Rede von
Dr.
Robert
Lehr
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorfälle, um die es sich hier handelt, haben sich innerhalb der Wahlkämpfe zu den hessischen Gemeindewahlen abgespielt. Ich habe dem Hohen Hause schon wiederholt bei Fragen der inneren Sicherheit vorgetragen, daß die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung Sache der örtlichen Polizeibehörden bzw. der Landespolizeibehörden ist. Der Bund hat an sich, von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen, die die
Verfassung klar umreißt, keine Kompetenzen auf dem Gebiet der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung innerhalb eines einzelnen Landes.
Ich habe mich aber, um den ganzen Sachverhalt genau zu überprüfen und um zu sehen, ob für die Bundesregierung irgendwie ein Anlaß besteht, die verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten zu gewährleisten — deren Beachtung innerhalb der Länder ihr obliegt — an den Herrn hessischen Innenminister mit der Bitte gewandt, mir eine Aufklärung über die Tatbestände zu geben. Dieser Bitte hat der Herr hessische Innenminister entsprochen und hat mir eine ausführliche Darstellung von den Vorgängen und den Begleitumständen gegeben. Aus dem Gesamtinhalt dieses Schreibens war nicht zu entnehmen, daß die Vorfälle eine drohende Gefahr für den Bestand oder die demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes im Sinne des Art. 91 des Grundgesetzes darstellten. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine Bundesexekutive zulässig.
Die hier vorliegenden Darstellungen, die sich zum Teil erheblich widersprechen, reichen außerdem nicht hin, die weitere Frage zu klären, ob die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 28 Abs. 1 und Abs. 3 des Grundgesetzes durch die zuständigen Landes- und Gemeindeorgane nicht gewährleistet war. Deshalb haben die Bundesregierung und namentlich ich selber als für die Verfassung verantwortlicher Innenminister
festgestellt, daß wir zu einem Einschreiten nicht befugt gewesen sind.
Die Bundesregierung — und das möchte ich bei dieser Gelegenheit dem Hohen Hause einmal mit einer eindringlichen Bitte ans Herz legen — hat bereits unter meinem Vorgänger im Mai 1950 eine Kabinettsvorlage beschlossen, um die Versammlungsfreiheit für alle demokratischen Parteien zu gewährleisten.
Der Entwurf eines Versammlungsordnungsgesetzes ist dem Hohen Hause bereits im Juni 1950 zugegangen und ist auch in den Ausschüssen des Bundestags durchberaten worden. Aber die zweite und dritte Lesung fehlen bedauerlicherweise noch. Sie sind immer wieder zurückgestellt worden.
Ich habe deshalb an den Herrn Bundestagspräsidenten die Bitte gerichtet, sich mit den Ausschüssen des Hohen Hauses einmal in Verbindung zu setzen und dem Hohen Hause meine Bitte zu unterbreiten, dieses Versammlungsordnungsgesetz in Bälde zu verabschieden.
Es ist dringend notwendig, daß endlich ein einwandfreier Rechtszustand auf dem Gebiete des Versammlungswesens geschaffen wird.
Die Fortgeltung des früheren Rechts in den einzelnen Ländern ist bestritten. Die Auffassungen sind
außerordentlich verschieden, und die vorliegenden Gerichtsentscheidungen haben leider diese Unsicherheit keineswegs behoben. Deshalb möchte ich meine Ausführungen mit einem dringenden Appell an das Hohe Haus schließen, den Entwurf eines Versammlungsordnungsgesetzes in Bälde verabschieden zu wollen.