Rede von
Herbert
Wehner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion habe ich zu erklären:
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands stellt mit Bedauern fest, daß die Mehrheit des Bundestages sich geweigert hat, dem vom Volk gewählten Parlament Gelegenheit zu umfassender Information über den Inhalt des Generalvertrages und des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu geben.
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands betrachtet dieses Verhalten der Mehrheit des Bundestags einer legitimen Forderung gegenüber als unvereinbar mit den Pflichten des Parlaments.
Sie ist der Auffassung, daß dem Ansehen der Demokratie damit schwerer Schaden zugefügt wird.
Das Parlament darf unter keinen Umständen darauf verzichten, Vertragswerke von so einschneidender Bedeutung vor Unterzeichnung in allen Einzelheiten kennenzulernen und zu ihnen Stellung zu nehmen. Weder Regierung noch Parlamentsmehrheit können es verantworten, sich durch diese Verträge der von den Besatzungsmächten herbeigeführten Teilung Deutschlands auf nicht absehbare Zeit zu unterwerfen.
Es gibt keinerlei sachliche Gründe, durch die die unter Ausschaltung des Parlaments vorgenommene Unterzeichnung der Verträge zu rechtfertigen ist. Mit diesem Akt sollen lediglich vollendete Tatsachen geschaffen werden,
unter deren Druck dann das Parlament nur noch ja oder nein sagen kann.
Generalvertrag und Verteidigungsabkommen können nicht die Zustimmung des deutschen Volkes finden, weil sie eine Fortsetzung der unter dem Besatzungsregime geschaffenen einseitigen Macht-und Rechtsverhältnisse mit dem Ziel der Ausnützung deutscher Wirtschafts- und Menschenpotentiale für fremde Interessen darstellen.
Generalvertrag und Verteidigungsabkommen werden sich als Hindernisse für die notwendige Zusammenarbeit der freien Völker erweisen, weil sie die Diskriminierung Deutschlands fortsetzen.
Nachdem die Mehrheit des Bundestages selbst darauf verzichtet hat, die Rechte und Pflichten des Parlaments wahrzunehmen, wird das deutsche Volk den Volksvertretern zum Bewußtsein bringen müssen,
daß die vom Bundeskanzler abgeschlossenen Verträge nicht die Zustimmung des Volkes finden werden.