Rede von
Rudolf-Ernst
Heiland
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In § 315 geht es ja bekanntlich um die 250 Millionen, die durch die öffentliche Hand in den Fonds des Lastenausgleichsgesetzes eingebracht werden sollen. Ich habe schon in der zweiten Lesung darauf hinweisen können, daß es eine Belastung der Länder, Gemeinden und des Bundeshaushalts ist und nicht, wie es eigentlich wirklich sein sollte, eine Belastung des vom Krieg verschonten Vermögens. Nun haben wir, glaube ich, in der Zwischenzeit' auch in der öffentlichen Diskussion gespürt, daß gerade die Belastung der öffentlichen Haushalte sehr ernste Bedenken hervorruft. Ich möchte heute noch einmal mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß die Lasten, die hier den Gemeinden und den Ländern aufgebürdet werden, einfach dazu führen müssen, daß eine ganze Portion Aufgaben auf dieser Ebene in der Zukunft verkümmert. Mir liegt z. B. ein Telegramm des Verbandes badischer Gemeinden vor, der dringend darum bittet, dafür einzutreten, daß die Freistellung -des Gemeindevermögens vom Lastenausgleich durchgeführt werden möge. Mir ist bekannt, daß auch Mitglieder der Koalitionsparteien ein derartiges Telegramm erhalten haben, und ich hoffe, daß sie sich zu diesem Telegramm der badischen Gemeinden auch noch selber äußern werden.
Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, es muß noch einmal mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden: Der Lastenausgleich darf nicht den Geschädigten selber auf dem Wege über die öffentlichen Haushalte auferlegt werden, sondern er muß, wenn er ein echter Lastenausgleich werden soll, wirklich ein Eingriff in die Substanz des vom Kriege verschonten Vermögens sein. Deshalb appelliere ich in letzter Stunde noch einmal in aller Eindringlichkeit, daß man sich dieser ungeheuren sozialen Verantwortung in diesem Hause doch bewußt werden möge.
Herr Kollege Kunze und ich haben anscheinend das Pech, daß ich jedesmal eine Replik auf eine Rede von Herrn Kunze halten muß. Herr Kunze hat das Wort vom Klassenkampfgesprochen, Herr Nöll von der Nahmer, und nicht mein Kollege Ohlig!
— Das werde ich Ihnen jetzt, damit Sie es besser verstehen, nicht mit meinen Worten, sondern mit denen des Kollegen Kunze sagen. Herr Kollege Kunze hat wörtlich gesagt:
Sie wenden Methoden an, die einen klassenkämpferischen Charakter haben.
Mehr sehr geehrten Damen und Herren! Da Sie ja einige Wirtschaftsexperten in diesem Lastenausgleichsausschuß gehabt haben — es sollen immerhin drei gewesen sein, wie wir aus einem Artikel einer Zeitung wissen —, sollten Sie einen dieser Experten einmal gefragt haben, wodurch der Klassenkampf denn überhaupt aufkommt. Wenn Sie endlich dafür sorgen würden, daß die . ungeheuren sozialen Spannungen zwischen den
Klassen gemildert würden, dann gäbe es keinen Klassenkampf mehr.
— Herr Bahlburg, mit Ihnen möchte ich darüber nicht diskutieren; denn ich habe Gott sei Dank nicht Ihr großes soziales Gewissen.
— Wir brauchen uns über diese Frage nicht noch eingehender zu unterhalten.
Ich möchte aber, mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten, einen Artikel der „Times" verlesen, der am 10. Mai zu der inneren sozialen Struktur Deutschlands geschrieben wurde.
Der Wiederaufbau ist oft eine Fassade, die die schrecklichen Lebensverhältnisse von Tausenden verbirgt, die noch immer in den Kellern bombardierter Häuser wohnen oder wie im Falle der 50 0a0 Bergarbeiter, die kaum eine Hoffnung haben, mit ihren Familien zusammengeführt zu werden. Aber die Fassade ist eindrucksvoll. Es gibt leuchtende neue Paläste des Bankwesens, der Industrie und des Handels in Frankfurt, Köln, Düsseldorf und manchen anderen Städten. Dr. Erhard's freie Wirtschaft sorgt dafür, daß die Geschäfte für diejenigen, die Geld haben, voll sind, d. h. für eine kleine Minderheit, in Anbetracht der Kluft zwischen den Grundlöhnen und dem Lebensstandard. Es gibt keine Rationierung in dieser neu gefundenen Fülle. Viele haben neue Reichtümer angehäuft, hauptsächlich solche, die einen schnellen Profit erzielten mit Hilfe von verborgenen Beständen von Verbrauchsgegenständen nach der Währungsreform. Obgleich offene Formen des Schwarzen Marktes in Westdeutschland weniger in Erscheinung treten als in Berlin, gibt es sehr viel flüssiges Geld, das sowohl der Besteuerung als auch der langfristigen Investierung entzogen wird . . .
Es wird gesagt, daß die meisten ausländischen Wagen an der französischen Riviera heutzutage aus Deutschland kommen.
Das ist nicht meine Meinung, sondern die Meinung der „Times".
— Das heißt, daß die Städte — ich denke gerade an die zerbombten Städte der Ruhr — nicht die notwendigen öffentlichen Aufgaben durchführen können, um für ihre Bürger wieder einen normalen Lebensstandard zu schaffen, wenn man die öffentlichen Mittel dazu heranzieht, um die großen Vermögen in Deutschland auf Kosten der eben genannten Aufgaben zu schützen.
— Herr Kollege Lücke, Sie wissen genau so gut wie ich, daß der Bergarbeiterwohnungsbau wohl einige erhebliche Fortschritte gemacht hat, daß aber auch noch ungeheure Lücken, gerade bei uns an der Ruhr, auf diesem Gebiet vorhanden sind.
Ich möchte aber noch zu einem anderen Wort des Herrn Kunze etwas sagen. Herr Kunze hat von der „Partei der Oberbürgermeister" gesprochen. Ich glaube, es ist notwendig, daß in diesem Hause auch mal einer die öffentlichen Interessen wirklich zu seinen Interessen macht und sie hier verteidigt. Man kann nicht behaupten, daß die Leute, die aus der kommunalen Ebene kommen, die schlechtesten Politiker geworden sind.
— Herr Kunze hat davon gesprochen, wir setzten uns deswegen für das öffentliche Vermögen ein, weil wir — scherzhafterweise — die „Partei der Oberbürgermeister" genannt würden. Nun bin ich ja bloß ein kleiner Bürgermeister einer kleinen Mittelgemeinde.