Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 9. Mai 1952 ist in Paris der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft paraphiert worden. Die Paraphierung des sogenannten Generalvertrags zur Ablösung des Besatzungsstatuts und der Zusatzverträge steht bevor. Die Unterzeichnung der Verträge ist für den 24. und 30. Mai 1952 vorgesehen. Eine politische Beurteilung dieses Vertragswerkes steht hier jetzt nicht zur Erörterung. Nur vor-
sorglich darf ich, um Mißverständnisse zu vermeiden, darauf hinweisen: die politischen Voraussetzungen, die von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands für diese Verträge seit langer Zeit entwickelt worden sind, sind bekannt. Sie werden insbesondere zur schärfsten Kampfansage gegen den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft führen.
Im Augenblick aber hat uns keine politische, sondern die Rechtsfrage zu beschäftigen.
Seit der 98. Sitzung des Bundestages am 8. November 1930, also seit 18 Monaten, weiß der Bundestag, weiß die Bundesregierung und weiß die Öffenlichkeit des In- und Auslandes, daß es Gegenstand eines Verfassungskonflikts ist, ob die Regelung von Wehrtragen ohne vorangegangene Erganzung und Abänderung des Grundgesetzes zulässig ist. Für die parlamentarische Erörterung standen für uns stets die politischen Erwägungen im Vordergrund. Wir haben uns deshalb bewußt darauf beschränkt, unsere rechtlichen Gesichtspunkte nur in den Grundzügen zu umreißen, und darauf verzichtet, sie hier auszudiskutieren. Auch heute- kann es nicht meine Absicht sein, unseren bekannten Rechtsstandpunkt ausführlich zu begründen, zumal bereits ein verfassungsgerichtliches Verfahren schwebt. Die Auseinandersetzung darüber wird vor dem Bundesverfassungsgericht zu geschehen haben. Meine Aufgabe ist jetzt, einen Antrag zu begründen, der in diese Auseinandersetzung nicht eingreift, der im Gegenteil keinen Streitteil auf irgendeinen Standpunkt festlegt, der sich insbesondere weder in das politische Ermessen der Bundesregierung noch in die rechtliche Entscheidungsgewalt des Bundesverfassungsgerichts einmischt oder gar irgendein Ergebnis vorwegnimmt, sondern der bestimmt ist, zu gewährleisten, daß die Gerichtshoheit des Bundesverfassungsgerichts nicht geschmälert wird. Auf diesem Weg und in diesem Ziel sollten wir uns alle einig sein können.
Nach einer weit verbreiteten Lehre des Völkerrechts und nach Entscheidungen internationaler Gerichtshöfe kann es unter Umständen für die völkerrechtliche Kraft eines Vertrages ohne Bedeutung sein, ob er unter Verletzung der Verfassung eines der beteiligten Staaten abgeschlossen worden ist. Daraus erwächst die Gefahr, daß möglicherweise ein und derselbe Vertrag völkerrechtlich gültig, aber staatsrechtlich verfassungswidrig ist. Wir können und wir mässen es vermeiden, daß eine so widerspruchsvolle Lage eintritt; denn sie hat Nachteile von unabschätzbarer Schwere zur Folge. Das Bundesverfassungsgericht könnte seiner ihm vom Grundgesetz anvertrauten Aufgabe, Hüter der Verfassung zu sein, dann unter Um-st linden nicht mehr genügen. Es hätte den wesentlichsten Teil seiner rechtsprechenden Gewalt verloren, wenn es zwar die Verfassungswidrigkeit eines Abkommens feststellen müßte, aber gleichwohl seiner Gerichtshoheit entzogen bliebe, auch die Unwirksamkeit des Abkommens auszusprechen. Die Bundesrepublik Deutschland sähe sich dem Widerspruch gegenüber, daß sie nach ihrem Grundgesetz einen solchen Vertrag nicht ausfahren könnte, den sie nach Völkerrecht erfüllen müßte. Wir dürfen uns aber dem bösen Vorwurf, im völkerrechtlichen Verkehr vertragsuntreu zu sein, eingedenk der so furchtbaren Ereignisse in unserer jüngsten Vergangenheit unter keinen Umständen abermals aussetzen. Wir sind am allerwenigsten bei diesem Vertragswerk imstande, das Wagnis auch nur eines Anscheins des Vertragsbruchs auf uns zu nehmen, da wir sonst mit Sanktionen zu rechnen haben.
Aus diesen Gründen hat die Völkerrechtslehre schon seit Jahrzehnten die Auffassung entwickelt, daß eine Regierung erstens nicht nur die politische, sondern die rechtliche Pflicht habe, sich der Verfassungslage zu vergewissern, und zweitens auch die Rechtspflicht, ihre Verhandlungspartner hierüber aufzuklären, weil ihr andernfalls ein Verschulden in der Verhandlungsführung zur Last fiele, das reparationspflichtig machen würde.
Unser Antrag verlangt also von der Bundesregierung nicht mehr, als ohnedies nach den Lehren ihrer eigenen Rechtsberater, Erich Kaufmanns insbesondere, ihrer Schuldigkeit entspricht. Unser Antrag nimmt weder eine politische noch eine gerichtliche Entscheidung vorweg, sondern hat das Ziel, dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit offenzulassen, durch seinen Spruch so oder so rechtlich das letzte Wort zu sprechen, in welchen Formen es zulässig ist, die Bindungen einzugehen, die uns diese Verträge auferlegen sollen. Ob diese Bindungen politisch richtig und erträglich sind, bleibt eine andere Frage, die weder heute hier noch je in Karlsruhe zur Debatte steht.
Schließlich darf ich noch darauf hinweisen, daß wir uns alle angelegen sein lassen sollten, das verfassungsgerichtliche Verfahren zu fördern. Jedenfalls kann nach den. Regeln, über die wir uns im Rechtsausschuß einig waren und nach denen wir auch im Südweststaatprozeß verfahren sind, der Bundestag in diesem Verfassungsrechtsstreit nicht unvertreten bleiben. Wir haben nach § 77 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht das Recht, uns zu äußern. Aber das zwingt uns nicht zu dem Versuch, jetzt die Szene zum Tribunal zu machen und gegenseitig hier unsere Rechtsauffassung zu entwickeln. Das sollte vielmehr durch je einen Vertreter der Mehrheit und der Minderheit in Karlsruhe geschehen.
Aus diesen Gründen habe ich Ihnen im Namen meiner Fraktion vorzuschlagen:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Der Bundestag bestellt aus seiner Mehrheit und aus seiner Minderheit je eines seiner Mitglieder zu Vertretern mit der Ermächtigung, in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht für den Bundestag sich zu äußern.
2. Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, den Regierungen der Republik Frankreich, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten sowie den am Vertrage über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft beteiligten Regierungen Belgiens, Italiens, Luxemburgs und der Niederlande unverzüglich — möglichst noch vor oder bei Unterzeichnung des Vertrages — durch eine Note mitzuteilen:
Eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an dem Vertrage über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist wirksam nur unter den Voraussetzungen möglich, die nach einer in ihrem Zeitpunkt und Ergebnis noch nicht absehbaren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewahrt werden müssen.
Alle für die Bundesrepublik Deutschland insoweit zu vollziehenden Unterschriften
oder abzugebenden Erklärungen oder sonst zu treffenden Maßnahmen stehen deshalb unter dem Vorbehalt, daß sie keine Rechtswirkungen erzeugen, falls sie nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den zum Abschluß eines solchen Vertrages nach dem Grundgesetz erforderlichen Voraussetzungen nicht genügen sollten.