Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Auswärtige Ausschuß hat sich heute vormittag mit den Anträgen der SPD-Fraktion auf Drucksache Nr. 3364 und Nr. 3363 beschäftigt.
Der Antrag auf Drucksache Nr. 3364 befaßt sich mit der vorbeugenden Feststellungsklage, die von der SPD-Fraktion
— Entschuldigung, von 144 Abgeordneten des Deutschen Bundestages — gegen die Bundesregierung wegen des Wehrbeitrages beim Bundesverfassungsgericht erhoben worden ist. Der Antrag der SPD-Fraktion verfolgt ein doppeltes Ziel. Es wird zunächst beantragt, der Bundestag möge aus seiner Mehrheit und aus seiner Minderheit je eines seiner Mitglieder zu Vertretern beim Bundesverfassungsgericht bestellen und diese Vertreter ermächtigen, sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht für den Bundestag zu äußern. Der Deutsche Bundestag ist in dem vorliegenden Verfassungsrechtsstreit nicht Prozeßpartei. Er ist auch nicht berechtigt, dem Prozeß als Partei beizutreten. Die Klage der 144 Mitglieder des Deutschen Bundestages stützt sich auf die Bestimmungen über Normenkontrolle, somit auf die Bestimmungen des Art. 93 Abs. 1 Ziffer 2 des Grundgesetzes und des § 13 Ziffer 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. In diesem Verfahren der Normenkontrolle steht den Bundesorganen und insbesondere dem Deutschen Bundestag lediglich ein Anhörungsrecht zu, von dem der Bundestag selbstverständlich Gebrauch machen kann.
Der Geschäftsordnungsausschuß des Deutschen Bundestages hat sich vor wenigen Wochen grundsätzlich mit der Frage befaßt, in welcher Weise bei verfassungsgerichtlichen Streitsachen der Deutsche Bundestag sich vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten lassen soll. Der Geschäftsordnungsausschuß hat seine Auffassung in einem Schreiben vom 20. März 1952 an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages zum Ausdruck gebracht, das folgenden Wortlaut hat:
1. Der Präsident ist nach § 7 der Geschäftsordnung befugt, die Vertretung des Bundestages in Verfassungsstreitigkeiten zu übernehmen.
2. Handelt es sich um einen 'Rechtsstreit gegen einen Beschluß des Bundestages, der von einer großen Minderheit angefochten wird, dann hat der Bundestag zu entscheiden, ob eine besondere Vertretung des Bundestages, eventuell eine Vertretung der Mehrheits-
3. und der Minderheitsauffassung bestellt werden soll. Geschieht dies nicht, dann regelt sich die Vertretung des Bundestags nach § 7 der Geschäftsordnung.
In dem zweiten Absatz dieses Schreibens des Geschäftsordnungsausschusses wird somit davon ausgegangen, daß ein Rechtsstreit sich gegen einen Beschluß des Deutschen Bundestages richtet. Für diesen Sonderfall soll bei Fällen von größerer Wichtigkeit die Möglichkeit einer besonderen Vertretung vorgesehen werden. Im vorliegenden Falle ist aber über den Gegenstand, mit dem sich die vorbeugende Feststellungsklage der SPD befaßt, ein Beschluß des Deutschen Bundestags bisher noch nicht ergangen. Die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses war daher der Auffassung, daß im vorliegenden Falle aus zwei Gründen kein Anlaß vorliege, dem Antrag der SPD-Fraktion stattzugeben. Einmal deshalb, weil eine Beschlußfassung des Deutschen Bundestags in der den Gegenstand des Verfassungsrechtsstreits bildenden Sache bisher nicht erfolgt ist; zweitens, weil der Deutsche Bundestag nicht Prozeßpartei, sondern lediglich anhörungsberechtigt ist.
Auf der andern Seite ist in diesem wie in jedem anderen Falle das Vertretungsrecht des Herrn Präsidenten des Bundestags, das in § 7 der Geschäftsordnung geregelt ist, gegeben. Der Antrag der SPD-
Fraktion bezweckt ja auch nicht, dieses ohnehin gegebene Vertretungsrecht des Herrn Präsidenten auszuschalten. Es besteht daher auch in diesem Falle die Möglichkeit, daß der Herr Präsident in den Grenzen, die er selbst in seiner bisherigen Stellungnahme zum Ausdruck gebracht hat, die Vertretung des Deutschen Bundestags wahrnehmen kann.
Aus diesen Gründen kam die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses zu dein Ergebnis, daß dem Plenum des Hauses vorgeschlagen werden soll, den Antrag Ziffer 1 der SPD-Fraktion abzulehnen.
Im zweiten Teil des Antrags Drucksache Nr. 3364 wird vorgesehen, daß der Bundestag die Bundesregierung ersuchen soll, den Regierungen der am Abschluß des Generalvertrags mitwirkenden Länder vor oder bei Unterzeichnung des Vertrags durch eine Note eine Mitteilung zukommen zu lassen. Diese Mitteilung soll darauf aufmerksam machen, daß eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an dem Vertrag über. die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wirksam ist nur unter den Voraussetzungen, die nach der künftighin zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewahrt werden müssen. Es soll weiterhin in dieser Note zum Ausdruck kommen, daß alle für die Bundesrepublik Deutschland insoweit zu vollziehenden Unterschriften, abzugebenden Erklärungen und zu treffenden Maßnahmen unter dem Vorbehalt stehen, daß sie keine Rechtswirkungen erzeugen, falls sie nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den zum Abschluß eines solchen Vertrags nach dem Grundgesetz erforderlichen Voraussetzungen nicht genügen sollten.
Die Verträge, deren Abschluß die Bundesregierung beabsichtigt, und insbesondere das Vertragswerk, das sich mit dem Beitritt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft befassen soll, sehen, wie uns seitens eines Vertreters des Auswärtigen Amts mitgeteilt worden ist, die Ratifikationsklausel vor. Dies bedeutet, daß die Verträge auch dann, wenn sie von den Regierungen nicht nur paraphiert, sondern bereits unterzeichnet sind, eine völkerrechtliche Wirksamkeit erst erlangen, wenn die verfassungsmäßigen Instanzen der beteiligten Länder ihre Zustimmung in verfassungsgemäßer Weise erteilt haben und wenn von den zur Ratifizierung befugten Organen, in diesem Fall vom Herrn Bundespräsidenten, die Ratifikationserklärung abgegeben sein wird. Eine derartige Ratifikationserklärung pflegt regelmäßig mit der Mitteilung verbunden zu sein, daß die verfassungsmäßigen Voraussetzungen der Annahme eines Vertrags erfüllt worden sind.
Dieses Stadium zwischen der Unterzeichnung eines völkerrechtlichen Vertrags einerseits durch eine Regierung und der Mitteilung der Ratifizierung andererseits soll die Möglichkeit schaffen, diesen völkerrechtlichen Vertrag in das innere Staatsrecht zu überführen. In diesem Zwischenstadium, in dem der Vertrag völkerrechtlich zunächst in der Schwebe bleibt, sollen alle verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Annahme und für das Wirksamwerden dieses Vertrags geschaffen werden.
Es wird nunmehr vom Antrag der SPD-Fraktion bezweckt, daß bereits vor oder bei Unterzeichnung des abzuschließenden Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht nur der übliche Ratifikationsvorbehalt, der ohnehin beab-
sichtigt ist, gemacht wird, sondern daß gleichzeitig ein weiterer Vorbehalt erfolgt in der Weise, daß die Vertragspartner darauf hingewiesen werden, daß das Wirksamwerden aller dieser Vertragsbestimmungen und dieser abzugebenden Erklärungen davon abhängig gemacht werden soll, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner künftigen Entscheidung die Entschließungen der Organe der Bundesrepublik gutheißt und sie nicht mißbilligt.
Seitens der Herren Antragsteller ist darauf hingewiesen worden, daß die Abgabe einer Note deshalb notwendig sei, weil ein ratifizierter Vertrag völkerrechtlich auch dann wirksam würde, wenn er staatsrechtlich unwirksam sein sollte. Die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses hat gegen das angeregte Verfahren Bedenken geäußert. Es erscheint der Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses nicht angängig, daß verfassungsrechtliche Kautelen, die im inneren Staatsrecht ihre Geltung und Berechtigung haben, in das außerstaatliche Recht, in das völkerrechtliche Gebiet hineinverlagert werden. Es erscheint aber auch weiterhin der Mehrheit des Ausschusses nicht angängig, die Zuständigkeit der im Grundgesetz normierten Bundesorgane zu verlagern. Zweifellos nimmt das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der Bundesrepublik Deutschland eine ganz hervorragende Stellung ein. Der Rechtsschutz und die Rechts- und Normenkontrolle, die dem Bundesverfassungsgericht obliegen, sind im Grundgesetz in einer ganz außerordentlichen Weise ausgebaut worden. Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner Rechtspraxis als eine Art Magnetnadel anzusehen, die immer nach dem magnetischen Pol des Rechts hinzuweisen hat. Damit ist aber nicht gesagt, daß Aufgaben, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung einzelnen Organen der Bundesregierung übertragen worden sind — der Exekutive bei der Führung völkerrechtlicher Verhandlungen, der Legislative bei der Genehmigung eines abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrags und dem Herrn Bundespräsidenten bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Grundlagen und bei der Abgabe der Ratifikationserklärung —, daß derartige Zuständigkeiten, die ganz bestimmten Organen übertragen worden sind, nun auf das Bundesverfassungsgericht verlagert werden sollen. Wohl hat das Bundesverfassungsgericht auch die rechtliche Möglichkeit, in bestimmten Fällen und insbesondere auch im Fall der Normenkontrolle Entscheidungen zu treffen, denen Gesetzeskraft zukommt. Aber dies bedeutet noch in keiner Weise die Verlagerung irgendwelcher Zuständigkeiten.
Es muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß die Führung der Verhandlungen der Exekutive zukommt und daß die Initiative der Exekutive im Stadium derart wichtiger und schwieriger Verhandlungen nicht gestört, nicht gelähmt, nicht durch Auflagen und Vorbehalte beeinträchtigt werden soll. Es muß weiterhin dieses Hohe Haus allein und ausschließlich für die Entscheidung zuständig sein, ob ein derartiger völkerrechtlicher Vertrag in das innere Staatsrecht überführt und genehmigt werden soll oder ob die Genehmigung verweigert werden soll. Es bestehen durchaus Möglichkeiten und Kautelen hinreichender Art, um dafür zu sorgen, daß alle verfassungsmäßigen Voraussetzungen gewahrt bleiben, auch wenn der von der SPD- Fraktion angeregte Rechtsvorbehalt nicht vor oder bei Unterzeichnung des Vertrags durch eine Note den Vertragspartnern mitgeteilt wird.
Nach, anerkannter völkerrechtlicher Lehrmeinung werden ratifizierte Verträge dann nicht
rechtswirksam, wenn offensichtliche verfassungsrechtliche Mängel vorliegen. Aber ganz abgesehen davon würde der Deutsche Bundestag die Möglichkeit haben — von der er in anderen Fällen Gebrauch gemacht hat —, völkerrechtliche Verträge mit Vorbehalten oder unter bestimmten Voraussetzungen anzunehmen. Vom Herrn Bundespräsidenten wird das Vorliegen der verfassungsmäßigen Voraussetzungen zu prüfen sein. Es wird die Möglichkeit bestehen, daß der Herr Bundespräsident, wenn irgendwelche Zweifel obwalten sollten, ein Gutachten des Bundesverfassungsgerichts erhebt.
Alle diese Kautelen könnten und dürften nach der Meinung des Ausschusses ausreichend sein, um den Verfassungsschutz zu gewährleisten. Die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses kann den Herren Antragstellern in diesem Stadium der Verhandlungen, die der Exekutive noch obliegen, darin aber nicht beipflichten, daß Vorbehalte — sogar der Vorbehalt eines Vorbehalts — gemacht werden sollen, durch die die Tätigkeit der Verhandlungsorgane erschwert werden könnte.
In dem andern Antrag — Drucksache Nr. 3363 — ist dann seitens der Herren Antragsteller beantragt worden, die Bundesregierung aufzufordern, dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten vor der Unterzeichnung des Generalvertrags und des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft die vollen Texte der Vertragswerke vorzulegen. Auch der Auswärtige Ausschuß hat übereinstimmend das Bedürfnis nach ausreichender und sachgemäßer Information zum Ausdruck gebracht. Er hat von der Bereitschaftserklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis genommen, ihm diese Information in den nächsten Tagen zukommen zu lassen. In der Erwartung, daß bis zum 20. Mai 1952 die fertiggestellten Teile der Vertragstexte den Mitgliedern des Ausschusses vorgelegt werden und dem Ausschuß über die noch strittigen Punkte Bericht erstattet wird, hat der Ausschuß beschlossen, die Beschlußfassung über den Antrag Drucksache Nr. 3363 zurückzustellen.