Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Müller-Hermann hat, als er die Große Anfrage begründete, gesagt, es sei Zeit, daß man sich einmal im Deutschen Bundestag mit diesem Problem befasse. Wenn ich recht gesehen habe, wäre es um ein Haar nicht einmal zu einer Aussprache über die Große Anfrage gekommen. Ich habe jedenfalls bei dem Bemühen, diese Aussprache durch Erheben der Hand zustande zu bekommen, einige Damen und Herren vermißt, als ich mich umgesehen habe.
Es ist dem Herrn Kollegen Müller-Hermann wahrscheinlich entgangen, daß sich der Ernährungsausschuß aus Anlaß der Beratung einer Novelle zum Milch- und Fettgesetz nun schon einige Monate mit diesem Problem befaßt, und ich bedaure sehr, daß er nicht Mitglied dieses Ausschusses ist und seine genauen Kenntnisse der Materie nicht in die dortigen Beratungen einfließen lassen kann. Ich bedaure das deshalb, weil es nämlich ganz gut wäre, wenn man auf allen Seiten des Hauses das Problem der Steigerung des Trinkmilchabsatzes nun auch einmal mit neuen Ideen und mit neuen Wegen zu bewältigen versuchen würde.
Ich begrüße die Gelegenheit zu einer solchen Aussprache in diesem Augenblick auch, und zwar gerade unter dem Eindruck der Beratungen im Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft. Ich möchte also ein wenig hier aus der Schule plaudern und etwas aus der Arbeit dieses Ausschusses sagen, in der Überzeugung, daß das geschehen muß, wenn wir mit diesem Problem fertig werden wollen. Es reicht nämlich zur Bewältigung der jährlichen Milchschwemme und des in jedem Jahr verstärkt auftretenden Problems wahrlich nicht aus, daß man sich darüber streitet, wieviel Butter nun in diesem Jahr eingelagert werden soll. Was gestern im Ernährungsausschuß in Form einer Abstimmung beschlossen worden ist, ist der Versuch, auf dem Umweg, nun, sagen wir einmal, einer Beeinflussung der Margarine und des Margarineverbrauchs zu einem Mehrverbrauch an Butter und damit zu einer Bewältigung des Milchproblems zu kommen. Das scheint mir erstens nicht neu zu sein, außerdem auch völlig vergeblich zu sein und völlig falsch zu laufen. Wenn man sich aber nun über das, was man uns heute wieder einmal mit einem verhältnismäßig großen Aufwand nicht nur an Papier und Porto, sondern auch an Geld über die Milchwerbung mitgeteilt hat, über diese landläufigen und sehr naheliegenden Formen der Propaganda hinaus bemühen will, muß man sich entschließen, nicht nur so ganz allgemeine Forderungen aufzustellen, sondern hier ein paar sehr heiße Eisen anzufassen. Dann muß man sich mit all den Dingen auseinandersetzen, die neben aller Milchwerbung, die so lockend betrieben wird, geradezu auf eine Behinderung der Steigerung des Milchkonsums hinauslaufen.
Wem ist denn eigentlich bekannt, woran es scheitert, daß dem Verbraucher die Milch nicht auf jede nur denkbare Weise zugänglich gemacht wird? Es ist ja doch nicht so, daß einem nun plötzlich einfallen müßte: Das und das sollte man in dieser Richtung einmal tun! Wir haben doch ein Milchverteilungssystem, das -den Verbraucher zwingt, an ganz bestimmte Verkaufsstellen zu gehen, die unter dem Gesichtspunkt eingerichtet sind, daß den Verkaufsstellen ein Mindestabsatz garantiert ist. In dem Fall, in dem es etwa der kauf enden Hausfrau nicht behagt, nun gerade bei dem für sie zuständigen Milchhändler zu kaufen, muß sie sich entscheiden, ob sie nun in ein anderes Milchverteilergebiet vordringen will oder ob sie vielleicht auf den Milchverbrauch überhaupt verzichtet. Ich begreife nicht ganz, warum es so viel Leute gibt, die geradezu stolz darauf sind, daß in absehbarer Zeit jede Form des ambulanten Milchverkaufs endlich vorbei sein soll. Erwarten z. B. auch diejenigen, die in Bonn einen Milchwagen um cien Hofgarten herumfahren sehen, von dem aus einem für meinen Geschmack absolut ausreichenden Gefäß Milch an die Hausfrauen verkauft wird, daß alle diese Hausfrauen demnächst, wenn der Wagen nicht mehr fahren wird, irgendwohin in einen Milchladen laufen werden? Ich fürchte vielmehr, daß sie, wenn sie nicht überhaupt auf den Milchverbrauch verzichten, zum Verbrauch von Büchsenmilch übergehen werden.
Aber alle unsere Bemühungen — die Bemühungen meiner Freunde und einiger anderer Mitglieder dieses Hauses —, dieses „Milchmarktordnung" genannte System so aufzulockern, daß da nicht nur ein bißchen Bewegung hineinkommt, sondern auch ein bißchen Leistungssteigerung durch das sonst sosehr beliebte Mittel der Konkurrenz, sind j a doch bisher immer nur einer Ablehnung verfallen.
Das sage ich nicht, um in unsere Ausschußberatungen eine Schärfe hineinzutragen. Ich stelle hier aber Tatsachen fest, und ich stelle sie in der Hoffnung fest, daß die öffentliche Behandlung dieses Problems uns vielleicht doch ein bißchen weiter bringt, als es durch die Ausschußberatungen bisher geschehen ist. Man kann sich über Steuern unterhalten, man kann sich über alles mögliche unterhalten und spricht dabei Probleme an, die durchaus dazugehören. Aber solange man die Dinge nicht bei ihrer Wurzel anpacken will, ist all das andere überflüssig und wird genau so Makulatur bleiben, wie es meiner Überzeugung nach die schönen oder weniger schönen Märchenbücher und Malbücher und all das andere, am Zweck der Sache doch vorbeigehende Propagandamaterial ohne jeden Zweifel tun. Sie haben ja heute Gelegenheit, das zu sehen. Im vergangenen Jahre sind den Erzeugern nach Mitteilungen, die uns im Ausschuß amtlicherseits geworden sind, von ihrem Milchauszahlungspreis 25 Millionen DM unter der Überschrift „Förderung des Milchabsatzes" einbehalten worden,
und wenn jetzt eine Ausschußmehrheit beschlossen hat, diesen § 20, um dessen Wiederherstellung der Minister hier eben ersucht hat, zu streichen, dann aus Protest dagegen, daß dem Erzeuger hier solche Beträge weggenommen werden, ohne daß man davon eine Wirkung sieht.
Eine Reihe von Molkereien — und das sind wahrscheinlich die tüchtigsten — haben zusätzlich zu
dieser amtlich verordneten Abgabe auf freiwilliger Basis eine weitere Umlage bei den Erzeugern ihrer Einzugsgebiete veranstaltet, um Mittel in die Hand zu bekommen, die sie selber in ihrem Absatzgebiet einsetzen können. Wir glauben, daß es, wenn in Zukunft nicht sehr zuverlässige Garantien für eine bessere Verwendung der Mittel gegeben werden, wahrscheinlich gescheiter ist, auf die amtliche Erhebung zu verzichten, um die private und lokale Initiative der einzelnen Molkereien nicht zu beeinträchtigen.
Aber es ist nicht nur die Frage der Verteilung an den Letztverbraucher, die unserer Meinung nach mit der heutigen Regelung hemmend auf die Steigerung des Milchabsatzes wirkt; es ist z. B. auch das ganze übrige System, das wir Milchmarktordnung nennen und das, gelinde gesagt, in eine Starrheit hineingekommen ist, die aufgelockert werden muß, wobei ich mit Entschiedenheit etwa die Unterstellung ablehne, als beabsichtigten wir mit solchen Vorschlägen eine Rückkehr in irgendein Chaos. Aber der Umstand, daß der Erzeuger gezwungen ist, an eine bestimmte Molkerei zu liefern, und daß es ihm, wenn überhaupt, dann nur unter außerordentlich schwierigen Umständen möglich ist, von dieser Molkerei wegzukommen — selbst in Fällen, in denen er über eine gleiche Entfernung durch Lieferung an eine andere Molkerei einen höheren Auszahlungspreis bekommen würde —, und daß das gleiche System für die Lieferung von Molkereien an Milchhändler da ist, das schaltet nun einmal den gesunden Wettbewerb und das Bemühen aller Beteiligten um eine Steigerung der Leistungen zum Zwecke der Erzielung eines besseren Preises und eines vernünftigen und größeren Absatzes praktisch aus. Wir müssen hier auf neuen Wegen vorgehen, auf die Gefahr hin, daß dabei in eine Ordnung störend eingegriffen wird, die bei vielen Leuten nur deshalb so beliebt ist, weil sie eben so bequem ist. Es ist j a menschlich durchaus verständlich, daß der Verwalter einer Molkerei, dem man die Lieferanten zuweist und dem man auch die Kunden zuweist, sich nun nicht so fürchterlich den Kopf darüber zerbricht, was er noch alles tun könnte. Wenn die Leute mit ihm nicht zufrieden sind, ist das ihr Pech. Sehen Sie sich doch einmal an, wie die Geschichte da funktioniert oder nicht funktioniert; dann kommen Sie auf eine Seite des Problems, die hier heute leider nicht angesprochen ist. Wenn Sie nicht von dieser Seite her etwas Praktisches tun, nutzt es gar nichts, daß wir öffentliche Mittel ausgeben oder über Mittel der Erzeuger verfügen und damit eine Werbung betreiben, die doch nicht erreicht, daß derjenige, der sich für Milch interessiert, so leicht und zügig und immer wieder an die Milch herankommt, wie er es vielleicht gern möchte. Denn die Menschen parieren nicht so, und es ist auch sehr gut, daß sie so nicht parieren.
Wir werden uns meiner Überzeugung nach sehr bald, und zwar anläßlich der Behandlung der Novelle zum Milch- und Fettgesetz, in diesem Hause mit solchen praktischen Maßnahmen beschäftigen müssen. Das wird der Sache sehr viel mehr dienen als heute hier noch so feurig vorgetragene Proklamationen. Wenn etwas erreicht werden kann, dann nicht durch Appelle und schon gar nicht durch moralische Appelle, die dem Verbraucher einreden, er solle mehr Milch verbrauchen, sondern dann kann das nur durch praktisch wirksame Maßnahmen erreicht werden. Dazu ist mit dieser Novelle zum Milch- und Fettgesetz
Gelegenheit. Ich hoffe sehr, daß wir dann nicht nur in der Beteuerung übereinstimmen, daß sowohl im Interesse der Erzeuger wie im Interesse der Verbraucher und der Volksgesundheit wie auch im Interesse unserer Außenhandelsbeziehungen überhaupt zur Steigerung des Milchabsatzes etwas getan werden muß, sondern daß wir dann auch in diesen praktisch wirksamen Maßnahmen übereinstimmen, die sehr viel näher liegen als alle diese Märchenbücher, die Sie heute hier auf den Tisch gelegt bekommen haben.