Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf behandelt eines der wesentlichsten Themen der deutschen Wirtschaftsverfassung. Wir haben vor uns den Entwurf eines Bausteins für die Wirtschaftsverfassung. Da bedarf es allerdings einer Klarstellung, um welche Art der Wirtschaftsverfassung es sich denn hier handelt. Wenn man den vielen Beteuerungen in Wort und Schrift Glauben schenken darf, so haben wir — oder besser gesagt: bekommen wir — die soziale Marktwirtschaft, und die von Herrn Etzel eben zitierten Düsseldorfer Leitsätze unterstreichen das ja noch. Ich darf zitieren Leitsatz Nr. 1 zur Verwirklichung — nicht zur Krönung, Herr Minister! — der sozialen Marktwirtschaft:
Der Leistungswettbewerb ist gesetzlich sicherzustellen,
und
das Gesetz muß konkurrenzbeschränkende
Marktabreden und Kartellverträge verbieten.
Nun, wenn man dieser Auffassung aber jene gegenüberhält, die in der Begründung zu dem Gesetz steht, dann liest man: „Das Gesetz .... stellt eine der wichtigsten Grundlagen zur Förderung und Erhaltung der Marktwirtschaft dar." Hier liegt ein Bruch. Wir lesen in der Regierungsbegründung „Marktwirtschaft" statt „sozialer Marktwirtschaft", und wir lesen „Förderung und Erhaltung" -- hören
sogar „Krönung" — und lesen sonst in den Düsseldorfer Leitsätzen: „Verwirklichung".
Diesen Zwiespalt der Natur -- —
— Später, Herr Stegner, über Natur! — Diesen Zwiespalt der Natur klärt wohl ganz gut ein Zeitungsartikel auf, aus dem ich nur ein paar Sätze zitieren darf. Es heißt da:
Indessen ist bisher niemals klar definiert worden, was die Regierung unter der sozialen Marktwirtschaft versteht. Zumindest stehen sich dabei zwei unterschiedliche Auffassungen gegenüber. Die eine Auffassung geht davon aus, daß das Streben nach möglichst vollendeter Wirksamkeit eines freien Wettbewerbsmechanismus von Natur die soziale Wirkung in sich trägt. Die andere Auffassung mißt der Marktwirtschaft an sich keinen sozialen Charakter, aber auch keinen antisozialen, sondern einen ganz neutralen, rein ökonomischen Charakter bei und sieht die soziale Ergänzung der Wirtschaftspolitik in der gerechten Einkommensverteilung.
Und so weiter. Nun, dieses Zitat stammt aus der „Zeit" vom 22. Mai, und zwar von einem Mann, der eine geraume Zeit lang in unmittelbarer Nähe des Herrn Bundeswirtschaftsministers selbst gearbeitet hat, nämlich dem Generaldirektor Friedrich. Ich darf ihn also wohl als unverdächtigen Zeugen für diesen Zwiespalt anrufen.
Für ein Wirtschaftsverfassungsgesetz ist, so sagte ich, nicht ganz unerheblich, welche Art der Verfassung denn geschaffen werden soll, und für unsere Entscheidung über diesen Entwurf ist nicht ohne Belang, welche entscheidende Bedeutung man dabei dem Wettbewerb beimißt. Die eine Auffassung — nach Friedrich— weist dem Wettbewerb lediglich ökonomische Bedeutung zu und weist darauf hin, daß die soziale Ergänzung durch die Wirtschafts poitik geschehen müsse. Die andere dagegen mißt dem Wettbewerb schlechthin, a priori, auch soziale Wirkung bei.
Diese letztere Auffassung von Wettbewerb und Konkurrenz schimmert durch verschiedene Stellen der Regierungsbegründung hindurch. So heißt es einmal:
Das Gesetz geht von der durch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung erhärteten wirtschaftspolitischen Erfahrung aus, daß die Wettbewerbswirtschaft die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung ist.
Und ferner heißt es:
Die Wettbewerbsordnung stellt die wirtschaftlichen „Grundrechte" der Freiheit der Arbeit und der Verbrauchswahl sicher.
Mit diesen Worten, meine Damen und Herren, erscheint der Wettbewerb als das einzig Wahre und Gute, und damit wird alles andere als ethisch verwerflich betrachtet.
Diese Überbewertung des Wettbewerbs möchte ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Wir Sozialdemokraten sind keineswegs gegen den Wettbewerb. Wir möchten unter gar keinen Umständen seine guten Funktionen missen. Aber es ist eine Illusion, wenn man glaubt, den Wettbewerb, die Konkurrenz, zum beherrschenden, ja sogar ethische Funktionen erfüllenden Prinzip der Volks-
wirtschaft machen zu können. Wir Sozialdemokraten teilen nicht die Vorstellung, der Egoismus aller gegen alle führe zwangsläufig zur Harmonie aller mit allen. Wir glauben vielmehr, daß uns Menschen die Herbeiführung der Harmonie als sittliche Forderung gestellt ist. Ich bin selber kein Professor und darf deswegen den Worten von Professor Erhard vielleicht ein Zitat gegenüberstellen, das von einem Professor stammt:
Die Konkurrenz ist ein Ordnungs- und Steuerungsprinzip im engeren Bereich der arbeitsteiligen Wirtschaft, aber kein Prinzip, auf dem man eine Gesellschaft als Ganzes aufbauen könnte. Soziologisch -moralisch ist sie sogar ein gefährliches Prinzip, das eher auflöst als verbindet.
Dieses Zitat stammt von Professor Röpke, der ja wohl sicher nicht im Verdacht steht, ein Sozialdemokrat zu sein; es ist in seinem Buch „Gesellschaftskrise der Gegenwart" enthalten.
Ich nehme also die Formulierungen der Regierungsbegründung zu diesem Entwurf als überbewertet und überbetont und habe mich auch gefreut, daß in dem eigentlichen Text des Gesetzentwurfs eine bedeutend vernünftigere Auffassung vom Wettbewerb und seiner harmonischen Kraft zutage tritt. Es schien mir aber notwendig, einmal auf diese unsere Auffassung klar und deutlich hinzuweisen und damit eine Linie der Kritik anzudeuten, unter der wir den Entwurf bei der weiteren Beratung gewissenhaft prüfen werden.
Ich komme nun zu dem Entwurf. Unsere grundsätzlich positive Einstellung zu dem Entwurf ergibt sich aus unserer Grundhaltung zu dem Problem der wirtschaftlichen Macht. Grundsätzlich darf ich hierzu sagen, die SPD bejaht den technischen Fortschritt und den organisatorischen Fortschritt. Die SPD kennt damit das Problem der wirtschaftlichen Macht. Wir wissen, daß sich eine Entwicklung vom freien zum organisierten Kapitalismus vollzogen hat. Daraus folgt für uns, daß ein Mißbrauch wirtschaftlicher Macht unter allen Umständen verhütet werden muß. Vor solchem Mißbrauch sind Verbraucher einerseits und kleine und mittlere Unternehmer andererseits zu schützen. Auf Grund dieser Tendenz verfolgen wir gegenüber der wirtschaftlichen Macht zwei Ziele, erstens das Ziel der Beseitigung der unrichtigen und unzweckmäßigen wirtschaftlichen Macht, zweitens das Ziel: alle zweckmäßigen Formen wirtschaftlicher Macht sind zu bejahen, aber unter eine öffentliche Kontrolle zu bringen. Mit diesen beiden Punkten sind die großen Linien unserer Haltung zu dem vorliegenden Entwurf abgesteckt.
Nun noch ein paar Worte zu den Einzelheiten des Entwurfs, zunächst zu der Frage des Kartellverbots. Aus den obigen Darlegungen zum Wettbewerb, wie wir ihn sehen, ist ersichtlich, daß es uns sehr darauf ankommt, die richtige Grenzlinie zwischen zweckmäßigen und unzweckmäßigen Erscheinungen wirtschaftlicher Macht zu ziehen. Aus dieser Konzeption bietet sich eine Mißbrauchsgesetzgebung eher an als eine Verbotsgesetzgebung. Dies kam auch in unserem Antrag betreffend ein Gesetz gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht zum Ausdruck, den wir im Januar 1950 in diesem Hohen Hause gestellt haben. Wir haben in den letzten Wochen mit einem sehr großen Interesse das Für und Wider zum Kartellverbot verfolgt. Wir haben gehört, daß laute Rufer für die Marktwirtschaft nun, wo der bislang hinkende Wettbewerb zu einer vollständigen Wettbewerbsordnung gemacht werden soll, Angst vor der eigenen Courage bekommen haben. Mancher Unternehmer gönnt eben sehr häufig seinen Lieferanten den Segen des Wettbewerbs, würde jedoch seine eigenen Erzeugnisse gern einer Kartelldiktatur unterworfen sehen. Wir haben Kenntnis davon genommen, daß dieses Gesetz die europäische Integration störe. Wir haben andererseits vernommen, daß in anderen europäischen Ländern andere Grundsätze der Wirtschaftsverfassung bestünden. Wir haben davon gehört, daß die wirtschaftliche Praxis ein Kartellverbot unmöglich mache.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte mich heute nicht im einzelnen mit diesem Für und Wider auseinandersetzen. Wir Sozialdemokraten sehen einen großen Vorteil der Verbotsbestimmung darin, daß die betroffene Wirtschaft zu dem Nachweis gezwungen wird, aus welchen Gründen sie im Einzelfall vom Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit abweichen will. Andererseits verschließen wir nicht die Augen vor der Tatsache, daß zum erstenmal in der europäischen Geschichte die Kartellpolitik eines europäischen Landes einem Verbotsgrundsatz unterworfen wird.
Unser endgültiges Urteil über die Frage des Kartellverbots, die mir die Schicksalsfrage dieses Gesetzes zu sein scheint, werden wir erst dann fällen können, wenn der Entwurf gewissenhaft in allen seinen Teilen durchgearbeitet worden ist und, ich darf hinzufügen, wenn wir die Gewißheit haben, daß für die deutsche Wirtschaftsordnung ein deutsches Gesetz gemacht werden kann.
Interessieren würde uns bei der Behandlung des Entwurfs ferner einmal die Sonder- bzw. Ausnahmeform des Rationalisierungskartells. Hier ist es besonders die Frage: Ist dieses Rationalisierungskartell des Entwurfs ein Mantel, unter dem jeder Kartellsyndikus sein Kartell unterbringen kann? Und ein besonderes Kapitel hier in den Ausnahmen wird das Krisenkartell sein. Für das Krisenkartell ist die Genehmigung durch die Kartellbehörde nach dem Entwurf abhängig vom Nachweis — ich zitiere —,
daß die Regelung infolge eines vorübergehenden, nicht auf nachhaltiger Änderung der Nachfrage beruhenden Absatzrückgangs notwendig ist, um eine Stillegung . . . zu vermeiden.
Dazu ist notwendig eine zuverlässige Unterscheidung zwischen konjunkturellen und strukturellen Bewegungen.
Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, es ist kein Grund für die Annahme gegeben, daß mit einem Male die Behörde, das Kartellamt, das tun kann, worum sich die Wissenschaft schon seit einigen zehn, zwanzig, dreißig Jahren bis zum heutigen Tage ergebnislos bemüht.
Ein anderes Kapitel der besonderen Behandlung wird sein die Frage der Individual- Verträge, und hier werden wir unsere besondere Aufmerksamkeit den Bestimmungen über den Markenartikel widmen.
Ein letztes besonderes Kapitel, dem wir unsere Aufmerksamkeit widmen werden, wird das Bundeskartellamt sein. Ich darf gleich anklingen lassen, daß uns hierbei auch die Frage einer Verzahnung dieses Kartellamts mit dem Bundeswirtschaftsrat oder
entsprechenden Organisationen interessieren wird. Dies, meine Damen und Herren, heute nur zu den Einzelheiten dieses Gesetzes.
Gestatten Sie mir hier noch eine ganz kurze historische Anmerkung, eigentlich zwei historische Anmerkungen, zu diesem Entwurf. Die eine Anmerkung erstreckt sich auf die parlamentarischen Bemühungen um dieses Gesetz. Aus der grauen Vorzeit des neuen deutschen Parlamentarismus ist uns bekannt, daß die Verwaltung für Wirtschaft, damals in Frankfurt, sich außerordentliche Mühe gegeben hat, ein solches Gesetz zu gebaren. Diese selben Bemühungen wurden dann von der Bundesregierung nach 1949 aufgenommen. Seitdem ist sie mit der Ausarbeitung eines Entwurfs beschäftigt. Als nun nichts geschah, stellte die SPD am 27. Januar 1950 in der 32. Sitzung den Antrag und erkundigte sich nach dem Wohlergehen des Gesetzentwurfs.
Sie stellte den Antrag, weil die AHK angekündigt hatte, daß sie von sich aus ein Gesetz erlassen würde, wenn die Bundesregierung nicht bald ein Gesetz bringe. Mein Fraktionsfreund Professor Nölt i n g sagte damals:
Jedenfalls ist es besser, daß wir unsere Wirtschaftsordnung nach eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen gestalten, damit es nicht zu einer übereilten Bilderstürmerei kommt.
Herr Professor Erhard antwortete damals im Januar 1950 unter anderem:
...Ich habe die Zusage, daß ... man in Kenntnis der deutschen Bemühungen und der sehr geraden Haltung, die wir auf diesem Gebiet einnehmen, uns zu einer deutschen Kartellgesetzgebung kommen läßt.
Mit dem Antrag der SPD im Januar 1950 hat man sich dann nicht weiter beschäftigt und hat ihn nicht dazu benutzt, sich mit der Materie selbst zu befassen. Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums und der Regierungskoalition sagten, die von der SPD angeregte Debatte sei völlig überflüssig gewesen, da alles bereits im Lot und völlig perfekt sei.
Das war im Januar 1950, also vor zweieinhalb Jahren. Nun, seit dieser Zeit haben wir eigentlich nur gelegentliche Zeitungsnotizen über das Problem „Kartelle und ihre Verhütung" erhalten, und diese Zeitungsnotizen beschäftigten sich eigentlich mit diversen Referentenentwürfen und ebenfalls, wenn ich hinzufügen darf, mit diversen Referentenschicksalen.
Ein anderes Kapitel meiner historischen Anmerkung betrifft die besatzungsrechtlichen Bemühungen um dieses Gesetz. Im März 1949 hatte die britisch-amerikanische Stelle für das damalige Zweizonengebiet der Verwaltung für Wirtschaft den Auftrag erteilt, ein Gesetz gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht auszuarbeiten. Auf Grund des Petersberg-Abkommens vom 22. November 1949 ist die Bundesregierung verpflichtet, auf dem Gebiet der Beseitigung monopolistischer Tendenzen gesetzgeberisch tätig zu werden, wobei sie den von der Alliierten Hohen Kommission auf Grund des Art. 2 b des Besatzungsstatuts erlassenen Entscheidungen entsprechen muß. Der Generalvertrag besagt in seinem Entwurf, bis ein Bundesgesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft tritt, das den entscheidenden Bestimmungen des von der Bundesregierung dem Bundesrat zugeleiteten Gesetzentwurfs entspricht, bleiben die besatzungsrechtlichen Bestimmungen in Kraft. Nun, wir werden sehr daran interessiert sein, zu erfahren, welches diese entscheidenden Bestimmungen sind, außer dem, wie ich hinzufügen darf, zur Auflage gemachten Kartellamt.
Ich darf abschließend sagen, daß wir Sozialdemokraten bereit sind, an einem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen mitzuarbeiten, und zwar durchaus positiv mitzuarbeiten, wenn die gesetzlichen Bestimmungen nach deutschen Ordnungsgrundsätzen gefunden und gesetzt werden können. Wir möchten jedoch in diesen Verhandlungen keine falschen Töne, und ein solcher falscher Ton, scheint mir, klang neulich aus den Äußerungen des französischen Dekartellisierungsspezialisten M. Favereau. Er soll gesagt haben, daß die deutschen Kartelle erwiesenermaßen ihre Macht politisch mißbraucht hätten und daß man deshalb in Deutschland eine strengere Gesetzgebung benötige. Ich möchte sagen, daß wir 'Sozialdemokraten uns in der Arbeit an diesem Gesetz etwas zurückhalten würden, wenn wir merken werden, daß man uns wettbewerbsmäßig verstümmeln will, um auch so auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Funktionen unseren 'Start für eine Europawirtschaft wesentlich zu verschlechtern.
Wir stimmen dem Antrag auf Überweisung an die genannten Ausschüsse zu.