteidigung Westeuropas gegen jeden Angriff ist, und in Art. 120 heißt es ausdrücklich, daß Verbände der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie Schulen, Einrichtungen und Ausbildungsplätze lediglich durch einstimmige Billigung des Rates außerhalb der europäischen Hoheitsgebiete der Mitgliedsstaaten verlegt werden könnten. Es genügt also hier das Veto des deutschen Vertreters, die Verlegung eines deutschen Verbandes außerhalb Europas zu verhindern. Außerdem können bei Verlegung von Einheiten in Gebiete, die außerhalb der in § 6 des Atlantikpakts festgelegten Räume liegen — das wäre z. B. Indochina — sogar nationale Parlamente sich einschalten. Es ist also in jedem Fall eine parlamentarisch kontrollierte deutsche Zustimmung notwendig, falls jemals eine Verlegung von Verbänden deutscher Nationalität in Gebiete
außerhalb der Verteidigungsgemeinschaft erwogen werden sollte.
Die zweite Befürchtung ist, die Angehörigen der deutschen Verbände würden zweitrangig sein, gewissermaßen Europäer zweiter Klasse. Auch dem muß widersprochen werden. Denn hier enthält die Präambel sowohl dem Sinne wie dem Wortlaut nach den Gedanken der Gleichheit und der gleichen Behandlung, und in Art. 6 heißt es ausdrücklich, daß dieser Vertrag keinerlei unterschiedliche Behandlung der Mitgliedstaaten zuläßt.
Entscheidend, meine Damen und Herren — und das ist das Kernstück meiner Ausführungen —, für die Funktionsfähigkeit der Organe der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und für den Wert der aufgestellten Verbände wird der Geist sein, in dem die Bestimmungen des EVG-Vertrages gehandhabt werden. Hier muß an Stelle des latenten Mißtrauens gegenüber Deutschland endlich das Vertrauen zu Deutschland treten. Und wir wünschten uns von Herzen, daß man der Demokratie von heute wenigstens soviel Entgegenkommen zeigt, wie man unklugerweise der Diktatur von gestern an Konzessionen zu machen bereit war.
Schließlich beweisen die vergangenen sieben Jahre, daß das deutsche Volk in seiner breiten Mehrheit von tiefer Friedenssehnsucht erfüllt und von dem Willen beseelt ist, die alten deutsch-französischen Gegensätze durch eine deutsch-französische Zusammenarbeit in europäischer Gemeinsamkeit zu überbrücken.
Wir wollen nicht vergessen, was leider in deutschem Namen der Welt noch gestern zugefügt wurde. Aber das Heute und Morgen gebieten, einen Schlußstrich unter das Vergangene zu setzen. Schließlich haben sich soviel Politiker, Journalisten, Sportler und Touristen auf ihren Reisen von der europäischen Loyalität des deutschen Volkes überzeugen können. Und wenn wir einmal die schwierigste Zeit, die Zeit der wirtschaftlichen Spannungen von 1946 bis 1948 betrachten — nicht einmal in dieser gefährlichen Zeit hat es einen Akt von Resistancehandlungen oder eine Aktion jenes Werwolfskomplexes gegeben, mit dem die Allierten in unser Land gekommen waren. Man sollte also aus der Realität der vergangenen Jahre gewisse Vertrauensbasen schaffen und nicht immer nur dem latenten Mißtrauen das Wort reden. Denn eine Armee ist nun leider Gottes keine Addition oder vielleicht Gott sei Dank keine Addition von Offizieren, Unteroffizieren, Soldaten und Material. Eine Armee ist ein lebendiger Organismus, und das Entscheidende an diesem Organismus ist der Geist, der ihn beseelt. Der Geist deutscher Verbände kann nicht gut sein, wenn eben kein Vertrauen zu diesen Verbänden herrscht.
Damit komme ich auch zu der Frage, die man allgemein mit dem Wort „Kriegsverbrecherproblem" umreißt. Auch hier wollen wir nicht vergessen, was leider anderen Völkern zugefügt wurde. Aber wir wissen doch, daß in der Psychose des letzten Krieges auf beiden Seiten bedauerlicherweise das Kriegs- und Völkerrecht überschritten wurde, und im Zeichen koreanischer Ereignisse ist die Verurteilung deutscher Soldaten doch recht strittig geworden. Denn was taten denn viele von den deutschen Befehlshabern anderes als das, wozu alliierte Befehlshaber in Korea gezwungen waren, nämlich: brutale, hinterhältige Kampfmethoden mußten mit ebenso harten Gegenmaßnahmen beantwortet werden, um das Leben der Untergebenen zu schützen und die Versorgung der Armeen sicherzustellen. Wenn man sagt: j a, aber ein General hat doch jeden Befehl zu prüfen, — es ist ein Unterschied, ob man General in einem demokratischen Staat ist oder General in einem Staat, der mit der furchtbaren Geißel der Sippenhaft jeden militärischen Befehlshaber bedroht hat.
Wir wollen nicht vergessen, daß unter den in alliierten Zuchthäusern noch festgehaltenen Deutschen sich natürlich noch manche befinden, die auch nach deutschem Recht schuldig geworden sind und gerechte Strafe verdienen. Wir wollen hier von ihnen nicht sprechen, obgleich auch sie sieben Jahre Zuchthaus hinter sich haben, das ist nach dem Strafrecht aller Staaten eine sehr harte Strafe. Wir wollen auch nicht sprechen von den Einsatzkommandos, KZ-Erschießungen, von den Versuchen an lebenden Menschen und sonstigen sadistischen Quälereien, deren wir uns heute noch tief schämen und tief schämen müssen. Aber die Zahl derer, die hier betroffen werden, ist doch verhältnismäßig gering. Wir meinen vielmehr, wenn wir für die sogenannten Kriegsverbrecher plädieren, alle diejenigen, die als Soldaten, als Angehörige der Verbände der Waffen-SS, die ja auch im Felde waren und die selbst nicht wollen, daß man sie mit der KZ-Bewachungs-SS identifiziert,
als Angehörige der Polizeiverbände aus den Kriegshandlungen heraus schuldig oder vielleicht teilschuldig geworden oder ganz unschuldig sind, und wünschen, daß diese Menschen einen Gnadenakt erfahren. Wir halten es für höchst wünschenswert, daß noch vor der dritten Lesung des Generalvertrages die Gnadentätigkeit der drei Hohen Kommissare so wirksam wird, daß schließlich den Gnadenkommissionen nur noch der Teil der absolut strittigen Fälle überlassen zu werden braucht. Ich könnte mir denken, daß die Alten, die Schwachen, die Kranken, die Kriegsversehrten und die jüngsten Inhaftierten aus menschlichen Gründen durch einen symbolischen Akt in großer Zahl heimgeschickt werden.
Wenn man im Ausland nun sagt: Aha, da ist schon wieder einer, der alternative und ultimative Forderungen stellt, der also wieder nationalistische Reden hält, — es muß doch auch im Ausland allen Gutwilligen auffallen, daß die Vertreter der Kirchen, unter ihnen prominente Bischöfe, Vertreter des Evangelischen Hilfswerkes, des Caritasverbandes, des Deutschen Roten Kreuzes, daß alle politischen demokratischen Parteien hier plädieren, so daß dieses Problem zu einer allgemeinen Angelegenheit des Geistes der Zusammenarbeit und des Vertrauens geworden ist. Man soll von uns nicht mehr verlangen, als man selbst zu geben bereit ist. Jedes Volk, auch ein besiegtes, kann nur bis zur Grenze der Selbstachtung gehen, wenn es sich nicht selbst aufgeben und politisch entmündigen lassen will.
Man soll hier auch politisch nach dem Vaterunser handeln — wir beten es, aber in der Politik scheint es vergessen zu werden—: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! Wir sollten nicht nach dem Beispiel von Lots Weib handeln, das — nach der Bibel — zurückschaute und zur Salzsäule erstarrte, sondern man sollte vorwärts schauen auf Europa und auf die gemeinsame Gefahr, die uns alle bedroht, nicht nur in
Bonn, in Paris und London, sondern in der ganzen freien Welt. Ich appelliere hier mit aller Leidenschaftlichkeit an die Gutwilligen in aller Welt, die sich formieren müssen gegenüber der Front der Negativisten, jener Morbiden, die aus ihrer eigenen Morbidität auch nicht die Gesundung Europas wollen, die immer im Trüben fischen und die bewußt die Beziehungen unter den Völkern vergiften.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch auf eine Frage eingehen, die auch für den Geist der Verteidigungsgemeinschaft wichtig ist. Es ist die Frage der inneren Struktur der Verbände deutscher Soldaten, die wir einmal im Rahmen des EVG-Vertrages bekommen werden. Auch hier sehen wir uns großen Schwierigkeiten gegenüber. Man hat einmal die Ausübung des in der ganzen Welt ehrenhaften Soldatenberufs durch die sogenannte Entmilitarisierung unter Strafe gestellt. Man hat nach 1945 Gehorsam und Pflichterfüllung als Dummheit, Tapferkeit als Kriegsverbrechen hingestellt, und vom Berufsunteroffizier aufwärts begann der Militarist. Herr Kollege Strauß hat hier schon eine Definition über den Militarismus gegeben. Vielleicht kann ich sie ergänzen: Militarismus kann als die Bejahung der Anwendung von Gewalt zur Fortsetzung der Politik — mit anderen Mitteln — verstanden werden. Wenn das so ist —, dann sind selten Soldaten Militaristen, die mit ihrem eigenen Leben am ersten Tage die Folgen solcher Politik zu tragen haben.
Militaristen tragen vielmehr Zivil. Sie sitzen in der Rüstungsindustrie, in der Diplomatie und in der Politik.
Und, meine Damen und Herren, durch die Politiker werden die Wehrgesetze gemacht, die dann die Soldaten verpflichten. In keinem Staat der Welt kann der Soldat — weder der Gefreite noch der Leutnant noch der General — fragen: „Ist das ein bellum justum" — frei nach dem Heiligen Augustinus — „oder ein bellum injustum, ein ungerechter Krieg?" Das bestimmen die Politiker, und meistens bestimmt es leider Gottes, nach dem positivistischen und nicht nach dem Naturrecht, der Sieger.
Man sollte hier einmal die Scheidung zwischen den echten Militaristen und den Soldaten vornehmen, die das Soldatentum als eine ethische Aufgabe ansehen und sich genau so unter Noske und Ebert vor die Weimarer Republik gestellt haben, wie wir hoffen, daß sie sich morgen oder übermorgen vor die freiheitliche Demokratie des Westens stellen, wenn jene Kontingente, Frau Thiele, die das geschulterte Gewehr bereits in Leipzig vorbeigetragen haben, jene FDJ-Kolonnen eines Tages uns befreien wollen, wie es so schön heißt, von dem kapitalistischen, kolonialen Joch des Petersberges.
Ich liebe die drei Hohen Kommissare nicht, ich schätze vielleicht den einen oder anderen von ihnen; mir sind aber drei Hohe Kommissare auf dem Petersberg immer noch sympathischer als Tausende von Kommissaren der Roten Armee und der Volkspolizei, die Sie mit den FDJ-Karabinerträgern uns dann bringen werden!
Nun, ich kann mir denken, daß wir hier von den Erfahrungen unserer Spätheimkehrer, von den Erfahrungen aller derer einen Nutzen haben werden, die die Bestialität jener bolschewistischen Fratze bis zur Neige kennenlernen mußten.
Wir werden in den Ausführungsgesetzen vieles übernehmen können, was sich im letzten Krieg und vor dem letzten Krieg in der Tradition des deutschen Soldatentums bewährt hat; wir werden aber alles ausmerzen, was sich gegen den Menschen und die Menschenwürde gerichtet hat und richten könnte. Für überspitzte Formen soldatischer Ausbildung darf in den deutschen Verbänden ebensowenig Platz sein wie für einen überlebten Ehrenbezeigungskult. Wir können es uns nicht mehr leisten, in der Zeit der Technisierung des Militärischen das Vorbeigehen in gerader Haltung mit zwei Kaffeekannen zu üben, sondern wir werden jene Formen in der Ausbildung des deutschen Soldaten übernehmen, die sich im frontnahen Raum im letzten Krieg bereits entwickelt haben. Dort hatte man keine Zeit für überflüssige Beschäftigungstheorien, sondern alles war eingestellt auf das battle training, auf das Kampftraining, mit dem Ziel, durch die Lehre und Übung des richtigen Verhaltens dem Mann das Leben zu retten. Denn das Ziel eines echten Offiziers ist es, Blut zu sparen und so viele wie möglich von seinen Soldaten wieder nach Haus zu bringen.
Im vorderen Graben und in analogen Räumen, im Panzer, in der Kampfmaschine, im U-Boot, zählt keine Disziplinarvorschrift, sondern nur der Eindruck des persönlichen Beispiels; wenn wir darauf unsere Ausbildung aufbauen, dann können wir ganz getrost sein.
Es werden in der Öffentlichkeit ja auch schon Diskussionen darüber geführt. Wir werden von diesen Diskussionskreisen sicher manche Anregung bekommen und dann Zeit haben, zu dem Problem der Auslesedienstpflicht — der ich sehr skeptisch gegenüberstehe —, zu Fragen des Disziplinarrechts, der Dienstzeit usw. Stellung zu nehmen. Aber wir dürfen eines von vornherein nicht vergessen. Soldat sein ist leider keine leichte Sache. Soldat sein bedeutet, herausgerissen zu werden aus seinem zivilen Lebenskreis, gewissen Organisationsformen und einem harten Leben unterworfen sein. Selbst die amerikanische Armee, deren liberale Formen wir zum Vorbild nehmen können, kennt das bekannte Sprichwort: „Das ist die Armee, Mr. John, weder Privatbad noch Telefon!" Wenn wir also an diese innerstrukturellen Maßnahmen herangehen, so wird das Ziel dieser Maßnahmen sein, im Soldaten in erster Linie den Menschen zu sehen, in zweiter Linie den Waffenträger. Die Achtung der Grundrechte, die Achtung vor der Menschenwürde und allem, was Menschenantlitz trägt, muß das höchste zu schützende Gut des kommenden Soldaten sein!
Ich glaube, hier in diesem Parlament — das wird ja oft von demagogischen Rednern draußen bestritten — sitzen genügend Erfahrene des ersten und des zweiten Weltkrieges, genügend Kriegsbeschädigte, genügend Menschen, die mit Gut und Blut zahlen mußten. Sie werden mit aller sachlichen Verantwortung an diese Fragen herangehen!
Noch ein Wort zu den Führungsorganen und Stäben! Hier muß nicht minder darauf geachtet werden, daß in den Stäben nicht jener verderbliche, intrigantenhafte, überhebliche und arrogante
Militärsnobismus wiederkehrt, den wir in manchen höheren Stäben gelegentlich leider gefunden haben. In den Führungsstäben muß vielmehr der Geist der Frontkameradschaft entscheidend sein! Militärsnobisten dürfen heute allenfalls Memoiren schreiben, aber wir lassen sie nicht mehr an das wertvollste Gut, das wir haben, an unsere Jugend heran!
Aber ich weiß, daß das Einzelerscheinungen waren. Es ist kein Zufall, daß nach dem letzten Krieg keinem Offizier oder Unteroffizier die Schulterstücke heruntergerissen wurden. Das ist ein Beweis dafür, daß doch — auch im Zusammenbruch — eine Art echter Kameradschaft vorhanden gewesen sein muß; wir hoffen, daß sie wiederkehrt bis in den höchsten Stab!
Wir stimmen trotz gewisser Vorbehalte und trotz gewisser Sorgen besonders nach der geistigen Seite hin — Frau Hütter, die in Genf war und die das Problem der deutschen Kriegsgefangenen und der noch Festgehaltenen besonders gut kennt, wird hier noch zu der geistigen Seite und dem Kriegsverbrecher-Problem Stellung nehmen — dem EVG-Vertrag zu. Wir sehen ihn als eine Versicherung an! Die Tatsache, daß wir wieder Soldaten stellen müssen, nicht mit Enthusiasmus, sondern mit der bitteren Notwendigkeit, ist die Versicherungsprämie für unser freiheitlich-demokratisches Leben. Genau so, wie man sich gegen den Unfalltod versichert in der Hoffnung, daß niemals dieser Versicherungsfall eintrete, so hoffen wir, daß die Versicherungsprämie des deutschen Beitrags zur EVG-Gemeinschaft nie zur Realisierung der Versicherung führen möge.
Im übrigen ist die Geschichte etwas Fließendes! Heraklit sagt: panta rhei — alles ist im Fluß! Die Opposition kritisiert zuviel an Formalien und hängt an der statischen Betrachtung der Dinge. Man sollte die dynamische Betrachtung als wesentlicher ansehen. Das heißt, daß in der Entwicklung der Zeit manches, was heute noch negativ ist, durch Verhandlungen auf Grund neuer Erkenntnisse beseitigt werden kann.
Man muß noch zum Schluß ein Wort an die Opposition richten. Meine Damen und Herren, Sie von der Opposition kennen mich als einen Mann, der versucht, Staatspolitik höher zu werten als Parteipolitik. Als ich beim Pfingsttreffen der FDJ vor zwei Jahren in Berlin war, habe ich symbolhaft gesehen, was uns allen droht, wenn jene von der Kommunistin Frau Thiele inspirierte und konspirierte Befreiung einmal Wirklichkeit werden sollte: man trug in dem Zug der 32er Reihen, die damals noch keine Karabiner trugen, wie jetzt in Leipzig, zwei überlebensgroße Puppen vorbei, unverkennbar Adenauer und Schumacher, aufgehängt an zwei Galgen. Mir kam symbolhaft zum Bewußtsein: warum eine Zusammenarbeit dieser beiden Staatsmänner erst am Galgen, warum nicht früher eine staatspolitische Gemeinsamkeit in Sicherheitsfragen, um den Galgen für sie beide und für uns alle zu verhindern?
Das ist das Problem, und bei aller Parteiverschiedenheit hoffe ich, daß wir auf einen Weg kommen, der nationale Sicherheitsfragen nicht zum Gegenstand von Wahlkämpfen und Parteistreitigkeiten macht. Wir sitzen alle in dem gleichen Boot, und ich möchte nicht, daß wir uns eines Tages in Sibirien darüber unterhalten
müssen, was wir hier versäumt haben. Daher in Umwandlung des alten klassischen Spruches „videant consules" an Sie die inständige Bitte, in Sicherheitsfragen alles Trennende beiseite zu stellen und die staatspolitische Gemeinsamenkeit als das höchste Ziel dieses Parlaments zu betrachten.