Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses finden nicht die Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion. Wir bitten Sie vielmehr, den Antrag des Auswärtigen Ausschusses abzulehnen und dadurch unserem ursprünglichen Antrag zuzustimmen.
Der Herr Berichterstatter ist im Irrtum, wenn er glaubt, der Antrag der SPD zur Vertretung vor dem Bundesverfassungsgericht bezwecke nicht, ein ohnehin gegebenes Vertretungsrecht des Herrn Präsidenten des Bundestags auszuschalten. Im Gegenteil. Herr Dr. Kopf, Sie sollten aus den Verhandlungen wissen, daß wir ein solches Vertretungsrecht des Herrn Präsidenten des Bundestags nicht anerkennen und daß wir Sie davor warnen, ein solches Vertretungsrecht zu behaupten; denn der Präsident des Bundestags steht außerhalb der Parteien und ist und bleibt Präsident des ganzen Hauses
und kann nicht dadurch in die Debatte gezogen werden, daß man ihn zu einem politischen Vertreter einer Mehrheit des Bundestags macht und in Karlsruhe plädieren läßt.
Dann zerstören Sie diese Institution und laufen Gefahr, daß wir hier erneut zu irgendwelchen Debatten darüber kommen, ob der Herr Präsident des Bundestags diese Vertretung des Hohen Hauses richtig oder falsch gemacht hat. Es ist unmöglich, einen derartigen Weg zu beschreiten.
Nun haben Sie gesagt, daß der Geschäftsordnungsausschuß sich bereits grundsätzlich auch mit dieser Frage zu § 7 der Geschäftsordnung befaßt habe. Das ist ebenfalls deshalb nicht ganz richtig, weil der Geschäftsordnungsausschuß dafür gar nicht zuständig ist. Es heißt vielmehr in der Geschäftsordnung, daß über grundsätzliche Fragen in der Auslegung der Geschäftsordnung das Plenum entscheidet, nach Vorbereitung durch den Geschäftsordnungsausschuß und auf dessen Antrag. Also: ehe sich das Haus nicht selbst mit der Auslegung des § 7 beschäftigt hat, ist es gegenstandslos, was darüber im Ausschuß für Geschäftsordnung gesagt wurde.
Sie haben dann zur Begründung einer von Ihnen im Namen des Ausschusses hier vorgebrachten Ablehnung des Antrags vorgetragen, daß erstens noch kein Beschluß des Bundestags zur vorbeugenden Feststellungsklage vorliege und zweitens auch der Bundestag nicht Partei, sondern nur äußerungsberechtigt sei. Ich glaube und hoffe, daß niemand hier im Hause sich über die Fadenscheinigkeit dieser Gründe im unklaren ist; denn es wird hier nicht mehr und nicht weniger gefordert, als daß der Bundestag in einem Verfassungskonflikt, der der schwerste ist in der jungen Geschichte der neuen Demokratie und hoffentlich auch in absehbarer Zeit durch keinen schwereren übertroffen werden wird, sich unbeteiligt stellen sollte, als ob ihn das nichts anginge.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Absicht haben, das Ansehen dieses Parlaments in der Öffentlichkeit weiter schwinden zu lassen, dann fahren Sie auf diesem Wege fort. Wenn Sie aber der Auffassung sind, daß in diesem Verfassungskonflikt nicht entschieden werden sollte, ohne daß auch die verschiedenen Meinungen aus dem Bundestag heraus — und zwar Rechtsmeinungen, nicht politische Meinungen — in der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck kommen, dann müssen Sie dem Antrag, wie wir ihn gestellt haben, zustimmen.
Damit will ich diesen Punkt verlassen und komme nun zu dem anderen wesentlicheren Komplex, nämlich der Frage, ob die Bundesregierung gehalten sein sollte, eine besonders verstärkte Ratifikationsklausel im Vertragswerk über Generalvertrag und Europaarmee hier vorzubehalten. Der Grund dafür ist doch ganz außerordentlich einfach. Der Grund liegt darin, daß anders als in allen Staatsrechten der Welt einzig die Bundesrepublik Deutschland ein Verfassungsgericht besonderer Art kennt, welches befugt ist, Gesetze des Parlaments mit Gesetzeskraft für nichtig zu erklären. Infolgedessen ist der Fall möglich, daß das Bundesverfassungsgericht das Zustimmungsgesetz zu diesen Verträgen nachträglich für von Anfang an nichtig erklärt.
Das kann zwei Folgen haben. Einmal können damit die Verträge selber auch völkerrechtlich ungültig werden. Nun bedenken Sie die Situation, in der sich eine deutsche Bundesregierung befindet, wenn sie Monate und Monate nach Vertragsabschluß den Partnern mitteilen muß, der Vertrag ist wieder nichtig geworden, weil bei uns das Bundesverfassungsgericht das Zustimmungsgesetz für nichtig erklärt hat, und die Partner der Verträge sagen müssen, warum habt ihr uns nicht von vornherein auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht. Das ist der eine denkbare Fall.
Der andere denkbare Fall ist, daß zwar das Bundesverfassungsgericht das Zustimmungsgesetz für nichtig erklärt, aber die Verhandlungspartner nach völkerrechtlichen Grundsätzen erwidern, das gehe sie nichts an, die völkerrechtliche Wirksamkeit werde dadurch nicht berührt. Auch das ergibt eine unmögliche Situation, weil dann, wie ich heute morgen bereits ausführte, die Bundesrepublik Deutschland vor der Frage steht, daß sie ein Gesetzeswerk innerstaatlich nicht ausführen kann, weil es verfassungswidrig ist, und außerstaatlich ausführen muß, weil es völkerrechtlich verbindlich ist.
Der Herr Kollege Dr. Kopf hat es sich sehr einfach gemacht. Er hat darauf hier vorgetragen, die Ratifikationsklausel bedeute, daß die völkerrechtliche Wirksamkeit erst mit der Zustimmung eintrete, die in verfassungsgemäßer Weise erteilt sei. Ich wünsche, es wäre so, und ich hoffe auch, daß man mit einem solchen Standpunkt durchkommen könnte. Aber, Herr Kollege Kopf, Sie wissen und der Ausschuß weiß, daß das mit den Lehren des Völkerrechts nicht übereinstimmt, sondern daß hier dem Hause etwas vorgetragen ist, was schlechterdings falsch ist und keine Grundlage für eine Entscheidung bietet. Denn Sie wissen selbst ganz genau, daß es zahlreiche Entscheidungen internationaler Gerichtshöfe gibt, in denen dargetan ist, daß auch dann, wenn das Zustimmungsgesetz und die Ratifizierung in nicht verfassungsgemäßer Weise erfolgten, dies an der völkerrechtlichen Verbindlichkeit nichts ändert. Dort sitzt der Herr Bundesminister der Justiz. Herr Dr. Dehler, Sie selbst haben mit Ihrer Unterschrift das vor dem Bundesverfassungsgericht in der Klage wegen des Peters-berger Abkommens geltend gemacht. Es wäre sehr
wünschenswert, wenn Sie in der Diskussion an diese Stelle kämen und diese Teile Ihres Schriftsatzes dem Hohen Hause vorläsen. Dann würde das Hohe Haus als Ihre amtliche Auffassung, die Sie als Bundesminister der Justiz vertreten haben, kennenlernen, daß das, was Herr Kollege Dr. Kopf hier vorgetragen hat, nicht richtig ist.
Die Hauptargumentation, die hier gebracht wird, ist aber auch gar keine rechtliche; sie ist eine politische. Sie war auch im Ausschuß eine politische, indem immer davon gesprochen wurde, daß das doch nicht tunlich sei. Herr Kollege Dr. Kopf hat als Berichterstatter das hier so ausgedrückt, daß er ausführte, es sei nicht angebracht, verfassungsrechtliche Kautelen in das völkerrechtliche Gebiet zu verlagern Nun, den Beweis dafür, daß das nicht angebracht sei, sind Sie uns schuldig geblieben, weil es mindestens sehr viel weniger angebracht ist, eine Divergenz von Staatsrecht und Völkerrecht zu erleben.
Sie haben aber dann weiter gesagt, die Zuständigkeiten seien durch das Grundgesetz bestimmten Organen übertragen: Die Exekutive habe die Verhandlung, die Legislative habe die Zustimmung und das Staatsoberhaupt, der Herr Bundespräsident, habe zum Schluß den Vollzug der Ratifikationsurkunde und deren Austausch, und diese Zuständigkeiten dürften nicht auf das Bundesverfassungsgericht verlagert werden —, was übrigens kein Mensch beabsichtigt hat; auch dürfe seitens des Bundesverfassungsgerichts in diesen Ablauf der Dinge nicht eingegriffen werden.
Nun, ich darf Ihnen sagen, daß diese von Ihnen hier vorgetragene Auffassung durch eine soeben ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts selbst widerlegt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern, am 15. Mai, einen Beschluß auf den Antrag wegen der einstweiligen Anordnung hin erlassen. Zwar hat es gesagt, daß dieser Antrag, den es keineswegs für unzulässig bezeichnet, jetzt noch nicht geboten gewesen, zur Zeit also verfrüht wäre, weil die Gefahr noch nicht dringlich genug sei. Es hat aber in der Begründung — und das möchte ich Ihnen doch wörtlich verlesen — hinzugefügt:
Das Bundesverfassungsgericht kann noch nach Beschlußfassung der gesetzgebenden Körperschaften durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung — sei es auf Antrag, sei es von Amts wegen — verhindern, daß vor seiner Entscheidung zur Hauptsache unwiderrufliche völkerrechtliche oder staatsrechtliche Bindungen eintreten.
Das heißt, auch das Gericht kennt die Möglichkeit, daß diese völkerrechtlichen Bindungen unwiderruflich eintreten, und es nimmt hier ausdrücklich für sich die Befugnis in Anspruch, durch eine einstweilige Anordnung — unter Umständen sogar von Amts wegen — zu verhindern, daß der Gerichtshoheit des Bundesverfassungsgerichts vorgegriffen wird,
und es fügt hinzu:
Es
— das Bundesverfassungsgericht —
könnte insbesondere auch durch eine solche Anordnung den die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Verträge begründenden Akt
— nämlich die Ratifikation durch den Bundespräsidenten —
bis zu seiner endgültigen Entscheidung hinausschieben.
Das heißt also, das Gericht sagt: Ich bin zuständig und nach dem Grundgesetz bevollmächtigt, unter Umständen sogar dem Staatsoberhaupt in den Arm zu fallen, um zu verhindern, daß hier unwiderrufliche völkerrechtliche Bindungen eintreten, die mich unter Umständen außerstand setzen, meiner rechtsprechenden Aufgabe in vollem Umfang zu genügen. Genau das ist es ja, was wir mit dem Antrag auch erstrebt haben.
Nachdem eine solche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt, glaube ich, sollte die Bundesregierung noch mehr als bisher verpflichtet sein, die Vertragspartner auf diese Besonderheiten der Rechtslage in Deutschland aufmerksam zu
machen und darauf hinzuweisen, daß bei uns nach dem Grundgesetz nicht nur Bundesregierung, gesetzgebende Körperschaften — Bundestag und Bundesrat — und Bundespräsident zusammenwirken müssen, um einen völkerrechtlich und staatsrechtlich verbindlichen Vertrag zustande zu bringen, sondern daß hier auch noch ein besonders-artiges Gericht besteht, welches im Grundgesetz weitestgehende Befugnisse bekommen hat und daher imstande ist, unter Umständen einen dieser Akte, wenn er streitig ist, in seinen Grundlagen für nichtig zu erklären.
Diese Möglichkeit hat sich jetzt das Bundesverfassungsgericht selbst offengehalten. Die Bundesregierung sollte verpflichtet sein, die alliierten Verhandlungspartner auf diese Rechtslage hinzuweisen, damit sie uns eines Tages weder politisch noch gar rechtlich zur Last gelegt wird. Sehen Sie, meine Damen und Herren, der Versuch, die Bundesverfassungsgerichtsbarkeit irgendwie zeitlich oder sonst zu überrunden, wird sich gerade nach diesem Beschluß, den das Bundesverfassungsgericht gestern erlassen hat, als „aussichtslos und überflüssig" herausstellen. Wir glauben daher, Sie sollten unserem Antrag zustimmen; denn wir können und müssen nirgends mehr das Grundgesetz wahren als gerade in dieser Frage. Nach unserer Rechtsüberzeugung ist nämlich jeder Schritt zur Verwirklichung einer Wehrverfassung ohne vorangegangene Ergänzung und Änderung des Grundgesetzes ein Schritt in die Illegalität.