Rede von
Walter
Seuffert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere es aufrichtig, daß eine Auseinandersetzung über derart schwerwiegende und derart schwierige Fragen, wie sie auf diesem Papier Drucksache Nr. 3373 angeschnitten sind, vor dem Plenum zu einem Zeitpunkt und in einem Stadium der Vorbereitung dieser Fragen geführt werden soll, in der sie schlechterdings nicht geführt werden kann. Es ist doch nicht möglich, alle diese Fragen in den letzten Minuten der Plenardebatte zum Lastenausgleich vor diesem Hause zu diskutieren, ohne daß man die entsprechenden Vorbereitungen durch Ausschußberatungen usw. vorgenommen hat.
Welche Verwirrung in diesen Dingen bereits jetzt entstanden ist, sehen Sie aus den Zeitungsüberschriften von heute morgen: „Zwei Milliarden für die Vertriebenen von der Regierungskoalition be-. antragt".
Es ist doch niemand in diesem Hause, der nicht bestätigen muß, daß derartige Überschriften dem Sachverhalt in gar keiner Weise entsprechen.
Ich will gar nicht davon sprechen, daß bei den Zahlen dieses Antrags ganz frank und frei das mitgerechnet worden ist, was durch unser e Anträge in der dritten Lesung der Abgabe an Aufkommen zugefügt worden ist. Selbst bei allem Zahlenspiel, das Sie machen können, sind derartige Überschriften einfach falsch.
Die Situation, in der wir uns bei dieser Debatte befinden, ist doch einfach dadurch hervorgerufen, daß dieses Papier nicht als echte Diskussionsgrundlage vorgelegt worden ist, sondern als ein Papier, um das Gewissen zu beruhigen,
das Gewissen zu beruhigen, das schlägt, weil ein Teil von Ihnen darauf verzichtet hat, die Anliegen der Flüchtlinge, der Vertriebenen und Geschädigten weiter zu vertreten,
und weil ein anderer Teil von Ihnen darauf verzichtet hat und darauf verzichten will, die notwendigen Anträge und Entschließungen einzubringen, um den Wohnungsbau zu sichern.
Meine Damen und Herren, ich sagte soeben, die Einzeldebatte über diesen Antrag kann vor diesem Forum nicht geführt werden. Ich will mich deswegen auf einige Bemerkungen zu den Zahlen dieses Antrags beschränken. Es ist gesagt worden, die Begründung dieses Antrags sei durch die gestrige Regierungserklärung erfolgt. In der Erklärung des Herrn Ministers Blücher lese ich
— der Bundesregierung, sehr gut —, in der durch den Herrn Minister Blücher abgegebenen Erklärung der Bundesregierung lese ich, daß für den Wohnungsbau des Jahres 1952 die notwendigen weiteren 200 Millionen DM bereits jetzt durch entsprechende Maßnahmen sichergestellt seien.
Der Herr Kollege Dr. Preusker hat uns das eben dahin erläutert, daß diese Sicherstellung durch die Aufnahme einer Anleihe durch die Bundesregierung im Rahmen des § 6 für die Rechnung des Lastenausgleichsfonds erfolgen soll. Nun, meine Damen und Herren, erstens haben wir zusammen mit Herrn Minister Blücher ausgerechnet, daß nicht 200 Millionen sondern 400 Millionen für den Wohnungsbau unter Zugrundelegung der Zahl von 300 Millionen, die jetzt im Gesetz steht, fehlen.
Von den weiteren 200 Millionen steht in dieser Regierungserklärung nichts mehr.
Zweitens möchte ich, wenn wir einmal ernsthaft zur Diskussion über diese Dinge kommen, gefragt haben: Wer zahlt denn die Zinsen für diese Anleihe?
— Wo steht denn das? Zahlt sie die Bundesregierung, zahlt sie der Lastenausgleich? Das müssen wir schließlich alles wissen.
Deutscher Bundestag — 213. Sitzurig. Bonn, Freitag, den 16. Mai 1952 9377
Ich lese weiter in der Regierungserklärung:
Der Bau von mindestens 300 000 Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus im Jahre 1953 wird beschleunigt finanziell gesichert werden. Hier sind die vorbereitenden Pläne und Maßnahmen weit vorgeschritten.
Wenn das eine exakte Zusage ist, dann weiß ich nicht mehr, ob ich die Sprache richtig verstehe.
Immerhin wissen wir doch nebenbei auch, daß wir allein einen Zuwachsbedarf an Wohnungen von 250 000 Wohnungen im Jahr haben und daß deswegen nur das, was über 250 000 Wohnungen im Jahre hinausgeht, als echte Behebung des Wohnungselends z. B. der Vertriebenen und Geschädigten zu bezeichnen ist, so daß Sie mit einem Programm von 300 000 Wohnungen dem Anliegen, das wir hier im Lastenausgleich zu vertreten haben, keineswegs gerecht werden können.
Vor ein paar Jahren waren wir noch nicht so weit; .aber wir sind immerhin froh, daß wir jetzt wenigstens etwas weiter sind. Wir müssen aber wissen, wie weit wir kommen müssen.
Herr Kollege Dr. Preusker, Sie haben zu diesem Punkt auf die Pläne zu neuen Kapitalmarktemissionen usw. verwiesen, auch auf die neue bayerische Emission. Der Erfolg dieser bayerischen Emission ist ja nicht nur in dem Zinsversprechen, sondern in dem außerordentlich ungewöhnlichen Rückzahlungsversprechen, das man gemacht hat, begründet. Wir sind uns doch vollkommen im klaren darüber, daß wir für Zwecke des Wohnungsbaus und für Zwecke des Lastenausgleichs derartige Versprechen nicht geben können.
Ich möchte dazu zum Schluß nur noch feststellen, daß über die Angelegenheit der 200 Millionen DM Schatzscheine der Lastenausgleichsbank bisher außer dem, was Herr Dr. Bucerius soeben beiläufig gesagt hat, nähere Angaben nicht gemacht worden sind.
Nun, meine Damen und Herren, das mag ein Vorfinanzierungsprogramm sein. Es ist sehr spät, um ein solches vorzulegen. Wir sind sehr gerne bereit, über jede einzelne dieser Fragen mit Ihnen zu diskutieren. Wir sind aber unter gar keinen Umständen bereit — und ich glaube, das muß man doch einsehen —, in diesem Stadium der Aufklärung diesem Bündel von sehr verschiedenartigen Maßnahmen einfach grundsätzlich zuzustimmen. Die Verweisung an den Ausschuß, die ich ebenfalls ausdrücklich beantrage, ist das, was mit diesem Antrag geschehen muß. Wir hoffen, daß er die Grundlage für eine fruchtbare Diskussion über alle diese Fragen im Ausschuß geben wird. Aber, meine Damen und Herren, die wirkliche Frage ist ja nicht die, ob dieser Antrag dem Ausschuß überwiesen wird oder etwa in einer übereilten Abstimmung hier durchgepeitscht werden soll; die wirkliche Frage ist, ob dieser Antrag eine Grundlage und Rechtfertigung dafür bietet, unserem Antrag zu § 350 nicht zuzustimmen. Das ist doch die Frage, die hier zur Entscheidung steht.
Noch einmal möchte ich Ihnen, meine Herren Kollegen Lücke und Wirths und wer sonst in dieser Frage in Wirklichkeit mit uns einig ist, folgendes sagen. In diesem Papier Drucksache Nr. 3373 rechnen Sie sich selbst über die Bilanz der Ausschußfassung des Gesetzes hinaus Mehreinnahmen von 300 Millionen DM im Jahre aus. Diese 300 Millionen DM sind zum großen Teil der teilweisen Annahme unserer Anträge in der dritten Lesung — auch in der zweiten Lesung: bezüglich der Aktien — zuzuschreiben. Diese 300 Millionen DM haben mit all den Vorfinanzierungs- und Anleiheprojekten nichts zu tun, sondern sie sind ja nun wirklich da. Hoffen wir, daß sie wirklich drinbleiben! Was hindert Sie eigentlich nun, diese 300 Millionen DM oder wenigstens einen größeren Teil davon den 300 Millionen DM, die in der Ausschußfassung des § 350 vorgesehen sind, für die Wohnraumhilfe zuzuschlagen, wenn das so ist, wie Sie, Herr Kollege Dr. Preusker, und wie Sie, Herr Kollege Lücke, soeben noch einmal mit solcher Leidenschaft hier betont haben, daß Sie nie aufhören werden, den Wohnungsbau als die erste Aufgabe in dieser Bundesrepublik zu betrachten? Wenn das ernst gemeint ist
— sehr ernst gemeint ist; ich freue mich, daß Sie
das betätigen —, welchen Grund gibt es denn
dann, dieses nun wirklich erzielte Mehraufkommen
des Lastenausgleichs diesem auch von Ihnen als
wichtigsten betrachteten Zweck nicht zuzuführen?
Welchen Grund kann es denn dann noch geben, Ihren Antrag nicht einzubringen oder unserem Antrag zu § 350 nicht zuzustimmen?
Sie brauchen sich über alle diese Anleiheprojekte gar nicht zu unterhalten, Sie haben ja die 300 Millionen DM. Schlagen wir sie dem Wohnungsbau zu! Dann haben wir wenigstens das erreicht und gesichert, was doch, wie Sie eben sagten und noch einmal bestätigten, Ihnen ebenso sehr am Herzen liegt wie uns.
Das ist doch die Frage; nicht das ist sie, ob dieser Antrag dem Ausschuß überwiesen wird
und was der Ausschuß später dazu sagt. Es dreht sich doch um die Entscheidung über die Anträge zu § 350, d. h. um die wirkliche Sicherung des Wohnungsbaus.
— Nein, verzeihen Sie einmal, Herr Kollege Nöll von der Nahmer. Ich will Ihnen etwas sagen. Wenn wir auf Erhöhung des Aufkommens gedrängt haben und damit teilweise durchgedrungen sind, so ganz bestimmt nicht, um dieses Aufkommen vorrangig vor dem Wohnungsbau oder sonstigen Zwecken der Eingliederung für andere Aufgaben, die Sie etwa im Auge haben, verwenden zu lassen;
da können wir dieses Aufkommen denn doch vorrangig und in erster Linie für das in Anspruch nehmen, was — Sie bestätigen es doch noch einmal, meine Kollegen — wirklich das Wichtigste ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diesen Antrag dem Ausschuß zu überweisen. Ich hoffe, daß wir in der Diskussion darüber zu einer Einigung, zu einem Ergebnis kommen werden, bitte Sie aber — das gehört hier zur Sache —, unserem Antrag zu § 350 zuzustimmen.