Rede von
Otto
Pannenbecker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Vertragswerk vom Grundsätzlichen her einiges sagen. Mein Fraktionsfreund Dr. Decker wird dann hernach noch zu einzelnen Bestimmungen der Verträge Stellung nehmen.
Seit der Neubildung der Parteien nach Beendigung des Krieges haben Zentrum und Bayernpartei, in diesem Hause zusammengeschlossen zur Fraktion der Föderalistischen Union, die föderalistische Zusammenfassung Europas angestrebt. Sie haben das sogar zu einem wesentlichen Punkt ihrer Parteiprogramme erhoben, und zwar schon zu einer Zeit, als dieser Gedanke noch nicht aktuell und noch wenig populär war. Die Föderalistische Union bekennt sich also zu Europa im Sinne des christlich-abendländischen Gedankenguts. Wir sind auch bereit und halten es für notwendig, die Güter unseres Glaubens, unserer Freiheit, unserer Kultur und Tradition sowie unsere Lebensformen und unseren Lebensstandard notfalls gegen Angriffe zu verteidigen.
Die Voraussetzung für diesen Verteidigungswillen ist die Wiederherstellung der staatlichen Freiheit. Sieben volle Jahre sind seit der Kapitulation vergangen, und noch immer ist kein Friedensvertrag zustandegekommen. Noch immer leben wir unter einem Besatzungsstatut, und noch immer ist unserem Volk die natürliche Selbstbestimmung nicht zurückgegeben worden. Wenn wir die Freiheit verteidigen sollen, müssen wir sie erst zurückerhalten. Das ist übrigens eine Forderung, die sich aus den freiheitlichen Ideen des Westens ergibt und die auf dem Naturrecht beruht. Niemand wird ernstlich glauben, daß die Westalliierten bis zum Jahre 2003 — so lange soll der Verteidigungsvertrag nämlich laufen — ihre Beziehungen zu Deutschland auf die im Jahre 1945 aufgerichteten Bajonette stützen können. In totalitären Staaten mag man so etwas glauben.
Ein gleich wichtiges und gleich dringliches Anliegen wie diese Freiheit, von der ich sprach, ist für uns, die staatliche und wirtschaftliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Natürlich kann sie für uns nicht anders in Betracht kommen als unter den Zeichen und Rechten der echten Demokratie. Das sind die Hauptgesichtspunkte, von denen wir uns bei der Beurteilung des Vertragswerks leiten lassen.
Wir sind uns bewußt, daß der verlorene Krieg der sofortigen vollen Erreichung unserer Wünsche in verschiedenen Punkten im Wege steht. Aber es ist die Frage, ob die gewählten Methoden und Wege des Vertragswerks richtig und ihre Ergebnisse noch annehmbar sind. Sehen Sie: Ein Bekenntnis zu den christlichen Prinzipien, zu Denkweise, Kultur und Freiheit des Westens bedeutet nämlich nicht ohne weiteres, daß nun auch jede daselbst erdachte Organisation und jedes daselbst erdachte politische System richtig oder doch akzeptabel ist. Es ist nicht schwer, mit Pathos für oder gegen das Vertragswerk zu reden.
Darauf kommt es auch nicht an. Es kommt darauf an, nüchtern, frei von Sentiments und Ressentiments die Realitäten zu erkennen, vor denen wir in der Bundesrepublik, in der Sowjetzone und darüber hinaus in Europa und in der Welt stehen, und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Dem Herrn Bundeskanzler kann man nicht widersprechen, wenn er sagt, man müsse das Vertragswerk vom Ganzen her sehen. Man muß die Abreden, ihre Bedeutung und ihre Auswirkung kritisch und nicht etwa vertrauensselig prüfen,
und die Schau vom Ganzen her darf uns nicht dazu verführen, des Zieles wegen ungeeignete Mittel und falsche Wege zu wählen.
Unter der Schau des Ganzen ist die Frage nach den Einzelheiten und nach der Wirkung nicht weniger wichtig. Wir müssen uns davor hüten, Folgen der Kapitulation vertraglich endgültig festzulegen, und wir wollen abwägen, ob es richtig ist, wie der Herr Bundeskanzler meint, daß uns das Vertragswerk die Wiedervereinigung mit der Ostzone und ihren rund 18 Millionen Menschen bringt. Vor allem ist auch die Frage zu prüfen, ob die Verträge den Frieden sichern oder gefährden und ob unsere eigene Sicherheit ausreichend gewährleistet ist, auch, ob unsere Leistungen im richtigen Verhältnis zu denen der Partner stehen. Dem Appell des Herrn Bundeskanzlers, den Standpunkt der Partner zu verstehen, muß die ebenso berechtigte Aufgabe dieses Hohen Hauses gegenübergestellt werden, zu prüfen, ob auch den deutschen Lebensinteressen und den deutschen Lebensrechten Genüge geschehen ist.